Schuld ist nur der Pillermann

von Georg Kasch

31. März 2011. Es gibt meist gute Gründe, warum das ein oder andere Stück nicht uraufgeführt wird. Zum Beispiel Rolf Hochhuths Gasherd und Klistiere von 2002. Erstens: Es ist schlechte Literatur. Zweitens: Es jongliert so gefährlich freihändig mit historischen Fakten und Küchenpsychologien, dass man von Geschichtsklitterung sprechen muss. Drittens: Es bietet keine Rollen, sondern Sprachrohre, die Worthülsen und Fußnoten vor sich herschieben müssen.

Autor in der 2. Reihe

Obwohl der guten Gründe noch viele mehr sind, hat es das kleine Jüdische Theater Bimah in Berlin unternommen, mit einer späten Uraufführung nun dem Verfasser zu seinem morgigen 80. Geburtstag zu gratulieren. In Anwesenheit des Autors! Schon im Vorfeld wurde das zum PR-Gag aufgebauscht: Hitler auf der Bühne des Jüdischen Theaters! Ein Seifenopern-"Star" in der Rolle des Diktators! Und nun also Hochhuth persönlich in Reihe 2 und ein geschwätziger Hausherr und Regisseur, der Hochhuths Aufforderung "Jetzt zeig mal das Stück jetzt!" nicht so bald nachkommt, sondern dessen Unart nacheifert, allem ein Vorwort voranzustellen: Darin verspricht er, Hitler nicht menschlich machen zu wollen, schließlich habe er ohnehin Skrupel gehabt, weil ein großer Teil seiner Familie in Auschwitz umgekommen sei.

Requiem

Doch vor die "Posse" um Hitlers Verdauungsprobleme hat Hochhuth in "Gasherd und Klistiere" das "Requiem" gesetzt: Hier verhandeln der Kirchenlieddichter Jochen Klepper ("Die Nacht ist vorgedrungen"), seine jüdische Frau und deren zwanzigjährige Tochter 1942, ob sie sich nun das Leben nehmen sollen oder ob es noch eine Chance auf Flucht gibt. Nebenbei schwört Klepper seinem Glauben ab – das ist sehr frei interpretiert, um nicht zu sagen: erfunden. Später darf jeder in einem Blinde-Kuh-Spiel einen Schalter des titelgebenden Gasherdes umlegen. Im Jüdischen Theater husten, japsen, röcheln sie, bis das Licht verlischt. Dann stehen die drei Menschen, die sich Schauspieler zu nennen erdreisten, auf und verneigen sich.

Posse

Das ist schlimm. Mindestens ebenso schlimm ist die Schlussfolgerung, die Hochhuth in der anschließenden "Posse" zieht. Denn warum hat Adolf Hitler sich an die Spitze der Nationalsozialisten gestellt und – zusammen mit deutschen Parteigängern, Mitläufern, Wegguckern und Pflichterfüllern – Millionen Juden, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle verfolgt und umgebracht? Wegen seines Pillermanns! Hochhuth behauptet: Er hatte nur einen halben. Im vulgärpsychologischen Vorwort heißt es, dass sich Hitler keinem seiner Leibärzte je ohne Hose gezeigt, sich auch nie "zwischen Nabel und Knie röntgen" oder ein Klistier habe machen lassen. "Womit sonst könnte das ursächlich zusammenhängen, wenn nicht mit der Aussage seines Schulkameraden Eugen Wasner, der enthauptet wurde, weil er im Russlandfeldzug gesagt hat, er habe mit anderen Kindern in Leonding gesehen, wie ein Ziegenbock seinem Freund 'Adi den halben Zippedäus abgebissen' hat?"

Schlechte Zeiten

Nebensache, dass Wolfgang Bahro, Dauerbesetzung der Seifenopernserie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", wie eine äußerst müde Karikatur aller Hitlerkarikaturen wirkt. Der Irrsinn, dass Hitler seine getreue Diätköchin entlässt, weil sie Achteljüdin ist, wirkt schon bei Hochhuth nicht witzig. Man sitzt also und windet sich vor Fremdscham auf seinem Stuhl, während sich Hitler ins wacklige Klohäuschen verzieht. Man hofft und bittet, aber kein George Tabori erscheint als Deus ex machina, um aus der abgrundtief schlechten eine abgründige Farce zu machen.