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Neue digitale Zukunft mit alten Zielen

von Harald Raab

Heidelberg, 10. Dezember 2011. Spätestens seit die Piraten-Partei im Berliner Senat sitzt, sollte die Elite der Schwarmintelligenz im Hier und Jetzt angekommen sein. In den Wolken des schönen neuen World Wide Web muss die Freiheit noch grenzenlos gewesen sein. Jetzt ist die schnöde Wahrheit nicht länger zu übersehen: So lang der alte Adam Netzwerker ist, bleibt alles beim Alten. Man macht sich gegenseitig etwas vor, tritt mit dem Anspruch an, die Menschheit zu retten und steht sich am Ende selbst am nächsten. Die conditio humana ist immer noch: Fressen und gefressen werden in der Konkurrenzgesellschaft, die auch im digitalen Zeitalter fröhliche Urständ' feiert. Das Morgen, das schon heute sprießt, ist auch von gestern.

Leben im Co-Working-Space

Das ist die Quintessenz dessen, was in der Uraufführung von "Epic 3.0" im Theater Heidelberg zu besichtigen ist. Hubert Schipkowski hat sicher nicht das Schlüsselstück über die Web-Generation geschrieben. Er liefert aber konzentriert, überhöht bis überdreht eine Momentaufnahme von einem "Co-Working-Space", dieser Not- und Kuschelgemeinschaften der Youngsters, denen die Old Economy keine Perspektiven mehr bieten kann. Die Sprache ist knapp bis dürftig, wie sie die Web-Sozialisation hervorbringt. Der große Spannungsbogen ist nicht von Nöten. Stroboskopisch kurz aufblitzende Szenerien reihen sich aneinander. Irgendwie gefühlsarm das Ganze, dafür viel Lärm mit einem Hauch von Melancholie.

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Epic 3.0 © Klaus Fröhlich

Unterkühlt wie der virtuelle Datenraum ist die Bühne ausstaffiert. Alle Linien exakt gerade, funktionales Design. Zu Beginn und zum Ende liegt ein Lichtraster darüber. Alles ist ort- und klassifizierbar (Bühne und Kostüme: Simone Wild). In dieser Arena des lockeren Scheins lässt Regisseur Jens Poth die supergeile Party steigen. Cool, schrill, exaltiert: Das Leben ist Comedy. Nur nicht zu viel darüber nachdenken. Dabei zu sein, ist alles. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Fakt ist auch hier: Der böse, böse Kapitalismus ist munter am Werk.

Von der Überwindung der Demokratie

Die Charaktere des Teams sind wie Comic-Bilder skizziert. Alles ist flüchtig, austauschbar und beliebig zu manipulieren. Doch wenn der Lack ab ist, kommen liebebedürftige Seelchen zum Vorschein, die von der Mami in den Arm genommen werden wollen. Eine gute Performance ist alles, auch wenn man um sein Leben betrogen wird.

Der Regisseur lässt die Shortstorys der Protagonisten und ihre Interaktionen mit viel Bewegungsphantasie bis zur Groteske ausagieren. Moral von der Geschicht’: die Weltverbesserer, die hier als Dreierpack frisch von Schulbank und Studium vorgeführt werden, sind in der Gefahr, schnurstracks in eine neue Form des Faschismus zu marschieren: Führungselite und Masse. Die Ideologie von kybernetisch sortierten Menschen löst die Klassifizierung in Rassen ab. Demokratie wird als Herrschaft des Mittelmaßes denunziert. Sie gelte es zu überwinden.

Algorithmen überall

Diese Botschaft predigt Gabor (Michael Kamp), ein schmieriger Investor mit dem Gehabe eines Showmasters, der die beiden Netzfreaks, den introvertierten Thees (Florian Mania) und das Großmaul Falk (Benedikt Crisand) erst mit Geld motiviert und dann ihre Idee klaut, per Spezial-Algorithmus die idealen Freundeskreise zu ermitteln. Als Überflieger setzt er ihnen ihren Kumpel, den Geisteswissenschaftler Hagen (Volker Muthmann), vor die Nase. Der mausert sich zum Erfüllungsgehilfen der feindlichen Übernahme, wird aber zu böser Letzt auch "disconnected". Dem Verhältnis zu seiner Freundin Anna (Karolina Horster), einem süßen Partygirl mit trotzigem Lockenköpfchen, im prekären Arbeitsverhältnis beim Big-Boss Gabor, ist auch keine lange Dauer vorausberechnet. Mit Power mimen sie alle Comedians des chaotischen Lebens: The show must go on.

Wird in Epic 3.0 das Lebensgefühl einer ganzen Generation vorgeführt? Das wäre sicher zu viel verlangt. Jedenfalls hat sich das Publikum königlich amüsiert. Ob dabei die vergiftete Konterbande ausgeblendet wurde, ist nicht auszumachen: "Wo es keine Individualität mehr gibt, was für einen Sinn macht da noch die individuelle Freiheit."


Epic 3.0 (UA)
von Hubert Schipkowski
Regie: Jens Poth, Bühne und Kostüme: Simone Wildt, Musik: Wendelin Hejny, Dramaturgie: Petra Thöring.
Mit: Benedikt Crisand, Karolina Horster, Michael Kamp, Florian Mania, Volker Muthmann.

www.theaterheidelberg.de

 

Mehr zum Regisseur Jens Poth: wir besprachen seine Uraufführung von Oliver Bukowskis Friday Night im September 2010 in Osnabrück, ebenfalls dort inszenierte er die Uraufführungen von Dirk Lauckes Stücken Start- und Landebahn im Mai 2010 und zu jung zu alt zu deutsch im Mai 2009.

 

Kritikenrundschau

In Hubert Schipkowskis "Epic 3.0" führe "die Odyssee im Cyberspace (…) unweigerlich zur dunklen Seite der digitalen Parallelwelt", schreibt Heribert Vogt in der Rhein-Neckar-Zeitung (12.12.2011). Denn diese mutiere "zu einem Schwarzen Loch von ungeheurer Sogkraft, das alles verschlingt, was die subkulturellen Freiberufler-Bürogemeinschaften in der Metropole" ausmache: "grenzenlose Kommunikation, Kreativität, Engagement, Solidarität, Freundschaft, Liebe ...". Insgesamt sie mit der Uraufführung "ein sehr zeitgeistiger Abend mit ironischen Untertönen" gelungen, wozu "die überzeugenden Schauspielern" und vor allem die "zum Teil betörenden Bildlösungen" beitrugen. "Mit kühler Eleganz – aber auch krasser Überzeichnung – warfen sie in der flüchtigen Szenenfolge bezeichnende Schlaglichter auf die Verlassenheit und Einsamkeit der Menschen vor ihren Computern."

Schipkowskis Stück sei "der Versuch, einer Welt Leben einzuhauchen, die so virtuell ist, das die hier agierenden Menschen hinter den Internet-Programmen zu verschwinden", schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (13.12.2011). Dabei sei es "mit Fachjargon gespickt" und habe "mit seiner eigenen Virtualität zu kämpfen". Zwar schaffe der Autor es, "die abstrakte Webwelt in eine Story zu verpacken und Einblicke in das Geschäft mit 'psychoontologischen, transversalen Bewertungsmatrizen' zu ermöglichen. Geht es aber darum, was seine Figuren miteinander zu tun haben könnten, wird die Luft dünn." Poth bringe das Ganze so auf die Bühne, wie auch der etwas konstruiert wirkende Text: "ganz flott und mit Tendenz zur Hyperaktivität".

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