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Und plötzlich allein mit der barbusigen Dame

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 16. August 2011. Denkbar größtes Misstrauen ist angesagt, wenn der Beelzebub mit leuchtend roten Hörndln höchstpersönlich gleich neben dem Gartentor kauert und dem überschaubaren Zuschauergrüppchen einen Drink anbietet. Da werden auch schon die ersten aufgefordert, an der Tür zum "Ehemaligen Haus" zu läuten. Eine Erinnye mit wallend rotbraunem Haar vor dem aschfahl geschminkten Gesicht öffnet, wird für jede der vier Vierergruppen Führerin sein für die nächsten zwei Stunden vierzig.

Das ist beinah ein Klacks für eine Signa-Performance. Das dänisch/schwedisch/österreichische Künstlerkollektiv um Signa und Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson denkt und handelt bekanntlich gerne in Mehrtages-, gar Wochenzyklen. Aber im "Ehemaligen Haus" – es steht in einer Ungegend der Festspielstadt Salzburg im Ortsteil Maxglan, gleich hinter dem städtischen Abfallwirtschaftshof – wäre an Übernachtung nicht zu denken. Alle Zimmer sind extrem eng und die Betten schon belegt mit Untoten. Hat man sich hingesetzt oder sonstwie unkommod eingerichtet in der staubigen Wohn-Konfektionsware der fünfziger und sechziger Jahre, nimmt die Erinnye ihnen die weißen Totenmasken ab.

Pokerface und Wegschauen

Die Real-Gespenster werden lebendig, stellen sich vor, fragen die Zuschauer nach ihren Namen. Erzählen, wer sie sind und was sie so treiben – und das macht Haarsträuben. Wally ist (theoretisch) die Hausherrin, aber siech. Krankenbett, Geriatriewindeln und Leibstuhl im Wohnzimmer. "Chef" im Haus ist ihr Sohn, ein in die Jahre gekommener Strizzi mit aufdringlichem Wiener Dialekt. Nachtclubbesitzer, wie er erzählt, und wie sich herausstellt: einer, der mit Ost-Frauen handelt. Die jungen Mädels vegetieren im Keller. Werden gefügig gemacht, zum Beispiel von Carlo und Rocco, den Chauffeuren. Sogar die schwachsinnigen Brüder Anton und Albert, die auch als Erwachsene noch im Kinderzimmer hausen, bekommen gelegentlich ein Bunny aus dem Keller geliefert. Zum Streicheln.

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"Das ehemalige Haus". © Arthur Koestler

Schon baubedingt ist man hier näher dran als in anderen Signa-Produktionen. Und in jedem Zimmer wird man involviert ins Grauen, wird Augenzeuge von Züchtigung und Vergewaltigung, von körperlichen Attacken. Da wird man beiseite genommen von den Peinigern und aufgefordert, sich "eine auszusuchen", landet mit einem barbusigen Geschöpf plötzlich allein im Badezimmer. Wie reagiert der gewandte Mann von Welt auf ein solch unerwartetes theatrales Angebot? Da hilft wohl nur: so wenig mitspielen wie möglich, Pokerface aufsetzen, wegschauen. Vielleicht finden sich im Lauf der nächsten Aufführungen (bis 25. August) auch engagierte Leute, die mutig Partei ergreifen, intervenieren. Die Signa-Leute werden ihre Pläne haben, was dann passiert. Hoffentlich dreht keiner der Zuschauer durch, in den modrig-stickigen Räumen, in der sich beängstigend verdichtenden Enge.

Vor der aufgedeckten Leichengrube

Theater ist und bleibt es trotzdem, auch wenn man angesichts der intensiven Aktion annehmen darf, dass mancher blauer Fleck der "Damen" nicht Schminke ist. Wenn so heftig durchgespielt wird bis 25. August, werden die bemitleidenswerten Bunnys mit ihren rosa Lederdressen und Kaninchenohren noch malträtierter aussehen als am Premieren-Nachmittag.

Die Performance endet vor dem Haus, an einer aufgedeckten Leichengrube. Alles ist übersät mit Gewandteilen, Körpern und Gliedmaßen. Mittendrin hocken die drei bemitleidenswerten Frauen, splitterfasernackt. Ihre Klagen hört man im Kopfhörer. Eine letzte Parade der Hausbewohner, ein eingefrorener Danse macabre ums Feld der seelischen und körperlichen Leichen. Dann winken die Erinnyen, und es geht zurück auf die Straße. Beifall ist nicht vorgesehen nach dieser Art von Theater. Es gibt Info-Broschüren von "Terre des Femmes". Aber die Botschaft hat man eh verstanden.

 

Das ehemalige Haus
Performance der Künstlergruppe Signa
Künstlerische Leitung: Signa Köstler, Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson, Konzept: Signa Köstler, Sound und Mediendesign: Arthur Köstler, Bühnenbild und Kostüm: Thomas Bo Nilsson und Signa Köstler, Maske: Julia Serovski.
Mit: Michael Behrendt, Anna Gunndís Guðmundsdóttir, Oddur Júlíusson, Dominik Klingberg, Arthur Köstler, Signa Köstler, Siri Nase, Thomas Bo Nilsson, Steven Reinert, Andreas Schneiders, Helga Sieler, Jenny Steenken, Klaus Unterrieder, Eva Vium, Irma Wagner, Mareike Wenzel und Marie Zwinzscher.

www.salzburgerfestspiele.at

 

Mehr zur Performancegruppe Signa finden Sie im nachtkritik.de-Lexikon.


Kritikenrundschau

Schön ist es nicht im Salzburger Stadtteil Maxglan, wo vor einem düsteren, herunter gekommenen Wohnhaus ein paar Theaterbesucher darauf warten, in Vier-Personen-Gruppen ins Innere geführt zu werden, "doch gegenüber dem, was das dänische Theaterkollektiv Signa im Inneren des Hauses veranstaltet, wird das Warten der reine Wellness-Aufenthalt gewesen sein", so Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (23.8.2011). Drinnen ist es "extrem grindig, die Atmosphäre stickig, man hockt auf versifften Sofas" und erfahre zum Beispiel die Geschichte von Wally, "der Clan-Mutter, die debil im Bett liegt, dann auf den Topf gesetzt und während des Urinierens gefüttert wird. Die Essensbrocken fallen ihr aus dem Mund wie die Worte, die Vergewaltigung durch die Russen 1945, das Hurenleben, die ungeliebten Kinder, zwei Blödiane und ein Verbrecher, der Mädchen aus Osteuropa holt, die von zwei Vollproleten vor den Augen der Zuschauer 'zugeritten' werden. Ob man auch mal wolle?" Das Grauen mag an Fritzl et cetera erinnern, doch es ist letztlich die Ausgeburt eines extrem durchgestalteten, maßlos quälenden Budenzaubers. "Freilich: Die Intimität der engen Räume, die stinkende Nähe der Figuren fordert von einem selbst eine Haltung. Reines Zuschauen ist kaum möglich. (...) Was wäre gewesen, wäre einem die Geschichte konventionell erzählt worden? Vermutlich ein ähnliches Entsetzen, aber ohne den Geruch der Verzweiflung."

Eine "unheimliche Fassungslosigkeit" hat den Kulturredakteur der Salzburger Nachrichten (18.8.2011) Bernhard Flieher in der neusten Installation von Signa befallen: "Gruselig. Erschreckend. Erschütternd." Das Thema wirke ebenso beklemmend wie die Machart, in der es "Signa in ihrem Mut zur Schonungslosigkeit schaffen, in unglaublicher Intensität, mit raffinierten Kleinigkeiten ein immenses Unbehagen zu schaffen, eine Aufhebung zwischen Vorspielen und Dabeisein, zwischen Zuschauen und Mitmischen, die Theater niemals schaffen könnte." Hier erinnere man sich nicht nur an Fälle wie Fritzl und Kampusch, "Symbole des Grauens hinter heilen Fassaden, im angeblichen Schutzraum von Familie und Eigenheim." Man entdecke "in kunstvoll aufbereiteten Settings" eine Spielform jenseits des konventionellen Zuschauer-Theaters: "Alles passiert hautnah. Man wird angegriffen. Man wird gestreichelt. Und man muss sich entscheiden auf welcher Seite man stehen will (…). Aber wie auch immer, es gibt kein Entrinnen."

Man werde in eine "fiktive Realität hineingezogen, bis sie Besitz von einem ergreift", berichtet ein gleichermaßen ergriffener Sven Ricklefs in der Sendung "Kultur Heute" auf Deutschlandfunk (17.8.2011, 17:45 Uhr): "Wer sich auf dieses Theaterereignis der Gruppe Signa einlässt, wer die knapp drei Stunden im ehemaligen Haus verbringt, in dieser ranzig realen Entsetzlichkeit, wem sich eine dieser Geschundenen auf die Knie gesetzt hat, um sich mechanisch daran zu reiben, wer schließlich in dem Massengrab gestanden hat im Garten hinterm Haus und wer die drei Mädchen da hocken gesehen hat, zitternd und vollkommen nackt und entsetzlich schutzlos, und wer daneben stehend und zuguckend dieses merkwürdige Gefühl gespürt hat aus Scham und Schuld, obwohl er eigentlich gar nichts getan hat, der wird dieses Haus in seinem Leben wohl kaum wieder vergessen."

Für die tageszeitung (22.8.2011) hat sich Uwe Matheiss dem "ehemaligen Haus" ausgesetzt: "Das kurze Intro enthält im Kern schon, was die Theaterinstallationen von Signa, Arthur Köstler und Thomas Bo Nilsson ausmacht: Wenn das, was man sieht, real wäre, wäre es Gewalt und unerträglich. Je mehr man aber davon sieht, um so weniger beruhigt der Umstand, dass es "nur Theater" ist." Signa verzichteten Matheiss zufolge "auf jegliche Zeige-Distanz, sie betreiben im Grunde Einfühltheater alter Schule. Was für ein 1.000-Plätze-Auditorium reichen würde, springt auf eineinhalb Metern die Zuschauer an und raubt die Muße zum Romantischglotzen. Wo wäre der Punkt zum Eingreifen gewesen, und hätte man es tatsächlich getan?" Die Performance sei "kathartisch und didaktisch zugleich, ein Thesenstück im besten Sinn. Es weiß jeden Moment, warum es die Welt adressiert."

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