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Explosionen in Fernwelten

von Gerhard Zahner

St. Gallen, 2. Juni 2011. Bevor das eigentlich Stück beginnt, stehen zwei schwarz gekleidete Schauspieler auf der Bühne in St. Gallen, kluge Clowns als Aufwärmer, und üben mit dem Publikum für den großen Cäsar den Applaus ein. Und als der bestellte Applaus zu mager brandet, sagte der größere von den Herren Einübern: "Das war höchstens für Sepp Blatter der Applaus." Und alle lachen. Und unwillkürlich fällt einem bei dem Namen Blatter jener Shakespeare-Satz ein, "von welchem Fleisch nährte sich dieser Mann, dass er so groß wuchs."

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Und dann beginnt die Sprache: Shakespeare, neu übersetzt von Frank Günther. St. Gallen bietet die Uraufführung der Günther'schen Fassung, die die Shakespeare'schen Bilder klar nachdichtet in stimmigen neuen Zeitmetaphern, was das Stück "alltäglicher" macht, schneller und im Sinn treffender. Günthers Übersetzung wäre ein noch größerer Genuss an diesem Abend, wenn sich nicht die Akustik in St. Gallen als problematisch erwiese: Nicht immer sind die Stimmen der Schauspieler deutlich zu hören (obwohl der Berichterstatter in der neunten Reihe saß), der Raum saugt sie teilweise auf, was schade ist, da Günther Shakespeare einen schnellen Rhythmus vorgibt, der diese leeren Stellen nicht verträgt. Als hätten die Schauspieler dieses Manko längst erkannt, beginnen sie zeitweise künstlich laut zu sprechen, ohne Farbe, in einem monotonen Ton. So viel vorab.

Blauweiße Glasfassendenwelt

Und dann betritt Cäsar die Bühne, und das Publikum, klug zum Volk verwandelt, applaudiert lange und geduldig. Bruno Riedl als Cäsar, im weißen Mantel mit blondweißem Haar, jener Banker-Alpha-Typ, den man in St. Gallen an der Eliteuniversität gezielt heranzüchtet, ein Führungswesen, das blaue Hemden mit weißem Kragen trägt, mit der Stimme Förmchen in die Luft schneidet, in denen die andern mit ihren Ängsten Wohnung nehmen. Die Bühne gibt in gleicher Weise einen Begriff von Zeit: Im Hintergrund diese blauweiße Glasfassadenwelt durch die das Stahlgerüst der Berechnung hindurchwirkt. Ein brauner Quader in der Bühnenmitte, dann schwarzer Marmor und eine Treppe, die dorthin hinabführt, wo die Geschichten weitererzählt werden.

© Tine Edel
Brutus (Marcus Schäfer, r.) tätschelt Antonius (Roman Schmelzer). © Tine Edel

Eigentlich war alles vorbereitet für einen großen Abend. Tim Kramers Regie aber hat Probleme an zwei Punkten. Zum einen: Der erste und zweite Teil des Abends finden nicht zusammen. Ist der erste Teil herausfordernd spartanisch angelegt – in diesem schönen Bühnenraum von Gernot Sommerfeld, in dem es vorgedacht ist, die Geschichte ohne großen technischen Aufwand zu erzählen, nur mit den Mitteln des Spiels –, ist der zweite Teil ganz dem Gegenteil verschrieben. Hier herrscht das Gesetz: Es ist leichter mit der Leinwand zu spielen, als dagegen.

Die Glasfront wandelt sich zur Kinowand und Filmchen werden, wie gewohnt, erst stückbegleitend, dann stückersetzend abgespielt, wir sehen die Schlachten und Ereignisse vom Ende der Rebellion in den Bilden der Tagesschau, mit den Augen der Nachtsichtgeräte, Explosionen in Fernwelten in einem unwirklichen Grünlicht. Hätte Tim Kramer diesen Bruch deutlicher gemacht, gezeigt, dass in der Neuwelt eine Ermordung des Tyrannen nicht mehr möglich ist, da die Aufzeichnungen der Fernsehapparate mit ihrer Allmacht die Tyrannei fortsetzen, hätte der Stilbruch noch eine Erklärung erfahren. So war es nur ein Bruch ohne Wirkung.

Brutus, auch du?

Zum anderen: Zwar gefiel dem Publikum Marcus Schäfer als Brutus, die Figur aber geht in der Interpretation an der Möglichkeit seines charakterlichen Potentials vollends vorbei. Ist Brutus bei Shakespeare jene Gestalt, die mit Begeisterung sich für die Allgemeinheit aufgibt und sich in fälschlicher Sicherheit wiegt, von allen verstanden zu werden, und dennoch zaudert und sich quält, diesen Mord zu planen und auszuführen, so spielt Schäfer Brutus als eine Art energielosen Tischredner, der Grußworte in Worthülsen verpackt. Er romantisiert die Figur, was ihr jede Entwicklungsmöglichkeit nimmt.

Dies ist umso ärgerlicher, als in der Inszenierung auf schwache Stellen auch wirkliche Einfälle folgen. 20 Schauspieler im Publikum etwa machen die Reden von Brutus und Antonius (Roman Schmelzer) zu unmittelbaren Ereignissen, mit kommentierendem Gebrüll aus dem Nebensitz wird die Schicksalsabstimmung ein physisches Erlebnis. Immerhin also: Langweilig war es nie.

 

Julius Cäsar
von William Shakespeare
Deutsch von Frank Günther
Regie: Tim Kramer, Bühne: Gernot Sommerfeld, Kostüme: Natascha Maraval, Musik: Martin Gantenbein.
Mit: Bruno Riedl, Dominik Kaschke, Roman Schmelzer, Romeo Meyer, Marcus Schäfer, Matthias Albold, David Steck, Hans Rudolf Spühler, Alexandre Pelichet, Christian Hettkamp, Boglarka Horvath, Diana Dengler.

www.theatersg.ch

 

Erst kürzlich zeigte das Theater Kiel zwei Fassungen des Julius Cäsar, eine davon von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel.

 

Kritikenrundschau

Als ebenso beunruhigend wie überzeugend in die Gegenwart geholt empfindet Bettina Kugler vom St. Gallener Tageblatt (4.6.2011) diese Inszenierung, an dem sie eine Verschwörungsatmosphäre zwischen Thriller und Science-Fiction, James Bond und Raumschiff Enterprise besonders fesseln kann. Und die radikal zeitgenössische Inszenierung von Politikerauftritten. Doch bei aller Aktualität, untergründigem Sound-Design und handfestem Einsatz von Kraft und Theaterblut sei alles in jedem Moment "wortgewaltiger Shakespeare, konzentriert auf den Punkt gebracht", merkt die Kritikerin an.  

Von bestürzender Aktualität und beklemmender Deutlichkeit ist diese Inszenierung aus Sicht von Peter E. Schaufelberger vom Konstanzer Südkurier (4.6.2011), die ihn mit eindringlichen, gelegentlich erschreckenden Bildern besticht. Tim Kramer entwickele, so der Kritiker, seine Interpretation aus dem zentralen Thema des Stück, der Verführbarkeit des Menschen. Auch die Leistung des engagierten Ensembles wird ausdrücklich gewürdigt.

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