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Im Sumpf der Interessen

von Uwe Roßner

Greifswald, 24. September 2011. Eine Uhr tickt. Eine zweite setzt ein. Das Ticken nimmt zu. Licht fällt auf die Bühne. Die Geräusche verstummen sofort. Eine Moorlandschaft und ein Kerker tun sich auf. Eine mit einem schwarzen Schleier auf dem Kopf bedeckte und ein Kreuz an der Halskette tragende Maria Stuart und ihre Amme Hanna Kennedy betreten die Szene.

Wechsel und Veränderungen

Unter vielen Vorzeichen steht in diesem Jahr der Beginn der Spielzeit 2011/12 am Theater Vorpommern. Am 27. April sprach sich der Aufsichtsrat der Theater Vorpommern GmbH in einer Sondersitzung für Dirk Löschner als neuen Intendanten und Geschäftsführer ab dem 1. August 2012 aus. Bis zu seinem endgültigen Amtsantritt steht der in Berlin gebürtige Schauspieler, Produktionsleiter und Regisseur der amtierenden Interimsgeschäftsführung halbtags vor Ort als Ansprechpartner zur Verfügung. Seinen bisherigen Vertrag am Theater der Altmark verkürzte der 44jährige für den Wechsel um ein Jahr.

Theater soll nach seiner Ansicht in Greifswald, Stralsund und Putbus wieder Thema sein. Es soll anregen, begeistern, verstören und beglücken. Eine bis heute anhaltende öffentliche Diskussion löste seine Nichtverlängerung von Arbeitsverträgen in der Sparte Schauspiel aus. Inklusive dem des Direktors Matthias Nagatis. Nicht die Personalentscheidung im Zuge des Intendantenwechsels sorgte am Theater Vorpommern und beim Publikum für Verstimmungen, sondern die fehlende Wertschätzung der bislang erbrachten Leistungen auf und hinter der Bühne. Eine Spielzeit lang bleibt es in der Hand der Darsteller, sich für einen Verbleib zu beweisen oder sich nach einem anderen Haus umzuschauen.

Im historisierenden Gewand

Vor vierzehn Jahren kam Matthias Nagatis vom Staatstheater Dresden nach Greifswald. Seinerzeit lag das Schauspiel nicht nur hinsichtlich der Besucherzahlen und -gunst am Boden. Die Sparte stand kurz vor der Schließung. Der damalige Intendant Rüdiger Bloch bat ihn um ein Schauspiel für Greifswald. Nagatis setzte und setzt auf sein Ensemble. Nicht allein er und seine Schauspieler wollten mit der Premiere von Friedrich Schillers "Maria Stuart" ein Zeichen setzen. Ungeachtet eines frischen Windes muss ein Ensemble reifen, um als ganzes einen spannungsreichen Abend zu gestalten.

Wie eng Machtpolitik und persönliche Interessen miteinander verwoben sind, wie Weltutopien an der Unzulänglichkeit großer Personen scheitern und wie Frauen ihre Position in einer Männer-Welt ausüben können, stellt Matthias Nagatis zur Diskussion. Waffen, Handys, Exzesse, Körperflüssigkeiten oder Videoleinwände benötigt der Regisseur dafür nicht. Das Ambiente bleibt in seiner Zeit. Die beiden Gegenspielerinnen Maria Stuart und Elisabeth I. sind mit Licht- und Schattenseiten dargestellt. Kostüm- und Bühnenbildnerin Esther Bätschmann entschied sich bei den Kostümen für historische Schnitte und Anzugstoffe des heutigen Parlaments. Kerker, Thronsaal und Park reduziert sie eindrucksvoll und bereitet den Darstellern dennoch eine üppige Bühne.

Vom Thron rutschen und andere Statements

Matthias Nagatis legt das Gewicht auf das Spiel des Ensembles. Fragen der Religion streicht er auf das Private zusammen. Das Machtspiel findet vordergründig im politischen Ringen zwischen Schottland, England und Frankreich statt. Maria Stuart legt Gott im stillen Gebet vor ihrer Hinrichtung die Beichte ab. In der Greifswalder Inszenierung erhält die Katholikin das heilige Sakrament des Abendmahls nicht. Dieser Teil der Szene ist gestrichen. Die Hinrichtung wird nicht vor den Augen des Publikums zelebriert.

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Maria Schubert und Christian Holm
© Theater Vorpommern

Die moderne Spielweise des klassischen Stoffes zeigt sich augenfällig an den Aus- und Einblendungen der Szenen und dem Geben der Rollen. Nicht vornehm gekünstelte Konversation, sondern Leidenschaft setzen Maria, Elisabeth, die Grafen Leicester und Shrewsbury, der Baron von Burleigh und Mortimer für ihr Leben, ihre Ehre und ihre Interessen ein. Dabei kann  die Königin von England auch einmal buchstäblich vom Thron rutschen oder der Ton im Gespräch hin und wieder etwas lauter werden.

Als sehr vielversprechende Neuzugänge für eine Spielzeit stellten sich Maria Schubert als eine liebenswürdige Maria Stuart und Felix Meusel als glühender Mortimer vor. Als eine Königin des Abends durfte sich Eva-Maria Blumentrath nach ihrer Darbietung der Elisabeth fühlen und feiern lassen. Sie erntete die Zuneigung des Saales, der die Schauspielerin vielfach und lautstark mit Bravorufen bedachte. Letztlich durfte sich das ganze Ensemble verdient für den gelungenen Abend bejubeln lassen. Ganz deutlich zeigte das Premierenpublikum: Sie wollen ihre Schauspieler nicht einfach so gehen lassen. Der stehende Beifall des gesamten Parketts sollte dafür ein Statement sein.

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Matthias Nagatis, Bühne und Kostüme: Esther Bätschmann, Musikalische Leitung: Andreas Kohl, Dramaturgie: Anja Nicolaus.
Mit: Eva-Maria Blumentrath, Maria Schubert, Hannes Rittig, Jörg F. Krüger, Markus Voigt, Rainer Harder, Jan Bernhardt, Christian Holm, Felix Meusel, Grian Duesberg, Katja Klemt.

www.theater-vorpommern.de

Zum Auftakt der nachtkritik-Schwerpunktberichterstattung NordNordOst hat Georg Kasch die schwierige Lage der Theater in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern skizziert. Zuletzt berichteten wir über Neue Dramatik am Landestheater Schleswig-Holstein

 

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Kritikenrundschau

"Schnörkellos, klar, mit eindrucksvoller Konsequenz" habe Schauspieldirektor Matthias Nagatis das Spiel der Königinnen inszeniert, urteilt Dietrich Pätzold in der Ostsee-Zeitung (26.September 2011). "Historische Gewänder und ein ins Symbolische überhöhendes Bühnenbild aus Stolpersteinen und Säulen der Macht" rückten die Inszenierung "ins Zeitlose". Der Abend werde getragen von einem "überzeugend agierenden Ensemble" und geprägt von "zwei starken Hauptdarstellungen".

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