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Raus in die Stadt – aber wie?

von Sarah Heppekausen

Wuppertal, 22. Juni 2011. Wuppertal, Moers, Hagen, Oberhausen, ganz aktuell Bonn und Bochum – die Liste der bedrohten Theater in Nordrhein-Westfalen ist lang. Die meisten Städte des Landes haben einen Nothaushalt, NRW steckt mitten in der kommunalen Finanzkrise. Dass die nicht notwendig auch eine Theaterkrise bedeuten müsse, darüber sind sich Kulturpolitiker und Kulturschaffende einig. Beim NRW-Theatertreffen kamen jetzt etwa 70 von ihnen bei einer internen Arbeitstagung (Namen werden hier deshalb nicht genannt) zusammen, um über die Zukunft der Bühnenlandschaft zu diskutieren.

Die "Wuppertaler Debatte", veranstaltet vom NRW Kultursekretariat, steht in einer Reihe gemeinsamer Schritte auf holprigem Weg. Vorausgegangen sind die ähnlich organisierte "Düsseldorfer Debatte" im vergangenen Jahr, ein Gutachten zu Kooperationsmöglichkeiten von Stadttheatern im nichtkünstlerischen Bereich sowie die Forderung nach einem Theaterpakt zwischen Landesregierung und Kommunen. Zur Absicherung der Theater hatten Kulturdezernenten und Intendanten 63 Millionen Euro (statt bislang zehn Millionen Euro) Landesmittel verlangt, das wären 20 Prozent der Betriebskosten. Tatsächlich bereitgestellt hat NRW-Kulturministerin Ute Schäfer Anfang des Jahres zusätzliche 4,5 Millionen für die Theater. Nur ein (richtiger) Tropfen auf den heißen Stein – auch darin sind sich alle einig.

Tanzen! Berühren! Funken schlagen!

Diesmal allerdings sollte es nicht ums Sparen gehen, sondern um mögliche Strategien der Theaterpraxis. Zum Beispiel im Hinblick auf den Adressaten: Wie reagiert das Theater auf ein sich wandelndes Publikum, das mit dem demografischen Wandel weniger, älter und bunter, aber auch ärmer und bildungsferner wird? Muss es das überhaupt, reagieren? Nein, meint der Chefdramaturg eines großen NRW-Hauses. "Eine Zielgruppendiskussion ist wenig zielführend." Die theaterkompatible Randgruppe mit Hip Hoppern aus dem Jugendzentrum in den Zuschauerraum zu locken, sei leicht, schaffe aber keine dauerhafte Identität. Seine Strategie folgt also einer anderen Richtung: Raus in die Stadt zur eigenen Verortung und mit neuen Erkenntnissen wieder rauf auf die Bühne. "Wenn sie gut sind, kommt auch das Publikum."

"Wir tanzen einfach mit den Leuten", berichtet der Leiter eines Tanztheaters aus seiner Praxis. Und es hört sich tatsächlich simpel an. Die Laientänzer gehen auch ins Schauspiel und in die Oper, das Publikum hat sich vermehrt und verjüngt. Aber so etwas brauche Zeit. "Berühren" ist sein Zauberwort, und ein Kulturdezernent schließt sich dieser These traditioneller Theaterbeschreibung mit Mut zum Pathos gerne an. Der Funke könne nicht beim Fernsehen oder im Internet überspringen, sondern nur im Theater. "Das ist seine Chance."

Theater als Bildungsanstalt?

Optimistisch zeigt sich auch einer seiner Amtskollegen. "Die Zeit heute ist finanziell schwierig, aber doch unheimlich spannend." Die Gesellschaft sei aufnahmebereit und experimentierfreudiger geworden. Von einer Quote im Theater (wie sie etwa Karin Beier am Beginn ihrer Kölner Intendanz für Künstler mit Migrationshintergrund eingeführt hatte) halte er grundsätzlich nichts, von einzelnen tastenden Bewegungen in theaterferne Gruppen hingegen schon – auch ohne daraus gleich eine großangelegte integrationspädagogische Offensive zu machen. "Wir haben Arbeitsbudgets, die das zulassen". Kreativ werden müssten allerdings die Theater. "Kulturpolitiker können das doch gar nicht denken."

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Die Theater haben sich zur Stadt hin geöffnet, darüber herrscht ebenfalls Konsens. Obwohl nicht klar ist, ob diese Öffnung auch in der Stadt bekannt ist. Aber es gibt sie allerorten, die Projekte mit Experten aus dem Jugend-, Senioren-, Migranten-, Sprayer- oder sonstigem Alltag. Es koste Kraft und Ressourcen, in die Stadt hinauszugehen, meint ein Intendant. "Und es besteht die Gefahr, sich dabei zu verzetteln." Außerdem fehlten die adäquaten Partner, um auch nach einem Projekt angemessen weiter zu diskutieren, bedauert ein Dramaturg. "Die Stadtpolitik ist unterintellektualisiert", sagt einer, der beide Seiten kennt. Er rede viel mit Lehrern. Da ist die Bildungsdebatte nicht fern. Ein Bühnen-Geschäftsführer sieht genau darin die rettende Zukunft: dass das Theater sich auch für Bildung zuständig erklärt. Die jungen Menschen, die unsere Schulen durchlaufen, wandeln sich nicht automatisch in Zuschauer für jenes Stadttheater, das wir derzeit haben. "Wer kein Deutsch spricht, geht auch in kein deutsches Sprechtheater." Das Theater als Bildungsinstitut – dann klappt's vielleicht auch mit der Landeshilfe? Diesen Diskussionsfaden greift allerdings niemand auf. Kein Protest, auch keine Zustimmung.

Wir sind nicht die Themenerfüller der Nation

Hier führt die Diskussion nicht weiter. Kein Protest, auch keine Zustimmung. "Wir sind nicht die saisonalen Themenerfüller der Nation", wirft eine Intendantin dann ein. Von Modewellen – dazu gehört auch die Migrationsdebatte – will sich hier niemand abhängig machen. Legitimationsdruck wird in der Runde moniert, mehr Selbstbewusstsein verlangt. Warum sei Kunst an sich kein Wert mehr? Die einen fordern die Freiheit, die anderen stellen fest, dass von Seiten der Stadtpolitik keine klaren Ansprüche gestellt würden. "Wer Ansprüche stellt, muss auch sagen, wie es bezahlt werden soll", ist die Antwort eines Kulturdezernenten.

Ob sich aus der "Wuppertaler Debatte" gemeinsame Strategien entwickeln lassen, ist noch fraglich. Es sind mehr Zustandsbeschreibungen diskutiert als Pläne geschmiedet worden. Gesprochen wurde über die Identität von Stadttheater, die sich doch eher im Begriff der Marke äußere. Über das Theater zwischen Gemischtwarenladen und Monokultur, zwischen bürgerlichem und Partizipationstheater, zwischen Stadt-Teil und Vatikan-Festung. Die Theaterlandschaft in NRW zeichnet sich durch ihre Vielfalt aus. Wenn die Vertreter der insgesamt 21 Bühnen sich zum Debattieren treffen, zeigt sich das deutlich: Auch wenn sich alle in die Stadt hinein bewegen, geht jedes Haus seinen eigenen Weg. Noch.

 

www.nrw-theatertreffen.de

 

Über die Zukunft des Theaters denkt auch der studierte Ökonom und Festivalmacher Matthias von Hartz nach.

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