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Grün, grün, grün sind alle meine Fähnchen

von Annette Hoffmann

Freiburg, 10. Juni 2011. Als das Theater Freiburg ankündigte, ein Stück über die Grünen machen zu wollen, konnte man nicht ahnen, dass die Partei in Baden-Württemberg in der laufenden Spielzeit die Regierung bilden würde. "Die Grünen. Eine Erfolgsgeschichte", so der Titel des von Schauspieldirektorin Viola Hasselberg und Jarg Pataki gemeinsam erarbeiteten Stückes, ist zwar keine Hagiografie geworden, aber doch so eine Art Stationendrama. An seinem Ende steht das Wahljahr 2011. Überschrieben sind die elf Kapitel mit "Urknall", "Keine Macht für Niemand" oder "Der große Aderlass" und vollziehen den Weg durch die Institutionen der parlamentarischen Demokratie nach.

Dramatisches aus dem Verbraucherministerium

Man hat am Theater Freiburg wahre Fleißarbeit geleistet und Archive durchforstet, der gesamte Text – und er wird auf der Bühne mehr als drei Stunden einnehmen – besteht aus Zitaten: Parlamentsprotokollen, Parteireden, Slogans, politischem Gedankengut und Gesprächen, die mit Politikern wie Boris Palmer, Claudia Roth oder Andrea Fischer geführt wurden. Zwischen diesen Szenen und Monologen wird gesungen. All dies ist fein säuberlich im Programmheft dokumentiert. Und damit ist die Crux dieses Abends bereits benannt.

Man hofft auf das Prinzip Selbstentblößung. Die Originaltexte sollen für sich sprechen und bieten ausschließlich eine Innensicht auf die Grünen, eine politische Ideengeschichte der Partei. Das funktioniert bei manchen nachdenklichen Erzählungen aus der eigenen Parteikarriere, doch die Theatralik von Meldungen aus dem Verbraucherministerium oder Eva Quistorps "Frauen gegen den Krieg" hält sich in Grenzen. Da Viola Hasselberg und Jarg Pataki, die auch gleich die Regie übernommen haben, sichtlich keine auf Personen bezogene Geschichte der Partei auf die Bühne bringen wollten, muss dies als Identifikationspotential genügen. Tut es aber nicht.

Vom apokalyptisch korrekten Schwingen von Winkelementen

Dabei beginnt der Abend im Kleinen Haus mit einem Urknall. Die Menschheit steht auf den Trümmern ihrer Zivilisation (Bühne: Jens Dreske), genauer das Ensemble drapiert sich als eine Art Tableau Vivant auf antik anmutenden Steinen um Hartmut Gründler (Frank Albrecht) und betreibt zugleich so etwas wie Archäologie der Partei. Toneinspielungen von Bundeskanzler Helmut Schmidt sind zu hören. Zur Erinnerung, Hartmut Gründler verbrannte sich 1977 selbst, um ein Zeichen gegen die "atomare Lüge" der Regierung zu setzen.

Es waren Jahre der Apokalypse, der Ton war schrill in dieser Zeit der Stagnation. Wiedergänger streifen über die Bühne, erst der Griff zum Mikrophon oder gar zum Megaphon, das Formulieren politischer Forderungen macht aus diesen Jesuslatschen- und Bartträgern Individuen.

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Und dann der Einzug ins Parlament mit untergefasstem Nadelbaum und Blumenkränzen im Haar am 29. März 1983. Ein wenig sieht das aus wie ein sanftmütig gewordener Bacchantinnenzug. Afghanische Hippietracht verträgt sich mit Wolljankerl und Islandpulli (Kostüme: Julia Rösler) Was folgt sind gruppendynamische Prozesse, wie man das damals nannte, eine Modernisierung der Partei und mit ihr vielleicht auch der Gesellschaft. Doch die Gesellschaft bleibt eben außen vor.

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© Maurice Korbel

Einmal gegen Ende wird das Publikum zum Parteivolk, als es Fähnchen mit der Jahreszahl 2011 (die beiden letzten Ziffern bestehen aus nach oben gerichteten Pfeilen) schwenkt. Während kurz zuvor der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit Robert Heinrich (Bettina Grahs) die Fähnchen schwingenden Grünen noch als besonders gelungenen Marketingcoup gepriesen hatte. Das ist einen Moment ein wenig unheimlich als hätte man selbst seine Grundsätze und Mitstreiter verraten und wäre FDP geworden.

Mutter Erde, von Frauen behütet

Doch meist fehlt es an Brechungen. Wenn Joschka Fischer (Martin Weigel) zu seiner berühmt gewordenen Rede in Bielefeld 1999 ansetzt, singt ein Chor gegen ihn an, der immer kleiner wird und sich allmählich akklamierend hinter seinem Rücken versammelt. Das neunköpfige Ensemble stellt aus und überzeichnet. Mal verknoten sich die Schauspieler zu einem Mensch gewordenen kafkaesken Bürokratieapparat, mal hält ein grüner Bürgermeister Hof wie ein absolutistischer Herrscher. Die leiseren Töne werden selten angeschlagen. Mitunter haben diese Szenen etwas von Kabarett oder Kinderbespaßung. Und wenn das Ensemble auf dem Rücken liegend mit den Füßen die Erdkugel trägt und dazu von der größeren Naturnähe der Frauen schwadroniert wird, gibt’s keine Prise Ironie zu diesem Kitsch.

Wirklich neuralgische Themen wie die Herkunft der Ökologiebewegung aus der Lebensreformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts oder der Umgang mit früheren Weggefährten werden allenfalls gestreift. Eine vertane Chance. Königsmord und die korrumpierende Wirkung der Macht kann das Theater besser, dafür hätte es kein Stück über die Grünen gebraucht.

 

Die Grünen. eine Erfolgsgeschichte (UA)
Text, Regie und Dramaturgie: Viola Hasselberg, Jarg Pataki, Bühne: Jens Dreske, Kostüme: Julia Rösler, Musik: Malte Preuß, Licht: Markus Bönzli.
Mit: Frank Albrecht, Lena Drieschner, Johanna Eiworth, Bettina Grahs, Hendrik Heutmann, Orhan Müstak, Andreas Helgi Schmid, Martin Weigel, Dolores Winkler.

www.theater.freiburg.de

 

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Kritikenrundschau

"Wie um die Historisierung der Grünen zu bekräftigen, haben die Regisseure Viola Hasselberg und Jarg Pataki alle Texte ihres Stücks aus Grünen-Originalzitaten kompiliert, die das neunköpfige Ensemble szenisch rezitiert", schreibt Jörg Scheller in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (12.6.2011). Doch "leider scheinen Hasselberg und Pataki die innewohnende Ironie der 'Erfolgsgeschichte' der Grünen nicht immer zu genügen, weshalb sie mitunter ins Parodistische und Satirische verfallen". Fazit: Das szenisch umkränzte Readymade-Verfahren biete zwar ein kunterbuntes Archiv, aber auch nicht mehr. "Die Grünen" veranschauliche, was man irgendwie immer schon über die Grünen wusste: die Flügelkämpfe zwischen Realos und Fundis, die Krebsgänge zwischen Selbstlob und Selbstkritik.

"Drei Stunden Politprosa aus dem Inneren des friedens- und frauenbewegten ökologischen Gewissens, das sich höchst ehrenwert mit Korruptionsskrupeln wegen Beteiligung an der Regierung herumschlägt – das ist, zumal zum Ende hin, das einfach nicht kommen will, ein hartes Programm", findet Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (14.6.2011). Witz und Rhythmus gelängen nur bis zur Pause. Dann mache sich die fehlende Haltung bemerkbar: "Äußerungen, die einen antidemokratischen, fundamentalistischen Kern im grünen Denken freilegen, könnten Anlass zum Nachdenken auf einer Metaebene geben". Doch in der allumfassenden Zitatsammlung gingen sie unter.

"Im Freiburger Theater ist ein naturgemäß hochprozentiges Gemisch aus Slogans, Sponti-Sprüchen, Programmen und Reden von den mythischen Anfängen Ende der siebziger Jahre bis in die von PR-Profis gestreamlinete Gegenwart zu kosten", berichtet Jan Küveler in der Welt (14.6.2011). Der "durchaus muntere Abend" strotze sowohl von Regieeinfällen wie vor historischer Einfallslosigkeit. "Am Ende sind die Rädelsführer der Empörung zu kleinen Rädchen in der politischen Ehrgeizmaschine geworden. Pataki inszeniert das ganz buchstäblich: als bürokratisch-mechanischen Babelturm. Nach dem Motto: Sprach- und moralische Verwirrung müssen sein, sofern in der Urne die richtige Stimme landet."

Der Inszenierung gelängen durchaus schöne Szenen und Bilder, befindet Wolfgang Bager im Südkurier (14.6.2011). "Aber die brillante, zugespitzte Analyse will halt nicht so recht gelingen. Wie auch, wenn nur Originalton zur Verfügung steht." Was fehlt, sei die kunstvolle Brechung von Realität. "Und so kämpfen sich neun Schauspieler tapfer und mit bewundernswertem Einsatz vom grünen Wald über einen grünen Oberbürgermeister als Sonnenkönig bis in die grüne Staatskanzlei, um sich am Ende die Seinsfrage zu stellen, was sie dort eigentlich sollen." Fazit: "Undiszipliniert und zu lang, wie ein Parteitag der Grünen. Deshalb zeitsparender Beifall eines erschöpften Premierenpublikums."

Anders als etwa Rimini Protokoll arbeiteten Pataki und Hasselberg nicht mit Laien als Authentizitätsgaranten, sondern mit Schauspielern aus Freiburg, betont Claudia Gass in der tageszeitung (14.6.2011). "Das schafft zusammen mit den Mitteln von Abstrahierung und Verfremdung, die das Regieteam verwendet, einerseits eine produktive Distanz zum Geschehen, andererseits eine dichte künstlerische Theatralität, während allzu oft Betroffenheitstheater dabei herauskommt, wenn Laien auf der Bühne stehen." Manchmal übernehme zwar der Klamauk zu sehr das Ruder auf der Bühne. "Über weite Strecken jedoch gelingt mittels des Konzepts von Pataki und Hasselberg, auch dank des famos spielenden Ensembles, ein erhellender und nachdenkenswerter (Rück)blick auf die Geschichte der Grünen, auch wenn der anfangs sehr konzentrierte und dichte Abend gegen Ende zusehends zerfasert."

Der Skeptizimus am Theater Freiburg habe Methode, schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (14.6.2011): "Inzwischen ist aus dem südbadischen Theater eine Art spielende Universität geworden, die mit wissenschaftlich anmutenden Projekten erkundet, was in naher Zukunft Realität sein könnte." Doch Hasselberg und Pataki fanden keine szenische Umsetzung für die Brüche und unterschiedlichen ideologischen, emotionalen und strategischen Gestimmtheiten der Grünen: "Was da in den Proben wohl geschehen sein mag, fragt man sich, und warum der Abend sich so schnell im immer wiederkehrenden Klischee erschöpft, man habe es nun mal mit einer Rasselbande zu tun, die zur Polonaise im Öko-Kindergarten antritt, um beim Stricken und Säugen plötzlich erschreckt festzustellen, wie greifbar nah die Hebel der Macht gerückt sind." Fazit: Das fleißig gesammelte Material schlage mangels Geschichten zurück.

Martin Halter hat seine Beobachtungen in die Frankfurter Allgemeine Zeitung (15.6.2011) gelegt: "Groß" sei der Aufwand für das Projekt gewesen, "der Anspruch repräsentativ". Das "ernüchternde Ergebnis der wissenschaftlichen Fleißarbeit": "Macht korrumpiert Idealisten. Die Grünen sind an ihrem Erfolg zugrunde gegangen." Das gelte auch für ihre Chronisten. Die Geschichte der Grünen werde "in jeder Beziehung erschöpfend nachgestellt". Am Ende sei "die Seminararbeit mit Bestnote abgeschlossen". Wenn zu Beginn "Träumer und Spinner, Nervensägen und Idealisten, K- und Frauengruppen … Geburtswehen und Grabenkämpfe der Pionierzeit in Laokoon-Gruppen, Raufhändeln und unschuldigen Ringelreigentänzen" nachstellten, sei das "hübsch anzusehen und rührend naiv", ein "utopischer Zauber" wohne dem inne. Der Einzug der Grünen in den Bundestag sei "ein bacchantischer Taumel", doch "die Macht" verwandele "einen blühenden Organismus in ein Maschinenwesen, das Aktenordner produziert und Unmengen raschelndes Papier". Nur in Monologen, wenn die "Menschen von ihren Erfahrungen und verlorenen Illusionen im Politikbetrieb erzählen", entwickele der historische Apparat "noch so etwas wie Leben". Das Parteitheater ergreife "insofern ästhetisch und politisch durchaus Partei: für die guten, alten Grünen" gegen die Trittins und Künasts.

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