24. Juni 2011. So was gibt's ja oft, dass ein Open-Air-Spektakel wegen Unwetter abgebrochen wird. Dass es aber in einer Justizvollzugsanstalt geschieht, wo man plötzlich von blaugewandeten Beamten in eine vergitterte Halle eskortiert wird, hat dann noch mal eine andere Qualität. Sie verstärkt den leichten Grusel, der einen von Anfang an erfasste: metallene Eingangsschleusen, Schließfächer, in denen selbst die Kaugummis hinterlegt werden müssen, Ganzkörpervisitationen, Passfotovergleich mit strengem Blick.

Und dann die Inhaftierten hinter ihren vergitterten Fenstern, trostlose Logenplätze für ein eigenartiges Hof-Theater. Manche schreien Unverständliches, andere hängen in Leidens-, manche in cooler Pose im Rahmen. Immerhin: Die Angeschauten starren zurück. Reiner Voyeurismus, wie menschelnd auch immer, entwickelt sich hier nicht.

Dann treibt der Regen das Publikum in die vergitterte Halle, in mehrfache Sicherheit – vor dem Unwetter, den Inhaftierten, sogar der Außenwelt. Als dann die Schauspieler auftauchen, Applaus- und Jubel-eskortierte Ritter von der traurigen Gestalt ("Don Quichote" wurde gespielt als durchaus beeindruckendes Volkstheater von der Gefängnistruppe aufBruch), steht man plötzlich neben und zwischen ihnen, den gefangenen und zugleich so befreit wirkenden Spielern.

Welche Geschichte mögen sie haben? Unpassend, das jetzt zu fragen, mitten im glückstrahlenden Triumph. Wie etwa Norman Bürger (so sein Pseudonym) im Adrenalinüberschwang grinst! Er war der letzte und überzeugendste in einer Reihe von Don Quichotes, mit seinem jugendlich-feurigen, emotionssatten Monolog vor der Hofgesellschaft brach die Sache ab, zuvor sang er noch berührend Mozarts "Don Giovanni"-Canzonetta. Seine Bühnenerfahrung? Fünf Minuten der Advokat in einem anderen Gefängnistheater. Seine Gesangsausbildung? Als ihn damals eine Lehrerin zur Förderung schicken wollte, stellte sich heraus, dass er ein Jahr zu alt war – was ihn so frustrierte, dass er von da an keine Note mehr sang. Sein Text-Lern-Geheimnis? Ein paar Mal lesen, dann sind die Worte im Kopf (beneidenswert!).

Und seine größte Herausforderung? Nicht zu lachen in der Beerdigungsszene. Selbst in der Generalprobe konnte er nicht ernst bleiben, wie er erzählt, für die Premiere hatte er es sich fest vorgenommen. Ausgerechnet diese Schluss-Szene fiel nun ins Wasser. Und bei "Kain und Abel", dem nächsten Projekt, will er unbedingt wieder mitmachen.

Da ist die Zeit schon um: Viertel nach Acht müssen alle Gäste die JVA Tegel verlassen, die Premierenparty endet abrupt wie eine Geisterstunde. Und trotz aller Lebendigkeit, der geballten Fröhlichkeit und Aufgekratztheit der letzten Stunden fühlt es sich ziemlich gut an, seinen Perso wieder in Händen zu halten, in Freiheit zu sein.

(geka)