Deutschland in seiner Arschigkeit

Berlin, 27. Oktober 2007. Frank Castorf ist wieder da (falls er je weg war). In einem großen Interview mit Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (27.10.) gibt er sich angriffslustig wie eh und je. Von einer Krise an der Volksbühne will er nichts – oder nicht viel – wissen; die Stimmung am Haus sei gut: "Da singen Leute, die dafür nichts kriegen. Die sind auf der Bühne, und die sind fröhlich".

Eher würde Castorf eine Krise in unserer Gesellschaft der Mittelschichten diagnostizieren. Theater insgesamt habe den politischen Standort verloren: "Wer sagt denn noch, lass uns doch Deutschland in seiner Arschigkeit mal extrem angreifen mit den Mitteln des Theaters. Das wäre ein Akt."

Die Kritiker, die ja mit ihm, Castorf, auch gealtert seien, erwarteten immer etwas Neues, da könne er nur noch zur Geschlechtsumwandlung als letztem Mittel greifen: "Da wird man sagen, gut, aber das war ja auch das Mindeste, was man verlangen konnte." Er werde auch in Zukunft nicht von seinem "forcierten Eklektizismus" lassen, eine Klarheit und Reinheit des Stils könne und wolle er nicht.

Und Castorf verteidigt Peter Stein, der zwar "vom Wesen ein deutscher Wehrmachtshauptmann" sei, aber wenigstens "mit so einem Zehn-Stunden-Wallenstein eine Gegenposition" formuliere. In Deutschland werde man ja schon disqualifiziert, wenn man "höher als 2,30 Meter springe und nicht nur die … erlaubten 1,95". Castorf will also – wie Stein – hoch hinaus: Wir nehmen's dankend zur Kenntnis und hoffen mit ihm, dass er beim nächsten Versuch über 2,30 Meter die Latte nicht reißt. Bis dahin aber legen wir uns sauertöpfisch mäkelnd in unseren arschigen Mittelschichts-Lehnstuhl zurück. (wb)

 

mehr meldungen