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Eine Hölle für die Guten

von Christian Rakow

Berlin, 18. Oktober 2011. Maren Eggert, eine Elektra wie Mantegna sie malen würde: in düsterem Gouvernantenrock, der ihren Teint leicht blässlich färbt. Auf den durchdringenden, weiten Augen leuchtet bisweilen ein zarter Tränenfilm. Es ist ein Schleier der Entrückung. Ihre Lippen sind stets etwas zusammengezogen. Diese Elektra spricht nicht, nein, sie peitscht; sie fasst mit jedem Wort unter die Haut, zieht sie in Schichten ab, so als kenne sie die Menschen nur als niederes Getier. "Hoffentlich gibt es irgendwo auch eine Hölle für die Guten", sagt sie und lacht sardonisch. Das ist ein Bild von einer Elektra! Kalt und groß. Für Momente erstrahlt es hell und zeigt uns eine Welt ganz abseits dieses Abends und erlischt.

Denn nirgends, wirklich nirgends, kann diese schauspielerische Vision Halt finden. Meilenweit sind wir von den ehrenwunden Muttermördern Orestes und Elektra entfernt, von ihrem Fatum, ihrer Schuld und Sühne, wie sie Aischylos in seiner "Orestie" entfaltet hat. Was heute im Deutschen Theater läuft, ist die ultimative Verzwergung dieses Mythos zur Kinderstubenmalaise: Eugene O'Neills "Trauer muss Elektra tragen" von 1931.

Inzestuöser Mief
Als hätte unser Theater nicht Grund genug, in die Welt hinein zu blicken: auf die sozialen Zerwürfnisse unserer Tage, die kriegerische Zuspitzung globaler Konflikte, auf die Schuldenkrise und unser aller Anteil daran! Was aber macht die DT-Dramaturgie? Sie wählt ein Melodrama aus den (un-)seligen Zeiten der patriarchalen Großfamilie, das so durch und durch inzestuös mieft, dass man auf jeder zweiten Seite das Fenster aufreißen möchte.

Lavinia (alias Elektra) liebt Papa Ezra (alias Agamemnon) und ein bisschen auch ihren Bruder Orin (alias Orest), weil der dem Papa so hübsch ähnelt. Orin liebt Mama Christine (alias Klytaimestra) und auch ein bisschen Lavinia, weil die – Gezänk mit Mama hin oder her – der Mama aufs Haar gleicht. Mama hat sich aber leider in den Schifferkapitän Adam Brant (alias Aigisthos) verliebt, der – Sie ahnen es! – ihrem Sohn Orin zum Verwechseln ähnlich sieht. Kein Wunder, schließlich ist Brant ein illegitimer Spross des Hauses, gezeugt von Onkel David und dem Dienstmädchen Marie Brantôme. In diesem dichten Geflecht passieren Morde bevorzugt aus Eifersucht.

Nun wieder starr und eisig
Geschenkt, dass O'Neill seinen Ödipussi-Plot in einer hochneurotischen Textur darbietet und seine Leser mit andauernden Regieanweisungen gängelt, Marke: "Lavinia nun wieder starr und eisig – langsam: Nein. Nicht, wenn Du mich nicht selbst dazu zwingst. Dann, da sie das Erstaunen ihrer Mutter gewahrt – finster: …". Egal auch, dass jede seiner Figuren ihre komplexbehaftete Wahrheit wie im Groschenroman geschwätzig vor sich herträgt. Das war so der Gusto anno 1931. Schlimm ist allein die Ausgrabung zum jetzigen Zeitpunkt und nurmehr aberwitzig die dramaturgische Chuzpe, diese Binnenansicht einer Familie als Kriegsheimkehrerdrama zu behaupten. Dabei erklären sich die Kriegserzählungen der Figuren allein aus der Familienstruktur, nicht umgekehrt. Folgerichtig möchte der Zeit- und Militärhistoriker Klaus Naumann im Programmheft denn auch lieber über Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" als über O'Neills Trilogie der trüben Kinder reden. Warum spielt man dann nicht Borchert?

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Pures Melodrama: Adam Brant (Bernd Moss) und Lavinia/Elektra (Maren Eggert).
© Arno Declair

 

Was an die Stückwahl anschließt, ist eine Serie von Verlegenheitslösungen: Dramaturgin Sonja Anders und Regisseur Stephan Kimmig schreiten zur Kahlschlagorgie und bringen den einhundertsechzig Seiten langen Wälzer auf knapp zwei Stunden Spieldauer runter. Leider fühlt sich Kimmig in seiner Trailerversion weiterhin den manischen Regieanweisungen O'Neills verpflichtet, weshalb sich seine Akteure praktisch im Sekundentakt durch wechselnde Haltungen und Energiezustände (zwischen apathisch und Attacke!) zappen. Statt stimmiger Psychologien hagelt es aufdringliche Standbilder im grauen, angeschrägten Betonbunker von Bühnenbildnerin Katja Haß. Der Tiefpunkt ist fraglos bei der Ermordung Adam Brants erreicht, wenn sich Lavinia (Maren Eggert) von hinten an Brant (Bernd Moss) herankuschelt, dem sich wiederum Friederike Kammer als Mama Christine von vorn anschmiegt, während – na, wer fehlt? – Orin (Alexander Khuon) an Lavinias Rücken tritt und – Achtung, Mord! – über ihre Schulter hinweg Brant die Nase zuhält. Das ist der Inbegriff von Kitsch.

Keine Kompromissnummer
Es schmerzt die Vergeudung von schauspielerischem Potential. Nichts sehen wir von dem überspannten, verzärtelten, wegdriftenden Orin in Alexander Khuons Spiel. Wenigstens macht Khuon mit flapsiger Galanterie aus der unfreiwilligen Komik dieses Unterfangens eine freiwillige, wenn er erst seine Loverin im Wartestand Hazel Niles (bezaubernd in ihrer Nebenrolle als somnambul rätselhafte Dulderin: Natalia Belitski) liebkost und sogleich auch Mutter Christine seine Treue bekundet.

Es gibt Abende, an denen aus einem drittklassigen Stück durch Ausnahmeschauspieler in glücklicher Regie eine erstklassige Inszenierung entsteht. Dämonen an der Schaubühne letzte Saison war so ein Fall. Dea Lohers Unschuld, soeben von Michael Thalheimer zurechtgestutzt, fällt auch in diese Ecke. Heute war man, trotz Extraklassedarstellern und einem Regisseur, der mit Gorkis Kinder der Sonne unlängst eines der herausragenden Werke für das DT geschaffen hat, auch von solchen Kompromissnummern weit entfernt. Um wie viel weiter von dem, worum es eigentlich geht: erstklassige Stücke für unvergessene Abende!


Trauer muss Elektra tragen
Von Eugene O'Neill
Deutsch von Marianne Wentzel
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Ingo Schröder, Dramaturgie: Sonja Anders.
Mit: Helmut Mooshammer, Friederike Kammer, Maren Eggert, Alexander Khuon, Bernd Moss, Sebastian Grünewald, Natalia Belitski, Ingo Schröder (Live-Musiker).

www.deutschestheater.de

 

Hier spricht Regisseur Stephan Kimmig über das Stück, über Kriegsheimkehrer und seine Absichten im Deutschlandradio Kultur.

Kritikenrundschau

Andrea Gerk (hier der Originalbeitrag zum Nachhören) sagte auf Fazit. Kultur vom Tage im Deutschlandradio (18.10.2011): Es werde "relativ voraussetzungslos rumgeschrien, getobt, aneinander rumgezerrt, gerüttelt, auch geküsst wird viel". Trotzdem komme keiner beim anderen wirklich an. Manche Bilder, die an Krieg erinnerten, kreiere Kimmig ganz einfach. Wenn Maren Eggert ihren schwarzen Rock über den Kopf ziehe, falle einem sofort der sogenannte Kapuzenmann aus Abu Ghraib ein. Vieles indes sei nicht stimmig. Die Inszenierung beginne mit den Reifröcken aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, später würden die Kostüme ohne Begründung immer moderner. Auch in der Spielweise tauche diese Unstimmigkeit wieder auf. Zwar sei Maren Eggert sehr eindringlich gewesen, sehr gut auch Alexander Khuon und Friederike Kammer, aber der merkwürdige Spagat zwischen psychologischem Rollenspiel und einem hysterischen, fast ausgestellten Spiel, erzeuge immer wieder Momente unfreiwilliger Komik. Man wisse gar nicht richtig, was Kimmig wolle. Wenn die Figuren einerseits "tief in die Abgründe rein" gingen, andererseits sofort wieder stilisierten, hebe sich die "Intensität, die vorgegeben" werde, selbst wieder auf. Der Abend treibe "ungeheuren emotionalen Aufwand", habe aber gar keine "emotionalisierende Kraft".

Auf der Webseite der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel (19.11.2011) schreibt Rüdiger Schaper: O'Neills "Monsterwerk", diese "Orgie der Selbstzerstörung", jage Stephan Kimmig durch die Zentrifuge. Ergebnis: "Zu heiß gewaschen und zu schnell". Die Figuren wirkten nur deshalb körperlich so groß, weil die Bühnenbildnerin Katja Haß sie in einen niedrigen grauen Kasten stellt, ohne jedes Requisit. Die Aufführung strahle, "wie so viele Produktionen am Deutschen Theater", eine "kühle Rationalität" aus. Und sie habe "etwas Verzwergtes", man schneide sich die Tragödie handlich. Das Tragische werde "unschädlich gemacht, ehe es sich entfaltet". Die Szenen seien "kurz gehalten, jede auf Pointe getrimmt". Maren Eggert "wäre mit ihrer offenen und zugleich dunklen Aura eine wunderbare Lavinia - nur kann sie nichts entwickeln". Ihre "Ausbrüche" wirkten wie "hysterische Explosionen ohne Vorwarnung". Auch Alexander Khuon habe einen starken Anfangsauftritt als "traumatisierter Kriegsheimkehrer. Aber dann steht er aus dem Rollstuhl auf, als wäre nichts gewesen. Blackout!" Überall sehe man derzeit ein solches Theater, darin stecke "ein Misstrauen gegenüber den eigenen Möglichkeiten", es sei ein "geordneter Rückzug des Theaters von den Schlachtfeldern". Viele Regisseure agierten "wie Kontrollfreaks, haben einen faulen Frieden mit der Dramatik geschlossen".

Auf der Webseite der Berliner Zeitung (19.10.2011) und, leicht gekürzt, auch in der gedruckten Frankfurter Rundschau (20.10.2011) schreibt Ulrich Seidler über das "psychoskeptische Bunkerspiel": Die Schauspielerinnen wirkten mit ihren voluminösen Kostümen wie gigantische Fleischpuppen, als habe man "die Figuren in überlebensgroße Leiber eingesetzt". Dort drinnen "scheinen diese fremden Zwerge mit monströsem Spieltrieb die Schaltzentrale geentert zu haben, an den Steuerknüppeln zu rütteln, Tränen- und Hirnanhangdrüsen auszuquetschen und dann und wann mal das ganze emotionale Kontrollsystem abstürzen zu lassen". "Kräftige bis grobe, abrupt gebrochene Wut- und Knutschanfälle sowie Nervenaus- und körperliche Zusammenbrüche" seien die Folge. Wenn einer sterbe, sehe es so aus, "als habe die Figur die Lust an dem Spielleib verloren und ihn einfach stehen gelassen". Ausgerechnet mit O’Neills "psychoanalytisch-melodramatischem Triptychon" scheine Kimmig, dieser Routinier des "seelenkundlichen Theaterspiels", sein "Misstrauen am bürgerlichen Theater ausdrücken zu wollen - und zwar mit den Mitteln des bürgerlichen Theaters."

Auf Welt Online (20.10.2011) schreibt Matthias Heine: Da der Gattenmord als Verbrechen nicht ausgestorben sei, müsste man sich, trotz facebook und Patchwork-Familien, eigentlich noch "brennend" für die Familie Mannon aus "Trauer muss Elektra tragen" interessieren. Stück-Kürzung, Kostüme im zweiten Teil, das Bühnenbild, ein bunkerartiger, flacher, fensterloser Kasten, - alles "zielt weg vom Besonderen und vom Historischen ins Allgemeine und Gegenwärtige". Schauspielerisch werde auf "dem Hochleistungsniveau agiert, auf das der Zuschauer in diesem Hause Anspruch hat". Maren Eggert lasse den aus "nach innen brennender Sinnlichkeit befeuerten Furor" der Lavinia "mehr als anschaulich werden". Vor allem im Zusammenspiel der Geschwister – Maren Eggert und Alexander Khuon - erhebe sich die Aufführung "zu schwindelerregender Virtuosität und Intensität". Und doch fühle man sich den Figuren "fern", der "ganze Wust aus Mord und Hass scheint uns gar nicht mehr anzugehen".

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.110.2011) schreibt Irene Bazinger: Für eine von der antike inspirierte Trilogie wie O'Neills "Trauer muss Elektra tragen" sei "die ganze wilde Küsserei", wie Stepan Kimmig sie inzestuös inszeniere, "einfach zu wenig". Bei Kimmig werde aus der Paraphrase der "Orestie" eine "hohle, blasse Kolportage mit den üblichen, hier recht dünn aufbereiteten Ingredienzien. In dem "schäbigen, niedrigen Raum" von Katja Hass tapsten die Schauspieler wie "eingesperrte Riesen" umher. "Sie könnten durch die Decke gehen, kleben jedoch an einer einfallslosen Regie fest". Maren Eggert sei unter diesen Bedingungen keine "Furie der Unbedingtheit", sondern eine "rotbackige Klosterschülerin mit cholerischen Ausbrüchen" mit der "Anmutung einer beleidigten Leberwurst". Alexander Khuon gelinge es "zumindest hin und wieder" die Folgen seiner "Traumatisierungen aufzuzeigen". "Einzig Friederike Kammer vermag mehr als eine oberflächlich skizzierte Figur zu gestalten". Um sie bleibe stets "ein Geheimnis, das Aura oder Schicksal heißen könnte, Mythos oder Wahn". Alles andere aber sei in dieser Inszenierung nicht der Rede wert.

In der Süddeutschen Zeitung (22.10.2011) schreibt Peter Laudenbach: Kimmig verdünne Eugene O"Neills Dramen-Trilogie zur "zeitlos düsteren Versuchsanordnung". In ihr zappelten die Figuren wie "neurotische Laborkaninchen ". Schon das Stück sei "nicht frei von Schwulst und dampfendem Triebleben". Fast "wie ein Misstrauensvotum gegen O"Neills Vorlage", wirke es aber, wie Kimmig die Figuren zu "Neurosenzoo-Insassen" reduziere. Maren Eggert mache aus Lavinia einen "überspannten Unglücksraben", keinen "Charakter, sondern ein einziges Verhängnis-Ausrufezeichen", Ezra bei Helmut Mooshammer ein "nervöses Männchen". Bernd Moss mache Brant "zur grimassierenden Witzfigur". Selbst Alexander Khuon rette sich als Orin in "routiniertes Charmebolzentum" oder "sturzbetroffenes Oh-Mensch-Pathos". "Etwa in der Mitte" kippe die "Tragödienbehauptung immer stärker in die Groteske", bis es am Ende fast so aussehe, als mache sich die Regie über die "Ödipus- und Inzest-Muster und die Figuren mit ihren verschwitzten Triebnöten" lustig. Ein "zäher Abend", ein "unnötiges Nichts von Inszenierung".

Kommentare  
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: wunderbares Frauenensemble
(...)Es mag ja sein, daß Herr Rakow das Stück nicht mag und die Textvorlage in Frage stellt, aber wen interessiert das? Stattdessen hätte Herr Rakow sich die Mühe machen sollen, detaillierter auf die Inszenierung und vor allem die Schauspieler einzuegehn. Ich war gestern Premierengast, und es gäbe sehr viel Wichtigeres zu berichten von dem Theaterabend. Vor allem von dem wunderbaren Frauenensemble! Allen voran Maren Eggert!
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: Kaum etwas zum Abend selbst
Auch ich empfinde den "literaturwissenschaftlichen" Exkurs des Rezensenten hier als fehl am Platz. Herr Rakow, regen Sie sich auch so über die heute antiquiert wirkenden Verse Shakespeares auf? Was soll das? Zum Abend selbst sagen Sie kaum etwas.
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: überflüssig
Sorry, aber der Kritiker hat leider recht: Der Abend war vollkommen überflüssig!!! Das Stück muss heute wirklich keiner sehen. Und dem Regisseur ist auch nichts dazu eingefallen. Die Schauspieler sind unschuldig. Vielleicht hätten sie gegen das Stück rebellieren sollen.
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: Bitte, reißen Sie die Fenster auf!
Wie detaillierte bitte sollte Christian Rakow denn noch über diesen Langweilerabend gestern berichten. Er hat alles in vollster Ausführlichkeit beschrieben. Mehr gibt es nicht zu sagen. Das einzig löbliche ist, dass uns Kimmig vor der geballten Ladung O`Neill bewahrt. Man sollte dieses unsägliche Stück endlich von den Spielplänen streichen. Ich habe noch keine wirklich zeitgemäße Fassung davon gesehen und vom Blatt gespielt ist es einfach unerträglich. Von den letzten Berliner Versuchen war mir nur ein kläglicher Versuch von einschläferndem Wasserballett in einer Choreografie von Konstanze Lauterbach 2002 am DT in Erinnerung und nachdem ich mir sagen lassen musste, dass es Thomas Ostermeier 2006 auch schon mal probiert hat, habe ich lange in meinem Gehirnskasten gekramt, aber mehr als Bungalowwohnlandschaft und Minigolf hatte sich da nicht auf der Festplatte eingebrannt. Mit schön rumstehen, Schwarzblende und ab und zu Röcke raffen, geht es natürlich auch. Der ganze Kasten ist vernagelt von Anfang an, aber das weiß man eigentlich auch schon vorher. Man wundert sich da direkt, dass diese Altkleiderständer aus blitzheiterem Himmel plötzlich diese Zerstörungskraft entwickeln können. Mal wieder alles nur Behauptung, Tragödie light. Der Einzige der halbwegs glaubhaft aber leider nur kurz zum Zuge kommt, ist Papa Mannon, der sich schon arg wundert, was in der Familie so in seiner Abwesenheit abgegangen ist. Das ist schon einen Herzkasper wert und damit er auch ja nicht mehr zu Atem kommt, wird dem schon im Klammergriff der Todesengel befindlichen noch hinterrücks vom Khuon-Orin die Nase zugehalten. Dieser sitzt anfangs noch im Rollstuhl und hält sich immer wieder den Kopf. Na was nun eigentlich, Kopfverletzung oder Sockenschuss? Wahrscheinlich beides. Das ist hier aber nicht mal mehr ein Fall für Freud. Und genauso freudlos entledigen sich auch die Schauspieler dieses Jobs. Maren Eggert bekommt einfach keine vernünftigen Rollen am DT, es ist zum auswachsen. Und dann noch die Garderobe, erst wird sie in ein Sackkleid gesteckt und muss als Hausmuttchen mit kleinen Puppen spielen und dann ist sie wieder die Vampirfurie im schwarzen Reifrock. Stilistisch hat sie diese Spannbreite ja drauf, das muss man ihr lassen. Ich könnte das gerne noch ein wenig weiter auswalzen, allein, was sollte man da noch darüber schreiben, ohne das auch mal anzumerken: Es mieft gewaltig im DT. Herr Khuon reißen Sie die Fenster auf und holen Sie den Kampf der Straße, von dem Sie da berichten, tatsächlich mal ins Haus. Habe fertig, bitteschön.
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: Stücke auf den Prüfstand!
das ist eigentlich eine ganz gute erfindung von herrn rakow, vor allem die klassischen dramentexte auf den prüfstand zu stellen und weniger die regisseure. das wäre doch schön, wenn wir mehrmals im jahr lesen könnten, welch unsägliches stück "lear" denn ist und nicht immer, daß wieder einmal mehrere regisseure daran gescheitert sind. das ist ungewohnt, wie offenbar für lauredana. aber das heißt ja noch immer nicht, daß nicht so die viel bessere kritik anfängt. es ist wohl die angst vor der wiederholung, die die kritiker davor zurückschrecken läßt, mehrmals zu schreiben, daß "trauer muß elektra tragen" ein mißlungenes drama ist. allerdings ist es die beste art, es zum verschwinden zu bringen.
Elektra, DT Berlin: glasklare Theaterluft!
6. Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: großartig!

Ich war gestern in der Premiere und finde das Stück großartig - um genau zu sein Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme und vor allem die Schauspieler, einzeln und als Ensemble! Ich bin schon lange nicht mehr über fast zwei Stunden so von einem Theaterstück gefesselt und berührt worden. Kimmig's Inszenierung wirkt auf mich ausgewogen und präzise und erzeugt mit wenigen erzählerischen Mitteln Phantasie. Herausragend für mich auch Ingo Schröder's einfühlsam handlungsleitende Gitarrenbegleitung.
Negative Energie geht für mich dagegen von den Kritiken von Christian Rakow und Stefan aus, nicht nur weil ich ihre Meinung für unzutreffend halte, sondern weil sie so tun, als ob sie im Vollbesitz der Wahrheit sind. Sind sie aber nicht: Ich habe jedenfalls angesichts des begeisterten Premierenpublikums (und das war unisono die Resonanz auch bei den zufälligen Gesprächen die ich anschließend geführt habe) nicht das Gefühl, dass ihre Meinung den Punkt trifft. Da war kein Mief, sondern glasklare Theaterluft!
Elektra, DT Berlin: ohne weitere Bedeutungsebene
Die Figuren bleiben oberflächlich und das liegt nicht an der Leistung der Schauspieler, keine Figur kann Tiefe und Körper gewinnen. Was sie sagen ist was sie machen ist langweilig! Und ohne eine weitere Bedeutungsebene, das fehlte mir wirklich, denn weshalb setzt man dieses Stück auf den Spielplan wenn es nichts gibt was damit erzählt werden soll, außer das es nichts zu erzählen gibt was von Belang ist. Die erste Hälfte war wirklich eine Tortur, dann wurde es spannend, dann wurden die gegenseitigen Verletzungen, Intrigen und Seilschaften sichtbar. Dieses ständige Bauen von neuen Bildern, Licht aus, Positionswechsel, Licht an, Licht aus, usw. usw. Der Musiker auch ohne Arbeit, die wichtigen Musiken kamen von Band, sein Gezupfe hat den Abend nicht weitergebracht, nichtmal als füllende Pausenmusik. Ich habe heute nur deshalb meinem Schlafbedürfnis nicht nachgegeben um hier einen vernünftigen Eindruck schildern zu können und der findet sich in dem Satz: Da ist noch eine Menge Luft nach oben gewesen!
Elektra, DT Berlin: schludrige Verschwendung
...ein sperriges stück, eine schludrige inszenierung, verschwendete schauspieltalente...kimmig konnte an seine großartige maria stuart inszenierung leider nicht anknüpfen!
Elektra, DT Berlin: woher nimmt Rezensent die Chuzpe?
Ich frage mich, woher der sogenannte Rezensent die Chuzpe nimmt, das Stück von O'Neill als drittklassig zu bezeichnen. Das ist respektlos und im Grunde sich selbst disqualifizierend.
Elektra, DT Berlin: zeitlose Darstellung manipulativer Kraft
Natürlich ist vieles in diesem Stück antiquiert (Familienmorde, Kriegertum und nicht zuletzt die Vorlage) und doch sollte das kein K.o.-Kriterium sein. Die für mich wesentliche Stärke der Inszenierung war die Offenlegung ungebändigter emotionaler Energie der Hauptfiguren. Allen voran Lavinia alias der großartigen Maren Eggert, deren manipulative Kraft, eigentlich allen anderen gegenüber, beeindruckend und beängstigend zugleich war. So etwas ist zeitlos, findet sich im Privaten wie Politischen wieder und bedarf definitiv keiner Aktualisierung.
Elektra, DT Berlin: Kinder der Sonne schon nicht herausragend
"kinder der sonne" ein herausragender abend??? ja wo denn, und wie denn? nichts gegen das stück, und nichts gegen die fähigkeiten der akteure, aber inszenatorisch war das ja wohl die totale sparflamme. die zukunft des deutschen sprechtheaters ist das ja nun mal hoffentlich nicht, weil wir ansonsten gleich mit diesen interpretationsbüchlein aus dem deutschunterricht in die vorstellung gehen und nachher abhaken können, was der regisseur alles richtig verstanden hat. ein mut- und kraftloser abend alles in alem. sorry für die themenabweichung, aber herrn rakows meinung konnte ich nun mal so gar nicht teilen!
Elektra, DT Berlin: ich verbitte mir den Ton!
Liebe nachtkritik !
" wir fanden es grottig " . Dieser Satz steht in ihrer Übersicht . Ich habe die Aufführung nicht gesehen , verbitte mir aber diesen Ton , denn der gehört meiner Meinung nach nicht in dieses Format in dem Sie sich sonst so redlich bemühen platte und nachlässige Äußerungen zu schelten , damit es noch einigermaßen zivilisiert zugeht.
Oder ist das der neue Stil ? So ein bisschen jünger ? Ein bisschen mehr Schülerzeitung ? Dann passe ich mich gerne an .
Hochachtungsvoll

Sehr geehrter Herr Klaus,
hm, vielleicht haben sie da Recht. Ich habe "grottig" in "schlecht" geändert.
nm
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: besser
liebe nachtkritik !
Danke.Besser.
viele grüsse
Trauer muss Elektra tragen, DT Berlin: Leere
Es ist bislang eine Spielzeit der Leere: Regisseure, denen nichts einfällt oder die keine Lust auf Regie haben. Für diesen Abend gilt beides. Kimmigs O'Neill ist der vorläufige Tiefpunkt dieser glücklicherweise noch jungen Spielzeit: Ein Theaterabend als Checkliste, platter Pseudo-Freud auf Schülertheaterniveau (zuweilen sogar darunter), dem sich mit Ausnahme Friederike Kemmers leider auch das Ensemble anpasst. Kimmig leistet am DT seinen künstlerischen Offenbarungseid. Es kann eigentlich nur noch besser werden.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2011/10/20/eugene-oneill-trauer-muss-elektra-tragen-deutsches-theater-berlin-regie-stephan-kimmig/
Elektra, Berlin: stringente Erzählweise
Mich überzeugte Stück und Umsetzung am DT.Wie schon 2006 an der Schaubühne von Ostermeier, der ebenfalls miserable Kritiken einstecken musste.Schön und für Berliner Verhältnisse fast mutig fand ich die konsequent stringente und "konventionelle"Erzählweise.Endlich mal kein Transfer in die heutige (Berliner)Zeit mit abgefuckten H+M-Klamotten oder ähnliches.Wunderbar altmodisch.Hingehen und selbst ein Bild machen.
Elektra, Berlin: Musik ausnahmslos live
Es ist tatsächlich alles geschrieben worden über diesen Abend und dieses Stück. D.h. alles, was gegen diesen Abend und dieses Stück spricht und all dem ist nichts hinzuzufügen oder, bedauerlicherweise, gar entgegenzusetzen. - Eben eine völlig überflüssige Inszenierung. Nur soviel zu 7. 'ETC': Die Musik, die zu hören ist, entsteht ausnahmslos live! Sicher, elektronisch bearbeitet und verstärkt, aber dennoch live.
Elektra, Berlin: Musik mit Loopmachines
zu Eric Ender und ETC: Der Musiker verwendet Loopmachines und ähnliches, sodass zeitweise mehrere Musikschichten erklangen, die zum Teil einige Sekunden vorher aufgenommen worden waren und weiterliefen, während der Musiker schon etwas Neues dazuspielte. Oder manchmal gut sichtbar zum E-Bow griff, also in diesem Moment kurz nicht live spielte. Das könnte den Eindruck erzeugt haben, da käme Musik vom Band, was die Sache aber so nicht trifft.
Elektra, Berlin: ohne Verortung
@Ken: Haben wir dieselbe Inszenierung gesehen? Was war denn an diesem Abend stringent? Und was war daran altmodisch? Noch schlimmer als die "heutige (Berliner) Zeit" finde ich persönlich ja diesen elendigen Trend, alles aus der Zeit herauszureißen und nirgendwo mehr zu verorten. Diese "das könnte alles irgendwo und irgendwann spielen"-Haltung widert mich an. Dieses Stück wäre in seiner historischen Verortung vielleicht noch aufgegangen, mit wirklichem Bezug zum Krieg; aber so war's nichts weiter als ein Abend, der so dahinplätschert und das Publikum völlig kalt lässt.
Elektra, Berlin: wie ein Sog
Was bitte haben denn "alle" gegen diese Inszenierung? Okay, die ersten zehn Minuten sind etwas merkwürdig, als würden die Darsteller ihre Rollen nicht finden. Aber dann verdichtet sich diese Inszenierung so enorm, gibt es so viele starke Momente, dass es auf mich wirkt wie ein Sog, der mich immer weiter rein zieht ins Geschehen. Verstörend immer wieder, klar, aber das ist doch gerade auch faszinierend, all diese Verkürzungen sind mutig - und richtig. Zwei absolut fesselnde Theaterstunden mit einem hervorragenden Ensemble - ohne Ausnahme.
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