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Wenn die Tür in Schieflage gerät

von Sarah Heppekausen

Duisburg, 24. November 2011. Diese Tür spricht. Sie hat nicht viel zu sagen, außer "Die Tür geht auf. Die Tür geht zu". Aber diese so scheinbar schlichten Sätze sind schicksalsbestimmend. Hinein gehen zum Beispiel ein Mann mit Blumenstrauß, eine würdevolle alte Dame, eine Frau mit Winkekatze, zwei Teenies, ein Alkoholproblem und ein schlechter Witz. Nicht mehr hinein kommt die Frau mit den roten Schuhen. Draußen vor der Tür, das heißt in ihrem Fall, den Job, den Anschluss an eine erfolgreichere Gesellschaft und damit die Selbstachtung zu verlieren. Da hilft auch kein vorsichtiges An-die-Tür-Heranschleichen, kein Bestechen, kein Striptease. Das mag der Tür zwar gefallen, öffnen wird sie sich trotzdem nicht.

Ingrid Lausund hat die Tür in ihrem neuen Stück "Tür auf Tür zu" zu einer Figur gemacht. Text und Regie sind im Falle Lausund nicht zu trennen. Sie entwickelt ihre Stücke mit ihren Schauspielern und während der Proben – von 2000 bis 2005 am Hamburger Schauspielhaus, als Tom Stromberg dort Intendant war, heute unter dem Dach der lausundproductions. Und also lässt sich auch die Figur der Tür sinnvollerweise anhand ihrer Darstellung auf der Bühne beschreiben.

Situationsbeobachtung, Situationskomik

Matthias Matz übernimmt die Rolle, Typ Türsteher in Anzug und mit Schwarzrand-Brille. Mal undurchdringbare Mauer, mal bezirzter Lüstling, weich(an)geklopft von Frauenhänden. Er ist der Fußabtreter in schmutzigen Schuhen, der sich (von einer Barbiepuppe) in den Arsch kriechen lässt. Er muss standhalten – den unerwünschten Eindringlingen, und herhalten – für deren selbsterniedrigende Maßnahmen. Ein Prellbock, der auch mal in Schieflage gerät. Dann lehnt sich Matz mit der Schulter an die Säule, als bräuchte auch eine Tür bei diesem ewigen Auf und Zu mal eine Pause. Eine selbstverständlich folgenlose Handlung, schließlich ist die Figur der Tür als eine absurde angelegt.

Lausund erzählt keine Geschichte, ihr Stück ist eine Montage von Situationsbeobachtungen, ihre fragmentarischen Dialoge sind dem Alltag abgeschaut. Wiedererkennung ist wichtigster Wert ihrer Arbeit. Da treffen sich Partygäste hinter der Tür am Buffet und führen Smalltalk in abgebrochenen Sätzen. Inhaltsleere als Sprachproblem. Anneliz, die Frau mit den roten Schuhen (Hildegard Schroedter), zieht über die alten Kollegen her, die noch "drin" sind, über die dürre Dings, den Ego-Dings, den Flach-Dings. Die brauchen keine Namen, jeder Zuschauer weiß um seine eigenen Spezis.

Das volle Programm

Anneliz durchlebt fünf Akte lang das volle Programm einer Ausgegliederten. Skepsis ("Das muss ein peinlicher Fehler sein"), Panik ("Bitte warten"), Zuversicht ("Mit meiner Vita habe ich sofort was Neues"), Selbstmotivation (Joggen) und Verzweiflung ("Ich habe nicht mal das Geld für meine Beerdigung"). Sie ist Opfer eines Zufallsprinzips, da kann selbst die Tür bloß noch mit den Schultern zucken. Die Frau trifft auf Leidensgenossen. Auf Gedemütigt-Gebeugte und Geübt-Gestenreiche, die vor der Tür ihr Dasein fristen zwischen Mützen häkeln und Low-Budget-Projekte organisieren. Ihr passender Slogan zur Selbstlüge: Es geht nicht ums Geld. Robert Glatzeder spielt alle diese Nebenrollen und außerdem den Ein-Mann-Chor, eine Personalkürzung aus Einsparungsgründen.

 

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"Tür auf Tür zu" mit Hildegard Schroedter, Matthias Matz, Robert Glatzeder © Sascha Kreklau

 

Lausunds Drama ums Drinnen und Draußen gibt Nachhilfe in klassischer Tragödientheorie, auf Brechtsche Weise. Der Chor singt nicht, sondern kommentiert, wie Glatzeder dem Publikum erklärt. Er singt dann aber doch noch, zur Gitarre ("You can get it if you really want" zum Beispiel, aber das ist ja auch ein Kommentar). Der Prolog und die Akte werden jeweils angekündigt, der Konflikt noch mal zusammengefasst: "Die Tür ist zu." So einfach kann Theater sein.

Viele Andeutungen

So einfach und so verpuffend. Es wimmelt von spannenden Ansätzen an diesem Abend, der dem Duisburger Theater, das kein eigenes Schauspielensemble hat, eine seltene Uraufführung beschert. Aber absurde Anleihen verflachen immer wieder zu komödiantischen Witzeleien. Und das interessanteste kafkaeske Szenario kann keine Brisanz der Ausweglosigkeit erzeugen, wenn die Ausgeschlossenen sich selbst nicht ernst nehmen. Es ist ein bisschen wie mit der Bühne. Beatrix von Pilgrim hat einen Kreidekreis auf der Bühnenmitte im Duisburger Foyer III gezogen, so als gäbe es ein Innen und Außen. Aber Konsequenzen aufs Spiel hat der nicht. Er bleibt eine Andeutung.


Tür auf Tür zu - So gesehn ist drinnen draussen (UA)
von Ingrid Lausund
Regie: Ingrid Lausund, Bühne und Kostüme: Beatrix von Pilgrim.
Mit: Hildegard Schroedter, Matthias Matz, Robert Glatzeder.

www.theater-duisburg.de
www.lausundproductions.com

Kommentare  
Tür auf Tür zu, Duisburg: kafkaesk reicht nicht
Naja, man hätte auch ruhig ein bisschen auf die geschickte Konstruktion der Determiniertheit der Figuren eingehen können, gerade in Korrelation zum Rückbezug auf die griechische Tragödienform. Das war ja gerade das spannende, Frau Lausund hat ja nicht aus Spaß die aristotelische Form eines geschlossenen Fünfakters gewählt, sondern sicherlich um auf die Handlungsunfähigkeit ihrer Figuren hinzuweisen, in Anlehnung an die Determination der griechischen Helden (Vgl. "Deus ex machina") aufgrund göttlicher Bestimmung. Das legitimiert ja auch gleichzeitig die, zuerst von mir etwas bemängelte, teilweise zunächst "oberflächlich" anmutenden Rollenpsychologie - es sind Helden, keine psychologischen Charaktere. Nur das bei Lausund die Götter nicht metaphysisch auf dem Olymp, sondern recht fassbar und doch nicht erreichbar in der Chefetage, oder wo auch immer (zumindest) unerreichbar weit oben sitzen. Gott ist tot, diese Führungsposition wird vorrübergehend von Managern und Vorständen besetzt, die noch unerreichbarer als Gott selber sind. Sie manifestieren sich maximal in genau rationierten und obligatorisch standardisierten "Guten Taten", die in Form eines Mediums, dem von der Decke schwebenden Brief (deus ex machina), der eine geheuchelte Menschlichkeit, wie auch gleichzeitig wieder einen erniedrigenden Machtbeweis darstellt. "Der Jude darf überleben, die anderen 423 ab zum Duschen! Mein Gott, bin ich ein guter Mensch..."
Eine ziemlich scharf sezierte griechische Tragödie, gemixt mit kafkaesker Grundsituation und einem Topping aus grundaktuellen Bezügen gesellschaftlicher Entwicklungen des Individuums. Antike trifft Moderne und ergänzt sich anstatt sich auszuschließen in seinen Widersprüchlichkeiten und Differenzen. Man kann nicht alles durch "kafkaesk" beschreiben, manchmal muss man tiefer gehen.
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