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Wo bitte geht’s nach Ulm?

von Verena Großkreutz

Stuttgart, 21. Mai 2011. Unter Umweltaktivisten stellt man sich heute gut organisierte, gezielt und pragmatisch vorgehende Greenpeacer vor. In den 70er Jahren war das offenbar noch anders. Die vier Ökoterroristen im Roman "The Monkey Wrench Gang" des US-Amerikaners Edward Abbey, erschienen 1975, sind eine durchgeknallte, sich gegenseitig pausenlos anbrüllende Chaotentruppe, deren Wege leere Bierdosen pflastern und die, sobald sie ein Lenkrad zwischen die Hände kriegen, zu nervenden Rasern mutieren.

Freilich sind sie sonst vom hehren Ansinnen getrieben, eine weitere Naturzerstörung im Grand Canyon zu verhindern. Wenn man sich am Lagerfeuer in freier Natur deftige Worte um die Ohren haut, geht es immer auch um die Frage, inwiefern der Einsatz von Gewalt notwendig ist, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Nach dem Motto, macht kaputt, was euch kaputt macht, will man am Ende mit Unmengen von Dynamit die Glen-Canyon-Staumauer, die in Arizona den Colorado River zu Amerikas zweitgrößtem Stausee Lake Powell anschwellen lässt, in die Luft zu sprengen.

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Protest unter Mappus-Masken. © Jochen Klenk 

Parkschützer in Metropolis

Volker Lösch hat das theatertaugliche Terror-Quartett jetzt auf die "Arena"-Bühne der Interimsspielstätte des Stuttgarter Staatsschauspiels in der Türlenstraße gebracht und es in bewährter Weise mit Sprechchören aus Laiendarstellern konfrontiert. Die kommen dieses Mal aus der Gruppe der Stuttgart-21-Gegner. Sie skandieren in "Parkschützer"-Shirts eigene Forderungen und Gedanken und mit Mappus-, Geißler- oder Merkel-Masken vor dem Gesicht pathetische Worte zum Thema Mensch, Arbeit und Maschine, die aus Fritz Langs Filmepos "Metropolis" stammen. Dort geht es ja schließlich auch um Widerstand: Im Zweiklassenstaat setzen sich die unterdrückten Arbeiter zur Wehr, die sich bis dahin zu Tode schufteten.

Endlich also darf sich Lösch auch auf der Bühne zum umstrittenen Verkehrs- und Bahnhofsbauprojekt Stuttgart 21 äußern, das ihm so an die Nieren ging, dass er sich zu einer der führenden Stimmen des Widerstands aufschwang. Und wer noch seine rhetorisch eindringliche Rede "60 S21-Lügen in 10 Minuten" auf einer Stuttgarter Großdemo im vergangenem März in den Ohren hat, der weiß, dass es an diesem Theaterabend nur um eines gehen konnte: um ein Kontra – auch wenn immerhin ein "Pro-ler" (dargestellt von Marco Albrecht) auf die Bühne dürfte, um sich über die "Schmutzfinken" vom Bauzaun oder die "Kinderwageninitiativen" der Gegner zu echauffieren.

Reden nutzt eh nix?

Was bestens funktioniert an diesem Abend ist – dank des pointierten, quirligen Ensemblespiels – die "Monkey Wrench Gang". Auf der gestuften Breitwand-Bühne von Cary Gayler, die comichaft mit Papp-Kaktussen und gemaltem Grand-Canyon-Panorama ausgestattet ist, ist genug Platz für virtuose Verfolgungsjagden und Schießereien in den Bergen, Dynamitexplosionen und andere Special-Effects. Herrlich Sebastian Kowski als "Vernichtungsexperte" Hayduke, der wie eine Wiederbelebung des im 18. Jahrhundert von der Bühne gejagten Hanswursts wirkt. Er scheißt und pinkelt auf die Bühne, rülpst und furzt, beginnt jeden Satz mit "Scheiße" und "verfickt", hasst Frauen und ballert ständig in der Luft herum. Das gelingt Kowski tatsächlich so, dass es lustig ist. Klar, dass Hayduke revolutionstechnisch recht einfach gestrickt ist: Alles in die Luft sprengen, reden nutzt eh nix.

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Die anderen verhalten sich da weitaus skrupulöser: Der rastagelockte, hyperaktive Möchtegern-Abenteurer Seldom (Bijan Zamani) – "Ich mach nix mit Dynamit" – richtet als Mormone gelegentlich ein dreist formuliertes Gebet gen Himmel. Der vor Veränderungswillen schier atemlose Doc Sarvis (Martin Leutgeb) gerät zwischen Gutmenschentum und politischem Anspruch derart in Stress, dass er sich am Ende von der Polizei (Jonas Fürstenau und Toni Jessen) in eine fiese Falle locken lässt – mitsamt seiner Freundin Bonnie (Katharina Ortmayr). Es kommt, wie es kommen muss. Die finale Sprengung des Staudamms bleibt Utopie. Die Truppe landet im Knast.

Stuttgart ist doch nicht Metropolis

Was sich an diesem Abend nicht erfüllte, war der hohe gesellschaftspolitische Anspruch Löschs. Die Ebenen von Umwelt-Western und Stuttgarter Regionalpolitik durchdrangen sich nicht. Die Metropolis-Sprechchöre blieben Fremdkörper, das agitatorische Skandieren der S21-Gegner Selbstgespräch. Der Rest Klamauk.

Das Ende geriet dann immerhin überraschend: Der Tiefbahnhof ist Realität geworden. Die Befürchtungen der Projektkritiker auch. Es herrscht völliges Chaos im Untergrund. Züge fahren nicht. Bonnie und Sarvis schleppen den mittlerweile im Rollstuhl sitzenden Seldom die viel zu engen Treppen zu den Gleisen hinunter. Die Aufzüge sind außer Betrieb. Und dann steht da plötzlich Hayduke in der Tracht des DB-Sicherheitspersonals. Ein paar Sekunden später fliegt der Tiefbahnhof in die Luft – unter dem lauten, trockenen Gelächter der Gegner.

 

Metropolis/The Monkey Wrench Gang
mit Texten von Fritz Lang, Thea von Harbou, Edward Abbey und Stuttgarter Bürger/innen
Fassung von Volker Lösch und Beate Seidel
Inszenierung: Volker Lösch, Leitung der Chöre: Bernd Freytag, Bühne: Cary Gayler, Kostüme: Cary Gayler/Teresa Grosser, Dramaturgie: Beate Seidel.
Mit: Jonas Fürstenau, Toni Jessen, Sebastian Kowski, Martin Leutgeb, Katharina Ortmayr, Bijan Zamani, Marco Albrecht.
Sowie Stuttgarter Bürger/innen: Ruhsar Aydogan, Meike Boltersdorf, Jutta Conrad, Philipp Falser, Lukas Funk, Klaus Grabowski, Valentin Hebel, Jochen Hoyler, Daniel Hubertus, Nana Just, Natascha Kalantar, Felix Keltsch, Marcus Kettel, Jochen Kik, Thilo Kreiser, Sofia Lomtatidze, Therese Lösch, Eckhard Matthies, Sybille Maus, Vanessa Nebenführ, Rodrigo Pozo, Susanne Rüdisühl, Mariangela Toso, Alexandra Waldleitner, Anette Wanner, Sabine Weissinger, Volker Würthwein.

www.staatstheater.stuttgart.de

 

Mehr zu Volker Lösch finden Sie in unserem lexikon.


Kritikenrundschau

Es sei sicherlich "in Ordnung" ein Sample aus Metropolis, dem Trash-Roman "Monkey Wrench Gang" und den Vorkommnissen um "Stuttgart 21" herum zu erstellen, schreibt Stefan Kister in der Stuttgarter Zeitung (23.5.2011). Doch wirke gerade letzterer Bezug allenfalls "zunächst brisant, in seiner Rückkopplung jedoch zunehmend redundant". Wenig Neues vernehme man von den Bürgerchören, die "Positionen sind bekannt, ebenso das Verfahren: rhythmisierte Erregung, Volkes Stimme als Probe aufs Exempel des literarischen Textes." Die Chöre bremsten auch die Geschichte um die "vier Freaks aus Abbeys Roman", die "ergiebiger, widerständiger in jeder Hinsicht" seien und "ordentlich Gas" gäben, aus. "Der herrlich ungezügelte Anarcho-Trash wird zur didaktischen Parabel, noch bevor die Gestalten richtig Kontur gewinnen könnten". So sei es im Ganzen "ein bunter Abend über einige Motive von Stuttgart 21: hier und dort gefährlich zwischen Kabarett und Propaganda taumelnd, mit einem drastisch aufspielenden Quartetto Infernale und engagierten Stuttgarter Bürgern, die frei nach Thea von Harbous Vermittlungsmotto beherzt zwischen Dramaturgenhirn und deftigem Schauspielerhandwerk agieren".

Einige Einwände gegen den Bürgerchor macht auch Nicole Golombek in den Stuttgarter Nachrichten (23.5.2011) geltend: Der Chor begleite zwar die geschauspielerten Aktionen mit einem "Bam! Plom! Pop! Zong!", wenn die Figuren einen Maschinenpark demolierten; ansonsten aber "kommentiert der Chor kaum; ebenso wenig hellt er das Innenleben der Figuren auf – weil diese über keines verfügen." Es herrsche an diesem Abend "eine fast schon fröhliche Jahrmarktsatmosphäre"; das Theater werde "zu einer Art Agora, in der hinlänglich bekannte Standpunkte noch einmal ausgetauscht werden." Dennoch kann die Kritikerin dem Unternehmen einiges abgewinnen: "Ästhetisch ist dieser Abend mit einigen dramaturgischen Hängern nicht immer gelungen. Doch als Ort der Verhandlung von Positionen, auch der Zerrissenheit innerhalb einer Bürgerschaft funktioniert dieser wilde Abend im wüsten Tal."

Deutlich negativer urteilt Rainer Zerbst für die Sendung Fazit auf Deutschlandradio Kultur (21.5.2011): Die "Kombination von Langs Film und Abbeys Roman ist durchaus sinnvoll, aber Lösch zieht die Szenen aus dem Roman derart ins Schmierenhafte, dass die Position des Widerstands, der bürgerlichen Anarchie geradezu ab absurdum geführt wird, was sicher nicht in seinem Sinn ist. Anarchie erschöpft sich bei Lösch darin, dass ständig Bierdosen in der Gegend umhergeworfen werden, auf der Bühne uriniert und unablässig Scheiße geschrien wird, wie überhaupt Lösch nur eine Sprechlautstärke zu kennen scheint: Schreien."

Ebenso missmutig zeigt sich Wolfgang Bager im Südkurier (23.5.2011), für den die Welt des Polittheaters auf den Kopf gestellt scheint: In Stuttgart "ist bereits Intelligenz, Kreativität und intellektueller Überbau mit feinsinnigen Transparenten auf der Gasse unterwegs, während im Theater unreflektierte, einfältige Kampfparolen kunstlos herumgebrüllt werden." Lösch inszeniere "mit Holzhammer und Wasserpistole", seine Figuren lasse er "herumballern, grölen, fluchen rülpsen, pissen und permanent Bierdosen um sich werfen. Die normale Tonart ist das Geschrei, der Wortschatz mit 'fuck' und 'gottverdammt' weitgehend erschöpft." Dazu lasse Lösch "in seinem Klamauk auch noch ein bisschen dialektischen Besinnungsaufsatz durchspielen", wenn das Für und Wider der Protestbewegung "Suttgart 21" hergesagt werde.

"Die drei Flügel von Löschs S-21-Triptychon passen weder politisch noch formal zusammen", befindet Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.5.2011). Aus der Anarchoklamotte (als Gegengewicht zum Befriedungsmodell von "Metropolis") mache Lösch "bewaffnetes Krawalltheater". In der Wüste von Utah sei der Wutbürger-Laienchor aus lauter Überzeugungstätern "nur noch Fremdkörper: Protestschauspieler, denen Waffen und maskiertes Wutgeheul ein bisschen peinlich sind. Ihr Dreck stammt eher aus dem Geist der Kehrwoche, ihr 'konstruktiver Vandalismus' ist antrainiert." Nie erreiche dieses "Brüllkollektiv" die "Kraft und Wucht der Migrantinnen, Gettokids oder auch Daimler-Manager" von Löschs bisherigen Produktionen. Sein Fazit: "zu laut, zu spät, zu platt".

Einen "rauen Comic" hat Jürgen Berger von der Süddeutschen Zeitung (4.6.2011) in Stuttgart erlebt. Die Gewichte der Textvorlagen hätten sich während der Proben "in Richtung Abbeys Anarcho-Ballade", also hin zu "The Monkey Wrench Gang", verschoben. Lösch nutze die Randale der vier "Saboteure des All American Dream", um "das anarchische Potential der S 21-Gegner aufzuzeigen." Wenn Lösch dann aber seinen Chor der "schwäbischen Wutbürger" in die Inszenierung pflanze, werde "sofort unklar, was das Ganze soll. Schließlich stehen da nicht nur 27 bekennende S 21-Aktivisten auf der Bühne, sie skandieren auch 'Metropolis'-Texte und tragen Geißler-, Mappus-, Grube-, Schuster- und Merkel-Masken. Der Schlichter und der ehemalige Baden-Württembergische Ministerpräsident sollen im Verein mit dem Bahnchef, dem Stuttgarter Oberbürgermeister und der Kanzlerin ein gesamtchorisches Element abgeben." In dieser Diffusion wirft der Abend für die Kritik nur eine lasche Pointe ab: "Herr Nachbar, zumindest im Theater ist Sabotage machbar."



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