Ohne Provinz und Politik

von Hans Christoph Zimmermann

Oktober 2007. "Werft eure Hoffnung über neue Grenzen" lautet der Titel von Brigitte Bruns Buch zum Theater im Schweizer Exil, das als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Ende April dieses Jahres im Münchner Theatermuseum erschienen ist, aber auch als eigenständige Publikation daherkommt. Die Autorin schildert darin zunächst die regen Verflechtungen des deutschen und Schweizer Theaterlebens vor 1933.

Die Fluktuation von Künstlern sorgte dabei für regen Austausch. Zu den Parallelen gehörten aber auch Skandale wie den um Zuckmayers "Fröhlichen Weinberg" oder die Inflation nationalistischer Phrasen Ende der Zwanziger Jahre: die Parole von der gewollten "Verschweizerung" des Theaterlebens machte die Runde.

Zürich und sonst nichts

Darin verbarg sich auch die antisemitische Ranküne beispielsweise gegen die Besitzer und Leiter des Zürcher Schauspielhauses am Pfauen, das jüdische Brüderpaar Ferdinand und Siegfried Rieser. Und damit stößt man auf ein Grundproblem des Buches. Brigitte Bruns konzentriert sich fast ausschließlich auf das bereits in zahlreichen Publikationen beleuchtete Schauspielhaus und die dortige versammelte deutsche Emigrantenszene.

Das Buch trägt zwar den Untertitel "Theater im Schweizer Exil und seine Rückkehr", die Schweizer Provinz von Bern bis Solothurn und selbst Basel bleibt aber unterbelichtet; die nicht deutschsprachige Schweiz kommt gar nicht vor. Hat es eine Emigration in die italienischsprachige Schweiz überhaupt gegeben? Sind französische Bühnenkünstler nach 1940 an die Theater in Genf oder Lausanne ausgewichen? Fragen, die das Buch nicht beantwortet.

Viel Personal, wenig Einblick

Der Grund, warum Brigitte Bruns dieses bereits mehrfach aufgearbeitete Kapitel des Exiltheaters erneut beackert, bleibt im Dunkeln. Offenbar hat die umfangreiche Fotochronik des Ehepaars Leonard Steckel und Jo Mihaly von 1927 bis 1953, die sehr persönlich das Schicksal der Emigration im Bild einfängt, den Ausschlag gegeben. Doch statt das Leben dieses Künstlerpaars in Zürich genau zu beleuchten, wählt Bruns eine Mehrfachperspektive, die sich schnell als problematisch erweist.

Sie nimmt eine Gruppe von Theateremigranten wie Gustav Hartung, Leonard Steckel, Kurt Horwitz, Therese Giehse und Wolfgang Langhoff in den Blick, letztlich sind es aber zu viele Personen, um die biographische Neugier zu befriedigen oder eine Lebensatmosphäre unter ständiger Bedrohung zu vermitteln.

Kein politischer Hintergrund

Andererseits erfährt man einiges über die Asylpraxis der Schweiz, die damals (wie heute) zu den restriktivsten in Europa gehörte: Aufenthaltsgenehmigungen gab es nur bei Arbeitsvertrag oder Einheirat, politische Betätigung war verboten. Ab 1934 verschärfte sich das politische Klima, der Schweizer Ableger der NSDAP, die Nationale Front, machte Druck. Die Schweiz definierte sich als Durchgangsland und richtete eigene Lager ein. Doch merkwürdigerweise bleibt der politische Hintergrund dieser Umstände vollkommen ausgespart, womit die Folie für eine Verortung fehlt.

Ähnlich geht es dem Leser mit der Darstellung des Schauspielhauses am Pfauen, das zum Sammelbecken für (Theater-)Emigranten wurde. Brigitte Bruns schildert ausgiebig das Plädoyer der Gebrüder Rieser für Exilautoren wie Zuckmayer, Horváth, Kaiser, Werfel  sowie die Skandale nach Aufführungen von Bruckners "Rassen" und Friedrich Wolfs "Professor Mamlock"; man erfährt etwas über Spiel- und Probenpläne, Bezahlung.

Doch was die Aufführungen am Schauspielhaus ästhetisch auszeichnete, ob die Emigranten für künstlerische Kontinuität zum Theater der Weimarer Republik sorgten, bleibt unklar: Brigitte Bruns hat ein Buch geschrieben, das für einen ersten Überblick gut ist, den Leser aber hungrig zurücklässt.

 

Brigitte Bruns: Werft eure Hoffnung über neue Grenzen. Theater im Schweizer Exil und seine Rückkehr. Henschel Verlag 2007. 208 Seiten. 24,90 Euro.

 

 

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