Falsches Lachen, falsche Töne

von Andreas Wilink

Bochum, 19. Oktober 2007. Eigentlich müsste man sich eine derart naheliegende Pointe ja verkneifen und dürfte nicht von Bruchlandung oder Absturz sprechen, wo schon metapherngerecht ein in der Mitte auseinander gebrochenes Flugzeug-Wrack auf der Bühne des Bochumer Schauspielhauses (Silvia Merlo, Ulf Stengl) liegt. Der Flieger ging offenbar im Wald von Arden unplanmäßig nieder und hat seine menschliche Fracht ausgesetzt.

Weil aber dieser zugegeben billige Wortbildeffekt so sehr dem Abend selbst entspricht und seine ranschmeißerische Absicht exakt auf den Punkt bringt, sei es getan. Elmar Goerden trudelt mit "Wie es euch gefällt" ins Bodenlose.

Wie ist das möglich?

Dass eine solche Aufführung am Schauspielhaus Bochum möglich ist, wo Zadek, Steckel, Haußmann, um nur diese drei Intendanten-Vorgänger Goerdens zu nennen, Shakespeare geprägt haben, dass überhaupt ein ernstzunehmender Regisseur mit derartig altbackenem und nicht einmal trashigen Klamauk eine Komödie inszeniert und mehrere Jahrzehnte Auseinandersetzung mit dem Dramatiker ignoriert, lässt sich kaum erklären.

Dabei hätte der Kontinent Shakespeare es nötig, an der Ruhr wieder sichtbar zu sein, nachdem er schon in der Hartmann-Ära unentdeckt blieb, während er am Rhein zumindest theatral verzeichnet wird. Goerdens frühe Gefährtin in der studentischen Shakespeare-Company "Countercheck Quarrelsome", Karin Beier, bezeichnet Shakespeare ohnehin als den "Mann ihres Lebens" und wird am Kölner Offenbachplatz als erstes in einigen Wochen "Maß für Maß" herausbringen, bald gefolgt von einer "Hamlet"-Bearbeitung von Laurent Chétouane.

Und Jürgen Gosch, der sich immer wieder und oft mehrmals mit den Dramen Shakespeares beschäftigt, hat seit seinem Düsseldorfer "Macbeth" vor zwei Jahren der Rezeption einen kräftigen Blutschub und dem Düsseldorfer Schauspielhaus europäische Aufmerksamkeit verliehen und dort am selben Tag wie Goerden mit "Was ihr wollt" Premiere gehabt (siehe hier).

Tingelingeling, that's amore

Der Bochumer Shakespeare sieht zunächst, am Hofe Herzog Fredericks, aus, als wäre das Personal für eine Agatha Christie- oder Pater Brown-Adaption kostümiert – in Tweed, Karo, Samt und mit Seidentuch. Countrylook. Witz kriegt das höfische Vorspiel nicht, es sei denn, es fände jemand komisch, dass zwei aus der deutschen in die englische Sprache stolpern und wieder zurück. Falsches Lachen, falsche Töne, falsche Munterkeit.

Disco-Beats hämmern, eine Konfetti-Kanone schießt Goldpapier ins Parkett, kurz vor Finale wird dann Fliegeralarm die Notgelandeten, Exilanten und Liebeskranken zu Boden werfen. Die Musik wechselt konfus von "MASH" zur Wiener Klassik, um sich mit Dean Martin ins Happy End zu ölen: "Tingelingeling, that's amore". Alles aus der Luft gegriffen. Nichts stimmt. Nichts passt zusammen. Aber macht viel Umstände. Die Regie reißt ständig die Seitentüren zum Foyer auf, um die Schauspieler hereinzuholen, was man ebenfalls buchstäblich zu nehmen geneigt ist: Die Aufführung hat keine Mitte. Tobt sich auf Nebenschauplätzen aus.

Dass Celia (Anna Schäfer), des einen Herzogs Tochter und Busenfreundin des verbannten Herzog-Bruders Tochter Rosalind (Claude de Demo), als Behinderte im Rollstuhl sitzt, ist nichts als ein Vehikel, das sich in keine inhaltliche oder psychologische Richtung bewegt. Da sieht man sich dann nochmals verführt, das in den Radspeichen des fahrbaren Untersatzes aufgepinselte Wörtchen "Fun" zum Ziel der drei Stunden zu erklären, die ratternd und scheppernd leer laufen.

Wenigstens das: Eine kostbare Kuriosität

Goerden lässt sich auf nichts ein, findet keine Form, interessiert sich für kein Gefühl. Die Aufführung bleibt ohne Stringenz, nicht mal logisch in der einmal selbst behaupteten Setzung der Situation. Das mittelmäßige bis jämmerliche Ensemble lärmt und chargiert auf entsprechende Weise. Einzig Margit Carstensen als melancholischer Jaques – herb, bitter, mürbe und filigran – wirkt wie eine kostbare Kuriosität. Am Ende wünscht sie den vier Brautpaaren "Viel Spaß" und plädiert vergeblich "für Geist". Der Rezensent schließt sich ihrem Wunsch an.

 

Wie es euch gefällt
von William Shakespeare
Regie: Elmar Goerden; Bühne: Silvia Merlo, Ulf Stengl; Kostüme: Lydia Kirchleitner. Mit: Maja Beckmann, Margit Carstensen, Claude De Demo, Anna Schäfer, Mark Oliver Bögel, Henning Hartmann, Benno Ifland, Sascha Nathan, Christoph Pütthoff, Bernd Rademacher, Alexander Maria Schmidt, Klaus Weiss.

www.schauspielhausbochum.de

 

Kritikenrundschau

Anders als Jürgen Gosch mit seiner Düsseldorfer Inszenierung von "Was ihr wollt" (siehe hier), suche Elmar Goerden mit "Wie es euch gefällt" Zuflucht bei "falschen Sicherheiten", bemerkt Andreas Rossmann (FAZ, 23.10.2007). Und was die Schauspieler "an erotischen Verwicklungen und schwebender Schwermut" nicht erspielen können, wird mit "herbeizitierten Schlagern" erledigt: "Das musikalische Potpourri hält das Publikum bei Laune", und die Konfettikanone sorge für "Bombenstimmung". Das "unterforderte Ensemble" lasse Shakespeare hier zum "Anlass für Kleinkunst" schrumpfen.

Werner Streletz (Westdeutsche Allgemeine, 22.10.2007) hat nicht nur Jubel für Elmar Goerdens Inszenierung erlebt, er selbst verließ den Abend "süffig gelabt". Zeugten Goerdens bisherigen Bochumer Inszenierungen nämlich "oft von Behutsamkeit, die die Biederkeit streifen konnten, griff er nun in den Farbtopf greller Effekte und verwandelte das zauberische Treiben im Ardenner Wald mit kräftigen Strichen zur klugen Narretei", der allerdings "etwas weniger Glitzerkonfetti gut getan hätte". Das Publikum fühlte sich "wie erlöst" und applaudierte frenetisch dem "fabelhaften Ensemble". Zudem werde der Zuschauerraum immer wieder ins Spiel miteinbezogen, "dazu Disco-Beat, 'Sympathy for the Devil' der Rolling Stones, ohrgefälliger Chorgesang, Nonsens-Geplapper, Aus-der-Rolle-fallen. (...) Ein gewagter, gelegentlich willkürlicher Stilmix". Dem Ensemble gelinge es aber, den Figuren "greifbare Eigenständigkeit" zu geben, "wenn auch mit unterschiedlicher Tiefenschärfe."

Für Judith von Sternburg (Frankfurter Rundschau, 22.10.2007) ist das "aufregendste Ereignis" die "gewaltige Goldflitterkanonade, die anlässlich des Ringkampfes zwischen dem abgebrühten Profi Charles und dem ganz aus privater Wut kochenden Jung-Orlando über das glänzend gelaunte Publikum im Schauspielhaus Bochum niedergeht". Elmar Goerden lasse Aufwand treiben, mit Flitter und dem Flugzeugwrack. Und das Ensemble? Zeige "Klasse", Christoph Pütthoff und Claude De Demo vor allem. Dennoch sei die Inszenierung "unverbindlich spaßig und die einzelne Szene mal stärker, mal schwächer, mal mehr Comedy, mal mehr doch recht braves Stadttheater". Denn natürlich müsse "von einem solchen Abend am nächsten Nachmittag mehr übrig sein als Goldblättchen, die noch immer aus den Rocktaschen rieseln".

Ronny von Wangenheim (Ruhr Nachrichten, 22.10.2007) meint, "eine merkwürdige Komödie" gesehen zu haben, "in der sich Tiefsinn mit absolutem Nonsens paart". Goerden, der das Stück einen "Flickenteppich" genannt habe, akzeptiere beides, "scheut nicht den Kalauer, die Effekte, schafft aber auch eindringliche Momente". Dabei präsentiere er vor allem "ein temperamentvolles Ensemble, das auch aus den kleinen Rollen große Auftritte macht".

 

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