Rosmersholm - Nach acht Jahren Theaterpause inszeniert Leander Haußmann Ibsen an der Berliner Volksbühne
Abwarten und Tee trinken
von Simone Kaempf
Berlin, 16. September 2011. Zwischenzeitlich schien er tatsächlich dem Theater den Rücken gekehrt zu haben. Bis auf eine szenische Einrichtung von Sven Regeners Der kleine Bruder mit Studenten der Berliner Ernst Busch-Schauspielschule, die partout nicht als Premiere angekündigt war. Aber nun ist er wieder da. Leander Haußmann! An der Volksbühne! Mit einem Ibsen und bester Besetzung! Die Pause schmilzt plötzlich zur Kunstpause. Großer Andrang, großes Interesse. Ein dreieinhalb Stunden-Abend auch noch, alles scheint da plötzlich möglich: Großes Gefühlsdrama, Parodie auf ideologisch verblendete Lebensanschauung, Spannung um den ungeklärten Tod einer Frau.
Zum Tee gibt's Emotionen
Suspense bleibt Leander Haußmann mit seiner "Rosmersholm"-Inszenierung allerdings schuldig. Es ist ein Sprech- und Bekenntnisheater geworden. Über weite Strecken kleben die Figuren in der Biedermeier-Sitzgruppe und reden. Reden darüber, wie geistige Radikalität draußen zunimmt und sich Gesinnungen wandeln. Dazu wird Tee getrunken, und wenn die Emotionen überkochen, geht auch mal das Geschirr zu Bruch. Das könnte spannend sein, geht es in Ibsens Stück ja um innere Freimachungen und selbstauferlegte Verbote. Aber man spürt wenig davon, dass die Figuren durch die Ereignisse in der Vergangenheit geprägt sind, spürt genauso wenig von der unterschwellligen Aufladung der Beziehungen untereinander, und ihr Reden wirkt szenisch seltsam unverbrieft.
Das Bühnenbild atmet alte Zeit. Biedermeierliche Stühle und das Sofa sind präsent, rechts ein Grammophon, eine Konsole, darüber ein Gemälde der verstorbenen Frau Rosmer. Ein wenig stilisiert von Bühnenbildner Uli Hanisch, der Filme wie Tom Tykwers "Das Parfum" oder Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern" ausgestattet hat, aber auch historisch ernst gemeint. Anfangs deuten sich noch Brechungen an. Da kommt die großartige Margit Carstensen als Haushälterin Helseth auf die Bühne, lässt mit einem Fingerschnipp die elektrischen Kerzen anspringen und signalisiert mit jeder Faser, dass sie dem ganzen Theaterapparat hier gehörig auf den Puls fühlen wird.
Aber solche selbstironischen Momente bleiben rar. Die Inszenierung hängt viel zu dicht am Text, gefüllt mit durchaus sympathischen Figuren. Man schaut Annika Kuhl gerne zu, wie sie ihre Rebekka West nicht als berechnendes Luder, sondern als ein leutselig-argloses Mädchen spielt. Peter Lohmeyers Johannes Rosmer ist daneben eher eine trockene Figur. Dass er "abtrünnig" geworden ist, seine politische Gesinnung gewechselt hat, in irgendwelche politischen Lokalintrigen geraten ist – man ahnte es nicht, wäre nicht soviel die Rede davon.
Abgründigstes Element: eine Holztreppe
Wie er umständlich nach seinem Lorgnon sucht, sich dann tief über die Zeitung beugt und aus dem Schmähartikel über sich liest, das symbolisiert den ganzen Umgang der Inszenierung mit Ibsens Stück: Den Figuren plan vor die Nase gehalten. Abgründe tun sich nicht auf, auch wenn alles gut gemacht ist und die Szenen im zweiten Teil mehr Dichte entwickeln. Abgründigstes Element bleibt die massive Holztreppe im Hintergrund auf der Drehbühne, die ab und zu in Gang gesetzt wird und deren schweren Stufen sich zentralperspektivisch nach oben winden. Am Ende steigt das verkappte Paar Rebekka und Rosmer Hand in Hand nach oben, vielleicht in den Tod, vielleicht in die Ehe. Die Bilanz fällt auf der Treppe eher nüchtern aus: es hat sich an diesem Abend niemand den Hals gebrochen, aber bezwungen wurde auch nichts. Schade.
Rosmersholm
von Henrik Ibsen, in der Übersetzung von Paul Schlenther und Julius Elias
Regie: Leander Haußmann, Bühne: Uli Hanisch, Kostüme: Doris Haußmann, Dramaturgie: Carola Cohen Friedlaender.
Mit: Peter Lohmeyer, Annika Kuhl, Ralf Dittrich, Uwe Dag Berlin, Axel Wandtke, Margit Carstensen.
www.volksbuehne-berlin.de
Mehr zu Leander Haußmann? 2009 ließ er sich zum letzten Mal im Theater blicken – und setzte mit Studierenden der Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" Sven Regeners Roman Der kleine Bruder in Szene. Noch mehr: im Lexikon.
Hartmut Krug sprach am Premierenabend (16.9.2011) im Kulturmagazin Fazit auf Deutschlandradio die Kritik, auf der Webseite des Deutschlandfunkes kann man nachlesen, dass er "ein mit heftiger Symbolik befrachtetes Bedeutungsspiel" sah, einen "zähen Kampf der unendlich vielen Worte". Das Stück sei "zugleich psychologisierende Liebesgeschichte wie philosophierendes Kriminalstück" und wirke "mechanisch bis komisch". Bei Haußmann, der das Stück "weitgehend grundernst" nähme, wirkten die Figuren wie "reine Theaterfiguren" und die "Inszenierung wie ein Ufo, das sich aus Opas Stadttheaterzeiten in die Volksbühne verirrt" habe. Dass "jeder Figur ein skurriler Haltungsaussetzer für eine Wirkungsnummer" gestattet werde, sei eine "Beliebigkeit, die am biederen schauspielerischen Oberflächen-Bedientheater des Abends" wenig ändere. Nur Margit Carstensens bringe "einige spökenkiekerige Skurrilität ins Spiel". "Ein merkwürdiger und heftig misslungener Abend".
Als "Herausforderung für die Augenlider" empfand Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (18.9.2011) diesen Abend. Leander Haußmann hat aus dem Stück aus ihrer Sicht eine Konversations-Soap im historisierenden Gewand gemacht, bei der sie sich zunächst sogar fragt, ob die Komik, "mit der etwa Peter Lohmeyer als Rosmer seine Hände in die Luft wirft und feuchten Auges Lebenserkenntnisse referiert, freiwilliger oder unfreiwilliger Natur ist". Sie kann diese Frage allerdings spätestens "wenn kurz darauf Rosmers früherer Lehrer (Uwe Dag Berlin) mit schwerfälligem Theater-Humor auf einen Sessel pinkeln muss oder Kroll (Ralf Dittrich) den Salon durch den Gründerzeitschrank entern und mit Rebekka (Annika Kuhl) ein Tänzchen aufs Parkett legen darf" zugunsten der Freiwilligkeit entscheiden. Dennoch erscheint der Kritikerin der Abend zunehmend zäh. "Die Minimalparodie, die Haußmann als Alternative zur schrillen Dekonstruktion im Blick hat, ermüdet dann doch."
"Haußmann, dem ein Billy Wilder vielleicht doch etwas näher ist als ein Henrik Ibsen, nutzte jeden sich bietenden Moment zu Klamauk," schreibt Johanna Adorján in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (18.9.2011). Da sich aus ihrer Sicht allerdings kaum Momente dazu bieten, wirkte die Inszenierung auf sie insgesamt ein wenig, "als würde man ja gerne, könne aber aus bestimmten Zwängen nicht.
Irene Bazinger schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.9.2011), Leander Haußmann mache "aus allen Mitspielern Herumsteher und aus allen Requisiten Herumstehendes: Nippes, nichts Triftiges". Offenbar genieße es der frühere "Theaterklassenkaspar" über "drei ziemlich lange Stunden hin, ungerührt und betulich historisierend vom Blatt zu inszenieren". Alsbald wirkten "das gediegene Inventar und die getragene Sprech- und Spielweise" unfreiwillig komisch und wie ein Ausdruck "erheblicher Ratlosigkeit" gegenüber einem "so komplexen Werk". Das Ensemble klammere sich "reichlich hilflos an den Text" und arbeite ihn "mehr tapfer als inspiriert ab". Zwischendrin gelängen "treffende, mitunter unerwartet spaßige Momente". Eine "mächtige Freitreppe" verweise "am Schluss auf den doppelten Freitod". Die "famos intensive Margit Carstensen" sei "die Einzige", die "stets ganz und gar für ihre Rolle" einstehet, mit "Herz und Hirn und souveräner Präsenz".
Peter Laudenbach schreibt in der Süddeutschen Zeitung (19.9.2011) über das "verquälte Ibsen-Stück" mit seinen Bürgern, "ihren verkrampften Moralzuckungen, ihren ausgetrockneten sexuellen Regungen, ihrem ganzen nicht gelebten Leben". Auf der Bühne fielen allerdings die "Posen des vermeintlichen Antibürgers" Ulrik Brendel (Uwe Dag Berlin) "noch ein paar Nummern infantiler und trostloser aus" als die der Bürgerwelt. Das sei keine "neue Entdeckung", aber an der "berufsjugendlichen Volksbühne, dem trostlosen Bunker eines inzwischen doch etwas modrig gewordenen radical chic, fast schon subversiv". Mit "Rosmersholm" seien Leander Haußmanns "Regiekünste im Muff" angekommen, er lasse alles mit "einer unglaublichen Zähigkeit", dafür "ohne erkennbares Erkenntnisinteresse oder Sensibilität für seine Figuren" endlos ausspielen. Peter Lohmeyer als Rosmer nuschele "bedauernswert ausdrucksarm". Annika Kuhl als Rebekka stanze "ihre Figur routiniert aus". Einzig die "großartige Margit Carstensen" bringe in die graue Langeweile dieses Abends lebendige Momente".
In der Tageszeitung Die Welt (19.9.2011) schreibt Matthias Heine: Ausgerechnet das "schwierige Stück 'Rosmersholm'" habe sich Leander Haußmann für sein Comeback als Theaterregisseur ausgesucht. Haußmann sei eigentlich "schon immer ein Konservativer" gewesen, im Theater lasse er sich seine Kostüme von der Mutter entwerfen, die Musik sei "Jahrzehnte alt". Peter Lohmeyer spiele den Rosmer "als eher zarten, etwas blutarmen Schwärmer". Die "lange, lange Treppe" symbolisiere die Distanz zwischen Rebekka und Rosmer. Sie gingen nur einmal zusammen die Treppe hoch: Nämlich gemeinsam in "den Freitod" am Ende. Haußmann serviere das Drama "mit all der Liebe zum schönen alten Theater", zu der "dieser Romantiker" fähig sei. Aber man schmecke "den Staub". Die "Zwänge dieser Ibsen-Figuren" seien uns "sehr fremd geworden".
In den Blättern der DuMont-Gruppe, der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung (19.9.2011) schreibt Ulrich Seidler über Haußmanns "vornehmtuerische Opihaftigkeit". Gesehen hat er dreieinhalb Stunden "Stilmöbelsitzgruppenherumgesitze", "Teetasseneinschenkerei und –umrührerei" sowie "papiernes psychopathetisches Herumgesülze". Das Bühnenbild bestehe "in der Grundidee" aus sechzig Ahnengemälden und einer "bedeutungshuberischen, dramatisch ausgeleuchteten Treppe", die allerdings kaum benutzt werde. Die Schauspieler gingen mit "starrsinnig ausgestellten Ideenlosigkeit des Regisseurs professionell" um. Peter Lohmeyer als Rosmer führe "mit angemessener Eitelkeit seine antriebsschwache Noblesse" spazieren. Annika Kuhl probiere "mit Engagement Spielweisen, in deren Variantenreichtum die Figur Rebekka verloren geht", Ralf Dittrich lasse den Dogmatiker Kroll "durchs Mobiliar knattern". Allein Margit Carstensen fülle "das große leere Einerlei mit glaubhaftem Ausdruck". Der Abend sei "auf uninteressante und quälende Weise misslungen".
In der Zeit schreibt (22.9.2011) Peter Kümmel, aus der "beklemmenden Geschichte der Familie Rosmer" gewinne Regisseur Haussmann "eine unterschwellige, bisweilen nicht ganz freiwillige Komik". Die Aufführung stehe "wie frierend auf einem heißen, explosiven Feld – auf verkniffenem, verbotenem, ungelachtem Gelächter". Haußmann inszeniere an Frank Castorfs Volksbühne über weite Strecken "texttreu" und "naturalistisch", doch zwischendurch fiele ihm immer wieder ein, "wo er sich hier befinde" und als zahle er eine "stilistische Maut", zitiere er dessen Stil. Dann feuere er, "aus einer konventionellen Inszenierung heraus, kleine Dekonstruktionsraketen".
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p.s.:
was noch interessant war: beim appluas, als alle einzeln vortreten sollten, und das volksbbühnenpublikum gnadenlos ehrlich die huhs und buhs verteilte, reagierte herr lohmeyer instinktiv und hüpfte erschrekct neben annika kuhl nach vorne...es wäre klar gewesen, daß ER als letzter in der reihe nicht wie die ersten (die herren berlin und dittrich) bravos abbekommen hätte, sondern wahrscheinlich das gegenteil...aber da man frau kuhl nicht ausbuhen konnte und wollte, das hätte sie nicht verient..kam er noch glimpflich davon...demnach war/ist er sich schon über diese misere bewußt..-- schade, es hätte ein netter abend werden können...trotz langweiliger teezeremonien...
Der Reihe nach:
Der über die gesamte Vorbühne ausgebreitete Salon erinnert in seiner düsteren Gestaltung an die scheußliche Gothic-Horror-Film-Inszenierung von Edgar Allen Poes "Ligeia". (Ich erwartete ernstlich einen Auftritt von Vincent Price) Dieser Bühnenraum ist eine Gruft, der noch bevor Margit Carstensen hereinschwebt, droht: Meine Damen und Herren, heute abend wird es mysteriös und schwerblütig. (Das wird er dann nicht - eher ist er von den ersten Minuten an fahl und völlig unironisch.)
Und dieser Raum ist das erste grandiose Missverständnis dieser Unternehmung. Es ist sofort klar, daß hier kein psychoanalytisches (Alp-) Traumspiel stattfinden kann, kein Text-Thriller, kein detailliertes Kammerspiel. Und wenn sich dann zum Ende des ersten Aktes, nach ermüdenden Bäumchen- respektive Sitzmöbel-Wechsel-Dich-Spielchen, der die Vorbühne nach hinten hin begrenzende schwarzsamtene Riesenvorhang hebt und den Blick auf eine gigantische Treppe freigibt, verliert die Bühne komplett ihr Zentrum. Schon lange habe ich kein Drehbühnenbild gesehen, das sich vollkommen nutzlos, vollkommen unbenutzt um die eigene Achse dreht. Niemand weiß, was er mit diesem Bühnenbild anfangen soll, was man oder wie man darin spielen kann, sollte.
Und das tut auch fast niemand. Eher ergibt sich der Eindruck, daß die meisten auf der Bühne Tätigen versuchen sich irgendwohin zu retten. Dadurch verliert man beim Zuschauen und Zuhören zunehmend die Lust. Das Publikum als möglicher Adressat dessen, was in Ibsens Stück verhandelt wird, ist vergessen worden. Peter Lohmeyer flieht in einen innerlichen, zuständlichen, hohl-pathetischen Ton, den er über drei Stunden aufrecht erhält. Annika Kuhl schaltet alle paar Minuten einen anderen Stil, ein anderes Register ein. Nur gibt das weder ihr noch ihrer Figur Sinn oder Tiefe oder was auch immer. Ralf Dittrich knattert seinen Kroll in wie aus dem 19. Jhd. entwendeter Großschauspieler-Manier durch. Nur wenn er sich sein Akkordeon schnappt, schafft er es sich von Figur und schulterniederdrückendem, händeringendem Spiel zu befreien. Warum er das allerdings tut, bleibt unklar. Ebenso wie die alles überfahrenden, nutzlos ausufernden zwei Auftritte von Uwe Dag Berlin. Margit Carstensen und Axel Wandtke bleibt es vorbehalten einige wenige Ernst zunehmende Momente in diese Malaise zu bringen. Und das, weil sie alles was passiert, nicht falsch verstanden Ernst nehmen, sondern ihre Figuren alles wissen lassen, alles vom ersten Moment an durchschauen lassen: Das falsche Spiel auf Rosmersholm und auf der Bühne. Das gibt ihren Figuren die Macht, die Ibsen ihnen eingeschrieben hat.
Leander Haußmann hat sich für seine „Rückkehr“ zum Theater das falsche Stück, am falschen Ort, mit der falschen Besetzung, zur falschen Zeit gewählt und er hat keine These für dieses Stück. Seine lieblichen Ideen – Lichtzauberei am Anfang, Magritte-Bildchen in der Mitte und Filmchen am Ende – verkommen leider zu Mätzchen, zur Rettung dieses verkorksten Abends (Einschließlich der Applausordnung) untauglich.
P.S.: Warum muß man Schauspieler auf der Bühne so schlecht kleiden?
@ Frau Simone Kaempf:
Das Mobilar auf der Bühne zitiert eher das, was man in Bezug auf Frankreich den Stil des zweiten Kaiserreichs nennt, oder vielleicht den dem Historismus verpflichteten "Peiferlbarock" - auf keinen Fall Biedermeier.
Und Peter Lohmeyer benutzt einen Zwicker - den er sich umständlich in einem Etui reichen läßt und dann unachtsam in die Brusttasche seines Jacketts steckt - Lorgnons wurden fast ausschließlich von Frauen benutzt und haben einen kleinen Haltegriff an einer Seite.
Grammophone gibt es übrigens erst seit 1887. Fast exakt 8 Monate nachdem "Rosmersholm" uraufgeführt wurde, meldete Emil Berliner das erste Patent an. - Aber auch das ist nur eine Petitesse bezogen auf diesen erschütternd langweiligen Abend.
Schade. Bis auf Margit Carstensens war dieser Abend eine Zumutung. Eine elende, gedanklich faule, träge Suppe. Eine Geld- und Zeitverschwendung sondersgleichen.Dafür sollte das gesamte Team mit einem Haußmann Film
Marathon von mindestens zwei Wochen Dauer bestraft werden.
Natürlich bestand der einzige Regieeinfall darin, was die Figuren ja auch immer wieder sagen, sinngemäß: Dann setzen wir uns mal und reden miteinander. Mehr passiert szenisch kaum. Aber die Art und Weise, wie dieser ganze bürgerliche Bekenntnisquatsch, dieser Ibsensche Versuch, der häuslichen Welt, Tragik, Pathos und Heroisimus abzuringen, von der Inszenierung vorgeführt und lächerlich gemacht wird, fand ich schon großartig. Das verdankt sich der sehr genauen Spielweise der Schauspieler und damit natürlich der Regie: Jeder Satz, jede Geste angeschrägt, alles auf der Grenze zwischen Ernst und Charge, alles immer freiwillig UND unfreiwillig komisch. Das hatte etwas wunderbar irritierendes.
So geht man meisterlich mit bürgerlichen Klassikern um: indem man sie "einfach" aus- und somit bloßstellt.
Gleichzeitig bleibt die überwiegend begeisterte Reaktion des Premierenpublikums festzuhalten. Vielleicht mehr Sympathie für die Handelnden oder Aufregung um die Wiederkehr Leander Hausmanns. In jedem Fall ein Knistern.
Erstens kennen Sie meinen Realismusbegriff gar nicht. (Ich bin mir nicht mal genau sicher, was das sein soll.)
Zweitens habe ich auf Frau Kaempfs Beschreibung der Ausstattung reagiert, in der sie meint, daß alles (ein wenig stilisiert) Ernst gemeint wäre. Das sie dabei, ähnlich wie die Ausstatter, fast das gesamte 19. Jahrhundert zusammenklascht und sich etwas in den Begriffen verheddert - darauf wollte ich hinweisen. Ich könnte ebenso monieren, daß ein Konsole ein Sims oder Mauervorsprung ist - auf der Bühne stand aber eine Kredenz...
Aber abgesehen davon interessiert mich in der Tat, woran Sie abgelesen haben, daß das Ganze eine Entblößung von "Spießertum" ist. Was genau macht Sie da so sicher?
Komplette Kritik http://stagescreen.wordpress.com/2011/09/28/henrik-ibsen-rosmersholm-volksbuhne-am-rosa-luxemburg-platz-berlin-regie-leander-hausmann/
"merkwürdig", und wieder einmal das Bild, von einem Ufo, das (dieses Mal) in der Volksbühne gelandet sei !
Ja, merkwürdig ! Zu einem durchaus merkwürdigen Stück, das auch nicht unbedingt nach politischer Ausdeutung verlangt meineserachtens; Haußmann -wissend um Inszenierungsfiaskos zum auch daher seltener gespielten Stück- nimmt das Stück ernst und riskiert an dieser Stelle, versuchend, es so stark wie möglich zu machen, geradezu liebevoll aufbereitend, ein ebensolches Fiasko; als "bemüht wirkenden Suspenseversuch" kann ich diesen Abend nicht sehen, er fokussiert auf: Eine Rebekka, die folglich zunehmend im Zentrum der Inszenierung steht und dabei sozusagen ziemlich alle Schattierungen zwischen dem "Anna-" und dem "Käthepol" (um das ziemlich zeitnahe Stück "Einsame Menschen", gewissermaßen damals wie heute, wie einen Maßstab zu gebrauchen hinsichtlich der Frauenfiguren) durchspielt: gewiß keine Nullstelle ! Annika Kuhl gelingt hier das kleine Kunststück, ihre "Rebekka" neben die Noras und Heddas (die vielen) zu stellen, und Herrn Haußmann gelingt hier meinethalben die Landung eines Ufos (auch hier gelingt meineserachtens eine gewisse "Verheutigung" im Hinblick auf mediale Grundstrukturen der Gesellschaft, so wurde beispielsweise das Gerangel von der konservativen und liberalen Seite, die Meinungsmache mit der öffentlichen Schachfigur Rosmer sehr gut herausgearbeitet, sie gelingt gerade von der Ufo-Belegschaft her, was immerhin zu denken geben könnte). Rebekka wird klar, daß nicht nur Rosmer unter die Räder geraten würde in dieser Meinungsmaschinerie, sondern daß "Rosmersholm" irgendwie ja ihr Ziel war, sie aber mit diesem Ziel selbst notwendig unter die nämlichen Räder geraten würde. Oikos-Überdimensionierung auf der einen Seite, aufgeblähte staatlich-mediale Polismonster, die ganz auf Einschüchterung setzen auf der anderen. Da braucht Rebekka plötzlich nicht mehr jenes Movens "Inzest mit Dr. West" (wie es sich bei Freud findet). Vom Abend abraten kann ich also eigentlich nicht, und wirklich müde: nein ! Vielleicht muß man sich ein wenig an so einen langsameren Abend gewöhnen (gerade als Volksbühnenbesucher), und daß es so schnell dort nicht nur solche geben wird, dafür war sowohl der "Spieler" beredt als wohl auch das Basislager. Drei höchst unterschiedliche Sachen, die mir den Eindruck hinterlassen, daß die Volksbühne von allen Berliner Bühnen eigentlich am vielversprechendsten gestartet ist!