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Goethe is a DJ

von Andreas Schnell

Wilhelmshaven, 13. August 2011. Regisseur Jan Steinbach erinnerte sich in einem Interview vorab, er habe Goethes "Iphigenie" zu Schulzeiten langweilig und naiv gefunden. Und erst später die spannenden Seiten des Stücks entdeckt. Wollte man gemein sein, könnte man sagen, dass oft der erste Eindruck stimmt.

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"Iphigenie auf Tauris" in Wilhelmshaven.
© Michael Hörnschemeyer

Ermunterung zum aufrechten Gang

Irgendwie ist das, mit Verlaub, nämlich schon ein ziemlich blödes Stück. Die Geschichte ist hanebüchen, das "verteufelt" Humane, das Goethe darin entdeckt haben wollte, darf man gewiss mit viel Wohlwollen als komplex bezeichnen, ist aber im Grunde nicht viel mehr als eine Feier in der Tat naiver und langweiliger, reichlich überhöhter Ideale. Was daran aktuell wie zeitlos wäre, nämlich die Ermunterung zum aufrechten Gang, dem eigenen Herzen folgend, wird auch dadurch nicht ansprechender, dass das Gelingen dieser oppositionellen Haltung hier auch noch vom Herrscher sanktioniert werden muss. Nichts ist zwingend, eigentlich alles die reine Behauptung, was über die Vorlage des Euripides hinausgeht.

Die Götter an den Turntables

Jan Steinbach setzt das auf der Studiobühne in Wilhelmshaven in einem kunstvollen minimalistischen Bild in Szene, ein Halbrund, von Lichtreihen eingerahmt, ein Dielenboden, auf dem einzelne Bretter herumliegen, die später auch als Schwerter dienen, ein paar Lautsprecherwürfel, von denen einer eine Schale Wasser trägt – Zentrum des Tempels der Diana, in dem Iphigenie wirkt. Hinten sehen wir Säulensockel im Halbkreis, darauf Plattenspieler, von denen Musik und Geräusche ertönen, bedient vom Ensemble, soweit es nicht vorn, im Licht agiert. Ein Bild also, das wohl im Vordergrund die Welt der Menschen zeigt, denen Welt und Ratschluss der Götter, hinten im Dunkeln, verborgen bleiben.

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Dass Steinbach das DJ-Konzept reizte, lässt sich aus einer Reihe von Satzschleifen lesen, in die die Figuren immer wieder verfallen. Allerdings wäre dann noch zu klären, welche Funktion das für die Geschichte haben sollte.

Klassisch, aber nicht zeitlos

Was dem Regisseur jedenfalls ganz offensichtlich wichtig war, ist die Melodik der Sprache. Das kleine Ensemble bewältigt den Text weitestgehend tadellos und füllt die Figuren, die von Goethe ja weniger als Charaktere denn als Verkörperung von Ideen gedacht sind, mit Leben. Anna Rausch als Iphigenie macht neben Cino Djavid als ihr Bruder Orest ihre Sache am besten und zeigt die Zerrissenheit ihrer Rolle zwischen Pflicht und Neigung mit verzweifeltem Ernst und tiefer Emotionalität. Djavid zeichnet den von Furien gehetzten Orest und seine Heilung mit geradezu beängstigender Intensität. Sein Orest ist kein Held, sondern eine zutiefst verletzte Seele, die mehr als seine Schwester unter der düsteren Familienvergangenheit samt Muttermord leidet.

Aom Flury als Pylades und Sebastian Moske, der den Boten Arkas mit subtilem Humor spielt, können auch überzeugen, Johannes Simons als Thoas lässt leider gelegentlich im Eifer des Gefechts die Worte unter die Räder kommen, spielt den Barbarenkönig, der am Ende Iphigenie, Orest und Pylades gnädig freilässt aber mit überzeugender Zerrissenheit.

Mit Iphigenies Heimkehr ist auch die Routine des Ritus im Tempel der Diana gebrochen. Arkas versucht sich zwar die Priesterinnenkluft anzulegen und Iphigenies Ritual nachzuahmen, scheitert aber. Soviel rudimentäre Religionskritik mutet heute nicht mehr sonderlich befreiend, sondern leicht angestaubt an.


Iphigenie auf Tauris
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Jan Steinbach, Bühne und Kostüme: Matthias Nebel, Dramaturgie: Peter Hilton Fliegel.
Mit: Johannes Simons, Anna Rausch, Cino Djavid, Aom Flury, Sebastian Moske.

www.landesbuehne-nord.de


Regisseur Jan Steinbach war 2010 mit seiner Goethe-Inszenierung "Stella" für den Theaterpreis Faust nominiert. Goethes Iphigenie auf Tauris sah nachtkritik.de zuletzt bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen (von und mit Edgar Selge) und in Oberhausen (Regie: Sarantos Zervoulakos).

 

Kritikenrundschau

Jan Steinbach habe "Iphigenie auf Tauris" "in einer kompakten, dichten Aufführung zeitgemäß und eindrucksvoll" auf die Bühne gebracht, meint Martin Wein in der Wilhelmshavener Zeitung (15.8.2011). Zwar erlaube sich der Regisseur "bei der Verpackung einige Verspieltheiten", ansonsten aber setze er "fast ausschließlich auf die Kraft der Worte und führt das Drama damit an seine griechischen Ursprünge als Gottesdienst mit langen dramatischen Monologen zurück. In offensichtlich sehr bedachter Textarbeit mit dem Ensemble gelingt es dem jungen Regisseur, die gebundenen Verse lebendig werden zu lassen und ihren Facettenreichtum herauszustellen, ohne darin nach speziellen Deutungen zu suchen." Jan Steinbach könne sich "bei seiner Arbeit auf ein hervorragendes Ensemble verlassen, dessen Konzentration man nicht ausgiebig genug loben kann. Vor allem die junge Anna Rausch debütiert in der Titelrolle brillant."

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