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Mephistophelischer Dämon der Dienstleistungsgesellschaft

von Esther Slevogt

Quedlinburg, 25. November 2011. Am Ende großer Applaus. Es gibt Blumen für alle und Regisseur Sebastian Wirnitzer wirft nach den ersten Verbeugungen suchend den Blick in die hinteren Reihen des Zuschauerraums, um sich dann bei einem Privatsponsor zu bedanken, ohne den diese Produktion nicht zustande gekommen wäre. Jean-Paul Sartres klaustrophobisches Stück über die Schwierigkeiten beim Umgang mit der Freiheit und die Gefangenschaft in der eigenen Beschränktheit "Geschlossene Gesellschaft" nämlich, 1944 uraufgeführt und ein Klassiker der westeuropäischen Nachkriegsmoderne. Eine Theaterpremiere in einem bedrohten Theater, das seine Spielzeit aus gutem Grund mit "Unverzichtbar" überschrieben hat. Weiße Schrift auf goldenem Grund signalisiert mit leiser Ironie: Dieses Theater, dem durch radikale Sparmaßnahmen der Garaus gemacht werden soll, ist nicht nur unverzichtbar, sondern auch kostbar.

Sartres Plot: Zwei Frauen und ein Mann werden von einem sinistren Kellner nacheinander in einen geschlossenen Raum geführt. Bald erkennen sie (und die Zuschauer): Es ist die Hölle, in der sie angekommen sind. Kein Inferno dante'scher Ausprägung mit gemarterten Sündern und anderweitig im Fegefeuer Schmorenden, sondern ein durchrationalisierter kühler Ort, deren Bewohner auch über den Tod hinaus von ihren gesellschaftlichen Zurichtungen geknechtet werden. Ihren Begierden, die sie sich selbst und den jeweils anderen nur im Spiegel seiner Benutzbarkeit wahrnehmen lassen.

Verdammt in alle Ewigkeit

In Zeiten wie diesen, wo es immer weniger Orte gibt, die noch geschützt sind vor dem Totalzugriff der immer durchökonomisierteren Gesellschaft (beziehungsweise Schutz vor ihr bieten), hat ein Stück wie dieses (das man eigentlich schon reif fürs Theatermuseum fand) plötzlich subversive Energie. Auch trotz oder vielleicht gerade wegen seiner parabelhaften Konstruiertheit. In Quedlinburg hat Sebastian Wirnitzer besonders die gespenstische Servicekraft als mephistophelischen Dämon der Dienstleistungsgesellschaft inszeniert, wo jedes Lächeln, jede menschliche Regung einzig von einer Verkaufsabsicht motiviert ist. Und die zierliche Schauspielerin Sybill Güttner-Selka, die schon beim Einlass in ihrem Frack merkwürdig kalt und stoisch lächelnd an der Tür zum Zuschauerraum steht (so dass man sie zunächst für eine Schließerin in Diensten des Theaters hält), kann einen tatsächlich das Fürchten lehren. Dieses Lächeln ist von mörderischer Unverbindlichkeit, die Stimme tonlos, die Seele dahinter längst erkaltet.

Ihre drei Gefangenen sind schon da, wenn man den Zuschauerraum betritt. Sie hocken bewegungslos auf drei weißen Würfeln in einem weißen Quadrat, das die Spielfläche begrenzt. Drumherum ist alles schwarz. Plötzlich brechen sie in gellendes Gelächter aus, das minutenlang anhält. Wirnitzer läßt das Stück an seinem Ende beginnen: als Inès, Estelle und Garcin erkennen, dass sie bis in alle Ewigkeit dazu verdammt sein werden, sich aneinander abzuarbeiten.

Zwänge der kapitalistischen Gesellschaft

Was die drei Schauspieler mit der messerscharfen Präzision eines hochkonzentrierten Kammerspiels dann im Folgenden sehr intensiv exekutieren: Susanne Rösch als ebenso charakterschwache wie hedonistische Kindsmörderin Estelle, die sich nur spürt, wenn sie benutzt wird. Arnold Hofheinz, der seinen Garcin mit einer beängstigenden Mittelmäßigkeit ausstattet, eine Art Mittelstandsspießer zeigt, der vergeblich den Draufgänger zu mimen versucht – einer wie Du und ich also. Und schließlich Illi Oehlmann, deren Darstellung der intellektuellen wie manipulatorischen Lesbe Inès man besonders gespannt folgt, weil diese differenzierte Schauspielerin souverän jedes Klischee umschifft und aus dem thesenhaften Sartre-Konstrukt wirklich eine Figur macht, der man vielleicht am ehesten zutrauen würde, einen Weg aus der Gefangenschaft zu finden.

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vorne: Susanne Rösch (Estelle) und Arnold Hofheinz (Garcin), hinten: Illi Oehlmann (Inès)        
 © Max Messer

Doch Erlösung ist für das Trio nicht vorgesehen. Am Ende des Abends ist man wieder an seinem Ausgangspunkt angekommen. Gellendes Gelächter. Sisyphos und Samuel Beckett lassen grüssen. Die Hölle als Endlosschleife des Unveränderbaren, der Unmöglichkeit, den Zwängen der kapitalistischen Gesellschaft zu entrinnen, die aus Subjekten Objekte macht.

An der Grenze der Arbeitsfähigkeit

Dabei könnten zum Beispiel die Theater Orte sein, die Zuflucht bieten vor dem Totalzugriff des Marktes, an dem sie jedoch inzwischen von der Politik längst gemessen werden. Die Relevanz und Existenzrecht nur noch nach ökonomischer Effizienz beurteilt. In Halberstadt und Quedlinburg, den Hauptstandorten des Nordharzer Städtebundtheaters, wird schon seit Jahren an der Grenze der Arbeitsfähigkeit manövriert. Viele Mitarbeiter haben auf bis zu zwanzig Prozent ihrer Gehälter verzichtet. Nun soll noch weiter gekürzt werden, was nicht mehr realisierbar ist, ohne an die Substanz dieses Dreispartenhauses zu gehen. Dagegen hatte im Oktober das Theater bereits in einem Offenen Brief die Stimme erhoben

Wenn man keine Chance hat, kann man sie auch nutzen, hat sich da wohl der frisch in den Harz gekommene Autor und Dramaturg Sebastian Fust gesagt, studierter Theater- und Medienwissenschaftler, der als Regieassistent am Wiener Burgtheater im Casino gelegentlich kleine Lesepartys und Inszenierungen eigener Texte veranstaltete. In Halberstadt hat er nun die "Alte Kantine" als Spielstätte in Besitz genommen, um mit kleinen und größeren szenischen Texten und Lesungen sozusagen ambulant auf Aktuelles reagieren zu können. "Text" heißt diese neue Reihe schlicht und ergreifend. Zum Auftakt gab es eine Kollage zur Theaterstrukturkrise, "Wuppertal z.B." überschrieben (hier geht's zum Text und hier zu einem Video-Auschnitt der Veranstaltung). Dort kollidieren nun die Theaterabwicklungsargumente in ihrer ganzen Absurdität miteinander. Auch nachtkritik-Kommentatoren kommen zu Wort. Begonnen wurde am Donnerstag Abend. Fortsetzung folgt.

Denn noch gibt es auch am Ende von Sartres Hölle Blumen für alle. Doch auch sie hat schon der private Sponsor bezahlt.

 

Geschlossene Gesellschaft
von Jean-Paul Sartre
Inszenierung und Ausstattung: Sebastian Wirnitzer, Dramaturgie: Sebastian Fust.
Mit: Illi Oehlmann, Susanne Rösch, Arnold Hofheinz, Sybill Güttner-Selka.

www.harztheater.de

Mehr Inszenierungen von Jean-Paul Sartres Geschlossene Gesellschaft? 2009 inszenierte Felicitas Brucker das Stück am Maxim-Gorki-Theater.


Kritikenrundschau

Einen "Höhepunkt der Inszenierung" hat Hans Walter von der Magdeburger Volksstimme (28.11.2011) "gleich zu Beginn" ausgemacht: "Vier Minuten lang Lachen, Gickern, Prusten, Husten. Man schaut sich an, man krümmt sich verzweifelt, die Körper schütteln sich wie im Krampf, von Neuem setzt nach dem Atemholen dieses verzweifelte Lachen ein". Es sei ein wahrhaftes Höllenlachen. Dann aber erhebt der Kritiker starke Einwände: "Regie und Ausstattung glätten die Figuren, statt ihre Sozialität und Geschichten kräftig zu betonen"; alle Figuren würden "gleich chic und stylished in grauen Nadelstreifen" gegeneinander gestellt. "Nicht mehr zu unterscheiden als unterschiedliche Menschen. Die Hölle wird nur noch behauptet, nicht mehr erspielt, etwa mit nervendem High-Heels-Geklapper oder wenigstens einer Frisur in Unordnung oder unterschiedlichen Schauspieler-Charakteren." Im Ganzen herrsche: "Sehr viel Langweile im Stehen."

Auch Uwe Kraus der Mitteldeutschen Zeitung (29.11.2011) würdigt den Anfang, wenn "minutenlang verzweifelt in allen Schattierungen gelacht wird", und erhebt Einwände: "Sartres gedankenschwere Überlegungen wirken dabei zu oft butterweich, Redetheater eben." Wirnitzers Inszenierung helfe "nicht unbedingt zu klären, wie das mit der individuellen Verantwortlichkeit in jeder Lebensphase so läuft." Im Spiel der Akteure entstehe ein "teuflisches Dreieck", denn "indem sich zwei annähern, leidet der Dritte Qualen. Und doch treibt es Wirnitzer nicht auf die Spitze, die Aggressionen, sexuellen Begehrlichkeiten und die gedankliche Schärfe erreichen nicht den Schmerzgrad, den das Licht hat, das ungefiltert in den Zuschauerraum blendet."

Kommentare  
Geschlossene Gesellschaft, Quedlinburg: die Bandbreite der Absurdität
Die Chronologie von Pressestimmen und öffentlich gemachten Meinungen in Sebastian Fusts Textmontage zeigt wunderbar, was sich im Verhältnis zwischen Kultur und Politik momentan abspielt. Hier wird tatsächlich die Absurdität in ihrer ganzen Bandbreite gezeigt, und die Hauptfrage, die sich mir beim Lesen gestellt hat, ist folgende:
Offensichtlich herrscht seitens der Politik eine ziemliche Ahnungs- und Hilflosigkeit in Bezug auf die Kultur, und dabei sowohl inhaltlich, organisatorisch wie auch prinzipiell in ihrem gesellschaftlichen Stellenwert. Welche Möglichkeiten gibt es hier, Abhilfe zu schaffen? Die Zeit ist wohl gekommen, dass Kulturschaffende wieder ein stärkeres kulturpolitisches Denken (und Handeln) forcieren müssen.
Geschlossene Gessellschaft, Quedlinburg: Finger in der Wunde
Ich habe "Wuppertal z. B." (Kollage zur Theaterstrukturkrise) gelesen und bin völlig entmutigt. Der Text legt den Finger in die Wunde, das Theatersterben schmerzt und stimmt mich unendlich traurig. Trotz meines Studiums in einem relevanten Bereich weiß ich nämlich immer noch nicht, was man ausser "Die Politik muß umdenken" machen könnte. Alles Sparen an den Theatern bringt nichts. Strukturelle Änderungen ja, aber bitte in der Politik, bei der finanziellen Ausstattung der Kommunen usw. Gesund ist das nicht, was in Deutschland läuft. Und die Strukturveränderung kann nicht in den Theatern anfangen. Das bringt nämlich rein gar nichts angesichts der im Verhältnis geringen Geldmittel, die dafür aufgewendet werden. Spart man diese Zuwendungen ein, hat man rein gar nichts gewonnen, ausser einem Groschen (im Verhältnis gesehen). Da frage ich mich doch, woher die Gelder für die Aussenpolitik herkommen. Kameralistik??? Gegen Ende des Jahres wird rausgeschleudert was dort nicht verbraucht wurde bzw. Kredite aufgenommen, um z. B. Probleme in anderen Ländern zu behandeln?...
Und noch zur Wirtschaftlichkeit, ein Theater, wie diese von denen wir hier sprechen, hat sich noch nie aus eigener Kraft tragen können. Es ist ein Kulturgut, eine Errungenschaft, das jenseits von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen zu betrachten ist.
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