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Mit Energie und Schlafbrille

von Dina Netz

Köln, 28. Juni 2011. Wir haben kennengelernt: einen Häftling aus dem Kongo, der im Suff einen Pariser Polizisten tot geprügelt hat. Eine senegalesische Putzfrau, die über ihr Leben nachdenkt. Den Direktor eines Museums der eigenartigen Künste. Eine Witwe, die die politischen Verhältnisse in Burkina Faso kritisiert. Einen sterbenden haitianischen Hermaphroditen. Zwei philosophierende Häftlinge aus Burkina. Eine Frau, die Menschenströme in der ganzen Welt vergleicht.

Politisches Theater, komödiantisch verabreicht

Das engagierte freie Kölner "Theater im Bauturm" (sonst eher für eine Mischung aus ambitioniertem Schauspiel und solidem Unterhaltungsprogramm bekannt) hat sich zum Ende der Spielzeit noch einen besonderen Kraftakt geleistet: Sieben Produktionen aus Westafrika hat es nach Köln eingeladen, zum ersten Festival "africologne", in Zusammenarbeit mit dem Festival "Récréâtrales" in Burkina Faso, mit dem auch eine dauerhafte Kooperation geplant ist. Zwei davon hatten Europa-Premiere, vier weitere Deutschland-Premiere – Theater, das man sonst nicht so leicht zu sehen bekommt. Die präsentierten Produktionen sind fast alle stark auf die Sprache konzentrierte Ein-Personen-Stücke; das hat finanzielle Gründe, wie Gerhardt Haag erklärt, Leiter des Theaters im Bauturm und Initiator von africologne. Er sieht außerdem als Gemeinsamkeit "eine starke politische Stellungnahme, aber mit komödiantischen Mitteln umgesetzt".

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Le Musée Bombana  © Nicholas Meisel

Brille, Schuhe, ambulante Dusche

Die komischste Produktion war "Le Musée Bombana de Kokologo" von Pascale Rome mit Athanase Kabré in der Rolle des Direktor eines Museums, das sehr eigentümliche Gegenstände ausstellt – zum Beispiel die Schlafbrille, die Nachtwächter sich aufsetzen können, wenn sie ihren Tagjob antreten: Hinter den auf die Brille aufgeklebten Augäpfeln sieht man nicht, wenn ihnen vor Müdigkeit die Augen zufallen. Oder die "chaussures graniformes", Schuhe mit aufgeklebten Maiskörnern, mit denen die Besitzerin eines Hühnerhofs nicht nur ihre eigenen Schenkel, sondern vor allem die ihrer Hühnchen trainiert. Die Zuschauer sitzen im Zelt aus bunten Tüchern auf dem Boden, während der Museumsdirektor die am Rand präsentierten Objekte erklärt. Gelegentlich muss das Publikum auch mitspielen, zum Beispiel um bei der Demonstration der ambulanten Dusche behilflich zu sein. Die liebevoll gestalteten, völlig absurden Museumsobjekte zeigen vor allem, wie entspannt sich dieser Schauspieler aus Burkina Faso über seine Tradition und über den europäischen Blick darauf lustig machen kann – ohne sie dabei zu verraten.

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Edoxi L. Gnoula in Ziitba. © Nicholas Meisel

Kröte, Heuschrecke und Minirock

Das Stück "Ziitba ou la Situation" das jungen Burkinabé Sidiki Yougbaré nimmt deutlicher politisch Stellung: Er lässt eine Kröte und eine Heuschrecke als Parlamentarier anhand der Frage des Einführung des Minirocks die Condition Humaine diskutieren – eine skeptische Politparabel, aufgeführt als Theaterkonzert mit drei Musikern an Schlagzeug, Bass und E-Gitarre, zu deren Rhythmen sich die Schauspielerin Edoxi L. Gnoula bewegt und spricht. Übrigens das einzige Stück, das zum Teil in Burkina Fasos Landessprache Mòoré aufgeführt wurde. Denn natürlich, so Gerhardt Haag, sind "die Produktionen auch gemacht, um damit zu reisen, in Europa gezeigt zu werden". Ohnehin sei die Theaterszene im frankophonen Afrika sehr stark geprägt vom französischen Theater, aber in den letzten Jahren "beginnt das aufzubrechen".

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Musikalisch, humorvoll, politisch, wahnsinnig gut gespielt – die bei africologne gezeigten Produktionen können es ästhetisch und inhaltlich mit jedem deutschen Theaterstück aufnehmen. Was den Unterschied zu europäischem Theater ausmacht, ist für alle offensichtlich, aber auszusprechen wagt es nur der französische Regisseur Christophe Merle, dessen Gruppe "Les Voix du Caméléon" mit zwei Aufführungen vertreten ist und der keine Angst vor der Klischeefalle hat: "Die afrikanischen Schauspieler haben viel mehr Energie, die ich kanalisieren muss."

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Diariétou Keïta in Fatma. © Nicholas Meisel

Arbeit im Ministerium

Seine eigene Produktion "Fatma" nach einem Roman des algerischen Autors M'Hamed Benguettaf ist das beste Beispiel dafür: Die senegalesische Schauspielerin Diariétou Keïta spielt eine Putzfrau wider Willen, die lieber studiert hätte, aber nach dem Tod der Eltern ihre Geschwister durchbringen musste. Jetzt arbeitet sie "im Ministerium", wie sie selbstironisch sagt, aber ihre Brüder laden sie nicht zu ihren Hochzeiten ein, weil sie sich für die Putzfrau in der Familie schämen. Diariétou Keïta spricht in ihrem hinreißenden einstündigen Monolog alle anderen Rollen mit (Hausmeister, Polizist, Nachbarin), wechselt von Verzweiflung zu beißendem Spott und prangert so bewegend wie komisch die Scheinheiligkeit der Männer an, die ihre Töchter vergöttern, bis diese in die Pubertät kommen und die Väter die "Zeitbomben" bloß noch an einen anderen Mann loswerden wollen.

Dass die Kunst oft schon weiter ist als der politische Diskurs, das zeigte die Diskussion zum Thema "Entwicklung heißt sich entwickeln". Über den Begriff "Entwicklung" wurde heftig gestritten, zum Beispiel von Wilfried N'Sondé, dem in Berlin lebenden Autor des Romans "Das Herz der Leopardenkinder", der in Köln als Theateradaption zu sehen war. N'Sondé findet den Begriff "Entwicklung" "verdächtig und gefährlich", weil er immer impliziere, dass einer unterentwickelt sei und sich zum anderen hin entwickeln müsse. Vor allem gegen "Entwicklung" als Begriff, der automatisch an Ökonomie geknüpft ist, wehrten sich die Diskutanten aus der Kultur. Roger Peltzer von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, der seit langem in Afrika arbeitet, widersprach, weil seinen Erfahrungen nach "80 bis 90 Prozent der Afrikaner einen westlichen Entwicklungsbegriff haben". Westlicher Entwicklungsbegriff, das heißt: fließendes Wasser, Strom, Fernsehen und Internet – Wohlstand eben.

Am Schluss dieser Diskussion stand die Erkenntnis: Theaterleute untereinander verstehen sich auf der ganzen Welt. Eine gemeinsame Sprache gilt es eher bei der Verständigung mit anderen gesellschaftlichen Bereichen zu finden. Nicht nur in Burkina Faso.

 

Le Musée Bombana de Kokologo
von Pascal Rome
Inszenierung/Bühne: Pascale Rome, Licht/Ton: Luis Maestro, Ausstattung: Luis Maestro, Boa Passajou, Malereien: Semou Konaté, Objekte: Romain Ilboudo, Athanase Kabré, Luis Maestro, Evarist Nabolé, Agnès Pelletier, Pascal Rome.
Mit: Athanase Kabré.
Eine Produktion des Office des Phabricants d’Univers Singuliers (O.P.U.S) mit der Compagnie du Fil.

Ziitba ou La Situation - Ziitba oder Die Situation
von Sidiki Yougbaré
Regie: Sidiki Yougbaré.
Mit: Edoxi L. Gnoula und den Musikern Sébastien Belem, Paul Koussoube, Abdoulaye Zon.
Eine Produktion der Compagnien Kala-kala und Désir Collectif mit Unterstützung der Cie. Falinga.

Fatma
von M'Hamed Benguettaf
Inszenierung: Christophe Merle, Licht/Ton: Fernando Lopes-Fadigas.
Mit: Diariétou Keïta.
Eine Produktion von Les Voix du Caméléon.

www.theater-im-bauturm.de

 


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