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Schwarzweiß, aber nicht ganz furchtbar

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 21. Mai 2011. Der Papst wäre auch eingeladen, aber der kommt nicht einfach so. Bei Theaterleuten ist es viel unkomplizierter, die sind beweglicher. Und so machten sich vor zwei Wochen ein Grüppchen Grazer Schauspieler und die österreichische Regisseurin Christine Eder für drei Tage auf nach Lampedusa. Dorthin fahren sonst eher Mitarbeiter humanitärer Organisationen und, wenn's gut geht, Politiker, auf dass sie sich vor Ort jene Bilder machen, die möglichst gut ins je eigene Weltbild passen.

Nach dieser Recherche-Fahrt ist nun in kürzester Zeit auf der Grazer Probebühne eine Aufführung entstanden. Eine Aufführung, kein Stück wohlgemerkt. "Boat People" zieht sich über eindreiviertel Stunden schier endlos hin. Der hochtrabende Untertitel: "Antike Flüchtlingsdramen im Mittelmeer". Da denkt man an "Ilias", "Odyssee" und noch ein paar Storys aus der griechischen Sagenwelt. Skylla und Charybdis und die heutigen Schwarzen in ihren untergangsgefährdeten Booten, als Spielbälle der Politik: Das wäre ja was. Wird es aber nicht. "Antik" teilt sich nur im Sinn von "unerbittlich" mit - und das war's auch schon.

Weltbild naseweis

Über die Spielfläche, voll mit schwarzen Leichensäcken, staksen wir zu den Sitzplätzen. Die vier Schauspieler - Marion Reiser, Bernhard Dechant, Franz Solar, Jan Thürmer - hocken schon da. Zu Beginn stimmen sie ein pseudo-afrikanisches Lied an, aus dem sich die Buchstaben "EU" herauskristallisieren. Vorfreude, die sogleich gedämpft wird: Da legt man ein Brett auf einen wabernden Gummireifen, und schon haben wir das Boot, wo man nach Wasser lechzt und kleine Negerpüppchen geboren werden. Ein Marine-Mensch mit Megaphon und einem Zettel "EU" am Revers steht für die Härte des bevorstehenden Lebens.

Szene um Szene geht es dahin: In einer Millionenshow-Parodie wird jemand aus dem Publikum über sein Wissen zum Thema EU-Immigranten befragt (den verdienten Hunderter-Schein bekommt dann jemand anderer im Publikum, mit der schnippischen Bemerkung "Umverteilung"). Der Preis von Orangen ist Thema einer Szene. "Max Mustermann", ausländischer Facharbeiter hierzulande, erliegt dem Konsumrausch und sollte doch lieber für humanitäre Zwecke in seiner afrikanischen Heimat spenden. Ein Fischer fuchtelt mit einem Armstumpf herum ("Nicht mal die Fische wollen es fressen").

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Nach der "Ode an die Freude" geht's an eine Lesung. Das ist der besinnliche zweite Teil des Abends, mit Statements und Impressionen, die man in Lampedusa gesammelt hat. Man war fleißig dort, hat genau geschaut, ja: beobachtet und sogar mit Leuten geredet. Zuletzt wird ein Video gezeigt von der Ankunft eines Flüchtlingsschiffs, wir sehen Schlaflager und Szenen aus der (gut organisierten) Versorgung der Flüchtlinge. Und wir freuen uns zuletzt darüber, wie italienische Kinder mit kleinen Schwarzen spielen. Merke, es ist immer alles schwarzweiß, aber nicht immer ganz furchtbar. Man hat ja eine differenzierte Sicht entwickelt in den drei Tagen.

Peinliches Schultheater

Das ist alles mehr als peinlich, nicht nur wegen des bescheidenen politischen Horizonts: All das könnte man aus Presseberichten genau so gut zusammenschnipseln. Im Zweifelsfall recherchieren Journalisten ja doch besser als Schauspieler. Was die theatrale Umsetzung betrifft, ist der Abend schlicht ärgerlich. Als Oberstufen-Schultheater ginge er durch.

"Boat People" ist Teil eines auch mit EU-Geld finanzierten Projekts "Emergency Entrance", in Zusammenarbeit mit der Union des Théatres de l'Europe (UTE). Auch das Griechische Nationaltheater Athen, das Teatro Garibaldi (Palermo), das Israelische Nationaltheater Habima (Tel Aviv), das Nationaltheater Prag und das Ungarische Theater im rumänischen Cluj bereiten Stücke zum Thema vor. Die Griechen haben ihren Beitrag - "The invisible Olga" - auch schon fertig, Premiere war am 10. Mai. Über das Projekt informiert eine derzeit freilich noch sehr jungfräulich wirkende Website. In Graz kommt man von 26. bis 29. Jänner zusammen. Dann wird man ja sehen, ob den anderen Theatern Dinge mit mehr Perspektive, mit mehr Tiefgang glücken.

 

Boat People
Antike Flüchtlingsdramen im Mittelmeer
Theatrale Recherche im Rahmen des internationalen Theaterprojekts "Energency Entrance"
Regie: Christine Eder, Bühne und Kostüme: Monika Rovan, Video: Thomas Butteweg, Andrea Zulini, Dramaturgie: Regina Guhl.
Mit: Marion Reiser, Bernhard Dechant, Franz Solar, Jan Thürmer.

www.theater-graz.com
www.emergency-entrance.com

 

Mehr über Christine Eder erfahren Sie aus unserem archiv.

 

Kritikenrundschau

"Boat People" sei "eine Aufführung, bei der wenig gespielt, dafür viel erklärt und vorgelesen wird", das Ganze sei "bewusst zurückhaltend gestaltet", meint Karin Zehetleitner in der Kleinen Zeitung (23.5.2011). Und das sei "irgendwie schade, denn die Stärke des Theaters gegenüber einer Nachrichtensendung liegen gerade im emotionalen Bereich." Insgesamt aber biete "der Abend viele Informationen, die sorgfältig ausgewählt wurden und hinter deren zusammenfassender Präsentation viel Arbeit steckt. Es ist zu hoffen, dass 'Boat People' auch den Weg in die Schulen findet, denn es bietet Wissenswertes zu diesem Thema auf leicht fassliche Art."

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