Apathisches Liebesspiel

von Sarah Heppekausen

NRW, 10. Juli 2011. "We love you!", ruft Markus Öhrn noch schnell ins Mikro. Der bildende Künstler hat gerade für seine erste Regiearbeit mit den Theatergruppen Institutet aus Schweden und Nya Rampen aus Finnland den Impulse-Preis gewonnen. Dieser Satz fällt nicht selten bei Preisverleihungen, in diesem Fall aber hat er einen besonderen Beigeschmack.

Noch ein paar Stunden vorher haben Institutet und Nya Rampen in der Düsseldorfer Kunsthalle mit "Conte d'Amour" ihre Geschichte von der Liebe erzählt. Von einer Liebe, die aus Abhängigkeit entsteht, die einem unangenehm auf die Pelle rückt, die mehr stöhnt als haucht. Im Obergeschoss sitzt ein Mann im Bademantel auf einem Sofa, streichelt lebensgroße Puppen, füttert sie mit Chips und Cola, fingert an ihnen herum. Bis er durch einen Schrank und über eine Leiter in den Keller verschwindet. Den hat Markus Öhrn, der nicht nur Regie geführt, sondern auch die Bühne entworfen hat, mit einer weißen Plastikplane abgehängt. Alles, was dort unten geschieht, werfen nun zwei Videokameras als Distanz wahrendes Bild an die Wand.

Beklemmend, brutal, störend

Es ist die Geschichte von Joseph Fritzl, der seine Tochter jahrelang im Keller einsperrte und mit ihr Kinder zeugte, der hier auf eigentümliche, video-theatrale Weise der Versuch einer Erklärung des Wesen Mensch abgerungen wird. Nicht moralisierend, nicht narrativ. In unangenehmen Momentaufnahmen vollzieht sich zäh die Destruktion des Humanen im apathischen Liebesspiel. Oder im Spiel mit der Liebe und um Liebe, vor der Kamera und als rein körperliches Ereignis. "Welcome, Daddy", "I love you, Daddy" begrüßen seine Tochter und ihre beiden gemeinsamen Söhne den Mann im Keller, der Fast Food, afrikanische Rasselinstrumente und perverse, manchmal erschreckend naive Triebe mitbringt.

contedamourfotorobinjunicke"Conte d'Amour" © Robin JunickeKnapp drei Stunden lang belasten die vier Darsteller – es sind alles Männer – das Konstrukt der Familie, besingen das Ende der Liebe, agieren als dahindämmernde Körper, die plötzlich Sätze über Eros und Thanatos oder das Inzest-Verbot von sich geben. Täter und Opfer tauschen auch die Positionen. Das ist beklemmend, brutal, störend. Und preiswürdig. Als "bedrückendes und intensives Epos", wie es in der Jurybegründung heißt, ist "Conte d’Amour" also eingeladen zum Berliner Theatertreffen, zu den Wiener Festwochen und zum polnischen Festival Krakowskie Reminiscencje Teatralne.

Doppel-Ticket ins Ausland

Mit Institute und Nya Rampen wurde eine der internationalen Koproduktionen im Wettbewerb ausgezeichnet. Internationalisierung ist für die künstlerischen Leiter Tom Stromberg und Matthias von Hartz ein Trendthema der freien Szene, seit ihrem ersten Festival 2007 haben sie die also auch stetig vorangetrieben. Etwa 50 Kuratoren aus der ganzen Welt saßen in diesem Jahr mit in den Marathonbussen, die zwischen Bochum und Düsseldorf, Köln und Mülheim tourten. Mit Erfolg für beide Seiten: Die ersten Verhandlungen über Gastspiele im Ausland laufen, wie Stromberg und von Hartz bei der Preisverleihung zufrieden verkünden.

impulsepreisverleihungfotorobinjunickePreisverleihung bei Impulse
© Robin Junickebinjunicke

Passenderweise hat sich auch das Goethe-Institut entschieden, seinen Preis – eine Gastspielreise im Ausland – gleich doppelt zu vergeben. An die Cowboys von "The Host", die nach der Choreografie von und mit Andros Zins-Browne gegen Luftkissen antanzen, um die Würde des Mannes zu wahren. Und an "einen der berührendsten Theaterabende der letzten Jahre", wie es in der Begründung für den Preis an das erfolgreiche Generationenprojekt Testament von She She Pop heißt. Ein Vater hätte im Alter immer reisen wollen, verrät eine der Performerinnen in ihrer Dankesrede. "Wir freuen uns sehr, dass das jetzt mit dem Goethe-Institut klappt." Na, bitte.

"Ich liebe dich" – eine Drohung?

Den Dietmar-N.-Schmidt-Preis und damit 1500 Euro bekam die Wiener Künstlerin Anna Mendelssohn für ihren Diskurssampler "Cry Me A River". Die Soloperformance ist reduziert und überlegt. Party-Produktionen wie God’s Entertainments "Trans-Europa-Bollywood" oder die sinnentleerte Krachnummer von HGichT. gingen dagegen leer aus. Und das ist auch gut. Nichts gegen das Feiern, aber Theater kann eben auch mehr als den Gute-Laune-Faktor zu erhöhen. Das zeigen die zu Recht ausgezeichneten Arbeiten.

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"We love you" hat Markus Öhrn gesagt. "Ich liebe Dich" stand als Motto über den Impulsen 2011. Ernst gemeint? Eine Herausforderung? Eine Drohung? Wer ist "ich" und wer "dich"? Keine Ahnung. Aber Herzlichkeit von Seiten des Impulse-Teams gab's reichlich, vor allem bei den Marathons und auch zum Dauerlutschen.

Es waren die letzten Impulse unter Stromberg und von Hartz. Sie haben beherzt gekämpft für eine bessere Bühnenwelt und dem Festival zu größerer, internationaler Bedeutung verholfen. Ihre Nachfolger stehen noch nicht fest.

 

Conte d’Amour
von Institutet und Nya Rampen
Text: Anders Carlsson, Regie/ Bühne/ Video/ Photo: Markus Öhrn, Kostüm: Pia Aleborg.
Mit: Jakob Öhrmann, Elmer Bäck, Rasmus Slätis, Anders Carlsson.

www.festivalimpulse.de

 

Mehr zum Festival Impulse 2011? Hier finden Sie eine Liste der eingeladenen Produktionen, Sarah Heppekausen begab sich zudem auf den 1. Wochenend-Marathon.

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