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Der Streit der Karikaturen

von Christoph Fellmann

Luzern, 19. März 2011. Babette und Gottlieb Biedermann sind das, was der rechte Mainstream den linken nennt. Er Klimaforscher, sie Sprachlehrerin für Ausländer. Gut situiert, gut gesinnt, aber nicht so gut gelaunt. Diese links-liberale Bürgerlichkeit wird herausgefordert, als der Bruder von Gottlieb in der Türe steht: Thomas beziehungsweise Abdul Qadir, denn er ist während der langen Zeit, die er fort war, zum Islam konvertiert. Er zieht bei Biedermanns ein – genau so, wie in deren Haushalt vor 52 Jahren, als der noch eine ganz und gar konservative Bürgerlichkeit verströmte, schon zwei Hausierer eingezogen waren, die sich dann als Brandstifter entpuppten.

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©Ingo Höhn/dphoto.ch

Das war in "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch, 1958 uraufgeführt und neben "Andorra" das erfolgreichste Stück des Schweizers. Jetzt hat Gisela Widmer das Stück zu Frischs hundertstem Geburtstag überschrieben und in das Milieu übertragen, aus dem die Luzerner Autorin selber stammt. Im Vorfeld der Uraufführung hat sie ihr Stück als Satire auf die "inner-linke" Debatte über den Islam lanciert, eine Debatte, die tabuisiert sei und nie richtig stattgefunden habe – auch nicht vor der unseligen Abstimmung über ein Verbot von Minaretten, dem die Schweizer Bevölkerung im November 2009 zugestimmt hat.

Der Auftritt der Leitartikler

Gisela Widmer kann pointierte, präzise Kurzsatiren schreiben, wie sie auch in "Biedermanns.umgezogen" zeigt – etwa in schlagfertigen Nummern über Ratgeberjournalismus, über Türklingeln oder darüber, wie man störendem Besuch versichert, er störe überhaupt nicht. Über die ganze Strecke aber ächzt ihr Stück dann doch unter der Absicht, angebliche Denkverbote zu durchbrechen. Denn dafür, dass das Stück eine linke Islamdebatte erst anzetteln will, kommen einem seine Dialoge dann doch leidlich vertraut vor. Aber schwerer wiegt, dass Widmer die Debatte eben gar nicht anzettelt. Sondern gleich selber führt. Es ist, als träten Leitartikler gegeneinander an.

Nun löst die Regie das Problem allerdings grossartig. Hannes Rudolph bietet die Schauspieler auf einen schmalen Streifen vor dem Feuervorhang auf. Und auf diesem Theater gewordenen Flachbildschirm liefern sich die Biedermanns in ihrer studioähnlichen Wohnung nun einen kontradiktorischen Polittalk, für den sie zwischen den Szenen abgepudert und bei Bedarf auch umgekleidet werden. Die holzschnittartige Zeichnung der Biedermanns spielt dieser Lesart nur in die Hände: Wer im Polittheater seine Rolle zu vollstrecken hat, braucht keine Tiefe, nur gute Formulierungen und ab und zu eine Pointe. Beides gehört zu den Stärken von Gisela Widmer.

Der nette Herr Feuerwehrmann

So wird man von diesem Streit der Karikaturen über die 70 Minuten des Abends recht blendend unterhalten; auch, weil Bettina Riebesel, Walter Sigi Arnold und Jörg Dathe als Babette, Gottlieb und Thomas Biedermann ihr komödiantisches Talent sehr wach ausspielen. Allerdings wäre die Inszenierung so noch nicht viel besser als das muntere Politspektakel, das jeden Abend auf vielen Bildschirmen vieler Biedermanns performt wird – zumal bei Gisela Widmer am Ende nur die Ehe von Babette und Gottlieb Biedermann lichterloh brennt.

So billig möchte Hannes Rudolph sein Publikum zum Glück nicht in die Nacht entlassen: Er geht einen Schritt zurück auf Max Frisch zu und fackelt am Ende die ganze Stadt ab, die sich hinter der Studiowohnung als Silhouette abgezeichnet hat und in die sich die Koffer von Abdul Qadir zuvor so schön eingepasst haben.

Der Brandstifter ist der Feuerwehrmann, der hier den Feuerwehrchor bei Max Frisch ersetzt. Er schnippt den Polittalk an und aus und moderiert überhaupt den Abend. "Nur wer keinen Verstand hat, kann für alles Verständnis haben", sagt er dann; bei Samuel Zumbühl bestens aufgehoben als linkisch charmierender Quotenclown, der mit geistreichen Sottisen nach Lachern und nach Beifall heischt – und der umso unheimlicher wird, je mehr ihm das Premierenpublikum davon gibt (es ist nicht wenig).

Hat man beim Lesen des Stücks noch den Eindruck, durch diesen Feuerwehrmann spreche die Autorin Gisela Widmer, so ist er beim Regisseur Hannes Rudolph nur der nette Mann, der die Meinungen anfächelt, bis sie brennen. Was für eine diabolische Pointe für dieses Stück.

Biedermanns.umgezogen
von Gisela Widmer
Regie: Hannes Rudolph. Bühne: Tobias Schunck. Kostüme: Anna Schnyder. Licht: Peter Weiss. Dramaturgie: Ulf Frötzschner. Mit: Walter Sigi Arnold, Bettina Riebesel, Jörg Dathe, Samuel Zumbühl.

www.luzernertheater.ch

 

Alles von Hannes Rudolph auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

In der Neuen Zürcher Zeitung findet Barbara Villiger Heilig deutliche Worte: Gisela Widmers Max-Frisch-Weiterschreibung "Biedermanns.umgezogen" komme, "nur zum Teil aufgrund von Hannes Rudolphs Inszenierung, in jeder Hinsicht schlicht daher. Es spielt, geistig, unter der Gürtellinie". Widmer greife für ihre Klamotte "tief in die Klischee-Kiste, fördert haufenweise populistische Peinlichkeiten zutage und tauft das Ergebnis eine 'Satire auf die Islamdebatte'". Frischs "offene Parabel auf den opportunistischen Kleinmut" codiere sie um "zum plumpen Pamphlet mit völlig unzweideutiger Stossrichtung. In die ausgehöhlte Struktur füllt sie neue Inhalte: Schnipsel aus Integrationsbehörde-Papieren, aus feministischer Literatur, aus Blogs zur Sarrazin-Diskussion. Alles nur Zitat? 'Die Satire soll die Wahrheit bis zur Kenntlichkeit verzerren', doziert die Autorin, ihre copy-&-paste -Methode erläuternd. Mit Wahrheit meint sie das, was der Stammtisch predigt."

Auf dem Regionalradio-Sender DRS 1 (20.3.2011) berichtet Beat Vogt von einem "alles in allem unterhaltsamen Abend", der von kurzen Dialogen und "Wortspielereien" und "sehr viel Tempo" lebe. Die Schauspieler vermöchten mit "ihrer Energie das Publikum zu fesseln". Gisela Widmer prangere diejenigen Linken an, welche die Probleme des Islamismus nicht beim Namen nennen wollten und ständig beschönigten. Es handele sich um eine "ziemlich direkte Übertragung von Frischs Stück auf ein aktuelles Thema", nur sei Frischs Stück "radikaler". Denn mehr als eine Beziehungkrise löse der muslimische Konvertit bei Widmer nicht aus, während Frischs Brandsitfter wirklich das Haus anzündeten. Eigentlich getraue Widmer sich nicht, klar zu sagen, ob der Musim böse sei und damit mache sie selber genau das, was sie kritisiere.

Auf dem Kulturradio-Sender DRS 2 (21.3.2011) bespricht Dagmar Walser die Inszenierung: Eine Satire auf die Islamdebatte nenne Gisela Widmer ihr Stück und erkläre, dass sie damit "die Ignoranz von Links beziehungsweise die nicht stattfindende innerlinke Debatte im Vorfeld der Minarettinitiative kritisieren wolle". Aus "Angst vor Islamophobie habe man die Islamdebatte den Scharfmachern von Rechts überlassen". Die vorgeführte linksliberale Bürgerlichkeit der Biedermanns bestehe zunehmend nur noch aus Floskeln und rhetorischen Worthülsen. "Zitate aus der Integrationspolitik, der Konvertitenliteratur und der feministischen Kritik" seien auf er Bühne zu hören. Diese "rhetorischen Feuerwerke" seien auch schon "mit das beste an Widmers Stück" und zeigten gleichzeitig "seine Grenzen". Denn über den ganzen Abend gesehen, sei die Kritik "weder sonderlich provozierend", noch "differenziert". Dabei unterstütze Hannes Rudolph diesen "Grat zwischen Kritik und Anklage auf der einen Seite und Unterhaltung und schwarzem Humor auf der anderen sehr geschickt".

In der Neuen Luzerner Zeitung (21.3.2011) schreibt Jan Flückiger: Es sei der Feuerwehrmann, der dem Publikum "etwas lehrmeisterlich manchmal, aber immer wortgewandt" vor Augen führe, welche Verstellung hinter Gottliebs linsliberaler Sprache stecke. "Seine bitterbösen Sprüche sitzen". Das Stück habe "Längen", sei aber, zumindest im Mittelteil, ein "wortgewaltiges, witziges Feuerwerk". Viele Bilder spielten sich "lediglich im Kopf des Publikums ab". Die Schauspieler überzeugten. Die ganz grossen Tabus würden nicht gebrochen, doch das Publikum werde "zum Lachen" gebracht und "die Absurditäten einer falsch verstandenen Multikulti-Toleranz schonungslos" enttarnt (oh Gott – jnm).


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