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Vom Kaff der guten Hoffnung

von Ute Grundmann

Plauen, 9. April 2011. Von Hollywood träumen und am offenen Fenster Luckies rauchen. Das erscheint den drei Mädchen als der Inbegriff von Freiheit und Abenteuer, die sie in ihrem kleinen Ort wohl niemals finden werden. "Kaffstadt" heißt dieser Ort in Oliver Schmaerings neuem Stück "Trailer für die nahe Zukunft", als Sinnbild und Symbol für viele Kleinstädte, wie auch Plauen im Vogtland eine ist. Hier ziehen die jungen Leute, vor allem die jungen Frauen weg, weil es keine Jobs, keine Aussicht, nicht mal mehr ein Kino gibt. Rund um dieses Thema – Weggehen oder Bleiben – gab das Theater Plauen-Zwickau beim Berliner Autor ein Stück in Auftrag. Herausgekommen ist "Trailer für die nahe Zukunft" über Provinz und weite Welt, Träume und Ängste, die Sehnsucht auszubrechen, aber auch die nach Heimat.

Ausbrechen wie King Kong

Die Kleine Bühne des Theaters Plauen ist ein fast quadratischer, schwarzer Raum. In ihn hat Floor Savelkoul (Ausstattung und Kostüme) Sitzreihen aus Getränkekisten bauen lassen, an zwei Wänden entlang und in der Mitte des Raumes. Die Zuschauer sitzen teils mitten im Geschehen, das um sie herum spielt, zu Beginn aber fast wie ein Hörspiel daherkommt. Denn da stehen Julia Bardosch, Angelina Häntsch und Else Henning auf einer Empore, die nicht von allen Seiten einzusehen ist und sprechen die ersten Zeilen über "Downtown Kaffstadt". Mit solchen Zwischentiteln hat Schmaering sein Stück strukturiert, das aber keine herkömmliche Handlung bietet, sondern, in 30 Abschnitte gegliedert, mal allein, mal zu zweit, mal im Chor gesprochen und gespielt wird.

Der Beginn auf der Empore wird mit einer Kamera auf Monitore unter der Decke und an die Wand projiziert. Die Bilder verdoppeln und verfremden die Szene der drei Frauen, die in Kleidchen und Frisuren wie aus "Denver" oder "Dallas" ausstaffiert sind. Sie beklagen den Moloch, die "Fertighausmesse", in der sie leben müssen und in der sie die Wahl zwischen "Opfercasting" und "Mülltrennungspraktikum" haben. Also nichts wie raus da und nichts wie hin nach Hollywood und sei es nur im Traum. King Kong und die Weiße Frau werden zu (Kino-)Bildern und Metapher für's Zerstören ebenso wie für eine neue Welt.

Einsteigen wie Madonna

Und nun wechseln der starke, bildhafte, mal ironische, mal melancholische Text und Marie Bues' Inszenierung zwischen Kleinstadthorror und Kinoträumen: zwischen Disco-Tanz mit Wunderkerzen und Silvester in Kaffstadt, in dem die Jungs in der Pizzeria auf Italiener machen, weil das exotisch sein soll. Die Mädchen philosophieren über die "Falschheit des Weggehens" und die guten Männer, die es nur in Hollywood gibt. Bittere Beschreibung – Kaffstadt als Umzugswagen, der viel zu lange an der Raststätte parkt – wechselt mit treffender Beobachtung, wie das Geglotze der Jungs von der Mutter zur Tochter wechselt. Es gibt Madonna als Sehnsuchtsfigur, aber auch das "Projekt Abgang" – das Nichts-wie-weg, dem zwei Mütter verständnislos gegenüberstehen.

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Das alles ist relativ textlastig, teils im Schnellsprechton abgeschossen, mal real gespielt, mal mit der Videokamera auf die Wand projiziert. Wie ein Kinotrailer die besten Ausschnitte des Hauptfilms herzeigt, so geht Schmaerings Stück die einzelnen Stationen von Hoffnung, Ängsten, kichernden Mädchen-Träumen und schmerzhaftem Abschied entlang. Eine lange, fast zu lange Szene zerbricht dann am Ende alle Hollywood-Klischees in der Figur der saufenden, alternden Hollywood-Diva. Ein Schicksal, das auch den drei Mädchen blühen könnte, wenn ihr (Alp-)Traum wahr würde – also doch lieber in Kaffstadt bleiben?

Nach 100 Minuten langer Beifall für Autor, Regieteam und, vor allem, die Schauspielerinnen.


Trailer für die nahe Zukunft, UA
von Oliver Schmaering
Regie: Marie Bues, Bühne/Kostüme: Floor Savelkoul, Dramaturgie: Ulrike Carl.
Mit: Julia Bardosch, Angelina Häntsch, Else Hennig.

www.theater-plauen-zwickau.de

 

Kritikenrundschau

In Schmaerings "Stück ohne festen Handlungsstrang" reihten sich "Facetten von Lebenshoffnungen, Zukunftsängsten und Weltekel" zu "zornigen Meditationen, zum lautstarken Nachsinnen über das Hineingeworfensein in ein Leben am ungeliebten Ort", schreibt Lutz Kirchner in der Freien Presse (11.4.2011). Marie Bues habe Schmaerings Text "wie mit einem Turbo beschleunigt: Schnell, heftig, aufgeladen mit Videosequenzen und verblüffenden Bildern brachte sie das Textkonvolut um das Leben am fiktiven Ort Kaffstadt" auf die Bühne. "Was die Darstellerinnen Julia Bardosch, Angelina Häntsch und Else Hennig offerierten, hatte es in sich, steigerte sich zum Ereignis des Abends: Ohne feste Rollen surften sie von einem Charakter zum nächsten, waren Kleinstadtgören, Hollywood-Vamps, Melancholikerinnen, verkörperten Männer, Frauen, Kinder. Blickwechsel, kurze Gesten genügten." Die Aufführung jedenfalls empfehle das Stück zum Nachspielen.

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Vom Kaff der guten Hoffnung

von Ute Grundmann

Plauen, 9. April 2011. Von Hollywood träumen und am offenen Fenster Luckies rauchen. Das erscheint den drei Mädchen als der Inbegriff von Freiheit und Abenteuer, die sie in ihrem kleinen Ort wohl niemals finden werden. "Kaffstadt" heißt dieser Ort in Oliver Schmaerings neuem Stück "Trailer für die nahe Zukunft", als Sinnbild und Symbol für viele Kleinstädte, wie auch Plauen im Vogtland eine ist. Hier ziehen die jungen Leute, vor allem die jungen Frauen weg, weil es keine Jobs, keine Aussicht, nicht mal mehr ein Kino gibt. Rund um dieses Thema – Weggehen oder Bleiben – gab das Theater Plauen-Zwickau beim Berliner Autor ein Stück in Auftrag. Herausgekommen ist "Trailer für die nahe Zukunft" über Provinz und weite Welt, Träume und Ängste, die Sehnsucht auszubrechen, aber auch die nach Heimat.

Ausbrechen wie King Kong

Die Kleine Bühne des Theaters Plauen ist ein fast quadratischer, schwarzer Raum. In ihn hat Floor Savelkoul (Ausstattung und Kostüme) Sitzreihen aus Getränkekisten bauen lassen, an zwei Wänden entlang und in der Mitte des Raumes. Die Zuschauer sitzen teils mitten im Geschehen, das um sie herum spielt, zu Beginn aber fast wie ein Hörspiel daherkommt. Denn da stehen Julia Bardosch, Angelina Häntsch und Else Henning auf einer Empore, die nicht von allen Seiten einzusehen ist und sprechen die ersten Zeilen über "Downtown Kaffstadt". Mit solchen Zwischentiteln hat Schmaering sein Stück strukturiert, das aber keine herkömmliche Handlung bietet, sondern, in 30 Abschnitte gegliedert, mal allein, mal zu zweit, mal im Chor gesprochen und gespielt wird.

Der Beginn auf der Empore wird mit einer Kamera auf Monitore unter der Decke und an die Wand projiziert. Die Bilder verdoppeln und verfremden die Szene der drei Frauen, die in Kleidchen und Frisuren wie aus "Denver" oder "Dallas" ausstaffiert sind. Sie beklagen den Moloch, die "Fertighausmesse", in der sie leben müssen und in der sie die Wahl zwischen "Opfercasting" und "Mülltrennungspraktikum" haben. Also nichts wie raus da und nichts wie hin nach Hollywood und sei es nur im Traum. King Kong und die Weiße Frau werden zu (Kino-)Bildern und Metapher für's Zerstören ebenso wie für eine neue Welt.

Einsteigen wie Madonna

Und nun wechseln der starke, bildhafte, mal ironische, mal melancholische Text und Marie Bues' Inszenierung zwischen Kleinstadthorror und Kinoträumen: zwischen Disco-Tanz mit Wunderkerzen und Silvester in Kaffstadt, in dem die Jungs in der Pizzeria auf Italiener machen, weil das exotisch sein soll. Die Mädchen philosophieren über die "Falschheit des Weggehens" und die guten Männer, die es nur in Hollywood gibt. Bittere Beschreibung – Kaffstadt als Umzugswagen, der viel zu lange an der Raststätte parkt – wechselt mit treffender Beobachtung, wie das Geglotze der Jungs von der Mutter zur Tochter wechselt. Es gibt Madonna als Sehnsuchtsfigur, aber auch das "Projekt Abgang" – das Nichts-wie-weg, dem zwei Mütter verständnislos gegenüberstehen.

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Das alles ist relativ textlastig, teils im Schnellsprechton abgeschossen, mal real gespielt, mal mit der Videokamera auf die Wand projiziert. Wie ein Kinotrailer die besten Ausschnitte des Hauptfilms herzeigt, so geht Schmaerings Stück die einzelnen Stationen von Hoffnung, Ängsten, kichernden Mädchen-Träumen und schmerzhaftem Abschied entlang. Eine lange, fast zu lange Szene zerbricht dann am Ende alle Hollywood-Klischees in der Figur der saufenden, alternden Hollywood-Diva. Ein Schicksal, das auch den drei Mädchen blühen könnte, wenn ihr (Alp-)Traum wahr würde – also doch lieber in Kaffstadt bleiben?

Nach 100 Minuten langer Beifall für Autor, Regieteam und, vor allem, die Schauspielerinnen.


Trailer für die nahe Zukunft, UA
von Oliver Schmaering
Regie: Marie Bues, Bühne/Kostüme: Floor Savelkoul, Dramaturgie: Ulrike Carl.
Mit: Julia Bardosch, Angelina Häntsch, Else Hennig.

www.theater-plauen-zwickau.de

 

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In Schmaerings "Stück ohne festen Handlungsstrang" reihten sich "Facetten von Lebenshoffnungen, Zukunftsängsten und Weltekel" zu "zornigen Meditationen, zum lautstarken Nachsinnen über das Hineingeworfensein in ein Leben am ungeliebten Ort", schreibt Lutz Kirchner in der Freien Presse (11.4.2011). Marie Bues habe Schmaerings Text "wie mit einem Turbo beschleunigt: Schnell, heftig, aufgeladen mit Videosequenzen und verblüffenden Bildern brachte sie das Textkonvolut um das Leben am fiktiven Ort Kaffstadt" auf die Bühne. "Was die Darstellerinnen Julia Bardosch, Angelina Häntsch und Else Hennig offerierten, hatte es in sich, steigerte sich zum Ereignis des Abends: Ohne feste Rollen surften sie von einem Charakter zum nächsten, waren Kleinstadtgören, Hollywood-Vamps, Melancholikerinnen, verkörperten Männer, Frauen, Kinder. Blickwechsel, kurze Gesten genügten." Die Aufführung jedenfalls empfehle das Stück zum Nachspielen.

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