alt

Die manipulative Macht der Worte

von Sarah Heppekausen

Essen, 16. Dezember 2011. "Friends" – mit diesem einen Wort ist viel gesagt: die Beziehung zwischen Redner und Zuhörer geklärt, die Basis für ein wohlgesinntes Vertrauensverhältnis gelegt. Ihre Ansprache ans Publikum beginnt die Performerin Kate McIntosh mit John McCains offiziellen Worten nach dem Wahlausgang 2008 in den USA. "Thank you for coming here on this beautiful Arizona evening". Kate McIntosh strahlt ihr Publikum an, der Ton ihrer tiefen Stimme ist warm, fast herzlich. Ein vermeintliches Gespräch unter Freunden. Dieser Klang wird sich in den nächsten 45 Minuten nur wenig verändern. Die Inhalte ihrer Rede, die Orte, Zeiten, Themen hingegen schon, ziemlich massiv sogar.

Regisseur Tim Etchells, Kopf der britischen Peformancegruppe Forced Entertainment, hat in "Although we feel short" etliche offizielle Reden – knapp dreißig heißt es, aber das ist beim bloßen Zuhören (des englischen Textes) kaum zu überprüfen – zusammengeschnitten, gesamplet zu einer Performance der politischen Rhetorik. 

although_280_ctim etchells_x
Kate McIntosh in "Although we feel short"
© Tim Etchells

Die ist kurz – Reden dürfen nie zu lange dauern –, aber komplex. Wer mit den Mitteln der Sprache kämpft, hat vielleicht manches zu verkürzen, aber nichts zu vereinfachen. Denn das könnte auf Kosten der Überzeugungskraft gehen. Kate McIntosh wechselt verbal von Arizona nach London nach Kuba, von Apartheid zu Arbeitslosigkeit zum Gesundheitssystem, von 1963 nach 2011. Ihr Duktus ist immer derselbe, charmant, erklärend, unaufgeregt, aber absichtsvoll. Ihre Augen sind scharf und wach. Wird es unruhig im Publikum, gibt ihr das Gelegenheit zur Improvisation: "Gibt es Fragen? Irgendwelche Zweifel?"

Es ist die Suggestion, Baby

Etchells und McIntosh enttarnen Suggestion als ein Spiel der Sprache. Es ist ihr Beitrag zur Reihe "Powers of Speech", die die Siemens Stiftung und das Kaaitheater Brüssel initiierten, um die Kräfte und Werte öffentlicher Reden aufzuspüren. Die Deutschlandpremieren vier verschiedener Theatermacher und völlig unterschiedlicher Bühnenarbeiten sind jetzt im Essener Tanz- und Performancezentrum PACT Zollverein zu sehen. Während sich Etchells auf das Wort konzentriert und die Mittel der Sprache selbst nutzt, um ihre Bedingungen und Möglichkeiten freizulegen, bringt Paul Grootboom die Politik auch in Bildern auf die Bühne.

"In Südafrika gibt es noch keine 20 Jahre Demokratie", erzählte Grootboom im Publikumsgespräch nach der Brüsseler Vorstellung Ende November. "Endlich ist die Debatte erlaubt." Das nutzt der südafrikanische Regisseur und Autor auch für seine Inszenierung. Die setzt keine künstlerischen Impulse. Aber sie führt eine politische Auseinandersetzung mit den Mitteln des Theaters. Und sie ist eine der politisch aktuellsten.

Die Fakten jenseits der Reden

Wenige Tage vor der Uraufführung in Johannesburg Mitte November hatte die südafrikanische Regierungspartei ANC den Führer ihrer Jugendliga, Julius Malema, suspendiert. In Grootbooms Performance tritt der 30-jährige Demagoge und Radikalrhetoriker als Störer der Reden des früheren Präsidenten Thabo Mbeki auf. Die Theaterfigur trägt zwar einen anderen, fiktiven Namen, aber erstaunlich ähnliche Gesichtszüge. Lässig und arrogant, mit Lärm, Rhythmus und stolzen Slogans motiviert dieser "Dada" sein Publikum, während sich der Schauspieler des intellektuellen Präsidenten Mbeki Bücher von Platon bis Brecht unter den Arm klemmt.

Mbekis rhetorisch langweilige Reden werden in der Inszenierung mal als Video eingespielt, mal am Rednerpult gesprochen, mal akustisch verfremdet. Dann rollt und schnaubt der Schauspieler Mbekis Worte als Hitler oder formuliert sie frei und freundlich-familiär als Obama. Natürlich ist die Wirkung derselben Worte eine völlig andere. Grootboom präsentiert diese simple Wahrheit und liefert damit Diskussionspotenzial: Wie viel manipulative Macht hat allein die Rhetorik?

Im vergangenen Jahr war der Südafrikaner mit seiner brutal-romantischen Township-Story "Welcome to Rocksburg" zu Gast beim Festival Theater der Welt in Mülheim. Grootbooms Theater ist intuitiv, engagiert und enthusiastisch. Seine Figuren sind stilisierte Typen des realen Südafrikas. In "Rhetorical" verknüpft er die Auseinandersetzung mit Mbekis Reden und Malemas rhetorischen Attacken mit klischeehaften, ironischen, auch berührenden Szenen aus dem südafrikanischen Alltag. Armut, HIV, Gewalt – das sind die harten Fakten zur Theorie der Rede.

Stimmen aus dem Inneren

Die kolumbianische Theatergruppe Mapa Teatro verfasst gleich selbst eine politische Rede. Die fiktionale Rede eines realen Mannes, nämlich die von Pablo Escobar, kolumbianischer Drogenboss und 1993 auf der Flucht aus dem Gefängnis von Polizisten erschossen. 

discurso_560_crobinjunicke_x
"Discurso de un hombre decente"
© Robin Junicke

Während er (in Essen dargestellt von Jule Gartzke) als zukünftiger Präsident die Legalisierung der Drogen, den fairen Handel des weißen Goldes und den baldigen Reichtum seines armen Landes beschwört, besorgen echte ehemalige Musiker Escobars den atmosphärischen Rausch, für den die vielen Kokapflanzen auf der Bühne sinnbildlich stehen. Das Mapa Teatro ist bekannt für seine dokumentarisch angelegten Arbeiten, ein Wirtschaftswissenschaftler und Drogenexperte sowie Videoaufzeichnungen sind die Realitätsgaranten dieser Inszenierung.

Strategien zeigen

Jede Rede ist ein Sprachspiel. Das zeigen alle diese Arbeiten. Und als solches eignet sie sich natürlich für die Bühne. Egal, ob ihre inhaltlichen Themen szenisch in Bilder übertragen werden oder in analytischen Gedankenkämpfen rein verbal ausgefochten werden. Redner tragen Masken – das legt das Mapa Teatro auch ganz offensichtlich dar, wenn das Rednerhaus zum Schminktisch wird.

Das "Power of Speech"-Projekt funktioniert als Entlarvungsinstrument. Ein Aufstieg der politischen Rede kann hier bestimmt nicht gefeiert werden. Alle Arbeiten halten den Zuschauer seltsamerweise auf Distanz. Ganz anders als es der Zweck einer öffentlichen Rede ist. Nichts reißt mit, bewegt die Massen. Vielleicht liegt es an kulturellen oder Sprach-Barrieren. Vielleicht aber auch an der simplen Absprache der Theatersituation. Wer diese Bühne betritt, dem haftet Fiktionales an. Und von einer Maske lässt sich niemand so einfach überzeugen. Auch nicht, wenn sie einen mit "Friends" anspricht.


Although we feel short
Text und Regie: Tim Etchells
Mit: Kate McIntosh.

Rhetorical
Text und Regie: Mpumelelo Paul Grootboom, Bühne: Wilhelm Disbergen, Kostüme: Noluthando Lobese, Choreografie: Thabo Rapoo.
Mit: Felize Mpela, Presley Chweneyagae, Phumzile Gamede, Tsholo Monedi, Ontiretse Manyetsa.

Discurso de un hombre decente
Konzept und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden.
Mit: Francisco Thoumi, Jule Gartzke, Juan Pablo Becerra (Saxofon und Klarinette), Rodrigo Gaviria (Basstuba), Andres Mauricio Herrera (Trompete), Danielo Jiménez (Pauke und Becken), Oscar Jiménez (Trommel) als La Banda de Músicos Marcos Fidel Suárez de Bello unter der Leitung von Danilo Jiménez.

www.pact-zollverein.de

mehr porträt & reportage

Kommentar schreiben