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Originalgetreues Kasperltheater

von Michael Laages

Berlin, 13. März 2011. Ein subalterner Techniker hat zum Glück nicht mitgespielt im hochpolitischen Kesseltreiben. Und darum wissen die Nachgeborenen heute wenigstens, worum es tatsächlich ging in der Polit-Schlacht, die die herrschende Partei in der gerade zwei Jahre alten DDR vom Zaune brach um "Das Verhör des Lukullus", die Oper mit Paul Dessaus Musik zum Text von Bertolt Brecht, die sie unbedingt verhindern wollte im März 1951, vor ziemlich genau 60 Jahren.

Dokument des Jubels von 1951

Mehr als zehn Jahre vor dem Mauerbau, offenbar noch vollkommen unsicher im Gebrauch der neuen Macht im zweiten deutschen Staat, fühlten sich die führenden Kulturfunktionäre der SED von der unüberhörbaren Moderne speziell in Dessaus Musik derart heraus gefordert, dass sie sich alle erdenkliche Mühe gaben, dem Ex-Exilanten Brecht die Ostberliner Suppe zu versalzen. Der hatte, zurückgekehrt aus dem US-Exil und über Zürich in die neue DDR, unter dem Dach vom Deutschen Theater als Wolfgang Langhoffs Gast eine eigene Theatertruppe begründet, das "Berliner Ensemble". Nach der "Mutter Courage" und dem "Hofmeister" sollte das anti-heldische Stück vom "Verhör des Lukullus", konzipiert noch in den späten 30er Jahren, zu einem weiteren Brecht-Erfolg am neuen Lebensort werden.

Der aufrechte Techniker im Rundfunk der DDR, der den Mitschnitt der Premiere vor ausgesuchtem, aber nicht bestechlichem Publikum im Nachhinein nicht vernichtete (wie ihm befohlen war), garantiert nun auch der aktuellen historischen Recherche des Brecht-Forschers Werner Hecht die eigentliche Attraktion – den Original-Ton, die Musik, wie sie vor 60 Jahren unter Leitung des Schweizer Komponisten Hermann Scherchen in der Berliner Staatsoper erklang. Und auch den Original-Jubel danach hat er konserviert – eine halbe Stunde lang, so hat es Brechts Ehefrau Helene Weigel überliefert, feierte das Publikum das Stück, von dem die Partei sich so überaus bedroht fühlte, dass sie es verhindern wollte.

Ahnungslose an der Macht

Eine tolle Geschichte, eigentlich. Eine Partei spielt mit, die eine ziemlich genaue Vorstellung davon hat, was für eine Kultur sie haben will im Staat, zu dessen führender Kraft sie sich gerade selber ausgerufen hat. Auch eine Schutzmacht spielt mit: die Sowjetunion, die peinlich genau darauf achten lässt, was da unter ihren Fittichen in Berlin/Ost an Kultur entsteht. Wie sagt Stalin? Die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk bleibt bestehen. Und mit ihm die deutsche Kultur – "Kosmopoliten" wie Brecht und wie der (im Grunde extrem parteitreue) Komponist Paul Dessau werden da eigentlich nicht (oder nicht mehr, oder noch nicht) gebraucht.

Mit extrem auf Tradition und Zuversicht verengtem Blick fordern die Kulturpolitiker Kunst, die "dem Volke dient", die es "versteht", die es nicht überfordert. Dessaus Musik jedoch ist (das ist auch von heute aus noch zu hören) vor allem und zuallererst "schwierig", nicht zugänglich für jedermann. Im Frühjahr 2007 übrigens haben die Regisseurin Katja Czellnik und der Dirigent Eberhard Kloke das Werk von neuem in Berlin gezeigt, an der Komischen Oper – und es bilde sich bitte niemand ein, Dessaus 1951 moderne Tonsprache habe sich seither zum Mainstream gemausert. Nur gibt's halt heute (zum Glück) keine Partei mehr, die die eigene geschmackliche Enge in musikalisch-künstlerischen Fragen mit machtvoller Ignoranz verordnen könnte.

1951 aber bilden sich (auf der Basis von Berichten Untergebener) zum Beispiel Erich Honecker oder Wilhelm Pieck Meinungen über etwas, von dem mit Sicherheit sie überhaupt nichts und auch die gehorsamen Untergebenen nur sehr, sehr wenig verstehen. Das ist der eigentliche "Skandal" um "Das Verhör des Lukullus" – Ahnungslose haben die Macht, das eigene Nicht-Wissen zur Staatsraison zu erklären.

Sprechen wie Honecker

Das ist ein politisch hochinteressanter Moment, dessen Dokumentation von kulturhistorischem Interesse ist. Manfred Karge aber hat auf der Basis einer Material-Montage des auch schon zu DDR-Zeiten sehr fleißigen Brechtforschers Werner Hecht einen Theaterabend geschnitzt, gesägt und gehämmert, der sensibleren Naturen das historische Interesse durchaus verleiden kann.

Was allemal und unbedingt das Zeug zur szenischen Lesung hätte (so wie etwa Frank Castorf umging mit der legendären Konferenz von Nazis, Wirtschafts- und Versicherungsbonzen, die sich wortreich und perfide auf die Reichspogromnacht 1938 vorbereiteten), das wird bei Karge von Schauspielern "dargestellt". Und jeder gibt sich nun alle erdenkliche Mühe, abseits einer richtigen Rolle wenigstens möglichst originalgetreu wie Honecker oder Pieck, Bertolt Brecht oder Helene Weigel zu klingen – das kann nur ein Desaster werden. Mit völlig kontraproduktiver Ambition werden mehr oder minder begabte Darstellerinnen und Darsteller zum blanken Kasperltheater verdonnert; und jeder und jede kann uns nur aufrichtig leid tun.

Pappkameradentheater

Nur wer es schafft, diese vom Regisseur zwangsverordneten und völlig abstrusen Aneignungsversuche zu übersehen, der kommt dem Kern der "Lukullus"-Geschichte halbwegs auf die Spur. Und der ist mit dem zeitgenössischen Schlagzeilenwort vom "Skandal" einigermaßen falsch beschrieben – es war halt so, dass die vollkommen kulturferne Partei das historisch bewährte Totschlagargument vom "Formalismus" als Krücke und Keule benutzte, weil sie nicht wusste, wie sie umgehen sollte mit dem Neuen, das ihr da mit Brechts und Dessaus Modernität ungewollt zugewachsen war.

Auch darum ist es ziemlich interessant, wie strategisch hintersinnig Partei und Politik dem Theatermacher im Gefolge der Schlacht um "Lukullus" nun gleich ein eigenes Theater zuschustern: das historische Theater am Schiffbauerdamm halt, das Theater der "Dreigroschenoper" für das ungeliebte Berliner Ensemble. Und es braucht gar nicht Werner Hechts notorische Brecht-Beweihräucherung, um das Abenteuer dieses Neuanfangs zu verstehen – eigentlich zum Scheitern verurteilt, wird das Haus zum Theater des harmlosen Klassikers Brecht. Auf perfide Weise hat sich der Plan der Politik erfüllt.

Was für ein Thema. Und was für eine peinliche Pleite auf der Bühne – in Manfred Karges Pappkameradentheater.

 

Der "Lukullus"-Skandal. Wie die Brecht-Dessau-Oper vor 60 Jahren verdammt wurde (UA)
Eine Collage von Werner Hecht aus Originaldokumenten von Ulbricht, Pieck, Gortewohl, Mielke, Honecker, Girnus, Wandel, Erpenbeck, Zweig, Weigel, Dessau, Scherchen, Brecht u.v.a.
Regie und Bühne: Manfred Karge, Kostüme: Barbara Naujok, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Anna Graenzer, Katharina Susewind, Dejan Bucin, Heinrich Buttchereit, Alexander Ebeert, Winfried Goos, Roman Kaminski, Roman Kanonik, Michael Kinkel, Detlef Lutz, Michael Rothmann, Stephan Schäfer, Martin Schneider, Norbert Stöß, Felix Tittel, Thomas Wittmann, Mathias Znidarec.

www.berliner-ensemble.de

 

Mehr Brecht am BE? Manfred Karge inszenierte dort auch den Kaukasischen Kreidekreis (April 2010) sowie Furcht und Elend des Dritten Reiches (März 2009), Robert Wilson versetzte die Dreigroschenoper in sein Kunstreich (September 2007), Philip Tiedemann rührte die Trommeln in der Nacht (August 2007) und Katharina Thalbach trieb das Dickicht der Städte in die Überzeichnung (Oktober 2010).

 

Kritikenrundschau

So kopfnickerisch ausrechenbar wie wohlfeil wirke diese Collage, findet Hartmut Krug im Deutschlandfunk (14.3.2011). "Die Guten sind die klugen und großen Künstler, Politiker und opportunistische Künstler sind dagegen böse und dumm." Was "ein Beispiel für die gegenseitige Bedingtheit und Widersprüchlichkeit von Kunst und Politik sein" könnte, sei hier biederes, historisierendes Nacherzähltheater. "Wir wohnen einer Kabarett- oder Kaspertheatervorstellung bei. Nicht nur die FDJ-Funktionäre und der für die Staatsoper zuständige Volksbildungsminister sind Klischees, sondern auch die 'Guten'. Wie Arnold Zweig als dumpf-brav redlich gezeigt wird, tut fast körperlich weh."

Eine "heiter-harmlose DDR-Gedenksatire" hat Doris Meierhenrich gesehen, wie sie in der Berliner Zeitung (15.3.2011) schreibt. Brecht etwa trete "in der hageren Gestalt von Winfried Goos" auf, "der nicht an Brecht-Folklore geizt und das rollende 'r' noch etwas brechtischer rollt als Brecht". Ähnlich wonnig seien "die Grauanzug- und Blauhemdträger der Funktionärsseite behandelt: immer ein bisschen Verkleidungswitz, doch nie so viel, dass aus dem Lächeln über sie ein grässliches Lachen werden könnte." Genau das vermisse man  schmerzlich: "Denn entweder zeigte dieser sogenannte "Lukullus-Skandal" die beklemmende Angst-Atmosphäre, die zu jener Zeit in der DDR geherrscht haben muss. Oder dieser Skandal outet sich umgekehrt als reine Farce. Im Berliner Ensemble sucht man beides vergeblich."

In einem Leserbrief in der Berliner Zeitung (19.3.2011) macht die Musikwissenschaftlerin  Daniela Reinhold , Leiterin des Paul-Dessau-Archivs der Akademie der Künste, auf Fehler in Werner Hechts Doku-Kollage aufmerksam. So habe Hecht in noch einmal Dinge als Fakten aufgetischt, die spätestens seit der Aufarbeitung des Falls im Kontext einer Dessau-Ausstellung 1995 als falsch oder lediglich halbwahr zu gelten hätten.

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