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Wie es früher war

von Matthias Weigel

Schwerin, 14. Oktober 2011. Wie nennt man einen arabischen Kuhstall? Muh-Barack. Warum verwandeln die Türken beim Fußball nie einen Eckstoß? Immer wenn ein Türke eine Ecke bekommt, macht er dort eine Dönerbude auf. Und wie lange braucht eine Türkin, um den Müll raus zu bringen? Wie schon die vorherigen so ist auch diese Antwort am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin zu erfahren, im Stück "Angst essen Seele auf" von/nach Rainer Werner Fassbinder.

Diese Witze sind eigentlich auch schon alles an Aktualisierungen, was Regisseurin Claudia Geisler-Bading am Stück zulässt. Doch allein dadurch wird natürlich nichts aktueller. In Fassbinders Film geht es ja genau um diesen offenen Fremdenhass, wie er in den 70er Jahren (in München?) wohl nahezu hoffähig war: Als eine ältere Frau Ende 60 ein Verhältnis mit einem mehr als 20 Jahre jüngeren marokkanischen Gastarbeiter anfängt, tickt ihre Mitwelt aus. Ausländer seien ja schließlich dreckige Schweine, neidisch, geizig, faul, vergewaltigend … so zumindest die Bürgerlichen in "Angst essen Seele auf".

Regionalbezug? Abgehakt!

Doch Rassismus sieht heute anders aus. (Weswegen man über die Witze ja auch herzhaft lachen kann, weil sie vielmehr durch ihre Struktur funktionieren, als ihren offensichtlichen Inhalt, siehe Blondinen- und Ostfriesenwitze.) Heutzutage wird Rassismus als pseudowissenschaftliche Statistik dargeboten, mit scheinbar objektiven Befunden umtanzt und als Giftcocktail aus oberflächlich neutralen Begriffen verabreicht, was viel perfider ist. Würde er plump auf die Straße gerufen – wie einfach gäbe er sich da zu erkennen!

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Im Vordergrund: Brigitte Peters und Amadeus Köhli © Silke Winkler

Fassbinders Film ist in dieser Hinsicht ein historisches Dokument, das in Schwerin nun ziemlich einfallslos eben so historisch auf die Bühne gebracht wurde. An der entrückten, theatralen Kammerspiel-Ästhetik des Filmes muss man ja praktischerweise nicht viel ändern für die Verbühnisierung.

Die offene Bühne des E-Werks ist nur durch ein Parkett-Quadrat markiert, auf das die Schauspieler von ihren seitlichen Umzugs- und Aufenthaltsorten auftreten. Würfel aus zusammengepressten Stoff-Ballen sind die einzigen Möbel, aus denen Mal Bar-Tresen, mal Wohnzimmer gebaut wird. Während Sebastian Reusse, Andreas Lembcke, Franziska Hayner und Anja Werner durch kleine Kostümwechsel die eher funktionalen Nebenfiguren im Schnell-Wechsel erschaffen, richtet sich alles auf die Witwe Emmi (Brigitte Peters) und den Gastarbeiter Ali (Amadeus Köhli). So werden die Szenen des Films nahezu komplett erzählt, durch andauernde Musik- und Licht-Einsätze eifrig unterteilt.

Peinlich wird es, wenn Geisler-Bading allen Ernstes die Szenenwechsel mit Fotoprojektionen einläutet, welche die Filmschauplätze in Schweriner Schauplätze übersetzen: Das Münchner Standesamt ist hier das Schweriner Standesamt, der Biergarten im Englischen Garten wird zum Biergarten am Schweriner See. Prima, Regionalbezug abgehakt! Es kann uns also alle treffen! Oder hat es schon? Ein Regie-Einfall, der an seiner intellektuellen Verweigerung kaum zu überbieten ist. Erstaunlich, dass einem zum Thema Diskriminierung von Ausländern nichts anderes einfällt, außer zu zeigen, wie es früher mal so war.

Bescheidenes Schwelgen im Liebesglück

Erstaunlich aber auch: Brigitte Peters in der Rolle der Witwe. Im letzten Jahr war Peters im Biberpelz als Mutter Wolffen zu sehen; die Produktion wurde als eine der zehn bemerkenswertesten auch zum Berliner Theatertreffen 2010 eingeladen. Nun steht sie als ältere Dame auf der Bühne, die zwar mit der Zeit vielleicht etwas eingerostet, im Grunde aber doch sehr taff ist. Manchmal kann sie es selbst nicht so recht fassen, wie sie ihr Leben auf einmal selbst in die Hand nimmt und zur Frau Emmi m'Barek Mohammed Mustafa wird. Ab und zu weint Emmi, weil sie so glücklich ist, sagt sie; doch irgendwann auch, weil sie den Hass nicht mehr aushält. Peters schwelgt bescheiden im unerwarteten Liebesglück im Alter, wird zur Furie ob der Anfeindungen gegen Ihren Mann, bricht weinend unter der gesellschaftlichen Verachtung zusammen: ziemlich viel Leben für eine kleine Frau.

Aber eben auch ziemlich wenige Aussagen zu einem großen Thema.

 

Angst essen Seele auf
Schauspiel nach dem gleichnamigen Film von Rainer Werner Fassbinder
Inszenierung: Claudia Geisler-Bading, Bühne und Kostüme: Claudia Charlotte Burchard.
Mit: Brigitte Peters, Amadeus Köhli, Sebastian Reusse, Andreas Lembcke, Franziska Hayner, Anja Werner.

www.theater-schwerin.de


Alles über den Nord-Schwerpunkt von nachtkritik.de in dieser Spielzeit hier.

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Kritikenrundschau

Manfred Zelt schreibt in der Schweriner Volkszeitung (17.10.2011): "Wie Emmi dem sozialen Gegenwind trotzt, tapfer die eigentlich unmögliche Beziehung möglich macht, sich durch eine Krise des Paares kämpft, wie unter Glückstränen noch einmal auflebt, das spielt Brigitte Peters mit reichen Schattierungen. Eine berührende Charakterstudie. Das psychologische Theater ist doch noch nicht tot." Regisseurin Claudia Geisler-Bading setze "das Sozialmelodram mit minimalen, meist leisen Szenen behutsam zu einem Verhaltensmosaik zusammen, das noch brisant gegenwärtig ist. Ein Spiel, das atmet, in dem auch General-Pausen etwas erzählen."

Claudia Geisler-Bading habe "das Stück ins Hier und Jetzt geholt", meint Thorsten Czarkowski in der Ostsee-Zeitung (17.10.2011) und stimmt in das Lob von Brigitte Peters ein: "Sie überzeugt in der Rolle der Emmi in allen Situationen – als anfangs verzagter, dann immer kraftvoller werdender Charakter. Eine starke Vorstellung, die den Vergleich mit Brigitte Mira, die bei Fassbinder die Hauptrolle spielte, nicht zu scheuen braucht."

Kommentare  
Angst essen Seele auf, Schwerin: still, persönlich, geheimnisvoll
Der Abend in Schwerin, den ich gesehen habe, ist keiner, der eine Botschaft in die Welt schreit. Es ist ein eher stiller und gedankenvoller Abend.
Wie durch ein Brennglas sieht man Szenen, wie sie sich in Schwerin oder anderswo, vor Jahren oder heute abspielen könnten. Schwarz - Weiß – Fotos in großem hölzernen Bilderrahmen bilden den Hintergrund und zeigen zunächst die einzelnen Figuren allein an ihrem Arbeitsplatz. Dann führen sie uns an menschenleere Orte: eine Hauswand, die Tür des Standesamtes, ein volles Kühlregal, Container... Es sind Bilder, in Schwerin aufgenommen, die man wohl auch anderswo finden kann. Bilder ohne Leben.
Beängstigend lebendig dagegen ist das Klima der scheelen Blicke, der spitzen Bemerkungen im Vorübergehen, der Gemeinheiten, der Ausgrenzung des Paares, der Verbrüderung der „Sich-besseren-Dünkenden“ (oder Ängstlichen?), das in den einzelnen Szenen vom Spielensemble erzeugt wird.
Die offene Spielweise (alle Darsteller sind immer präsent) betont die Austauschbarkeit der Personen. Die seelische Gewalt, die ganz nebenbei, fast lautlos – aber stetig – aushöhlt und mürbe macht ist so gefährlich, weil sie sich im Alltag hinter Normalität versteckt. Wie in den hingeworfenen Witzen, über die die Figuren im Stück „herzhaft“ lachen, nicht aber die Zuschauer.
„Angst fressen Seele auf“, sagt Ali zu Emmi. Angst frisst Seele auf. Immer. Von allen, die Angst haben.
Musik wurde in den Umbauten und (sehr sparsam) innerhalb der Szenen eingesetzt, so dass man immer wieder die Spannung der Stille und des Schweigens aushalten muss.
Die Regisseurin vertraut ganz auf ihre Darsteller, die ihre Figuren sehr genau und liebevoll zeichnen. Keine intellektuell verbühnisierte Formierung einer Idee, sondern der Versuch, lebendige Menschen auszuspüren.
Herausragend dabei Brigitte Peters als Emmi, die „mit dem Herzen sieht“. Amadeus Köhli überzeugt als nur gebrochen deutsch sprechender Ali mit Klarheit und Souveränität.
Eine Geschichte von Menschen; von ihrer Angst im Leben - wie sie heute und überall spielen kann. Weil Menschen so sind. Und das Leben so ist.
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