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Der helle Wahn

von Andreas Schnell

Bremen, 17. November 2011. Der Brauhauskeller, die kleinste Spielstätte des Theaters Bremen, ist immer wieder gut für tolles Schauspieler-Theater. Nun hat Konradin Kunze Lothar Kittsteins "Bürgschaft" dort inszeniert. Ausgangspunkt des Stücks ist natürlich Schillers Ballade "Die Bürgschaft", die den Sieg der Treue, der Freundschaft, des Prinzips der Humanität über das herrschende Gewaltprinzip verkündet. Die Ausgangkonstellation verlegt Kittstein ins Heute und erzählt mit viel Situationskomik und feinem Wortwitz die Geschichte eines Paares, das sich auf illegalen Wegen ein Kind gekauft hat. Allerdings steht noch eine letzte Rate aus, die der dubiose Zwischenhändler Thomas (hier slawisch "Tomasch" ausgesprochen) eintreiben will.

Wie bei Schiller bedingt sich Gerd Zeit aus, natürlich nicht, um seine Schwester zu verheiraten, sondern die restlichen Tausender aufzutreiben. Seine Frau Anja, die gar nicht weiß, wie sie zu diesem Kinde kam, bleibt als Pfand zurück. Gerd bricht auf, die Summe zu besorgen. Seine Jagd danach bringt ihm nicht nur wenig Glück ein, sondern beschert ihm auch Begegnungen mit Menschen, die für Banker gar nichts übrig haben. Derweil sich daheim Anja und Thomas näher kommen.

Verteidigung des eigenen Glücks

Während sich das Geschehen nun volten- und pointenreich entfaltet, wird so einiges mitgeteilt. Wir erfahren von der Leere des Hausfrauenlebens, von Söhnen, die in Afghanistan kämpfen und von deren Müttern, die sie lieber lebend wiederhaben wollen als für die Ehre gestorben, über Eltern, die ihre Kinder Anais nennen (wie die Schriftstellerin) und so weiter. Nicht zuletzt – darin löst Kittstein seine neue "Bürgschaft" auf, bekommen wir vorgeführt, mit welcher tödlichen Radikalität das kleine Glück verteidigt wird. Was zwar, wie das in der Kunst so ist, erst einmal eine Behauptung ist, die aber unschwer als höchstens ein wenig übertrieben daherkommt.

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Die Bürgschaft © Jörg Landsberg

Das kleine Ensemble bringt das wunderbar auf die Bühne. Martin Baum ist ein ergreifend vertrottelter, aber in letzter Konsequenz mörderischer Spießbürger. Siegfried W. Maschek spielt die Figur des nur scheinbar skrupellosen Gangsters Thomas in all ihren Schattierungen, von jovial bis gnadenlos und schließlich überraschend menschelnd, virtuos aus, und Eva Gosciejewicz hat man in Bremen selten so gut gesehen wie hier, als frustrierte Hausfrau, die sich nach ein bisschen Abenteuer sehnt, aber über Leichen geht, um ihr offensichtlich reichlich brüchiges Familienidyll zu retten. Neben den drei Hauptfiguren müssen Maschek und Gosciejewicz dann auch noch ein paar Nebenrollen übernehmen, aber auch da gibt es rein gar nichts zu mäkeln.

Und zwar bis aufs Blut

Kunzes Inszenierung ist ganz auf die Schauspieler zugeschnitten. Ein paar Stühle, ein paar Perücken, ein Wasserspender, ein bisschen Kunstblut und eine Schusswaffe – mehr ist da nicht. Wobei, da war doch noch was. Im Hintergrund sind dezent Videoprojektionen zu sehen, vom schlafenden Kind, vom Soldatensohn. Und am Schluss, eine ausgesprochen hübsche Idee, geht im Schwarzweiß die Kleinfamilie mitsamt Kind ab – und mittendrin Thomas, der ja eigentlich diese Familie erst gestiftet hat. Das wäre eine Patchwork-Familie, gegründet auf Freundschaft, wie Schiller das vielleicht gern gehabt hätte. Während der echte, der Bühnen-Thomas in seinem Blut verendet.

Schillers Vorlage wird am Ende ganz buchstäblich Grundlage: Rollt von hinten im Bühnenraum nach ganz vorn bis unter die Füße des Publikums. So trampelt schließlich das ganze Theater auf dem ehrwürdig-idealistischen Text herum. Und so ist hier schließlich Seltenes vollbracht: Gute Unterhaltung, vereint mit einer delikaten Prise Erkenntnis.


Die Bürgschaft
von Lothar Kittstein
Regie: Konradin Kunze, Bühne und Kostüme: Christa Beland, Video: Jürgen Salzmann, Dramaturgie: Marcel Klett.
Mit: Martin Baum, Eva Gosciejewicz, Siegfried W. Maschek.

www.theaterbremen.de

 

Mehr zu Konradin Kunze: wir besprachen seine Adaption des Films Paradise Now 2008 am Hamburger Schauspielhaus. Kunze ist auch Dramatiker. Sein Stück foreign angst wurde beim Stückemarkt des Theatertreffens 2011 vorgestellt. Und ursprünglich Schauspieler, einige Zeit am Jungen Schauspielhaus Hamburg engagiert, wo er zum Beispiel in Träumer oder Louis und Louisa mitspielte. Mehr zu Lothar Kittstein gibt es im nachtkritik-Lexikon.


Kritikenrundschau

"Man darf nach Logik nicht fragen bei diesem Gangsterstück im Neubauviertel", schreibt Johannes Bruggaier in der Syker Kreiszeitung (19.11.2011) und freu sich über eine "herrlich absurde Szenenfolge". Kittsteins Schiller-Adaption sei kurzweilig, weil dauernd Reibung entstehe: "zwischen dem vermuteten Reichtum eines Bankers und seiner tatsächlichen Geldnot, zwischen der unterstellten Gier und der realen Existenzangst, zwischen Engelsgeduld und eiliger Hast." Bis auf das etwas exzessiv eingesetzte Stilmittel eines Fotoblitzes inszeniere Konradin Kunze "wunderbar schnörkellos", was seine Schauspieler dankbar annähmen. "Großartig ist etwa, wie Martin Baum in seiner Figur die innere Rastlosigkeit mit dem äußeren Zwang zur Gelassenheit verbindet. Eindrucksvoll auch Eva Gosciejewicz als vordergründig naives, in Wahrheit aber ausgekochtes Ding. Und Siegfried W. Maschek schließlich überzeugt als dubioser Geschäftsmann aus der Unterwelt."

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