2. April 2011. Nachts am Brüsseler Platz in Köln. Vor der katholischen Pfarrkirche St. Michael sind Bierbänke aufgebaut. Es sitzt kaum jemand. Man steht. Der Platz ist menschenvoll, lautes, Bier trinkendes, aufgekratztes Volk. Man feiert, dass gefeiert wird. Es braucht keinen weiteren Grund. Es ist Wochenende, es ist die erste warme Nacht. Man hat sich zur knallfröhlichen Demonstration des unbedingten Willens zum Vergnügen eingefunden. Das ist Deutschland im April 2011.

Sie haben "Der Dritte Weg" aus Jena nach Köln geholt. Der Dritte Weg ist Dokumentartheater von Nina Gühlstorff und Dorothea Schroeder, basierend auf Interviews mit Jenenser Demonstranten im Herbst 89, herausgekommen im Jubiläumsjahr 2009.

Die Mitschuldigen

Das spielte in Jena an Originalschauplätzen, es war ein Wiedererinnerungsparcours durch die Stadt, eine Befragung des Damals mit Blick auf das Heute. In Köln beginnt dieses Theater in der Antoniterkirche in der Schildergasse, das ist die Einkaufsstraße. Wir hören Stimmen, die sich der Revolutionswochen besinnen: "Man wollte das ja auch genießen damals." Danach geht's ins Rathaus.

Man hockt um einen Tisch, es wird die Gefühlsgedankengemengelage eines einstigen SED-Studenten ausgebreitet: "Für mich war Kuba und Wladiwostok immer näher als West-Berlin." Im "Rathausglöckchen" im Seidmacherinnengäßchen steht vor einer Frau ein Kölsch, sie erzählt vom Sohn in DDR-U-Haft. An der Kneipenwand ein Flachbildschirm, N24 zeigt eine Fischereidokumentation. Dann wieder im Rathaus, im historischen diesmal. An der Wand hängt ein Gemälde von Gerhard Richter, es zeigt Fritz Schramma in Schlips und Schnauzbart. Schramma war Kölner Oberbürgermeister, als das Archiv einstürzte. Er könne sich nicht entschuldigen, hat er gesagt, dazu müsse es erst einen Schuldigen geben.

Am Panzer der Gegenwart abgeperlt

Ein Kapuzenmann fragt uns hier: "Wie werden heutzutage eigentlich Diktaturen entsorgt? Das ist ein offenes Kapitel." Das ist es. Die meisten im Osten täten so, als seien sie schon immer Widerständler gewesen, als hätten sie nichts mit Partei, Staat und DDR am Hut gehabt. Das war nicht so.

Es ist 1989 nicht das Volk auf die Straße gegangen, es war eine Minderheit. Die meisten waren es, gemessen an der Einwohnerzahl, am 7. Oktober 1989 im sächsischen Plauen: mehr als zwanzig Prozent. In Leipzig, zwei Tage später, waren es 13 Prozent. Aber jeder fünfte Erwachsene in der DDR war parteilich gebunden. Über 90 Prozent der 6- bis 16-Jährigen waren Mitglieder der Pionier- und FDJ-Organisationen. Das sagt der Kapuzenmann nicht, aber das meint er: dieses ostdeutsche Zurechtlügen der eigenen DDR-Vergangenheit. Wie geht heutzutage Erinnerung?

In Köln stellt "Der Dritte Weg" die richtigen Fragen, aber es wirkt, als wäre man im Erinnerungszoo, als streife man durch eine verwunschene Vergangenheitslandschaft. Es ist nicht einfach so, dass sich solches Theater schlecht umpflanzen lässt. Es ist offenbar auch so, dass die damaligen Erfahrungen am Panzer der Gegenwart abperlen, hüben wie drüben, wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen. Darin ist das Land vereint. (Dirk Pilz)

 

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