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Was machen wir jetzt hier?

von Elske Brault

Hamburg, 30. März 2011. Das Körber-Studio Junge Regie ist ein Treffen der Nachwuchsregisseure – und ein Wettbewerb: Der Regisseur der besten Inszenierung darf an einem Staatstheater seine nächste Produktion herausbringen. Aber der diesjährige Gewinner Gernot Grünewald will das womöglich gar nicht – einen literarischen Text zu inszenieren, kommt für ihn nicht in Frage.

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Dreileben – ein Projekt übers Sterben
© Ellen Coenders

Üblicherweise erwartet man genau das von einem Regisseur: einen vorgegebenen Text zu interpretieren. Doch angesichts eines so ambitionierten Projektes wie Grünewalds Dokumentartheater über das Sterben erschienen die mehr oder minder glücklich zusammen buchstabierten Ausdeutungen bekannter Vorlagen umso braver und langweiliger. Frederik Tidén von der Otto-Falckenberg-Schule in München hatte sich Dostojewskis "Schuld und Sühne" vorgenommen, das Regieduo David Csesienski und Robert Hartmann von der Berliner Ernst-Busch-Schule hatte sich immerhin für zeitgenössische Autoren entschieden: "Vor der Sintflut" von den Brüdern Presnjakow war das einzige Stück von Nachwuchsautoren, das beim Körber-Studio Junge Regie zu sehen war.

Vor der Sintflut oder unter bunten Pappkartons

Man konnte sich im Übrigen nur wundern, dass die jungen Regisseure offensichtlich auf einem anderen Planeten leben als die jungen Autoren: Entweder inszenieren sie ihre eigenen Texte oder Klassiker, und sei es moderne Klassiker wie Tankred Dorsts "Parzival"-Bearbeitung. Die eigene Generation: Philipp Löhle, Nis-Momme Stockmann kommen nicht vor. Insofern war Vor der Sintflut ein Lichtblick: Das vor drei Jahren am Staatstheater Stuttgart uraufgeführte Stück lässt einen modernen Noah beim Versuch, seine Arche zu füllen, auf absurde Weise an der Bürokratie scheitern. Genau so absurd war es in Szene gesetzt. Die Darsteller schlüpften in große, bunt beklebte Pappkartons und fungierten so als Waschmaschine oder wandelnde Chipstüte. Aber die Wut auf die Verhältnisse, die den Witz der Presnjakows speist, fehlte dieser Inszenierung. Sie hätte so auch auf einer beliebigen Stadttheaterbühne als Abendunterhaltung durchgehen können.

Medea oder der Kuh beim Kalben helfen

Wut, Wucht, Unmittelbarkeit – all das hatte "Medea", der Beitrag der Essener Folkwang-Schule zum Körber-Studio Junge Regie. Der 26jährige Regisseur Karl Philipp Fromberger sticht schon rein äußerlich aus der Riege seiner Mitstudenten heraus, mit Vollbart und stämmiger Figur wirkt er wie das Urbild eines bayrischen Bauern, und er hat auf den antiken Text des Dichters Euripides so beherzt zugegriffen, als helfe er einer Kuh beim Kalben. Drei schwarz gekleidete junge Schauspielerinnen sprechen ihn, ohne Abweichungen von der Vorlage, ohne Bühnenbild, ohne Requisiten – sieht man mal ab von den drei Stühlen, auf denen sie sitzen und die sie zerschlagen werden, um sich erneut auf die Trümmer zu setzen. Wie die drei die Verse sprechen, das eben macht es aus. Jede von ihnen scheint von sich selbst zu erzählen, von einer Zurückweisung, die sie gerade in der eigenen Beziehung erlitten hat. In Dialogen beispielsweise zwischen Medea und ihrer Dienerin diskutieren die Darstellerinnen die Rolle der Frau, den ewigen Geschlechterkampf – und das ist, als stünde Euripides plötzlich mitten unter uns, als überspringe er mal kurz 2.500 Jahre Zivilisationsgeschichte, um sich mit Elfriede Jelinek über die Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Mann und Frau zu unterhalten, damals ähnliche wie heute.

Romantik ist ein Frauenporno oder wo's Gesülze ausufert

Erkenntnisse oder zumindest Bonmots zu diesem Thema erwartet man auch von einem Stück mit dem Titel "Romantik ist ein Frauenporno". Die aus Wiesbaden stammende Katharina Cromme, Regiestudentin in Zürich, hat es geschrieben. Offenbar in einer Phase von Liebeskummer, denn was mit Anweisungen aus einem imaginären Performance-Handbuch als Diskurs über Repräsentationstheater beginnt, ufert aus in spätpubertäres Gesülze über die Unmöglichkeit von Liebe und Beziehungen.

Aber in einer Hinsicht ist auch Crommes Inszenierung erfreulich: Sie zeigt, wie intensiv die Regiestudenten die Frage umtreibt, ob ein Darsteller auf der Bühne noch eine Figur spielen kann. "Viele Stücke beschäftigen sich damit, wo geht's hin, immer wieder wird ausgestiegen und sich gefragt, was machen wir jetzt hier, erzählen wir nur noch oder spielen wir oder performen wir", bemerkt Jens Bluhm vom Max-Reinhardt-Seminar Wien. Der Gewinner Gernot Grünewald ist da am weitesten gegangen: Seine Darsteller sind sie selbst, und sie sprechen auf der Bühne nicht nur den Text, den sie in Gesprächen mit Todkranken erarbeitet haben, sondern auch von den eigenen Ängsten. Dafür hat "DreiLeben – ein Projekt über das Sterben" zu Recht den Preis des Körber-Studios bekommen.

 

8. Körber Studio Junge Regie II

Vor der Sintflut

von den Brüdern Presnjakow
Regie und Ausstattung: David Czesienski und Robert Hartmann.
Mit: Martin Aselmann, Bettina Burchard, Richard Erben, Thomas Halle, Lucie Hannequin, Valentina Repetto, Tilman Rose, Aenne Schwarz, Tim Tonndorf, Arndt Wille.
Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin

Medea
nach Euripides
Regie und Bühne: Karl Philipp Fromberger, Kostüm: Beata Prochowska, Klang: Kerim Karaoglu.
Mit: Katharina Bach, Lisa Balzer, Karolina Horster.
Folkwang Universität der Künste Essen

Romantik ist ein Frauenporno
Text und Regie: Katharina Cromme, Ausstattung: Maude Vuilleumier.
Mit: Marie Gesien, Oliver Goetschel, Urs Humbel, Sophie Hutter, Sabina Reich.
Zürcher Hochschule der Künste

www.thalia-theater.de
körber-studio-junge-regie


Ein erster Zwischenbericht zum 8. Körber Studio Junge Regie 2011 von Elske Brault hier.

 

Kritikenrundschau

"Record of time" und "Johanna von Orleans" waren zwei entgegengesetzte Pole beim Körber Studio, so Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (8.4.2011). Die halbstündige multimediale Parforce-Übung "Record of Time" eröffnete das Festival und blieb ein Höhepunkt, "eine Sisyphosiade zwischen Stress und slapstickhafter Komik". Dagegen strotzte die "Johanna" vor semiotischer Eindeutigkeit, "deutsche Übertitel sind nicht nötig, wenn die sechs Dänen allein durch ihr präzises, schonungsloses Körperspiel eine Geschichte von Intrige und Fanatismus erzählen". Verstörend rauschhaft der Abend, "Gewalt und Erniedrigung werden so in Szene gesetzt, dass man sich deren Faszination nur schwer entziehen kann". Überraschend sei der Trend, dass sich gut die Hälfte der zwölf Regisseure an klassischen oder bekannten Stoffen abarbeitete. Klarer Sieger sei dann aber Gernot Grünewald (Hamburg) gewesen mit "Dreileben - ein Projekt übers Sterben": "In amüsanten und erschütternden Episoden lassen sie die Leben ihrer Interviewpartner Revue passieren, bringen deren Gedanken, Ängste und Träume auf unsentimentale, respektvolle Weise zum Weinen nahe. Zugleich reflektieren sie die eigene Unfähigkeit, den Tod auch nur zu denken (...)  intensives, lebendiges Dokumentartheater."

"Bei etwa der Hälfte der zwölf Inszenierungen hätte man den Regisseur eher einen 'Projektleiter' nennen können, oft traf auch die Bezeichnung 'Autor' oder 'Mitspieler' zu", so Barbara Behrendt in der taz (8.4.2011). "Es ist offenkundig: Der Nachwuchs wetteifert dem nach, was bei seinen Vorbildern an den Stadttheatern bereits 'State of the Art' ist." Dass sich die jungen Regisseure, abgesehen von den Brüdern Presnjakow, für keine jungen Stückeschreiber entschieden, sei bezeichnend. "Von jungen Stars wie Nis-Momme Stockmann, Philipp Löhle und Oliver Kluck - keine Spur. Auch hierin folgt der Nachwuchs leider seinen renommierten Vorbildern - viele dieser Regisseure setzen am liebsten auf eigene Projekte oder eben auf die großen, vertrauten Stoffe."

Für das "Tabuthema Sterben, die Methode der Texterarbeitung, den nicht moralisierenden Umgang mit dem Interview-Material" hat Grünewald eine konsequent künstlerische Form gefunden, die auch die meisten der Jurymitglieder beindruckte, so Klaus Witzeling im Hamburger Abendblatt (1.4.2011). Insgesamt zeigte das Festival ein breites ästhetisches und formales Spektrum der Produktionen "- vom sinnlich brutalen Theaterspektakel über die zeitkritische Groteske bis zur filmisch rasch geschnittenen Performance, wie 'Record of Time'."

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