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Ändert das Gesetz!

von Uwe Steinkamp und Wolfgang Behrens

13. Oktober 2011. Jetzt ist schon wieder etwas passiert in der deutschen Kulturlandschaft. Ein namhafter Theaterregisseur, dessen Name hier nichts zur Sache tut, hat eine Klage angestrengt, ein Gericht hat Recht gesprochen, und nun ist der Regisseur aus verständlichen Gründen not amused und das Protestgeschrei allerorten groß. Grund genug, die Sache einmal unter die Lupe zu nehmen.

Am 4. Mai 2011 hat der Bundesfinanzhof geurteilt, dass ein selbstständig tätiger Regisseur seine Arbeiten umsatzsteuerlich mit dem Regelsteuersatz in Höhe von aktuell 19 Prozent zu versteuern habe.1 Das klingt erst einmal nicht sonderlich einschneidend oder aufregend, da es genügend Unternehmer und sonstige selbstständig Tätige gibt, die exakt diesen Regelsteuersatz seit Jahr und Tag abzuführen haben. Bis dato allerdings war es gängige Praxis der Finanzämter, für Regisseure einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent in Ansatz zu bringen.

Konkret bedeutet die Erhöhung: Entweder wird ein Regisseur deutlich weniger verdienen (von 1.000 verdienten Euro bleiben nur noch ca. 840 Euro statt bislang ca. 935 Euro übrig – vor allen sonstigen Steuern), oder die Theater werden den Regisseuren deutlich mehr zahlen müssen (sollte ein Regisseur weiterhin 935 Euro übrig behalten wollen, müsste ihm das Theater jetzt ca. 1.112 Euro statt 1.000 Euro zahlen).

Was ist eigentlich passiert?

Der Regisseur, der die Sache ins Rollen brachte, hat, wie man dem Tatbestand des Urteils der ersten Instanz entnehmen kann, in den Jahren 1990 bis 2003 seine Umsätze aus selbstständigen Regietätigkeiten mit Billigung des zuständigen Finanzamts mit 7 Prozent versteuert. Im Jahr 2004 entschied sich der Regisseur, eine seiner Tätigkeiten gegenüber dem Finanzamt für umsatzsteuerbefreit zu erklären. Das mochte dem Finanzamt nicht so recht gefallen, und es belegte die Tätigkeit des Regisseurs – wie in den Jahren zuvor – mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent.

Doch der Regisseur gab sich nicht geschlagen und legte Einspruch ein. Das Finanzamt prüfte erneut, und tatsächlich! – es änderte seine Auffassung: Es setzte nun für den Umsatz des Regisseurs aus selbstständiger Tätigkeit den Regelsteuersatz an (damals waren das noch 16 Prozent). Aus Sicht des Regisseurs darf man wohl von dem klassischen Eigentor sprechen. Jetzt aber forderte der Regisseur den Schiedsrichterbeweis und klagte.

Was steckt hinter der Klage des Regisseurs?

Wenn man sich nicht nur blindwütig über das Urteil des Bundesfinanzhofs erregen will, ist hier ein erläuternder, wenn auch stark verkürzter Ausflug in die steuerliche Paragraphenwelt kaum zu umgehen. (Wer sich diesen Streifzug in die Juristerei gänzlich ersparen will, möge forsch zu "Die Konsequenzen"  springen).

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Der Bundesfinanzhof in München
© AHert/wikimedia.de

Der deutsche Gesetzgeber hat im Umsatzsteuergesetz (UStG) eine Befreiung von der Umsatzsteuer u.a. für Theater, Orchester, Chöre, Museen und gleichartige Kultureinrichtungen festgelegt.2 Der ermäßigte Steuersatz (von aktuell 7 Prozent) wiederum ist etwa für "Darbietungen ausübender Künstler" vorgesehen.3 In der Praxis der Finanzämter hat sich dabei die Auffassung durchgesetzt, dass ein "ausübender Künstler" jemand sei, der typischerweise in Auftritten unmittelbar dem Publikum gegenüber stehe. Ein Dirigent gilt somit ebenso als "ausübender Künstler" wie ein Schauspieler, nicht jedoch ein Regisseur, Bühnenbildner, Tontechniker, Beleuchter, Maskenbildner, Souffleur, Cutter etc.4

Auch um diese unterschiedliche (und augenscheinlich nicht sonderlich "gerechte") steuerliche Behandlung der Künstler ging es in der Klage des Regisseurs. Die nun vor dem Bundesfinanzhof letztinstanzlich gescheitert ist.

Die Urteile der ersten und zweiten Instanz

Immerhin hatte die erste Instanz noch zugunsten des Regisseurs entschieden: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte unter Berufung auf europarechtliche Bestimmungen5 auf eine vollständige Umsatzsteuerbefreiung erkannt.6 Weil der deutsche Gesetzgeber vergleichbare theatertypische Leistungen – wie z.B. die Überlassung eines bei einem Theater angestellten Regisseurs an ein anderes Theater als Gastregisseur – von der Umsatzsteuer befreie, müsse diese Vergünstigung zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen einem selbstständig tätigen Regisseur ebenfalls zugute kommen.

Der Bundesfinanzhof hielt dagegen, dass dem deutschen Gesetzgeber die Auswahl, welche Leistungen der Künstler von der Umsatzsteuer befreit sein sollen, vom Europarecht sehr wohl freigestellt sei.7 Und Künstler, die ohne unmittelbaren Publikumsbezug tätig sind, seien nun einmal qua Gesetz nicht umsatzsteuerbefreit. Zudem werde der deutsche Gesetzgeber zwar ermächtigt, Werke von ausübenden Künstlern einem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen8, habe davon im Falle der Regisseure indes keinen Gebrauch gemacht. Da die Tätigkeiten eines Regisseurs mit den unmittelbar publikumsberührenden Darbietungsformen (der Schauspieler etc.) nicht vergleichbar seien und nicht mit ihnen im Wettbewerb stünden, sei diese gesetzlich normierte Unterscheidung gerichtlich nicht zu beanstanden.

Die Konsequenzen

Letztlich hat der Bundesfinanzhof – und dessen sollte man sich bewusst sein! – keine neue Rechtslage geschaffen. Er hat vielmehr eine bestehende Rechtslage bestätigt. Juristisch ist das Urteil nicht zu beanstanden.

Die Praxis der deutschen Finanzämter jedoch war bislang uneinheitlich. Nicht selten sind die Finanzämter von der Anwendung der gesetzlichen Vorgaben abgewichen: Genau deshalb hatte der klagende Regisseur ja sein Finanzamt in den Jahren vor 2004 mühelos dazu bringen können, seine Umsätze mit 7 Prozent zu besteuern. Es steht nun zu befürchten, dass das Urteil bei den Finanzämtern genauere Überprüfungen der Steuersätze der weit gestreuten Berufsgruppe "ausübende Künstler" auslösen könnte.

Wie schon erwähnt, ist zudem eine erhebliche Kostensteigerung bei Theatern und Opernhäusern absehbar, da die Rechnungen der selbstständig tätigen Regisseure künftig den 19-prozentigen Steuersatz auszuweisen haben. Man kann sich leicht ausrechnen, dass das bei den Theatern mit ihren ohnehin von einsparungsfreudigen Politikern bedrohten Etats zu empfindlichen Unterfinanzierungen führen kann, insbesondere falls es zu Prüfungen der Finanzämter und zu Nachberechnungen der Umsatzsteuer kommen sollte. Die Theater werden daher versucht sein, im Rahmen künftiger Gagen-Verhandlungen die Kostensteigerung auf die Regisseure abzuwälzen.

Was kann die Lösung sein?

Wenn ein im Grundsatz völlig korrekt getroffenes Urteil wie im vorliegenden Fall durchaus berechtigte Empörung auslöst, dann kann das nur heißen, dass die Schieflage auf der Seite des Gesetzgebers zu suchen ist. Und das wenigstens hat das Urteil des Bundesfinanzhofs bewirkt: Eine breitere Öffentlichkeit wird hierdurch auf eine kulturpolitisch unverständliche Gesetzgebung und Verwaltungspraxis aufmerksam.

Warum der Gesetzgeber im Steuerrecht nicht von einem großzügigeren Begriff des ausübenden Künstlers – wie z.B. im Urhebergesetz – ausgeht und somit zumindest eine ermäßigte Besteuerung herbeiführt, sondern stattdessen eine praxisferne und wenig nachvollziehbare Unterscheidung der Tätigkeiten von Künstlern vornimmt, ist nur mit einer gravierenden Kulturgleichgültigkeit der Finanzpolitiker zu erklären. In einer Zeit, in der Regisseure wie Nicolas Stemann regelmäßig mit auf der Bühne stehen und Performancegruppen die Trennung von 'ausübend' und 'ermöglichend' überhaupt nicht kennen, mutet die hier gerichtlich angelegte Unterscheidung ohnehin anachronistisch an.

Der Bundesfinanzhof weist in seinem Urteil oftmals darauf hin: Die geltende Rechtslage kann nur der Gesetzgeber ändern. Und so möchte man den zuständigen Institutionen, insbesondere dem Kulturstaatsministerium, laut zurufen: Ändert! Und zwar zügig und rechtssicher!

 

Fußnoten:

1) Urteil des Bundesfinanzhofs (XI R 44 / 08) vom 04.05.2011.
2) § 4 Ziffer 20 a UStG.
3) § 12 Abs. 2 Ziffer 7a UStG.
4) UStR 166 zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 UStG.
5) Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. N Richtlinie 77/388/EWG.
6) Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 04.11.2008.
7) Europäische Richtlinie 77/388/EWG.
8) Art. 12 Abs. 3 Buchst. A Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 8 Richtlinie 77/288/EWG.

 

Uwe Steinkamp ist Rechtsanwalt bei der Berliner Kanzlei Petersen & Steinkamp.
Wolfgang Behrens ist Redakteur bei nachtkritk.de.

 

Zeitgleich mit der Veröffentlichung dieses Textes wurde bekannt, dass eine Initiative der Obleute im Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestages, die sich mit einem Schreiben an den Bundesfinanzminister wenden wollten, um gemeinsam dafür zu werben, dass das Urteil des Bundesfinanzhofs nicht angewendet wird, am Widerstand der FDP scheitert.

Hier ist das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 4. Mai 2011 in Gänze nachzulesen. Und dies schrieb am 20. September 2011 Reinhard Brembeck in der Süddeutschen Zeitung dazu.

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