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Mit Dante über letzte Dinge gesprochen

von Katrin Ullmann

Kiel, 25. November 2011. "Ich hasse Museen. Da hängt ein Bild an der Wand. Starr. Du stehst da. Reglos. Du glotzt." Der "Schwermütige" aus Feridun Zaimoglus und Günter Senkels jüngstem Stück scheint es nicht auszuhalten in diesen Räumen der Kieler Kunsthalle – "Kopfschmerzen. Die Luft. Das Feierliche. Totenkammer." – und doch wird er knappe eineinhalb Stunden darin bleiben. Er wird eine Reise machen durch seine jüngste Vergangenheit, er wird Fragen über das Leben stellen und von seiner Liebe zu Thea erzählen. Er wird immer tiefer eintauchen in diese Museumswelt und ihre (Erinnerungs)bilder, und schon bald ist klar: Für ihn und seinen Begleiter den "Züchtiger" sind diese Räume eine Art Zwischenwelt. Irgendwo zwischen Diesseits und Jenseits.

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Felix Zimmer als der Schwermütige und Rainer Jordan als der Züchtiger in Kiel. © Olaf Struck

Der Schwermütige und der Züchtiger

"Bildergeschichten I: Liebe, diesseits, jenseits" heißt auch das Stück, die Konstellation des Reisenden samt Jenseitsführer erinnert an Dantes "Göttliche Komödie". Geschrieben haben es Zaimoglu und Senkel als Auftragswerk für das Schauspiel Kiel, uraufgeführt hat es nun Nora Mansmann. Der Aufführungs- und auch Entstehungsort des Stückes, die Kieler Kunsthalle, machen aus dem recht Monolog-lastigen Stück eine ziemlich spezielle Bildergeschichte, in der eine kleine Gruppe an Zuschauern den beiden Hauptdarstellern durch die Ausstellungsräume folgen darf. Vor ausgewählten Werken halten "Der Schwermütige" und "Der Züchtiger" an, erinnern sich an Vergangenes und Verlorenes. Vor Anselm Feuerbachs Werk "Im Frühling" etwa erzählt Felix Zimmer ("Der Schwermütige") mit kaum merklichem Lächeln vom ersten Kennenlernen, vor Neo Rauchs "Moor" hält Rainer Jordan als "Der Züchtiger" inne, um von der Endlichkeit des Lebens und vom tauben Fährmann bei der Überfahrt zu erzählen.

Diese Bild-Text-Verschränkungen sind ganz bewusst gesetzt. Manchmal bleiben sie beiläufig leicht, werden zu freien Assoziationsketten, ein anderes Mal geraten sie plump, sind zeigefingerdicke Illustrationen des Stücktextes. "Wir wurden zu Stammgästen der Kieler Kunsthalle …", beschreibt Günter Senkel die Stückentwicklung, "Immer wieder wanderten wir durch die Ausstellung, entwickelten und verwarfen Ideen und Figuren bis wir schließlich wussten, welche Geschichte wir erzählen wollten." Die Geschichte ist die einer Liebe. Von dem "Schwermütigen" zu "Thea" (Agnes Richter). Es ist die Geschichte eines ungleichen Paares, die Geschichte einer unstillbaren Sehnsucht nach Familie, die von Einsamkeit und Depression – "abends wurde er seltsam". Es ist eine Geschichte, die mit einem toten Hund beginnt, und mit einem Selbstmord endet.

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Almuth Schmidt als König David.
© Olaf Struck

Von Geräuschen gelockt oder von der strengen Museumswärterin (Claudia Petersen) geleitet wandern die Zuschauer von Raum zu Raum, sammeln Bruchstücke dieser Beziehung, hören Gedanken, Gesang und Gedichte, einen grollenden König David (Kammerschauspielerin Almuth Schmidt) und üble Nachrede (herrlich gehässig: Isabel Baumert).

Erzählte Erinnerung

Die Schauspieler agieren meist für sich selbst. Ruhig, gestisch sehr zurückgenommen sprechen sie ihre Monologe. Auch wenn "Der Züchtiger" den "Schwermütigen" auf seinem Weg zu begleiten scheint, wirken beide Figuren doch solitär und mit ihren Gedanken allein. Vielleicht ist es aber auch der getragene Sprachduktus des eingespielten Autorenduos die alttestamentarisch anmutende Wortwahl, die ihr Gespräch in eine eher leblose, abstrakte Richtung lenken. Nora Mansmann konzentriert sich in ihrer Regie ganz auf die Schauspieler und zwingt den Zuschauer zum Zuhören. Die seltsam trockene und andächtige Atmosphäre des Museums tut ihr Übriges. Mansmann inszeniert den eigenwilligen Text ruhig und genau. Ohne Zugabe von Effekten huldigt sie ihm als erzählte Erinnerung. Und wenn Thea ganz am Schluss berichtet, wie sie ihren Freund erhängt in der Wohnung aufgefunden hat, da hat sich "Der Schwermütige" bereits ganz einen Schal um den Hals gewickelt. Leise. Grausam leise.

 

Bildergeschichten I: Liebe, diesseits, jenseits (UA)
von Feridun Zaimoglu / Günter Senkel
Regie: Nora Mansmann, Ausstattung: Christine Hielscher.
Mit: Agnes Richter, Felix Zimmer, Rainer Jordan, Isabel Baumert, Kammerschauspielerin Almuth Schmidt, Claudia Petersen.

www.theater-kiel.de

 

Diese Nachtkritik gehört zum Nord-Schwerpunkt, in dessen Rahmen nachtkritik.de in dieser Spielzeit die Situation der Theater und der Theaterkunst in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern besonders beobachtet. Alle Texte aus dem nachtkritik-Nord-Schwerpunkt hier.

 

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Kritikenrundschau

Wie Bilder Assoziationen erzeugen, sich in Worte verwandeln, zu Geschichten weiterspinnen, davon erzähle "Liebe, dieseits, jenseits", so Ruth Bender in den Kieler Nachrichten (28.11.2011). Der "flirrende Text" sei so frei assoziierend und poetisch verschlungen wie man das von Zaimoglu gewohnt sei, dabei klar und sensibel in der Beschreibung der umgebenden Kunst. Regisseurin Nora Mansmann suche in diesem Gespinst nach Realismus, Psychologie, Zusammenhang. "Der ist auch da, puzzelt sich zu einer alkoholschwangeren eifersüchtigen Liebesgeschichte zusammen, gespiegelt in mindestens drei Perspektiven, gleichzeitig voller Leerstellen und offener Fragen." So die Rezensentin, die sich schon auf den zweiten Teil freut, von dem sie sich noch "mehr Mut zum Absurden, zum Scheben aber auch zur einzigartigen Andersartigkeit einer Kunsthalle" erhofft.

In der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (28.11.2011) ist Sabine Christiani skeptischer. Die Bildergeschichte beginne verheißungsvoll, verlaufe sich während knapp 70 Spielminuten jedoch in ambitionierter Bedeutsamkeit. Ein in der Inszenierung vorkommendes "apokalyptisches" Gemälde von Daniel Richter, "das von Geschlechterkampf und Gewalt erzählt", liest Christiani als verschlüsselten Hinweis auf die Spielhandlung, die sich in unsteter Choronologie entwickle. Mit Kunstgriffen setze Regisseurin Mansmann humorvolle Akzente. Doch das Spiel bleibe seltsam blutleer. "Die museale Klammer bietet zu wenig Halt für die fragmentarische Szenenfolge, deren inhaltlicher Zusammenhang sich im Wechsel zwischen realer und mystischer Sphäre verliert."

Kommentare  
Bildergeschichten I, Kiel: Der Züchtiger und der Züchtiger
Der Züchtiger und der Züchtige. Eine interressante neue Wortschöpfung. Der Züchtige was kann das bedeuten? Ein prinzipientreuer,anständiger, geradliniger, disziplinierter Mann?
Wohingegen der Züchtiger wohl eher ein strafender, quälender, schlagender, drillender, disziplinierender Mann ist. Aus einem Wort wird durch weglassen nur eines Buchstabens ein komplett Bedeutungsverändertes

Au backe, liebe/r ich,
ein dicker Schnitzer von Nachtkritikerin und Redaktion (von mir). Danke für den zartfühlenden Hinweis, ich habe es mittlerweile korrigiert.
nikolaus merck
Bildergeschichten, Kiel: Werthers Echte
Allerdings war der Züchtiger so züchtig, daß er als ein Züchtiger,
also züchtiger Züchtiger schon durchgeht (ohne dabei durchgehen zu müssen).

Mein Eindruck, zwiespältig (wie fast immer bei Zaimoglu/Senkel):

Aber genug gekalauert: Was ich sah, war mehr eine Art "Wertheriade";
die SCHLUDERLIESE (Isabel Baumert) sagt an einer Stelle scheinheilig "Aber, jeder sollte zuerst vor seiner Türe kehren"
(was freilich auf eigenwillige Weise mit dem Beginn "Don `t mess with Jill, dem Verfeinerer der Geschichte" (Daniel Richter) korrespondiert und sich verhält wie "average sense of common man" zu "common sense": daß beide durch die Inszenierung, unaufgelöst, aufeinander beziehbar bleiben, gehört sicherlich zu ihren Stärken)
und steht fest angepflanzt mit breiter Brust inmitten eines Haufens von goldgelbem Bonbonpapier (bei dem (zunächst) nicht klar ist, ob es so eine Art "Fetteckenkunst" ist, die zur Ausstellung gehört ..., bis Frau Baumert dann einen weiteren "Werthers Echte" auspackt und das Papier genüßlich niedersegeln läßt)).
"Werthers Echte" !
Nun, das verstehe ich hier schon als einen Hinweis; die Geschichte, die uns erzählt wird, Monologe, Monologe, nochmals Monologe, ist ja schon irgendwie eine von der Absolutheit der "Liebe" und der "Liebesverzweiflung" als einer Krankheit zum Tode.
Wer ins Theater (und dazu in die Kunsthalle) geht, um Nestwärme zu erfahren, der reibt sich vielleicht mit Freundinnen und Bekannten ein wenig an der "poetischen" Sprache auf, Senkel besingt Zaimoglu im Programmheft als Perfektionisten (keine Schludrigkeit bei der Verwendung der deutschen Sprache und Grammatik das Credo), die
auf mich eher abstoßend wirkte (intimistisch, selbst-verknallt in die eigene Bildfindung, zumal Bilder, die hier für "Liebe" stehen mögen, die ich höchst kitschig fand beim Zuhören und jetzt ehrlicherweise schon nicht mehr erinnere: "geschmäcklerische und kunsthandwerklich sorgfältig geklöppelte Bilder", die ihrerseits schwerlich zu einem Werther-Typus mir passen wollen, etwas Offenes, Zittriges, Unfertiges bergen; Zaimoglu liefert (wieder) Setzkastenfiguren, die er vollends kontrolliert, spannend finde ich das nicht), ansonsten erfährt "man" aber über diese "Ungleichen-Ehe" höchst wenig, nur das, was ganz banal über solche in aller Kürze auch sonst allenthalben kursiert, ja, es ist, als entkleide die Schluderliese nur das, was der "Schwermütige" hier (andersherum) wieder ins goldene Papier zurückzuwickeln gedenkt, währenddessen Bonbon und Thea (Agnes Richter) hierbei zusammenfallen, und es stimmt schon, daß eine Agnes Richter, so aus der Nähe gesehen, und in dieser feinen Aufmachung nicht ohne Eindruck bleibt, sicherlich ihr Part der eindrücklichste des Abends (und wohl dies durchaus nicht zufällig).
Der Bezug zu den Werken selbst wirkt manchmal aufgesetzt, manchmal im Ansatz tatsächlich daran gemahnend, vor der eigenen Haustür nach Bonbonpapier zu schauen, vor allem aber sehr äußerlich.
Gut, der Schwermütige, mag so ein Feinsinniger, nicht urteilender, Fragender sein, der zu all seinen Fragen nicht noch die der Kunst und/oder eines Züchtigers bedarf, aber andererseits gibt gerade sein ziemlich gestelzter Monolog ein anderes Bild von ihm, das Bild von einem Berufsjugendlichen, der an Verachtung für ein sogar selbstgewähltes Umfeld nicht spart ! Ohne ein Wimpernzucken des Skrupels eigenen Handels- bzw. Nichthandels gegenüber. Wir sehen dann auch keine "Szenen einer Ehe", sondern eher "Szene-Abziehbildchen" davon, was aus Ehen gemeinhin so wird, wenn man sich nicht gerade so ne feine Ausstellung (noch zu Lebzeiten) reintut. Überhaupt : AUSSTELLUNG ! Überall die 5.Wand !! Ich war also ganz sicher nicht in einem DANTE-Stream, und das Spiel absorbierte sogar sehr von der sonstigen Ausstellungs-Sammlung, und ein ernsthafter Diskurs "diesseits/jenseits" fand nicht statt bei all dem (möglicherweise) "abseits/beiseits" der eigenen Positionsfindung zu den "Akteuren", die kaum etwas von der sonstigen Kunsthallen-Bewegungsfreiheit aufwies. Nicht "lebendig", das trifft die Sache einerseits gut, andererseits mache ich noch Unterschiede zwischen "untot" und "tot": dem Abend spürte ich das nicht ab..
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