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Schönen Dank auch für den Krieg

von André Mumot

Hannover, 25. Juni 2011. Es gibt eine Wirklichkeit, die diesen Abend inspiriert hat, und die kann es nicht auf die Bühne schaffen. Es wäre auch nicht auszuhalten. "Sometimes reality is too much", sagt Sarah Eisa in die aufgestellten Mikrofone und lächelt. Im Abendkleid steht sie auf einem roten Teppich und vergibt mit ihrer Kollegin Julia Clever, die ebenso breit lächelt, kleine Oscar-Statuetten. Den "award für best victim" an Ahmed Khaled. Und den "award for best fear" an Duraid Abbas.

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© Dhyaa Khaled

Die Szenen, in denen er zu sehen ist und die auf der Hintergrund-Leinwand ablaufen, stammen aus dem Hollywood-Film Battle for Haditha von 2007. Wummernd in den Magen fahrende Helden-Musik, pulsierende Trailer-Schnitte, US-Soldaten, Iraker, Frauen, Kinder, Bomben, Einschläge, Putz, der von der Decke kommt. Dann: Duraid Abbas, der noch einmal seine Frau küsst, entsetzt durchs Bild und durch ein Fadenkreuz läuft, schließlich erschossen wird. Es ist aufregend, das zu sehen. Und schrecklich.

Best-Shock-Award

So können wir den Irak-Krieg begreifen, so sind wir das gewohnt: Als Erzählung, die unser Adrenalin in Wallung bringt und uns abstandslos zur Erschütterung zwingt. Aber Duraid Abbas hat den Krieg nicht nur als Kleindarsteller in einem Action-Film erlebt, sondern in jener schwer zu fassenden Wirklichkeit. Er erzählt mit einem ernsten Lächeln davon, wie bei seiner Geburt die iranischen Bomben einschlugen und sich mit den Wehen seiner Mutter abwechselten. Davon, wie er sich später den Krieg nur als etwas ganz Natürliches vorstellen konnte. Bis er dann irgendwann begreifen konnte, dass es in anderen Ländern eine andere Realität gibt. Frieden. Ein exotisches Wort. Dann geht er ab. Es gibt schließlich noch einen Award zu verleihen. Für den "best shock".

Erst am Schluss des Abends findet diese Preisverleihung statt, und erst hier wird klar, worum es dem belgisch-irakischen Theater "Monty" tatsächlich geht. Regisseur Mokhallad Rasem erkundet den tiefen Graben zwischen Erfahrung und Erfahrungsbericht, zwischen erlebtem Krieg und erzähltem Krieg, und seine ausschweifende Versuchsanordnung der Performance- und Erinnerungsbruchstücke handelt ebenso von seinem Land wie von unseren verständnislosen Blicken.

Auf jede Stille folgt ein Knall

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© Kristien Verhoeyen

Letztere tauchen dann auch auf den Gesichtern der deutsch-flämischen Schauspielerinnen Julia Clever und Sarah Eisa auf, die dem Publikum moderierend die drei Original-Iraker vorstellen. Duraid Abbas, Ahmed Khaled und Mokhallad Rasem selbst rollen drei Perserteppiche aus, auf denen sie, zusammen mit den Europäerinnen, zuerst den Tag vor dem Kriegsbeginn, dann die Zeit nach dem Krieg und schließlich den Krieg selbst in gleichnishafte Aktionen übersetzen: Ein letztes Familienessen, bei dem die Frauen bereits klagend lamentieren und die Männer jähzornig werden. Dann eine schleichende Pantomime mit Greisenkopfmasken – übervorsichtige Gesten einer Welt unter Besatzung, in der niemandem mehr zu trauen ist. Schließlich eine Waschung des zitternden, asthmatisch hustenden Ahmed Khaleds, während im Hintergrund Shishas geraucht werden. Zwischendurch wird unter anderem von Europa aus für den Frieden demonstriert, ein Ausschnitt aus Disneys "Aladdin"-Film gezeigt und der Sturz der Saddam-Hussein-Staute mit einer Kunstaktion Salvador Dalís gegengeschnitten.

Was sich als roter Faden durch diesen Ablauf zieht, ist eine alarmierte Dauergespanntheit, bei der jede entspannte Massage, jedes heiter-ironische Intermezzo in hochfahrende Aggression umschlägt. Auf jede Stille folgt garantiert ein ohrenbetäubender Knall.

Kunst als Überlebensnotwendigkeit

Die Gruppe, deren Aufführung vom hannoverschen Theaterformen-Publikum schließlich mit frenetischen Standing Ovations gefeiert wird, schöpft also unentwegt aus dem Vollen – und es lässt sich nicht leugnen, dass es mitunter sehr anstrengend ist, ihr dabei 100 Minuten lang zu folgen. Faszinierend ist vor allem das Paradoxon, das sich dabei auftut: Auch der theatrale Gegenentwurf zur pseudo-authentischen Hollywood-Verarbeitung will und muss das Undarstellbare zur Erzählung machen, zum schadlos konsumierbaren Bericht.

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Mokhallad Rasem und seine schwer beeindruckenden Darsteller, die, wie er, zum Teil Verwandte und Freunde im Irak-Krieg verloren haben, verwandeln traumatische Realität in ein vor kreativer Energie überquellendes Kunstprodukt, in eine befreiend expressive Aufarbeitung. Kein Schweigen, keine Resignation, lieber Spiel. Die Realität wäre zu viel, die Kunst aber, mag sie auch frivol sein, ist Überlebensnotwendigkeit. Und sie sorgt – was für ein hübscher Bonus – für die entsprechende Betroffenheit und Begeisterung bei den Zuschauern, die aus ihrem eigenen Friedens-Leben heraus all das so lässig konsumieren. Diese Ambivalenz wird nicht vertuscht, das ist das Großartige an den "Irakischen Geistern", sie wird zur eigentlichen Konfrontation: "Without the war I could not make you applaud in the end", sagt Duraid Abbas und fordert das Publikum lächelnd auf: "While you are applauding, don't forget to say: thanks to the war."

 

Irakese Geesten / Irakische Geister
von Monty, Jamaa El Irakya
Regie: Mokhallad Rasem.
Mit: Duraid Abbas, Julia Clever, Sarah Eisa, Ahmed Khaled, Mokhallad Rasem.

www.theaterformen.de


 

Mehr zum Festival Theaterformen? nachtkritik.de besprach von der diesjährigen Edition bereits die postkoloniale Mythenbefragung Orfeus von Brett Bailey und Philippe Quesnes staunenswertes Pièce pour la Technique du Schauspiel Hanovre. Außerdem entdeckten wir das Ship o' Fools von Janet Cardiff und George Bures Miller.


Kritikenrundschau

Angesichts der Dokumentaraufnahmen vom Krieg gegen Ende dieser Inszenierung sehe "die Fiktion doch ziemlich blass" aus, findet Michael Stoeber in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (27.6.2011). Gleichwohl zeigt sich der Kritiker von "Slapstick und Akrobatik, Intelligenz und Einfallsreichtum" von Regisseur Rasem und seinen "vier exzellenten Mitspielern" überzeugt. Indem er "Lachen unter Tränen" ermögliche, biete der Abend "die beste Therapie, um wieder in die Normalität zu finden".



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