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Vom Verwesungsgeruch des Lebens

von Kai Bremer

Osnabrück, den 26. März 2011. Der Rentner Markward (Klaus Fischer) und die alte Schauspielerin Carola (Christel Leuner) stehen vor dem Café Haertel. Hier soll es eine große Kuchenauswahl geben, sagt man. Doch als die beiden Alten die Tür aufstoßen, schlägt ihnen bloß Verwesungsgeruch entgegen. Das Café ist ein Ort, der Hoffnung macht, solange man nur von ihm hört, der aber keine lässt, wenn man ihn betritt.

Vielleicht ließe sich das besser ertragen, wenn das Leben vor dem Café anders wäre, als es ist. Der Bühnenraum (Silke Rudolph) ist eingefasst von dünnen, hellen Holzwänden, aus denen große Rechtecke geschnitten sind. Sie geben den Blick frei nicht auf eine andere, gar bessere Welt, sondern bloß auf Neben- und Hinterbühne. Alles ist, wie es ist. Nicht mehr, nicht weniger. Zur Rechten steht eine weitere Holzwand, die wie eine gewaltige Drehtür von Szene zu Szene um ihre Achse schwenkt: Sie kündigt aber nichts Neues an, sondern nur einen ewigen Kreislauf, den Weg hin zum Verwesen: "Wir leben bis wir sterben."

Hoffnung auf ein schöneres Leben

Das schreibt die junge Ärztin Gyde (Verena Fitz) gegen Schluss mit hellem Klebeband auf die hölzerne Rückwand – ein memento mori wohl für all die im Publikum, die nicht begriffen haben, um was es in Juliane Kanns neuem Stück "Café Haertel" geht. Der einsamen Fachfrau für Schädelhirntraumata ist auf jeden Fall längst klar, wie trostlos das Leben ist. Man muss nur in ihr trauriges Gesicht sehen.

Auch der hochintelligente Ole (Alexander Jaschik) weiß das, es wird ihm Tag für Tag vor Augen geführt. Seine lebensuntüchtige Mutter Mona (Susanne Pollmeier) liegt in den Verpackungsresten ihrer letzten Mahlzeit. Sie riecht und Ole widert das an. Kein Wunder, wer wünscht sich schon eine Mutter, die noch keine 40 ist und die mehr Fürsorge braucht, als manch ein Greis. In kurzen Momenten keimt trotzdem Hoffnung auf ein schöneres Leben. Mona fragt ihren jugendlichen Liebhaber Franz (Friedrich Witte), wie sehr er sie liebe. Er sagt: "Bis zum Mond und wieder zurück." Hätte sie ihrem Sohn Ole viel vorgelesen, hätte sie vielleicht gewusst, dass Franz nur den Kinderbuch-Klassiker "Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?" zitiert. Doch im Buch sagt der große zum kleinen Hasen zuletzt: "Bis zum Mond und wieder zurück haben wir uns lieb." Bei Juliane Kann dagegen sagen alle nur "ich", keiner "wir".

Pointenloser Lakonismus

Regisseurin Nina Mattenklotz hat in der Uraufführung am Theater Osnabrück die durch die Egozentrik aufscheinende Einsamkeit nicht mit Pathos und Mitleid aufgeladen. Sie erhält den Lakonismus des Stücks und verkitscht ihn nicht. Das ist eine enorme Leistung, denn diese einsamen Figuren fordern trotz ihrer Ich-Zentriertheit Mitgefühl immer wieder heraus. Dass Mattenklotz' Inszenierung so wenig empathisch wirkt, liegt nicht zuletzt daran, dass sie zwar die Einsamkeit der Figuren betont, indem sie sie immer wieder auf dem Boden liegen oder am Rand sitzen lässt. Doch kehren sie dann in der Regel dem Publikum den Rücken zu. Wir können nur mehr ahnen, was in ihnen vorgeht. Sehen aber können wir es nicht.

Dieses Vorgehen variiert Mattenklotz geschickt und mit Witz im Detail. Einmal sagt Mona, sie liege auf der Straße, was durch ein Video mit vorbei fliegenden Autoscheinwerfern illustriert wird. Mona aber liegt gar nicht, sondern steht. Mittels dieses kleinen performativen Widerspruchs schafft Mattenklotz ein weiteres Mal die Distanz, die dafür sorgt, dass keine Nähe zwischen den Figuren und dem Publikum aufkommt. So treiben diese sechs Menschen dahin, bis sie irgendwann vor dem Café Haertel stehen und ihnen der Verwesungsgeruch entgegenschlägt.

Ihr seid doch nicht allein!

Das allein wäre schon frustrierend genug. Zuletzt aber scheint Juliane Kann doch an diesem pointenlosen Lakonismus zu zweifeln und setzt einen Schlusspunkt. Ole ist zu Geld gekommen. Er steht mit seiner Mutter am Bahnsteig und will mit ihr verreisen. Unsicher betonen die beiden auf einmal das "wir" und man möchte hoffen, es könne doch noch mehr als nur das immer gleiche "ich" geben.

Aber als Ole für seine Mutter ein Wasser holt, packt sie das Geld ein und geht. Er sieht ihr vom Bühnenhintergrund aus nach und lässt sie ziehen - regungslos. Das Osnabrücker Premierenpublikum klatschte daraufhin begeistert, als wollte es seinen Schauspielern trotzig sagen: "Ihr seid doch nicht allein!" Die vorausgehenden zwei Stunden haben wenig Hoffnung gemacht, dass dem so ist.


Café Haertel (UA)
von Juliane Kann
Regie: Nina Mattenklotz, Bühne und Kostüme: Silke Rudolph, Dramaturgie: Anna Volkland, Video: Nina Mattenklotz/Claudius Strack, Musik: Tobias Gronau.
Mit: Klaus Fischer, Verena Fitz, Alexander Jaschik, Christel Leuner, Susanne Pollmeier, Friedrich Witte.

www.theater-osnabrueck.de


Die Dramatikerin Juliane Kann, 1982 in Mecklenburg geboren, studierte Szenisches Schreiben an der Berliner UdK. Ihrer Stücke wurden u.a. am Düsseldorfer Schauspielhaus, dem Theater Osnabrück oder dem Berliner Maxim Gorki Theater uraufgeführt. Zum Beispiel Fieber im Juni 2010.


Kritikenrundschau

Ein vom Publikum freudig aufgenommener Abend, das Stück erwies sich allerdings als eher dünnbrüstig, so Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (28.3.2011). "Durchaus kluge Dialoge zeigen die feinen Übergänge von wachsender Nähe bis zu den Abstoßungsvorgängen", doch sie bleiben kopflastig, wirklich wachrüttelndes habe kaum jemand zu erzählen. Die Leerläufe des Abends sein mitnichten der Regie und den Schauspielern anzulasten. "Mit viel Drive, Witz, überhöhtem Realismus und sanftem Symbolismus wie möglich" bringen Mattenklotz und die Bühnenbildnerin das Geschehen auf Touren. "Die Figuren sind wunderbar klar konturiert und jede für sich körpersprachlich eine Augenweide."

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