altDer Verwaltungsangestellte des Bösen

von Sophie Diesselhorst

23. November 2011. Ein klarer Nachmittag, im Park, eine größere Gruppe Kinder. Sie stehen herum und unterhalten sich. Plötzlich kommt Bewegung in die Sache. Die Kinder spalten sich in zwei Gruppen auf, zwei legen sich miteinander an, einer nimmt einen Stock in die Hand und schlägt zu. Während sein Kontrahent sich krümmt und sich dabei ins Gesicht greift, verlässt der Schläger mit seiner Gruppe die Szenerie. Der beobachtende Blick bleibt ruhig. Schnitt. Und auf einmal ist alles umgekehrt: Wir sind drinnen, beobachten wenige Leute, diese Leute sind erwachsen und sehr höflich zueinander. Der beobachtende Kamerablick ist unruhig.

Der Gott des Gemetzels, in Roman Polanskis Film nach Yasmina Rezas vielgespieltem Stück stellt er sich also gleich zu Anfang vor. Als jemand oder etwas, der, die oder das draußen, in der Natur, dazu zu gehören scheint. Als schon der Abspann läuft, kehrt der Film noch mal zurück nach draußen in den Park. Wo dieselben Kinder spielen wie am Anfang, wo alles ruhig ist und die Sonne leuchtet.

carnage_3_560_uTotal gelangweilt: "Der Gott des Gemetzels". © Constantin Film

Drinnen, in der Zivilisation, also im Apartment von Penelope und Michael, ist mittlerweile der Beweis geführt worden, dass Contenance ein Fremdwort ist. Das Ehepaar Penelope und Michael hat sich mit dem Ehepaar Nancy und Alan getroffen, weil ein Sohn dem anderen Sohn zwei Zähne ausgeschlagen hat, siehe oben. Dass der Spaß schnell aufhört, wenn es um die Kleinen geht, ist ja nichts Neues. Nachdem die überspannte Höflichkeit vom Anfang also auf allen Seiten umgekippt ist in latente Aggressivität und auch noch eine Flasche Whisky ins Spiel gekommen ist, hält nur noch fehlende Gewohnheit die vier davon ab, ihre Konflikte so zu lösen wie ihre Kinder.

carnage_1_uWenn Blicke töten könnten... "Der Gott des Gemetzels" © Constantin Film

Als ob er dem zur Totale verdammten Theater den Kampf ansagen wollte, konzentriert sich Roman Polanski in seiner Inszenierung auf die Gesichter seiner Stars. Die Aufmerksamkeitsspanne des Kameraauges wird immer kürzer, je offensichtlicher wird, dass das dünne Eis nicht halten wird, auf dem die beiden Paare am Anfang noch halbherzig versucht haben, sich aufeinander zuzubewegen.

Jede/r lässt sich auf ihre oder seine Art gehen. Penelope (Jodie Foster) ist ein verhärmter Gutmensch, der allen auf die Nerven geht und noch nicht einmal backen kann. Selbst ihre Wutausbrüche haben etwas Verkrampftes. Ihr Mann Michael (John C. Reilly) ist ein denkfauler Waschlappen und den odiosen Attacken des amoralischen Alan (Christoph Waltz) nicht gewachsen. An der klassischen Hysterikerin Nancy (Kate Winslet) sind das Spannendste die unglaublich rot lackierten Fingernägel.

Eine Zeitlang macht es Spaß, den tollen Schauspielern in ihre interessanten Gesichter zu gucken. Wenn man dann eine Weile geguckt hat, stellt man fest, dass es einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt: Diese interessanten Gesichter haben alle etwas enorm Gelangweiltes. Was Rezas Figurenzeichnung absolut entspricht, in der Szene symbolisch auf die Spitze getrieben, in der Nancy Penelopes Kokoschka-Katalog, vor allem aber sich selbst ankotzt.

Allerdings geht diese Gesichts-psychologisierende Annäherung auf Kosten der gruppendynamischen Unwägbarkeiten, die sich zum Beispiel in Jürgen Goschs Zürcher Uraufführungsinszenierung von Rezas Stück aufs Schönste Bahn brechen durften. Da war der Gott des Gemetzels trotz aller Vorhersehbarkeit des Plots ein unheimlicher Magier. Bei Polanski ist er eher ein Verwaltungsangestellter des Bösen. Der beim Zuschauer höchstens ein zivilisiertes Schulterzucken hervorzurufen vermag.

 

 

Der Gott des Gemetzels
von Yasmina Reza
Regie: Roman Polanski
Mit: Jodie Foster, Kate Winslet, John C. Reilly, Christoph Waltz
Deutscher Kinostart: 24. November 2011

 

Mehr vom Gott des Gemetzels? Im nachtkritik-Lexikoneintrag zu Yasmina Reza findet sich eine Übersicht der Nachtkritiken zu verschiedenen Inszenierungen des Stücks.

Kommentare  
Gott des Gemetzels, Polanski: kein theaterkino
ich finde das nicht richtig.ich finde den vergleich mit der bühne unsinnig. polanski hat bewusst einen film gedreht, in echtzeit, und gar nicht versucht, irgendwie kinotheater oder theaterkino zu machen. entsprechend ist auch das drehbuch, zusammen mit reza, entwickelt worden. und was der film daraus macht, das wäre hier zu beschreiben gewesen. der vergleich mit dem theater bringt so einfach nichts. außerdem wäre es schon schön, wenn die schauspielerische leistung im film ein bisschen genauer beschrieben würde. waltz und foster, das ist doch wirklich groß. sie sind nicht einfach "toll". da würde ich dann schon gern lesen, was toll ist. sonst kann man als leser nur mit den schultern zucken.
Gott des Genetzels, Polanski: umgekehrt meist schlimmer
Der Film und die Schauspieler sind grandios. Und Schluss mit dem Vergleich Theater als Film. Umgekehrt ist öfter und meist schlimmer!!
Gott des Gemetzels, Polanski: im Übrigen auch der Hamster
@ 1

Ob ich nun schreibe "einfach toll" oder "das ist doch wirklich groß", um es dann bei diesen Formeln zu belassen, ich sehe da keinen großen Unterschied. Und ich finde in diesem Falle auch, es hier bei so einer Formel zu belassen, nicht weiter anstößig, da ich den Beitrag von Frau Diesselhorst hier nicht als Filmkritik lese, sondern eben auch "nur" als Kommentar verstehe (der allerdings recht entschieden auftritt), der eine Art Schlaglicht auf die Tatsache der jetzigen Verfilmung eines Bühnen-Erfolgsstückes wirft, auf einer Theaterseite halt auch mit einem Theaterbezug (hier zur Zürcher Gosch-Fassung). Gewiß ließe sich der Film auch mit den in Filmdiskursen üblichen Mitteln angehen, nun, dennoch denke ich, daß es dennoch leichter fallen könnte, sich ihm über denjenigen Vorgang zu nähern, den Sie hier als unzulässigen Vergleich brandmarken. Was ich meine ist etwa Folgendes: Sie sagten "Das ist doch wirklich groß", nun, irgendwie ist da schon etwas dran. Sagt man nicht in der Filmsprache ähnlich:
"Etwas groß, etwas klein spielen" und zwar bezüglich der Ökonomie gestischen Einsatzes ?? Nun, und da finde ich es in der Tat bemerkenswert, wie theaternah hier eigentlich im Sinne "des" Filmes hier overactet wird. Ja, was man Theaterschauspielern mitunter vorhält, wenn Sie Filmrollen annehmen, nämlich eben zu groß zu spielen, just das scheint mir hier zum Stil- und Verfremdungsprinzip des Filmes Polanskis geworden zu sein, als wäre die Anweisung etwa gewesen "Versucht hier möglichst wie Eure Theatercollegen zu spielen, den Rest liest (!) die Kamera. Genau, ich hatte eigentlich nicht den Eindruck, es würde hier gegen die Totale des Theaters Gesicht gezeigt, sondern wirklich eher den Eindruck einer lesenden Kamerafahrt gemäß eines bühnenanweisungshaften Fahrplanes. Den Begriff "Echtzeit" finde ich ein wenig verwirrend, da dieses "Echt" sich ja doch irgendwie auf etwas beziehen muß, wohl das Drama Frau Rezas ?!, oder ist dieses selbst nicht weniger "Echtzeit", dann aber verstehe ich die Distinktion nicht, die Sie vornehmen, um gerade hier vom Theater sich abzukehren im Grunde ??! Warum soll in New York schließlich nicht der Buchhalter, eher der Magier das Zepter führen ? Das verstehe ich bei Frau Diesselhorst nicht. Gewiß hat der Film Polanskis eher etwas von einem abgehackten Strom von sich auseinanderheraustreibenden Verhaltens-Sprachspielen, es findet nicht die Komplexion und Verdichtung statt wie es bei den Inszenierungen auf der Bühne statthatte, die ich sah (Kiel und den TV-Gosch): aber, diesen Blick, nach dem alles am nächsten Tag weiterläuft wie bisher, dieser "Much ado about nothing"-Blick, den finde ich eigentlich ziemlich interessant (obschon ich bezweifle, daß ich den just so hätte, würde ich keine Bühnenversion vorher gesehen haben). Offenbar führt das "kaputte" Handy dann sogar dazu, daß die beiden Jungen sich darüber zu "befreunden" beginnen im Abspann, der im übrigen auch den Hamster zeigt, der vielleicht noch den Hunden zum Opfer fallen dürfte, die dort in der Endszene hin- und hergeführt werden (Ende mit Beinheben !). Ein wenig "Cache"-Anmutung durch dieses Ende im übrigen. So übel fand ich den Film also eigentlich nicht..
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