Ich bin überzeugt, es wird Unruhen geben

5. Juli 2011. Intellektuellen und Künstlern schlage in den Niederlanden im Augenblick regelrechter Hass entgegen, sagt Johan Simons in einem Interview mit Jenny Hoch auf Welt-Online. "Es herrscht ein Klima, in dem man besser nicht sagt, dass man Künstler ist oder über 100 Bücher gelesen hat. Dass ein Wilders über den Protestmarsch gegen die Kürzungen sagen kann, daran sähe man doch, dass Künstler nichtsnutzig seien, weil sie ja sonst gar keine Zeit zum Demonstrieren hätten, das ist sehr bedenklich." Der Rechtspopulist Geert Wilders hatte kürzlich die Kultur darüber hinaus als "linkes Hobby" bezeichnet.

Eine Umfrage habe ergeben, dass nur 30 Prozent der Holländer Kultur für unterstützenswert hielten, so Simons weiter. Doch sei bereits falsch, nach dem Unterstützungswillen der Bevölkerung für die Kultur überhaupt zu fragen. "Ich nenne das populistische Demokratie. Wenn ich einen Politiker wähle, gehe ich davon aus, dass er utopisch denkt. Dass er auch Dinge tut, die dem Wähler nicht auf den ersten Blick gefallen."

"Muss wirklich gespart werden?" fragt Simons auch. "Das glaube ich nicht, der Gesellschaft geht es doch gut. Es ist genug Geld da, um den Banken zu helfen. Die Ökonomie hat die höchste Priorität, aber daran wird das Glück der Menschheit doch nicht allein gemessen." Allerdings hält Simons im Augenblick die Sache erst mal für gelaufen: "Die Kürzungen werden kommen. Aber ich bin überzeugt davon, dass es in den nächsten zwei, drei Jahren große soziale Unruhen geben wird. Denn es wird ja an allen Ecken und Enden gekürzt, in der Bildung, der Entwicklungshilfe."

Besonders aufmerksam liest man Simons' Warnung, dem niederländischen Beispiel zu folgen, und Hoch- und Nischenkultur zu stark miteinander zu verknüpfen, wie das in den letzten zwanzig Jahren in Holland geschehen sei. Gilt doch auch hierzulande inzwischen diese Vermischung von Hoch- und Nischenkultur zunehmend als Rezept zur Rettung von Institutionen der Hochkultur, wie z.B. der Stadt- und Staatstheater.

Simons aber hält die Trennung zwischen Hoch- und Nischenkultur für äußerst wichtig, und empfiehlt den Deutschen, das auch bitte so beizubehalten: "Wenn es diese Abgrenzung nicht mehr gibt, hat der Populismus leichtes Spiel, man macht sich damit angreifbarer. Nehmen wir zum Beispiel André Rieu. Unser Kulturminister sagt: Schaut euch diesen Geiger an, der braucht überhaupt keine Subventionen. Aber sollen wir ihn vielleicht fragen, ob er mit seinem Orchester Strawinsky oder Messiaen spielt?"

(sle)

 

Zur gegenwärtigen Debatte um die möglicherweise produktive Vermischung von Hoch- und Nischenkultur siehe u.a. den Text von Matthias von Hartz über die Krise des Stadttheaters und die Impulse, die dieses aus der freien Szene erhält.

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