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Nichts für Feiglinge

von Esther Slevogt

Berlin, 8. Dezember 2011. Eine junge Frau tritt auf. Sie ist nachlässig gekleidet und unvorteilhaft frisiert. Mit verhangenem Blick schaut sie ins Publikum. Schon die Gegenwart scheint in diesem Leben kein Zuckerschlecken zu sein. Doch die Frau, die sich später Maja nennt, beginnt von der Zukunft zu sprechen. Wie sie sich ihr Leben vorstellt, wenn sie fünfundachtzig ist. Denn dann wird alles noch schlimmer, das Leben nur noch an den gähnenden Rändern der Gesellschaft möglich sein. In heruntergekommenen Wohnungen – einsam, stinkend, inkontinent.

In der nächsten Szene tritt ein Mann, den sie später Jürgen nennen, auf einen alten Sessel ein. "Du hast ja eingepisst. Mach dich mal sauber, Alter! Ekelhafter Alter!" Man sieht das nur als Videoprojektion, denn der direkte Blick auf den Tatort der Misshandlung ist von einer weißen Wand verstellt. Nur fragmentarisch sind auf der Bühne Ausschnitte verschiedener Wohnungen zu erkennen. Ein Tisch mit Stuhl, ein Bett, ein einsamer Sessel.

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Das Elend hinter der weißen Wand   © Hendrik Schneller

Exit Suizd

Wir sind im Traingscamp gelandet. Und hier bereiten sich vier Schauspieler auf das Drama vor, dass uns allen einmal droht: das Alter in der neoliberalen Gesellschaft, wenn man nichts mehr wert sein wird. Vier Schauspieler konfrontieren uns in den kommenden anderthalb Stunden mit fantasierten Szenarios vom Alter zwischen sozialem Elend, Einsamkeit, Überforderung und körperlichem Verfall. Einzig denkbarer Exit: Suizid. Staatlich prämiert womöglich, so er sozialverträglich früh erfolgt.

"Trainingscamp" ist das neue Projekt der unitedOFFproductions um den Performer und Regisseur Dieter Krockauer. Ein Abend, der mit seinem Ineinander von hart recherchierten gesellschaftlichen Fakten, szenischen Fantasien sowie dem ironisierten Aufgreifen von zeitgenössischen Fernseh-Unterhaltungsformaten typisch für die Arbeitsweise der Gruppe ist: da wird gesungen, getanzt – weil eben Gesellschaftskritik in den Medien nur noch mit Unterhaltungspausen (oder selbst als Unterhaltungsformat) dargeboten wird. Dann wieder steigert sich ein Schauspieler in eine geradezu alptraumhafte Fantasie hinein: Maja (Franziska Dick) stellt sich vor, wie sie als Alte einsam in ihrer Wohnung stirbt und erst halb verwest entdeckt und auf den Müll geworfen wird. Manchmal wird die Szene begleitet vom klagenden Ton eines Harmoniums. Oder einem aggressiven elektronischen Sound-Cluster. Intimes, wie ein Selbstmord, dringt nur per Videoprojektion nach außen in die Öffentlichkeit des Zuschauerraums.

Versprengt und vereinzelt in der kalten Welt

Der Abend im Berliner Off-Theater Unterm Dach ist der zweite Teil einer Trilogie zum Thema Familie, Alter, Zukunft. Teil eins, "Das letzte Abendbrot", vor ziemlich genau einem Jahr herausgekommen, gewann beim neuen niedersächsischen Festival "Best Off" den Theaterpreis der Stiftung Niedersachsen: ein ebenso assoziativer wie suggestiver szenischer Teppich zum Thema "Familie heute" – Schauplatz Wohnküche, wo sich am Tisch die Versprengten und Vereinzelten der Gesellschaft noch mal zu einem letzten Versuch versammeln, das Projekt Familie zu retten, als letzte Bastion vor dem Totalzugriff des Marktes. In welcher Form auch immer.

Teil zwei nun, der Schreckensvisionen vom Alter präsentiert, kommt jedoch an Dichte und auch Denkschärfe nicht ganz an Teil eins heran. Einzelne Szenen haben große Kraft, wie eben die Fantasien der Figur, die sich "Maja" nennt (Franziska Dick). Anrührend immer wieder auch die Figur "Elisabeth" mit der Katharina Bellena Frauentypen durchspielt, die sich mit ihrem Alter und der davon vernichteten sexuellen Attraktivität nicht abfinden können. Stefan Mehren alias "Jürgen" hat einen dramatischen Auftritt als alter Mann, dem alles wegstirbt. Kanarienvogel inklusive. Und eine Figur namens "Connie" (Mirca Preißler) steht mit servicegestähltem Lächeln für Krankenschwestern und andere Sorten von Animatoren in dieser kalten Welt.

Doch so recht kommt der Abend nicht zu sich und auf den Punkt. Das mag auch an der Dürftigkeit der Botschaft liegen, die der vorgestellten Trostlosigkeit kurz vor Schluss abgetrotzt wird und letztlich auch den Reflexionshorizont des Abends markiert: die Allerweltsweisheit nämlich, das Grundproblem sei die Tabuisierung des Themas "Alter". Und die Tatsache, dass wir die Definitionen, was wir wert sind, dem Markt überlassen. Dabei gehöre der Diskurs darüber uns. Ach, denkt man da. Das hat vor einem halben Jahrhundert Hollywoods allererste Sexbombe mit dem losen Mundwerk, die respektlose Mae West schon gewusst, als sie lakonisch feststellte: "Altwerden ist nichts für Feiglinge".

 

Trainingscamp - Vorbereitung auf ein späteres Drama
von Dieter Krockauer, Ron Rosenberg & unitedOffproductions
Regie: Dieter Krockauer, Bühne: Dieter Krockauer, Graciela González de la Fuente, Video: Henrik Schneller.
Mit: Franziska Dick, Katharina Bellena, Mirca Preißler, Stefan Mehren.

www.unitedoffproductions.de
www.theateruntermdach-berlin.de



Kommentare  
Trainingscamp, Berlin: Kulturgeschichte des Alterns
Das Greisenalter, das alle zu erreichen wünschen, klagen alle an,
wenn sie es erreicht haben. (Cicero)
Uneinheitlich ist das Ansehen des Alters. In vielen Kulturen wird es besonders respektiert und geehrt; in manchen, wie im Judentum, gilt das Alt-sein sogar als ein fast idealer Lebensumstand. In anderen dagegen, z.B. im antiken Athen, wurden alte Menschen systematisch ausgegrenzt. In dem heutigen Griechenland werden alte Menschen mit Respekt behandelt. In Japan ist der Tag der Ehrung der Alten seit 1966 ein amtlicher jährlicher Feiertag.
Ein langes und erfülltes Leben ist ein Geschenk Gottes.
Glücklich ist, wer "alt und lebenssatt" stirbt. (Altes Testament)
In den Büchern Mose wird ein langes Leben unter anderem demjenigen
versprochen der Vater und Mutter ehrt und der keine falschen Gewichte verwendet. Der Talmut, knüpft das Altwerden an zusätzliche Bedingungen...die Einschränkung des Weingenusses und das Gebot der Wohltätigkeit. Dort( im Alten Testament) wird das Alter mit Stärken wie Klugheit, Erfahrung, Einsicht und Weisheit in Verbindung gebracht... H.L. Strack und P.Billerbeck haben darauf hingewiesen,
dass es im Alten Testament bis Abraham zwar A l t e, aber kein
A l t e r n gegeben habe.
Islam. Kinder sind dazu angehalten, ihren Eltern mit Güte und Ehrerbietung zu begegnen.
Kulturell verankert ist in der muslimischen Gesellschaft das Gebot,
die Lebenserfahrung der älteren Generation zu respektieren.
Im Buddhismus, der das Leben bzw. den Kreislauf der Wiedergeburten als Leiden konzipiert, wird auch das A l t e r n als L e i d e n begriffen; es erscheint damit in einer Reihe mit dem Leiden z.B. der Geburt, der Krankheit und des Todes. Ursache des Leidens sind die drei Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung bzw. das Festhalten am Vergänglichen. Damit das Leiden erlischt, müssen diese Übel durch den Edlen Achtfachen Pfad überwunden werden.
Das Alter gilt im Buddhismus - ebenso wie Krankheit und Tod - als
"G ö t t e r b o t e", nämlich als eine Tatsache, die den Menschen zu e r n s t e m N a c h d e n k e n mahnt.

Auf diese "Götterboten" - Alter, Krankheit und Tod, soll hier besonders hingewiesen werden, um den Menschen unserer Gesellschaft zu ernstem Nachdenken zu ermahnen.
Ernstes Nachdenken über dieses Drama, das uns allen einmal droht:
das Alter in der neo-liberalen Gesellschaft -
WENN MAN NICHTS MEHR WERT IST.
Trainingscamp, Berlin: das Drama des Alterns
Dieses furchtbare Drama (ist es nicht das fürchterlichste?)
mit Inkontinenz, vom einsamen, stinkenden Alten,
das uns allen (vielen, den meisten) angedroht ist:
Mach dich mal sauber, Alter! ekelhafter Alter!
In diesen unsauberen, unordentlichen, heruntergekommenen Wohnungen,
aber auch in den nicht-heruntergekommenen:
Mach dich endlich mal sauber, du ekelhafter Alter!
(Hört nur diese unangenehmen, harten Stimmen und Gedanken:
Sieh zu dass du bald stirbst, du einsamer, stinkender und
ekelhafter Alter, der du nichts mehr wert bist in dieser
unserer Gesellschaft - hörst du! - oder hörst du nicht mehr zu! -
du willst nicht zu-hören, was?!
- oder bist du schon so taub! - -)

Ekelhaft das Alter, ekelhaft, - e k e l h a f t !
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