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Shakespeare mit Kanzleramtsanmutung

von Ute Grundmann

Meiningen, 9. Dezember 2011. Herzog Vincentio verkündet das schiefe, schmerzende Happy End wie einen Parteitagsbeschluß von einer Tribüne herunter. Und die Betroffenen und Begnadigten, die sich unter der (Partei-)Fahne versammelt haben, reagieren darauf ungefähr so euphorisch wie Delegierte auf einen faulen Kompromissantrag. Heutig sollte er wohl sein, der Shakespeare, den Veit Güssow am Theater Meiningen inszenierte. Parallelen zu heutiger Politik und Parteienmoral sind unübersehbar. Und so blieb es bei dieser "Maß für Maß"-Premiere auch nicht bei Andeutungen in Bühnenbild und Videoeinblendungen.

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Verordnetes Happy End: Ingo Brosch als Vincentio © ed / Südthüringes Staatstheater Meiningen

Shakespeare meets Wagner

Mit Güssows Inszenierung wurde das Große Haus des Theaters Meiningen nach 17 Monaten Bauzeit wiedereröffnet. Seit Pfingsten 2010 musste das Theater auf seine große Bühne verzichten, weil eine neue Hinterbühne eingebaut wurde, hinter den Kulissen moderne Technik Einzug hielt und der Zuschauerraum originalgetreu nach den Entwürfen von 1908 restauriert wurde. Zur Wiedereröffnung gönnte man sich ein Premierenwochenende. Auf Shakespeares bittere Komödie folgt Samstag Richard Wagners zweite, selten gespielte Oper "Das Liebesverbot". Deren Libretto schrieb Wagner selbst – nach Shakespeares "Maß für Maß". Beide Werke sind nach Angaben des Theaters noch nie im Zusammenhang gespielt worden.

Für Shakespeares Drama um Macht, Moral, Verführbarkeit und Sittenlosigkeit in einem fiktiven Wien hat Helge Ullmann ein monströses Machtgebilde auf die Bühne gebaut: Ein Halbrund aus mächtigen Stelen wie ein geteiltes Amphitheater, dazu ein Klotz aus Stein und Fenstern mit Kanzleramtsanmutung. Auf dieses Gehäuse wird gleich zu Beginn ein wilder Video-Mix aus Fernseh-Soap, Talkshow-Gekeife und Sex-Hotline-Gebrabbel projiziert, die erste Warnung: Achtung, wir sind in der Gegenwart, auch wenn wir Shakespeare spielen!

Deutungs- und Zeigefingerreise durch Lord Angelas Reich

Dessen erste Szenen spielen dann auch in einer Art Bilderrahmen oder TV-Bildschirm. Da wird Herzog Vincentio (Ingo Brosch) mit Blumen verabschiedet und in Parteitagsmanier sein Stellvertreter für die Zeit seiner Abwesenheit inthronisiert. Hier dann schon der zweite Eingriff, denn es tritt auf: "Lord Angela" (Anja Lenßen), aus dem Stellvertreter hat man eine ehrgeizige, hartherzige Politikerin gemacht. Da braucht es dann eigentlich kaum noch die Einblendung von TV-Bildern von Angela Merkel (die aber trotzdem kommen), das Einflechten von Merkel-Merk-Sätzen in "Angelas" Text, um zu sehen, wohin die Deutungs- und Zeigefinger-Reise gehen soll.

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Michael Jeske, Benjamin Krüger und Raphael Kübler 
© ed / Südthüringisches Staatstheater Meiningen

Doch nicht nur Holzhammer-Verweise auf heutige Politik machen Güssows Inszenierung zu einer ziemlich schiefen Angelegenheit. Denn indem er eine Stellvertreterin Angela installiert, die anstelle des Herzogs und viel strenger als er Gesetze auslegt und anwendet, verschiebt sich eine zentrale Konfrontation des Stücks. Isabella (Mara Amrita), die für ihren wegen Unzucht zum Tode verurteilten Bruder Claudio (Lukas Spisser) um Gnade bitten will, steht hier nicht einem Mann, sondern einer Frau gegenüber – die von ihr fordert, für die Begnadigung des Bruders ihre Unschuld zu opfern. Da stimmen einfach Text und Szene nicht zusammen – selbst wenn die Inszenierung diese Veränderung bis zum Schluss durchhält, als Angela mit der von ihr betrogenen Frau verheiratet wird.

Kreiselndes Machtgehäuse

Doch nicht nur dieser zentrale Eingriff in die Machtverhältnissen unter den Figuren schwächt die knapp dreistündige Inszenierung. Ein weiterer Grund, dass sie nicht aufgeht, besteht darin, dass ihre zentralen Figuren blass bleiben. Anja Lenßen bleibt alle Kraft und Machtausstrahlung schuldig, die ihrer Rolle eigen sein müsste, wollte sie wirklich die von Herzog geliehene Autorität vertreten. Und auch Mara Amrita als Novizin Isabella kann ihre lange Auseinandersetzung mit "Lord Angela" um Moral und Macht, Unterwerfung und Standhaftigkeit nicht wirklich überzeugend gestalten. Und Ingo Brosch zeigt in der Priester-"Kutte" mehr Konturen denn als Herzog im strassgeschmückten Jackett.

Während die Hauptfiguren der Mächtigen bloß blasse Politikerabziehbilder bleiben, sind die Randfiguren zu Klischees hochgetrimmt. Da ist der gestelzt wienerisch parlierende Zuhälter Pompeius, die Bordellmutter in Rot, der intrigierende und liebesdienerische Lucio (Harald Schröpfer). Wenn er mit dem als Priester verkleideten Herzog über eben dessen Lebenswandel hechelt und der falsche Pater natürlich pflichtschuldigst widersprechen muss, weil er sich ja schließlich selbst verteidigt, ist das eine der wenigen Szenen mit jener Doppelbödigkeit, von der man dieser Inszenierung viel mehr gewünscht hätte. Insgesamt ist "Maß für Maß" in Meiningen sehr, sehr viel Moral und sehr wenig Komödie, der schließlich auch die (schier unvermeidliche) Einblendung eines plagiierenden Freiherrn oder von "Bunga-Bunga"-Berlusconi nicht auf die Sprünge helfen kann.

 

Maß für Maß
von William Shakespeare
Deutsch von Jens Roselt
Regie: Veit Güssow, Bühne: Helge Ullmann, Kostüme: Monika Gora, Musik & Video: Hans-Günter Brodmann, Dramaturgie: Dirk Olaf Hanke.
Mit: Ingo Brosch, Anja Lenßen, Hans-Joachim Rodewald, Lukas Spisser, Harald Schröpfer, Benjamin Krüger, Florian Beyer, Michael Jeske, Reinhard Bock, Thomas Michel, Renatus Scheibe, Reinhard Bock, Raphael Kübler, Benjamin Krüger, Peter Bernhardt, Florian Beyer, Mara Amrita, Liljana Elges, Josephine Fabian, Rosemarie Blumenstein.

www.das-meininger-theater.de


Mehr lesen? Der Regisseur Veit Güssow war u.a. künstlerischer Leiter des Spielzeiteröffnungs-Spektakels in Heidelberg im Oktober 2011 Don't believe the Hype. In München, wo er in den 80er Jahren seine Theaterlaufbahn begann, inszenierte Güssow 2008 das Stück Heimarbeit Franz Xaver Kroetz.

 

Kritikenrundschau

Jan Brachmann widmet sich in der Frankfurter Allgemeinen (12.12.2011) der Wiedereröffnung des Meininger Großen Hauses mit einer Doppelbesprechung, wobei er "Maß für Maß" bloß streift, und das auch nur unter einem technischen Aspekt: Veit Güssow habe in seiner Inszenierung gleich zu Beginn vorgeführt, "was das Haus nach dem Umbau Neues zu bieten hat: die hochmoderne Drehbühne. Sie besteht aus einem elfeinhalb Meter durchmessenden Zentralzylinder, der von einem einen Meter breiten Außenzylinder umgeben ist. Beide können gegenläufig bewegt werden. Man kann also – und das hat der Bühnenbildner Helge Ullmann dann auch getan – auf den Außenzylinder eine Ringmauer stellen und durch schnelle Drehungen von einer Innen- zu einer Außenraum-Situation wechseln."

Die Besetzung Angelos mit einer Frau kommentiert Wolfgang Wicht in der Thüringer Allgemeinen (12.12.2011) folgendermaßen: "Möglicherweise will uns der Regisseur damit sagen, dass heutzutage Frau auf der Karriereleiter hoch hinauf kommt und dass homoerotische Beziehungen schlechthin zeitgemäß sind. Anja Lenßen verkörpert perfekt die Karrierefrau, kalt, intelligent, abgebrüht." Leider sei ihr "Mara Amrita als Isabella mit unbeholfener Gestik und emphatischem Textdeklamieren nicht gewachsen." Ansonsten buchstabiere Güssow "den Text recht getreulich nach, mit guten Einfällen und manch zäher Langstieligkeit." Fazit: "Einen hinreißenden Theaterabend erlebt man aber eigentlich nicht."

In der Welt (13.12.2011) widmet Joachim Lange "Veit Güssows gewollt plakativ politisierter Theater-Vergegenwärtigung" in seinem Beitrag zur Wiedereröffnung des Meininger Theaters lediglich einen Absatz. Die Bühne stehe hier für die Kälte der Macht und werde zur Projektionsfläche für Videos, die das Sündenregister beim medialen Umgang mit der Wahrheit in den Text flimmerten. "Von Clinton bis Bush, von Kohl bis zu Guttenberg fehlt da nichts." Und weil der Tugendstatthalter bei Shakespeare Lord Angelo heiße, werde daraus flugs eine "Lord Angela". "Die Attacke lesbischen Begehrens auf die angehende Nonne Isabella und die vom Herzog am Ende auch noch verordnete "Ehe"-Schließung Angelas mit einer früheren (weiblichen) Flamme, soll in der Verfehlung wohl progressiv wirken, geht aber in Wahrheit nach hinten los." Leider seien auch die Akteure, die kurz vorher in Aschaffenburg fremdbespielenderweise eine Premiere hinter sich gebracht hätten, "in Tiefstform" gewesen, "sodass sie das Ruder vom verquasten Konzept nicht mal in Richtung Komödie rumreißen konnten."

"In Meiningen wurde das moderne Regietheater erfunden – nun gilt es, das auch auszuhalten", schreibt Kerstin Decker im Berliner Tagesspiegel (13.12.2011). Die Meininger schienen das zu wissen. Wobei dieses Kaleidoskop der verbalen und sexuellen Selbstbesudelung des Menschen offenbar zur Rechtfertigung dessen diene, was nun bei Shakespeare geschehe: Inthronisation eines Tugendterrorregimes unter Angelo, dem neuen Wiener Statthalter. "Leider hat der Regisseur die gewisse Verwandtschaft dieses Vornamens mit jenem unserer Bundeskanzlerin prompt als Idee missverstanden." Der Abend ziehe sich, das Meininger Ensemble spiele sich trotzdem "zu allem entschlossen" durch den Abend. "Keines der neuverlegten 500 Kilometer Kabel verweigert sich der geforderten Ensembleleistung." Und doch, so Decker, hätte nur Aberwitz diesen Shakespeare retten können. "Aber Scheitern gehört zur Größe, das scheint man hier zu wissen."

In ihrem Meininger Hausporträt über für die Süddeutsche Zeitung merkt auch Christine Dössel zunächst an, dass die Regisseure des Wiedereröffnungswochenendes "so geschickt wie eindrucksvoll demonstrierten, was mit der neuen Bühnentechnik alles möglich ist". Veit Güssows "zwar klug gedachte, szenisch und darstellerisch aber etwas hinkende" Shakespeare-Interpretation wird nur kurz gestreift: Die Handlung spiele in einer "stark an den US-Vorwahlkampf erinnernden Demokratie", wobei die Frau an der Spitze des Staates Angela/Angelo auf Angela Merkel anspielen solle. Die sei aber "kein Vergleich". Denn: "Anja Lenßens unbeirrt kühl lächelnde Bühnen-Angela ist leider von schwächerem Kaliber, und wenn sie sich im Sex-Angriff auf die Novizin Isabella notgedrungen als Lesbe outet, ist das am Ende nur noch durchexerziertes Regiekonzept."

Kommentare  
Maß für Maß, Meiningen: Macht tobt sich aus
"Isabella (...) steht hier nicht einem Mann, sondern einer Frau gegenüber – die von ihr fordert, für die Begnadigung des Bruders ihre Unschuld zu opfern. Da stimmen einfach Text und Szene nicht zusammen"

Liebe Frau Grundmann, ihre Besprechung ist sehr schlüssig und pointiert, aber an dieser Stelle ruft sie bei mir nur Kopfschütteln hervor. Ich glaube, sie stecken da in einer heteronormativen, respektive sexistischen, Denkfalle, mit Verlaub. Abgesehen davon, dass eine Frau, soweit ich weiß, durchaus ein drängendes Begehren zu einer anderen Frau entwickeln kann, berücksichtigt ihre Einordnung der Meininger Lesart nicht den Erzählfaden, der sich um die Willkür der Macht herum spinnen könnte, der es egal ist, ob der Funktionsträger ein Mann oder eine Frau ist. "Macht tobt sich aus, egal in welcher Geschlechterkonstellation", das könnte ja eine mögliche Aussage sein. Diese wäre, zugegeben, nicht besonders neu und wohl auch schwach gedacht - aber das bedeutet, dass man dem Ganzen mit wesentlich weniger schwachen Argumenten zu Leibe rücken könnten. Eventuell weniger biologisch und mehr sozial. Jedoch, wenn Sie es einen "zentrale(n) Eingriff in die Machtverhältnissen (!)" nennen, wenn statt eines Mannes eine Frau herrscht, haben Sie da wohl einfach eine andere Sichtweise als ich.

Mit freundlichen Grüßen, DC
Maß für Maß, Meiningen: aus der Theatertrickkiste
Liebe Frau Grundmann,
ich stimme Ihrer Kritik in großen Teilen zu (bis auf die Einwände meines Vorredners, die ich auch verständlich und richtig finde). Im Kern ärgert mich allerdings - als langjährigen Theaterbesucher mit, so hoffe ich, etwas Kenntnis der Materie - etwas Anderes: Hier konnte ein meines Erachtens nach unerfahrener (weil junger?) Regisseur der Versuchung nicht widerstehen, die sich ihm nach der Generalsanierung dieses Hauses bot. Nämlich: alle technischen Register mit Hebebühnen, Drehscheibe und Drehring, Videoprojektion, Ton und, und, und... aus der Theatertrickkiste zu ziehen, darüber aber augenscheinlich völlig zu vergessen, woraus Theater bis heute immer noch seine eigentliche Kraft und Faszination beziehen sollte: aus den genau gezeichneten Figurenbeziehungen, der Psychologie der Figuren in der Interaktion miteinander und der großen Kraft emotional aufgeladener Situationen zwischen den Akteuren (respektive ihren Rollen).
Ich bin mir relativ sicher, dass dieses Manko und das daraus resultierende Ergebnis auf das Konto des Regisseurs geht; denn das Theater Meiningen besaß (besitzt? es waren ja einige neue Gesichter auf der Bühne, die ich noch nicht kannte) ein sehr potentes Ensemble, welches in meinen Augen problemlos in der Lage wäre, einen solchen Stoff ohne jede Fingerzeig-Aktualisierung mit Bravour zu stemmen. Dafür gab es in meinen Augen genügend Belege in früheren Spielzeiten.
Kurz gesagt - ich war verärgert darüber, wie wenig der Regisseur der bis heute einem Shakespeare-Text innewohnenden Brisanz und der Tragkraft seines Ensembles vertraute und diese nicht herausarbeitete (herausarbeiten wollte? konnte?), so daß man sie auch ohne heutige tagesaktuelle Videocollagen, Hinrichtungsspritze, Blitzlichtgewitter oder SEK-Uniform im Kern - und damit sinnlich - begreift. Stattdessen wurde mit technischen Kinkerlitzchen versucht, diesen Stoff auf "aktuell" zu bürsten und die Akteure wurden anscheinend damit alleine gelassen, sich gegen die Übermacht von Drehbühneneinsätzen zur Wehr zu setzen. Mit mehr oder weniger Erfolg.
Ich war von keiner Figur berührt, ich konnte mit keiner sympathisieren, mich über keine entsetzen.
Mir wurde schwindelig. Ich erkannte die Absicht und war verstimmt.
Ich hatte auch gehofft, die "Mode" der späten 70er und 80er, als mit inflationärem Videoprojektoreinsatz oft mangelnde Regie übertüncht wurde, wäre ausgestorben. Oder zumindest an Meiningen vorbeigegangen - weil nicht nötig. Oder bis dato technisch nicht machbar. Oder beides.
Dass ihr nun ausgerechnet bei der Wiedereröffnung dieses traditionsreichen Hauses eine späte Renaissance gewährt wurde und dies von der Leitung offenbar gewollt gewesen sein muß irritiert mich. Denn ich stelle mir vor, dass man bei einem solchen Ereignis noch größere Sorgfalt bei der Auswahl des Stoffes, der Übersetzung, der Regie, Ausstattung und Besetzung etc. walten lässt, als üblich. Ich wünsche dem Meininger Theater, dass es künftig nicht so schnell der Versuchung technischer Machbarkeiten erliegt und sich bald auf seine o. g. Qualitäten rückbesinnt. Diese mögen vielleicht nicht "aktuell" sein, oder auf neudeutsch "in". Gültig sind sie jedoch allemal.
Maß für Maß, Meiningen: heteronormativer Plot
Sehr geehrte(r) DC,

Ihr Einwand in Ehren, aber ich bin da skeptisch.

Es mag sein, daß sich Macht, egal in welcher Geschlechterkonstellation, austobt und ich vertsehe, dass es austauschbar ist, ob der/die Machtbesessene männlich oder weiblich ist. Nicht austauschbar ist jedoch, ob und welche biologischen, sozialen oder gesellschaftlichen Folgen oder möglicherweise Sanktionen einem Menschen aus einem Machtmissbrauch erwachsen. Diese differieren und werden unterschiedlich von der Umgebung wahrgenommen und bewertet, je nach dem ob es durch eine gleich- oder gegengeschlechtliche Person geschieht. Dies ist vor allem zu beachten, sobald das kontextuelle Umfeld, in welchem die Figuren eines Stückes stehen, einer "Norm" oder einer für seine Entstehungszeit üblichen Lesart bezüglich der Geschlechterrollen unterworfen ist. In diesem Sinne misstraue ich jeder oberflächlichen, veraktualisierenden "homonormativen" Veränderung der Besetzung eines Stückes, sobald sie die "heteronormativen" Metaebenen, die ebenso in einem Text immanent enthalten sind ausser acht lässt.

Letzteres ist m.E. in der Meininger Aufführung passiert. Ich halte diese Angelo-zu-Angela-Wandlung, wenn nicht für einen Eingriff in Machtverhältnisse, so zumindest für einen zentralen Eingriff in die geschlechterspezifischen Verhältnisse, wie sie Shakespeare sicher heteronormativ zu Papier gebracht hat. Dies führt schlicht dazu, daß die Texte an vielen weiteren heteronormativen Stellen "knirschen". Diesem "Knirschen" gegenüber muss eine Spielleitung auf mehr als auf einem Auge blind sein, wenn sie es so hinnimmt, dass ich es als Zuschauer merke.
Ich finde solche Eingriffe a la "Romeo und Julius" sogar platter, oberflächlicher und inkonsequenter, als den Komplettautsausch einer männlich-weiblich-Besetzung. Wobei hier natürlich nur ein getauschtes, aber trotzdem wieder sozusagen negativ-heteronormatives Gefüge entstünde.

Ich meine, es ist besser, entweder der heteronormativen Lesart einfach zu vertrauen (immerhin ist es ein Shakespeare und kein Nobody) oder eben Stücke auf den Spielplan zu setzen, welche nicht einen heteronormativen, im Zweifel sexistischen Plot bedienen. Ein tolles Beispiel hierzu war für mein Gefühl in Meiningen "Hüter der Zeit".

Johanna Richter, Würzburg
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