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Schwarze Frauen, weiße Tücher

von Ralf-Carl Langhals

Mannheim. 1. April 2011. Kein Buh, nirgends. Einem Regisseur wie Calixto Bieito wird es wahrscheinlich mulmig, wenn der ganze Saal jubelt. Und das tut er, einhellig, heftig und ungewöhnlich lange. Hat doch der in manchen Kreisen als "Skandal-Regisseur" verschriene Katalane nach seinen in Mannheim eher kontrovers diskutierten Inszenierungen Don Karlos und Lulu dort nun just jenen großen Sprechtheaterabend inszeniert, nach dem es konservative Theaterfreunde stets dürstete.

Wie beide Seiten mit diesem verstörenden Premierenereignis umgehen, hat wenig mit Kunst zu tun, ist aber dennoch einer der interessanten Aspekte des Abends. Dabei bietet gerade García Lorcas "Bernarda Albas Haus" textgemäß ausreichend Anlass, um über Bieitos Leib-und-Magen-Themen Katholizismus und Sexualität schöpferisch zu elaborieren. Und das tut er auch. Allerdings mit den herkömmlichsten Mitteln, die dem Theater zur Verfügung stehen: mit Schauspielern und einer erfrischend schlichten Bühnensituation.

Theatralischer Zucker für den alten Affen Angst 

Die von Kathrin Younes in den Zuschauerraum verlängerte Spielfläche ist die klar abgesteckte Kampfarena, in die Bernarda nach dem Tod ihres Mannes fünf unverheiratete Töchter, eine Magd und ihre Mutter zur "Tragödie von den Frauen in den Dörfern Spaniens" verbannt. Vater ist tot, Mutter katholisch. Acht Jahre Trauerzeit verfügt die herrschsüchtige Witwe, so will es die Tradition. Und Bernarda – weniger aus Anstand, denn aus Lust an der Zucht.

Opernhaft wirkungsvoll läuten Totenglocken, züchtig verschleiert und in Trauerkleidung der 30er Jahre (Kostüme: Mercè Paloma) betritt der erweiterte Witwenchor die weiße Kammer des familiären Schreckens. Aus dem Bühnenturm schwebt ein gigantisches Mobile aus schwarzen Stühlen für den Leichenschmaus. Dem alten Affen Angst gibt Bieito ordentlich theatralischen Zucker.

Leintücher nähen, Aussteuer besticken und beten statt die Augen nach Kerlen verdrehen, heißt es nun. Im Auge soll man höchstens die missgünstige Nachbarschaft haben.

Prügeln, spucken, drohen

Nicole Heesters gibt die Bernarda als selbstgefälliges und maliziöses Raubtier. Die Art, wie diese exzellente Sprecherin Worte wie "Hengst" oder "Bordell" betont, spricht Bände. Auch in ihr brennt das Feuer, doch hat sie sich ein perverses Vergnügen daraus gemacht, unbändig aus den anderen herauszudreschen, was in ihr selbst am heftigsten gärt. Es setzt Prügel, Ohrfeigen klatschen, es wird gespuckt und gehöhnt, gedroht, geargwöhnt und gefletscht. Maul halten! Doch was hilft es, wenn den Damen die Natur kommt?

Im Hof steht – wenig subtil, aber texttreu – der Deckhengst und vor der Mauer auf der Lauer längst der stramme Pepe el Romano, der ihren Töchtern reihum bekanntlich nicht nur den Kopf verdreht. Bis es Opfer fordert. Auch wenn Bieito schlicht sauber vom Blatt spielen lässt, verfolgt man den Weg dorthin mit Spannung. Als Parabel vom aufkeimenden Faschismus sehen wir das Stück nur wenige Sekunden, und einen auch nur ansatzweise über den Textrand hinaus erweiterten weiblichen Freiheits- oder Unabhängigkeitsbegriff vermissen wir ebenfalls.

Zu sehen gibt es aber einen handwerklich blitzsauberen, symbolträchtigen und für deutsche Stadttheaterverhältnisse nahezu anachronistischen Schauspielerinnenabend. Das dies immer noch und wieder etwas Grandioses sein kann, wenn man über ein gutes Ensemble verfügt, beweist Bieito in Mannheim eindrücklich.

Über jedem Zimmer ein Gewitter

Heldin des Abends ist Anke Schubert in ihrer bisher stärksten Nationaltheaterrolle als Magd La Poncia, die mit draller bäuerlicher Bodenhaftung und sensationell feinnerviger Textdurchdringung gar die großartige Nicole Heesters an die Wand spielt. Mit der traumwandlerischen Klugheit eines Shakespear'schen Narrens weiß Elke Twiesselmann als verwirrte Mutter Bernardas in kurzen und berührenden Momenten über die Bühne zu geistern, die auch der Jugend viel individuellen Gestaltungsspielraum lässt: etwa für Isabelle Barth als zerquälte und doch perfide Martirio, für die spröd-verzweifelte Angustias Ragna Pitolls, die verträumte Magdalena Sabine Fürsts oder die ängstliche Amelia Luisa Stachowiaks. Über jedem Zimmer ein Gewitter …

Es entlädt sich im selbstbewusst-unbeherrschten Aufbegehren des Nesthäkchens Adela (Michaela Klamminger). Sie hatte als einzige Liebe – und doch ein Ende mit Schrecken. Dass die geschwängerte Tochter sich erhängt, beeindruckt die Mutter wenig. Gebieterisch verfügt Bernarda, dass sie dies "unberührt" getan hat, die Ihren "in ein Meer der Trauer" – und natürlich "Schweigen!"

 

Bernarda Albas Haus
von Federico García Lorca
Regie: Calixto Bieito, Bühne: Kathrin Younes, Kostüme: Mercè Paloma, Mitarbeit Kostüme: Rebekka Zimlich, Dramaturgie: Ingoh Brux.
Mit: Nicole Heesters, Isabelle Barth, Sabine Fürst, Ragna Pitoll, Michaela Klamminger, Anke Schubert, Luisa Stachowiak, Elke Twiesselmann.

www.nationaltheater-mannheim.de


Alles über Calixto Bieito auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Nicht Calixto Bieitos Inszenierung sei diesmal der Skandal – "skandalös ist allein das barbarische Verschweigen der brutalen Unterdrückung, die systematisch und lustvoll Leben zerstört", sagt Cornelie Ueding auf Deutschlandradio (2.4.2011). "Lorcas Stück voller Schmerz und Angst und ungestilltem Verlangen zeigt, dass der Terror in der Familie anfängt. Und sein spanischer Regisseur konfrontiert sich in der formal strengen, beklemmenden und mit Beifallsstürmen gefeierten Mannheimer Inszenierung mit den Albträumen seiner Kindheit, und auch mit dem kollektiven Albtraum, der allen Kulturen des Schweigens eigen ist." Die "Drastik, mit der Lähmung und Hassausbrüche in Mannheim dargestellt werden, besteht nun nicht in den von Bieito ja fast erwarteten Gewaltexzessen. Sondern in einer minutiösen körpersprachlichen Umsetzung der ins Unerträgliche gesteigerten Spannungen, der unvermuteten Gefühlsumbrüche und auch all des Nichtgesagten." Bieito exekutiere, "ganz 'werkgetreu' und brillant, mit einem fantastischen Frauenensemble die Unzerstörbarkeit eines auf Zerstörung und Menschenvernichtung ausgerichteten Systems".

"Die Sinnlichkeit und die Lust, die Lebensfreude und alles Menschliche, allzu Menschliche" gehe "in diesem Stück in einer Konsequenz vor die Hunde, dass einem selbst an warmen Frühlingstagen ganz frostig zumute werden kann", schreibt Volker Oesterreich in der Rhein-Neckar-Zeitung (4.4.2011). Das ewig Weibliche werde hier "auf Bernardas moralisch strenges Geheiß geopfert. Eindringlicher als der katalanische Starregisseur Calixto Bieito kann man das kaum zeigen." Nicole Heesters sei in der Titelpartie "ein Ekelpaket von großem Format. Eiskalt und herrisch spielt sie die Partie des sittenstrengen Haustyrannen, der nur in kleinen, von den Töchtern unbeobachteten Momenten zeigt, dass die Sinnlichkeit dennoch die Triebkraft des Lebens ist." Daher: "Langer, enthusiastischer Premierenbeifall für ein klar strukturiertes Fest des Literatur- und Ensembletheaters."

Obgleich Bieito, der sich in Mannheim bereits "einen Ruf als Skandalregisseur erworben" habe, hier "fast brav" inszeniere ("keine Ekelszenen, relativ wenig Sex und Gewalt"), hält Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.4.2011) diese Lorca-Umsetzung für inadäquat: "Für Calixto Bieito ist Federico García Lorcas Stück von 1936 eine 'brutale und atavistische Dichtung über das Schweigen'. Die er allerdings mit lauten Bildern und Tönen brutal zudröhnt. Großartig, wie sich vom Bühnenhimmel still ein filigranes Mobile von Stühlen auf die karge Bühne herabsenkt; aber es ist dann doch nur die Kulisse für einen Stierkampf: Frauen nehmen sich mit Gebrüll und Spucke auf die Hörner." So verpasst die Inszenierung in der Sicht des Kritikers das "versprochene Rätsel des Schweigens". Bieito "hängt die überlebensgroßen Leidenschaften der Oper selbst dort an die große Glocke, wo das Totenglöcklein angebrachter wäre".

Eine "grandiose Inszenierung", eine "Offenbarung der Schauspielkunst" hat Martin Eich für Die Welt (6.5.2011) in Mannheim besucht. Besonders Nicole Heesters als Bernarda löse einen "Wirbelsturm der Eindringlichkeit" aus. Eine Überraschung sei zudem Michaela Klamminger als Adela, "Bernardas typologisches Gegenmodell und jüngste Tochter. Sie steht – das konnte, dürfte man nicht erwarten – der Heesters in nichts nach." Regisseur Bieito "verdichtet und extrahiert mit dieser Produktion die Botschaft des Autors, der stets jene unheilige Allianz von Katholizismus und Materialismus, die zum Scheitern der Zweiten Republik beitrug, anprangerte."

Was Lorca "als photographisch genaue Dokumentation gedacht" habe, setze Bieito so um, schreibt Marie-Sophie Adeoso in der Frankfurter Rundschau (5.4.2011). Uneingeschränkte Bewunderung gilt der Bernarda Alba Nicole Heesters: "Mit einer Körperspannung bis in die Fingerspitzen, die kurzen zurückgekämmten weißen Haare ein Helm, durchschreitet Heesters die Bühne wie ein General. Klatschend schneidet ihr Fächer durch die Luft, durch die verordnete Stille der Töchter. Tonlos, dann gellend hustet sie ihr verächtliches Lachen aus der Kehle. Ihr ganzer Körper ist Verachtung, wenn sie ihre Töchter bespuckt und mit dem Gürtel verdrischt." Bieito inszeniere den "Ausbruch der verbotenen Triebe glaubwürdig, zunächst unaufdringlich, aber unvermeidlich": "Wenn Bernarda Alba einmal rittlings auf dem Stuhl sitzend die Röcke über den Strapsen hochschiebt, haftet ihren späteren Gewaltausbrüchen auch eine sexuelle Konnotation an. Ihre Herrschaft des Schweigens kommt einer Vergewaltigung des Lebens gleich."



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