Die Eröffnung des Berliner Theatertreffens 2011 mit Karin Beiers Das Werk / Im Bus / Ein Sturz
Eau de Cologne
von Stefan Bläske
Berlin, 6. Mai 2011. Wasser flutet die Bühne, koste es was es wolle. Danach beim Feiern fließt Kölsch fer umme. Und schon vor der Vorstellung plätschert reichlich Wasser auf die Mühlen. In seiner kurzen Eröffnungsrede bekennt sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann – trotz "Krise" – mit einem dreifach kräftigen "Ja" zum Theater. Ja, ja, ja, sagt er wie schon vor Kurzem bei der Verleihung des Gertrud-Eysoldt-Ringes, Kultur müsse sein, und die 150 mit öffentlichen Mitteln subventionierten Theater seien Leuchtpunkte innerhalb der Kulturlandschaft in Deutschland. So einfach kann man ihn sich holen, den Applaus im ausverkauften Haus der Berliner Festspiele.
Wasserklar, dass es Karin Beiers Inszenierung schwerer haben würde vor dem von Festspielintendant Joachim Sartorius begrüßten "höchst kenntnisreichen, kritischen, das Theater liebenden Publikum". Die Berliner Theatertreffen-Besucher sind bekanntlich anspruchsvoll und argwöhnisch, die Auszeichnung als "bemerkenswerte" tt-Einladung und -Eröffnung legt die Latte hoch, und nicht zuletzt: die Kölner Inszenierung lebt u.a. von einem nur schwer transportablen Lokalkolorit.
Käsekrainer? Ukrainer!
Zum einen ist da die österreichische Wurzel der Jelinekschen Texte (etwa wenn Ukrainer zum Käsekrainer werden, also zu Brühwürsten und "Eitrigen", oder mit der Bio-Marken-Werbung "Ja! Natürlich" einer österreichischen Lebensmittelkette das Natürliche zur Handelsware verkommt). Zum anderen gibt es sehr konkrete Bezüge zur Kölner Kommunalpolitik. Angesichts des Stadtarchiv-Einsturzes stellt der dritte und letzte Teil von Das Werk / Im Bus / Ein Sturz Fragen nach Verantwortung von Politik und Unternehmen. Eingespielte Bürgermeister-O-Töne, ein Rheinischer Dialekt der Schauspieler und natürlich der unmittelbare Bezug zum tragischen Ereignis geben der Inszenierung in Köln eine Brisanz, die in Berlin schwer herzustellen ist. Dennoch – man muss ja nicht unnötig Wasser in den Wein gießen – gab es nach dreieinhalb Stunden langen und anschwellenden Applaus.
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Karin Beier nahm den tt-Preis und die von Iris Laufenberg vorgetragene Jury-Laudatio entgegen, ohne die Gelegenheit für ein paar Worte zu ergreifen, aber kurz zuvor im "Fazit live"-Interview beschrieb sie dem Deutschlandradio-Mikrophon, wie die Inszenierung in Köln regelmäßig "rührt", "emotional" und mit "stehenden Ovationen" aufgenommen wird.
Warum machen wir das?
Seit der Premiere indes habe der Text für sie nochmal eine neue Bedeutung bekommen. Nicht durch ihren Beschluss, jener Kölner Kulturpolitik den Rücken zu kehren, die ihr das Wasser abgraben wollte. Sondern durch ein fernes Ereignis. Seit Fukushima, sagt die Regisseurin, höre sie den Text nochmal neu, bekomme das eigentlich zeitlose Thema ihrer Inszenierung eine "erschreckende Aktualität". In allen drei Jelinek-Texten gehe es um Hybris und Verantwortungslosigkeit des Faust'schen Menschen, der zerstörerisch in die Natur eingreife. Zentral für Beier ist die Selbstbefragung und lakonische Antwort in Jelineks Text: "Warum machen wir das? Weil wir es können."
Aber vieles können wir eben auch nicht. So ist eines der schönsten, traurigsten und (irr)witzigsten Bilder der Inszenierung, wenn am Ende das Wasser marschiert, die nassen Massen auf die Bühne sprudeln, und die Darsteller versuchen, das Wasser mit dem Fuß in das Loch, aus dem es quillt, zurückzuschieben wie einen störenden Stein am Wegesrand, wenn sie mit bloßen Händen die Fluten löffeln, das Becken leeren wollen, ganz ohne alles Maß und Erfassen der Dimensionen. Wenn sie schließlich versuchen, das Leck zu stopfen, gehen sie doch mehr aufeinander los anstatt gemeinsam gegen die Flut an. Das alles ist von Elfriede Jelinek wie üblich intelligent verwortwurstet und von Karin Beier kongenial und kraftvoll in Szene gesetzt, mit Chor vor und Choreographie nach der Pause, mit einem Großaufgebot an sechzig Sängern und mit Erde und Wasser, die es mit einander treiben.
Leben auf Kosten anderer
Welchen Boden aber bewässert diese Inszenierung, gerade nach den aktuellen Ereignissen und Reaktionen rund um Fukushima? Ist dieses Baustellen-Bashing, diese Faust- und Homo-Faber-Anklage etwas, das aufrütteln kann und soll, oder ist es vielmehr zur Illustration des Zeitgeists in einer Republik geworden, in der Bürger gegen beinahe jede kleinere und größere Baustelle demonstrieren? In der die Menschen ökologisch vorbildlich aus der Kernkraft aussteigen wollen, aber konkret vor Ort sich dann stets über den Bau von Hochspannungstrassen, Windrädern und Wasserkraftwerken empören, die für den entsprechenden Ersatz doch nötig wären?
Wird mit dieser Inszenierung nicht Wasser in den Rhein geschüttet in einem Land, das von Energiesparen spricht, aber seinen Energiehunger weiterhin durch Raubbau an der Natur und auf Kosten anderer, ärmerer Menschen stillt? Dessen oberste Maxime ist: Wasch mich, aber mach andere nass? Wo übermütige Ingenieure, profitgierige Baufirmen und unfähige Politiker angeklagt werden, der Finger nur auf sie und also auf andere zeigt und nicht auch auf das eigene Wahl- und Konsumverhalten, ist mit der Inszenierung wenig gewonnen.
Auch das Haus der Berliner Festspiele war gerade noch eine Baustelle. Nun ist's mit 15 Millionen Euro Steuergeld frisch renoviert, mit Lampions und Lagerfeuer war's Kulisse für eine gemütliche, unaufgeregte Eröffnungsveranstaltung. Es floss nur wenig Wasser, dafür viel Wein, Sekt und Freibier. Genießen lässt sich so ein Abend, wenn man das übliche Bussi Bussi mit Hinz und Kunst denn mag, sich von Photo- und Fernsehkameras nicht stören lässt und es gelingt, noch rechtzeitig einen der Buffet-Gutscheine zu schnorren. Ein Leben auf Kosten anderer ist nunmal besonders angenehm, und Schuld sind eh immer nur die anderen. Am Ende behält freilich die Autorin recht: Glücklich ist, wer vergießt, was noch nicht verschüttet ist.
Die Kölner Premiere von Elfriede Jelineks Das Werk / Im Bus / Ein Sturz sah im Oktober 2010 Andreas Wilink.
Die Theatertreffen-Übersicht von nachtkritik.de: Ausführliche Kritiken zu den zehn eingeladenen Inszenierungen, Kritikenrundschauen, die zum Stückemarkt gebetenen Stücke und alles rund um das Theatertreffen finden Sie hier.
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Ansonsten sollte die "Transparency International"-Truppe anrücken. ........und der Kölner Klüngel würde durch einen noch größeren Berliner Klüngel zu ersetzen sein.
(Werte(r) Nomos,
nein, kein Fall für Transparency International, sondern der einer Null zu viel, wie Sie richtig vermuten. Ist korrigiert.
MfG
Georg Kasch für die Redaktion)
Ich finde, nur ganz nebenbei, daß Karin Beiers Inszenierung die fulminanteste Arbeit der letzten Saison war und zu Recht mit Lob überschüttet wird.
Es konnte einem schwindelig werden. Man glaubte, philosophische Höhe zu erklimmen.
........danach ist die Balance dahin und nach der Pause wird aus der „Theaterdarstellungskiste“ herausgeholt was herauszuholen ist. „Die Pferde gehen durch“.
Sowohl Text, als auch Darstellung stürzen ab und werden seicht.
Trotzdem ein berauschender Theaterabend.
Kritik: http://stage-and-screen.blogspot.com/
Wem gehört die Stadt? Wir Bürger sollen hier doch wieder nur im Glauben gehalten werden, dass wir gegen diese kriminellen Machenschaften "der Natur" sowieso nichts machen können, obwohl es ja eigentlich gar nicht um die Natur geht, sondern wieder mal nur ums stahlharte Geld. Ja, das Geld hat immer eine Stimme, aber die Naturkräfte, die haben keine Stimme. Und die brauchen auch keinen Anwalt, der immer nur im Namen der Stärkeren spricht, im Namen der großen wirtschaftlichen Profiteure. Lasst uns lieber singen und dabei zuschauen, wir wollen doch nur dabei zuschauen, wir lieben doch diesen himmlischen Gesang von des Wassers Seele, wir wollen doch verblendet werden.
Aber wir Bürger dieser Stadt, wir könnten uns - analog zum Kölner Klüngel - auch fragen, wem dieser Baugrund rund um das Haus der Berliner Festspiele jetzt eigentlich gehört. Den Privatinvestoren und Baufirmen, weil der Bürgermeister der Stadt Berlin eben irgendwie klamm ist und friert? Oder vielleicht doch uns Bürgern? Wem gehört der öffentliche Raum? Wer hat uns verraten?
"Das Wasser macht alles, das kann alles, das kommt überallhin, das braucht keine Eintrittskarte. Ja, freilich, ansonsten kassieren wir, damit die Baufirmen in dich, Erde, hinein oder oben drauf dürfen, damit sie über dich drüber dürfen, Erde, die du so lieb uns bist, gratis geben wir dich nicht her. Hör mal, du, Wasser, brauchst gar nicht so zu drängeln, dich gibt es umsonst. Und dich läßt die Erde natürlich auch umsonst drüber. Das ist nicht gerecht. Das wird sich rächen." (Elfriede Jelinek)
Vielleicht können wir ja auch noch ein wenig diskutieren, zum Beispiel über Löcher, Gräber, Schlitzwände, Schmiergelder, Bewährungsstrafen, Wohngemächer, "gemach, gemach!", grüne Hügel, Burgtheater und geile Fotos. Oder bleibt am Ende wieder nur das große Schweigen, die Verdrängung des (eigenen) Todes? Was können wir tun? Auch wir können es tun, weil wir es können. Mut zum Politischen!
"Der Begriff der 'zweiten Natur' ist demnach heute relevanter denn je, sowohl in seiner wörtlichen Bedeutung (als künstlich erzeugte neue Natur: Naturmonster, deformierte Kühe und Bäume oder - als positiver Traum - genmanipulierte Organismen, die in unserem Sinne 'optimiert' wurden) als auch im gebräuchlichen Sinne der Verselbständigung der Ergebnisse unseres eigenen immer schon gesellschaftlichen Handelns: wie uns die Folgen unserer Handlungen entgleiten, wie sie Monster hervorbringen, die ein Eigenleben führen. Es ist DIESES Entsetzen über die unvorhergesehenene Folgen unseres eigenen Tuns, nicht die Naturgewalt, über die wir keine Kontrolle haben, das für Schrecken und Ehrfurcht sorgt; es ist DIESES Entsetzen, das die Religion zu zähmen versucht."
(Slavoj Zizek, "Auf verlorenem Posten")
Sie überbewerten hier die Verwendung des Solidaritätsliedes. Erst fand ich es etwas unpassend, dann als die Köpfe von Mao und Karl Marx zur Rampe tanzen, wird es als ironischer Verweis auf die gescheiterten Utopien der Arbeiterbewegung deutlich. Auch der Aufbau zum Beispiel in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution war uneingeschränkt fortschrittsgläubig und mit Parolen geprägt wie „Kommunismus - das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ (Lenin). Es kommt da auf die Zeilen an: "Auf ihr Völker dieser Erde, einigt euch in diesem Sinn, daß sie jetzt die eure werde, und die große Nährerin." Das Ausbeuten der Erde als "große Nährerin". Fast eine Umkehrung der eigentlichen Bedeutung dieser Zeilen im Kontext der internationalen Solidarität.
Als politischen Agit-Prop-Song benutzt Karin Beier den Song meiner Meinung nach nicht und der Dirigent steht im Publikum, weil er wahrscheinlich auf der Bühne schlecht ins Bild passen würde. Für diese hochkomplizierten Sprechchorpassagen brauchen sie aber einen Dirigenten. Ob das zeigen soll, dass es immer einen geben muss, der den Hut auf hat, ist m.E. reine Spekulation. Und was hat das mit ESC zu tun? Singt da etwa jemand im Chor? Das ist doch die größte aller Individualistenshows. Wer da zusieht, wäre wahrscheinlich selbst gerne auf der Bühne und deligiert seine unerfüllbaren Wünsche an eine Stellvertreten, z.B. an unseren Liebling der Nation Lena.
@ Prospero: Kann schon sein, aber warum steht der Dirigent hier dann voll sichtbar und ausgeleuchtet im Publikum und nicht unsichtbar im Orchestergraben? Schon bisschen anders als sonst in der Oper, oder?
warum den Dirigenten "verstecken" wie in der Oper? Ich fand das sehr schön, daß er zu sehen, zu beobachten war. Sehr stolz, sehr klar. Ich finde es auch erwachsener, die Menschen bei ihrer Arbeit im Theater zu sehen, die nicht im direkten Sinne 'Darsteller' sind. Es ist viel weniger spektakel- bzw. illusions-verliebt. Und, wie oben schon erwähnt, ist es für komplexe Chorwerke (und nicht nur dafür) unerläßlich, einen Dirigenten zu haben.
Im Übrigen saß während der Berlin-Premiere ein Mann neben mir, der spontan in den "Solidaritäts-Song" einstimmte ...
Darüber hinaus bin ich mir nicht sicher, ob nicht Elfriede Jelinek den Text dieses Liedes zitiert - das also keine Idee der Regie ist. Und wenn doch, dann wäre das ebenso sinnfällig: Die Verkehrung des ursprünglichen Gedanken des Liedes, darauf zu verweisen, was die ursprüngliche Forderung auch bedeuten kann - heute - da wir genau wissen, was es bedeutet sich die Erde vollständig untertan zu machen und wie hybrid dieser Herrschaftsdrang ist. Wiewohl uns dieses Wissen darum niemals schützen wird, uns nicht doch genauso hybrid zu verhalten. Und: Bedeutet es nicht den Tod, darauf zu verzichten, Tatmensch zu sein?
Übrigens ist der Gestus des Dirigenten dem mit dem Rücken zu den Zuschauern aufgebauten Lenin-Denkmal auf der Bühne von Jette Steckels "Kleinbürgern" ähnlich. Frage: Brauchen wir die (neuerliche) Fokussierung bzw. Fixierung auf einen einen (historischen) Helden?
Ausserdem fällt auf, dass der Dirigent bei Karin Beier diesen Chor alles singen lassen kann, bis hin zum total banalen Nonsens eines "Dahahanke" zum Beispiel. Wiederum die Frage: Geht das politische Engagement der bürgerlichen Zivilgesellschaft nicht auch ohne die Machthierarchie zwischen "Führer" und "Volk" bzw. ohne einen vorgegebenen Text im Sinne einer abstrakten Ideologie? Ich würde sagen, dass es mehr auf das einzelne Individuum ankommt, welches sich mit anderen Individuen im Rahmen einer alltagspraktischen Solidarität vernetzt. Sie kommen da ja auch auf ähnliche Schlüsse, indem sie die "Hybridität des Herrschaftsdrangs" erwähnen.
es muss kein Widerspruch sein Tatmensch sein zu wollen und gleichzeitig auf andere Rücksicht zu nehmen. Ein Chor funktioniert nur, wenn alle mitwirken und keiner ausgeschlossen ist. Es treten ja immer wieder Einzelakteure hervor, jeder hat eine/seine ganz spezielle Stimme.