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Systemkritik

von Ulrich Fischer

Kassel, 15. September 2011. Kathrin Rögglas neues Stück "Nicht hier oder die Kunst zurückzukehren" untersucht die zunehmende Unsicherheit unserer Existenz in Deutschland und weltweit. Der Dreiakter beginnt in einem Seminar, das Sandra leitet, "workshopbetreuerin und sozialpädagogin, ehem. Nothilfe und DED, ca. 45". Am Seminar nehmen zwei Frauen und zwei Männer teil, "rückkehrer aus großen internationalen organisationen und unternehmen, die gerade eben nach Deutschland zurückgekommen sind oder kurz davor sind zurückzukehren", wie Röggla in den einleitenden Regieanweisungen erläutert.

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© N. Klinger
Gestrandete

Wer angenommen hätte, Leute mit Auslandserfahrungen würden mit Handkuss in der Heimat aufgenommen und leicht einen gut dotierten Job bekommen, sich ohne Mühe wieder einfügen in Deutschland, irrt offenbar gewaltig. Sandra spricht von "gestrandeten organisationsmenschen". Dirk, "ca. 35", Agraringenieur beim Deutschen Entwicklungs Dienst beispielsweise, will wieder weg, wieder im Ausland arbeiten, hat aber Schwierigkeiten, einen neuen Vertrag zu bekommen.

Verträge sind rar, wie überall. Früher konnten Entwicklungshelfer mit langer Perspektive arbeiten, jetzt sind die Projekte zeitlich eng begrenzt. Dirk spricht den Schlüsselsatz: "wir leben im rhythmus kurzfristiger verträge, unsicherer arbeitsbedingungen, unklarer verhältnisse…". Man muss sich von einem Vertrag zum nächsten hangeln, dafür ist viel Energie nötig. Und wer es nicht geschafft hat, wer zurückkehrt, ist stigmatisiert.

Warum ist er zurückgekommen? Sofort wird Argwohn wach: gehört er zu den vielen, die dem Druck draußen nicht standhielten? Die angefangen haben zu trinken? Knut, 55, ein "organisationsmensch" mit unklarem Statuts, der sich als "sozialsöldner" bezeichnet, - Knut erzählt davon, wie viele er habe entlassen müssen.

Anlügen gegen den sinkenden Marktwert

Aber ob das stimmt? Skepsis ist angebracht, wie immer bei Kathrin Röggla. Die Figuren erzählen erkennbar nicht die Wahrheit – Dirk beispielsweise behauptet zunächst, er sei seit drei Monaten wieder zurück in Deutschland, dann werden es vier Monate und schließlich ein Jahr. Klar wird: Je länger einer zurück ist, desto schwieriger wird es, wieder einen Vertrag fürs Ausland zu bekommen. Der Marktwert sinkt – und den gilt es aufrecht zu erhalten. Alle Figuren kämpfen darum, ihre Maske aufbehalten zu dürfen.

Die Seminarmitglieder - abgehalfterte Angestellte, die sie in Wirklichkeit sind, denn fast alle mussten ja gegen ihren Willen nach Deutschland zurückkehren - verdächtigen Sandra, die Seminarleiterin, sie wolle sie aushorchen. Die Arbeitgeber werden als Gegner eingeschätzt. Aber niemand darf sich anmerken lassen, wie argwöhnisch sie oder er ist, weil frau/man auf einen Anschlussvertrag hofft.

Das Fegefeuer als Paradies

Dabei ist dieses deutsche Fegefeuer im Vergleich zu armen Ländern ein Paradies. Dort sind die Verhältnisse noch viel prekärer. Maren erzählt, wie sie im Jeep an Leichen und Todkranken vorbei fuhren , weil sie fürchteten, es könne sich um eine Falle handeln. Hielte der Jeep an, stiege jemand aus um zu helfen, könnten Feinde aus dem Hinterhalt hervorbrechen und sie als Geisel nehmen.

Ein Blick zurück zeigt, dass die Verhältnisse schlimmer geworden sind als noch vor zwanzig Jahren. Hilfe scheint unter diesen Umständen gar nicht mehr möglich, Entwicklungshilfe schon gar nicht. Gleichzeitig wäre sie nötiger als je zuvor.

Leiden am sozialen Abstieg

Regisseur Leopold von Verschuer und sein Ensemble arbeiten diese Widersprüche klar heraus. Die Schauspieler typisieren überzeugend: Karin Nennemann skizziert Sandra als Sozialpädagogin, bei der Anteilnahme nur noch Maske ist, eine ausgebrannte Seminarleiterin. Mike Olsowski zeigt Dirk als verzweifelten Idealisten, der sein Projekt im Stich lassen muss. Am überzeugendsten verkörpert Christina Weiser Maren, eine Realistin, die versucht, ihre Depression in Schach zu halten. Rasch wird klar, dass der Bereich der Heimkehrer nur peripher scheint, tatsächlich aber im Zentrum liegt, denn wie alle anderen Betroffenen auch leiden die Heimkehrer unter den Deformationen, die die Arbeitslosigkeit oder auch nur die drohende Arbeitslosigkeit mit sich bringt – das ist die übergreifende Klammer.

Schwermut

Kathrins Rögglas neues Stück hat, stärker als ihre bisherigen Bühnenarbeiten, neben den analytischen Tiefen auch noch lyrische Momente. Am Schluss wird Deutschland mit großer Schwermut beschrieben, die Dramatikerin, die Schauspieler beschwören eine bleierne Zeit. Wie viel Idealismus wird hier sinnlos verschwendet.

Welch‘ edler Geist ward hier zerstört. Fabel und Figuren nutzt Kathrin Röggla zu einer plausiblen Systemkritik. Die Uraufführung beweist, ihr ist ein starkes Stück geglückt. Nachspielen!

 

Nicht hier oder Die Kunst zurückzukehren (UA)
von Kathrin Röggla
Regie: Leopold von Verschuer, Ausstattung: Magdalena Gut, Dramaturgie: Christa Hohmann, Ton-Montage: Julian Wedekind.
Mit: Matthias Fuchs, Karin Nennemann, Mike Olsowski, Alina Rank und Christina Weiser.

www.staatstheater-kassel.de

 

Mehr zu Kathrin Röggla? 2011 wurde ihr Stück "Die Beteiligten" zum Berliner Theatertreffen eingeladen – in Stefan Bachmanns österreichischer Erstinszenierung am Wiener Akademietheater.

 

Kritikenrundschau

Buchstabenmonster wie "Fördertöpfe" oder "Länderleitung" träten in Rögglas neuem Stück in Scharen auf, so Joachim F. Tornau in der Frankfurter Rundschau (17.9.2011). Ihrer "journalistisch-dokumentarischen Arbeitsweise" sei die Autorin auch diesmal treu geblieben und in der Auseinandersetzung mit dem recherchierten Material nicht "bei der Reproduktion stehen" geblieben. Im Kopf der Entwicklungshelfer-Figuren mischten sich "die immer gleichen Frustgeschichten der Ex-Idealisten, die Floskeln der internationalen Zusammenarbeit und ihre eigenen sozialpädagogischen Beispielerzählungen zu einem unverständlichen Radiogezwitscher". Das alles sei gleichzeitig bitter und "voll feinem Humor. Entlarvend, ohne anzuprangern. Und nicht nur sprachlich exakt beobachtet. Man darf es wohl gesellschaftskritisch nennen."


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