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Immer diese Gegenwart

von Andreas Schnell

Bremen, 14. April 2011. Gerade einer wie Fassbinder, dessen Leben ausreichend Stoff für mehr als nur ein paar abendfüllende Filme oder Theaterstücke hergibt, mag zu biographischen Deutungen verleiten. Und wenn er das Kino beinahe im Alleingang wenn schon nicht revolutionierte, so doch mehr als nur geprägt hat, mag es auch nahe liegen, sein Werk in einem historischen Kontext zu lesen, der dann bei Beschäftigung mit seinen Stoffen auf Aktualität hin untersucht und vielleicht entsprechend gebürstet gehört.

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Schaut man aber genau hin, so ist der Film "In einem Jahr mit 13 Monden", den Alice Buddeberg im Bremer Schauspielhaus in einem klaren, effektiven Bühnenbild (rostige Wand zuerst, ein mit Stahl ausgekleideter niedriger Raum dann später) auf die Bühne gebracht hat, im Kern eine verblüffend präzise Analyse des in der Liebe nach einem Lebenssinn suchenden Individuums in der modernen Gesellschaft.

Frankfurt, die Liebe, die Siebziger, die Nuller Jahre

Gewiss mag Fassbinder einen Anlass dafür gefunden haben in seiner persönlichen Umgebung, einen "Fall", den er studiert und verarbeitet hat. Und natürlich ist es da auch nicht abwegig, ein Gegenwartsthema in seiner Gegenwart zu verorten. Ein Fassbinder-Zitat, das dem Programmheft vorangestellt ist, weist darauf hin: Es gehe darum zu untersuchen, ob die Entscheidung der Hauptfigur, sich umzubringen, "abzulehnen, zu verstehen wenigstens oder vielleicht gar akzeptierbar ist". Und weiter: "Frankfurt ist eine Stadt, wo man an jeder Straßenecke, überall und ständig den allgemeinen gesellschaftlichen Widersprüchen begegnet."

Dass Fassbinders Stücke nach wie vor und vielleicht ja auch mehr als zuvor auf den Bühnen zu sehen sind, verdankt sich wahrscheinlich nicht zuletzt der Tatsache, dass er wie wenige imstande war, die Verlaufsformen dieser gesellschaftlichen Widersprüche präzise darzustellen. Dass sich diese Bremer Inszenierung trotzdem ein wenig damit abmüht, ein paar Verweise auf das Heute zu versuchen ("Gammelfleisch") und ein wenig an Dingen wie Geschlechterkonstruktionen zu kratzen, ist wohl die einzig nennenswerte Schwäche eines Abends, der ungeachtet dessen sehr spannend ist.

Fünf letzte Tage und die Widersprüche eines Lebens

Was nicht nur, aber nicht zuletzt Alexander Swoboda zu verdanken ist, der als zur Frau operierter Ex-Mann die Rolle von Erwin/Elvira so ungemein anrührend, so schlicht, so  menschlich gestaltet, dass die Notwendigkeit seines Scheiterns in seiner Welt plausibel wird, ohne diese Figur und ihren geradezu kindlichen Idealismus zu idealisieren.

Damit nimmt er einen gewissermaßen an die Hand, wobei das natürlich falsch ist, weil Erwin/Elvira eigentlich ständig darum bemüht ist, selbst an die Hand genommen zu werden, und führt uns durch die letzten fünf Tage seines/ihres Lebens, das bei Buddeberg in einer reizvoll verschachtelten Folge und Überblendung surrealer, gelegentlich recht brutal ausgespielter und phantasievoll umgesetzter Szenen besteht. Ein (noch so ein Wort:) Schicksal jedenfalls, diese Elvira, das zwar alles andere als gewöhnlich scheint: Ein Mann, der sich aus Liebe zur Frau umoperieren lässt – und nicht etwa, weil er sich schon immer tief drin als Frau empfunden hätte. Eine Frau nun, deren Liebe nicht erwidert wird. Und die schließlich auch sonst keine Liebe findet. Sie nicht kaufen kann. Und nicht einmal die Rückkehr in die alte bürgerliche Existenz gelingt.

Aus der Ordnung hervorgegangen

Die Brüche, die Buddeberg hier schafft, weil zwischen Gammelfleisch und Zweitem Weltkrieg eben zuviel Zeit vergangen ist, um diese spezifische Biographie plausibel zu machen – sie irritieren ein wenig, bleiben aber letztlich Nebensache, weil Erwin/Elvira unterm Strich eben vor allem eines ist: Ein Individuum. Eines, das am Ende in wenigen Worten aus dem Off die Schlichtheit ihres Weltbilds darlegt, während sich sein Körper mit Tabletten und Alkohol vernichtet.

Und damit den Satz der Nonne (bei Buddeberg sehr adäquat als mehrköpfiges Kollektiv sprechend) relativiert, nach dem keiner sein Leben selbst kaputt macht: "Das macht die Ordnung, die die Menschen für sich geschaffen haben." Aber es sind eben auch die Außenseiter Menschen, die aus dieser "Ordnung" hervorgegangen sind. Großer Applaus für Ensemble und Regie, stürmischer Beifall für Swoboda. Recht so.


In einem Jahr mit 13 Monden
nach Rainer Werner Fassbinder von Juliane Lorenz
Regie: Alice Buddeberg, Bühne und Masken: Sandra Rosenstiel, Kostüme: Nele Dörschner, Musik: Stefan Paul Goetsch, Dramaturgie: Stephanie Beyer.
Mit: Alexander Swoboda, Johanna Falckner, Franziska Schubert, Philipp Michael Börner, Jan Byl, Thomas Hatzmann.

www.theaterbremen.de

 

Mehr zur Regisseurin Alice Buddeberg gibt es im nachtkritik-Archiv. Wir besprachen auch Andreas Bodes Inszenierung von "In einem Jahr mit dreizehn Monden" im März 2008 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

 

Kritikenrundschau

Der Weser-Kurier hat die Videokritik als neues Format eingeführt. Auf knapp zwei Minuten erzählt Rainer Mammen, Kultur-Redakteur der Zeitung, wie es ihm gefallen hat, nämlich "gut, mit Abstrichen".

Erstaunlich, was man in Bremen aus einer nicht ganz leicht bekömmlichen Vorlage gezaubert hat, so Sven Garbade in der Nordwest-Zeitung (16.4.2011). Rainer Werner Fassbinders Film "wird in der Inszenierung von Alice Buddeberg zu einem anrührenden Theaterabend, der irgendwann zu einer etwas eigentümlichen Groteske umkippt". Die Geschichte des Transsexuellen Erwin sei von allen Beteiligten wach und lebendig gespielt. "Viel Raum lässt ihnen die Bühne von Sandra Rosenstiel dabei allerdings nicht: Ganz nach vorne sind alle Figuren auf einen schmalen Streifen gedrängt, dahinter sperrt eine Wand jede weitere Bewegung ab. Die Regie von Alice Buddeberg gruppiert die (meist feindlichen) Mitmenschen aus Erwins Welt zu einem fiesen Mob, der auch mal ins chorische Deklamieren gerät." Alexander Swoboda gebe den Zwittermenschen so feinfühlig und nuanciert, dass er alle Sympathien schnell auf seine Seite ziehe.

"Der Erkenntnisgewinn bleibt überschaubar" findet dagegen Johannes Bruggaier in der Kreiszeitung (16.4.2011). Die Handlung könnte schockierend sein, ließen die Charaktere nur Raum für Authentizität. "Während Swoboda eine Elvira jenseits aller Stereotypen gibt, scheint das übrige Personal der Klischeekiste entsprungen zu sein. Der egozentrische Schauspieler: ein schmieriger Yuppie in feinem Zwirn. Elviras Freundin Zora (Franziska Schubert): ein liebes, süßes Ding mit großen Augen. Der Immobilienhai Anton Saitz (Jan Byl): ein aggressiver Mafioso." Das ist so lange annehmbar, wie das Stück sich auf die Zustandsbeschreibung seiner Hauptfigur beschränkt. Bei Elviras rückblickender Aufarbeitung ihres Lebens werde Buddebergs Hang zum klischeehaften Regieeinfall schon bald schwer erträglich. "Am Ende ist es Alexander Swoboda zu verdanken, dass trotz all der konzeptionellen Fragwürdigkeiten so etwas wie eine Erschütterung übrig bleibt."

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