Aus der Versehrtheit geboren 

von Anne Peter

Potsdam, 9. November  2007. Der Schnupperphase sind Wajdi Mouawads "Verbrennungen" schnell entwachsen. Das in dieser Saison landauf und landab gespielte Stück des 1968 im Libanon geborenen Frankokanadiers (wir berichteten hier und hier ), in dem ein Zwillingspaar sich, dem Testamentswunsch der Mutter folgend, widerwillig aus Montreal auf die Suche nach Vater und Bruder in den Libanon aufmacht, ist in Phase II angekommen. und

Nun wird, wie jetzt in Potsdam, von den Theatermachern nach Lust und Lesart die Schere angesetzt, werden beherzt Passagen oder ganze Grundgedanken unter den Tisch fallen gelassen. 

Mit Recht hat der Autor darauf hingewiesen, dass diese moderne, nach Nahost verlegte Ödipus-Variation weder um die Notwendigkeit kreist, "seine Wurzeln zu kennen" noch einfach "ein Stück über den Krieg" sei. Im Programmheft zur Inszenierung des Hans Otto Theaters Potsdam ist dieser Satz auch großbuchstabig zitiert. Doch zu Herzen genommen hat ihn sich Petra Luisa Meyer nicht gerade. 

Hälfte des Dramas
Die Regisseurin nimmt sich gewissermaßen nur einer Hälfte des Dramas an, indem sie mit Hilfe der ganz auf realistische Darstellung gepolten Schauspieler noch einmal vorführt, welch desaströse Folgen aus Krieg und seinen Grausamkeiten erwachsen. Zu diesem Zweck werden Körper bis zum Halsmuskel angespannt, Hände ins Zittern gebracht, Stimmen tremolierend in die Verzweiflung gestürzt. Auch makabre Bilder scheut Meyer nicht, lässt Oktay Khan als Soldat Nihad (Regieanweisungs-gemäß) "Roxane" ins Gewehr-Mikro schmettern und später mit dem von ihm kaltblütig erschossenen Kriegsfotografen, dem noch das Blut aus dem Auge tropft, posieren.

Mit ähnlichen Abnormitäten vertreiben sich bekanntermaßen Soldaten allerorten die Zeit. Mouawad bleibt in der konkreten Verortung trotz Hinweisen gen Libanon auch bewusst vage. Meyer hingegen unterstreicht von der Besetzung über Palästinenser-Tuch und Google-Earth-Projektion die arabischen Örtlichkeiten. Wer nicht danach aussieht, muss wenigstens mit blöd-witzigem Akzent sprechen und noch ein paar Klischees mit dranhängen: sich an 'ne Frau ranschmieren, ihr dann noch 'nen Schein aus der Tasche ziehen und als Museumsführer schlechter über die Geschichte Bescheid wissen als die Touristin – tja...

Große, naive Hoffnung
Gegenüber diesen fragwürdigen Versuchen der Lustigkeit dominiert in der Inszenierung über weite Strecken jedoch der bittere Ernst, denn: Krieg ist schlimm. Er macht die Menschen zu Bestien. Eine Bluttat zieht Vergeltung nach sich. Tausende werden vertrieben, in den Flüchtlingslagern werden Massaker angerichtet, in den Gefängnissen gefoltert und vergewaltigt. Von all dem erzählt Mouawad in den Rückblenden seiner analytisch aufgezäumten Familiengeschichte, deren zwei Ebenen filmisch ineinander geschnittenen sind. Aber durchzogen ist dies alles von Beginn an – und das wäre die hier vernachlässigte zweite Hälfte des Dramas – von einer großen und vielleicht tatsächlich etwas naiven Hoffnung: auf die Kraft der Liebe und der vergebenden Vernunft.

Diese lässt Meyer gegen Anfang auch spielen: ein verliebtes Paar springt sich juchzend in die Arme. "Mein Bauch ist voll von dir", ruft Nawal enthusiastisch (alle Altersklassen meisternd: Meriam Abbas) und Mahab freut sich mit: "Wir werden es nicht verheimlichen". Damit ist das Glück aber auch schon zu Ende. Als die beiden getrennt und der jungen Mutter der neugeborene Sohn weggenommen wird, verspricht sie diesem: "Was auch geschieht, ich werde dich immer lieben." Verheißend trommelt Abbas dazu die Hände gegen die Plexiglaswand, sinnbildliche Dorfgemeinschafts-Einhegung.

Nawals Wutsolo
Nawal wird durchbrechen, indem sie lesen und schreiben lernt. Und nachdenken. Statt der blinden Racheaktion führt sie später als Widerstandskämpferin den gezielten Tyrannen- bzw. Milizenchefmord aus. Zugegeben, auch keine einwandfreie Lösung, aber doch ein verhältnismäßig kühlköpfiger Vorschlag, den die Hauptdarstellerin bei Meyer unverständlicherweise innerhalb eines Wutsolos vorbringen muss, während sich Freundin Sawda (Nina El Karsheh) mit Sprengstoff umgürtet.

Ebensowenig wie an die Vernunft scheint Meyer daran zu glauben, dass Nawal bereit ist, den Hass in Liebe einzutauschen, als sie in ihrem Vergewaltiger den Sohn erkennt. Mouawads Versöhnungsgedanke, der durch unglückliche Textkürzung auch einiges an Überzeugungskraft einbüßen muss, wird als Illusion abgewatscht. Dafür haben die Figuren in Meyers Inszenierung am Ende nur ein aus der Versehrtheit geborenes Hohnlachen übrig. Vielleicht ist das einfach realistisch? Doch die "Verbrennungen" werden damit einer entscheidenden Dimension beraubt – und so eben leider doch zu einem dieser Stücke über den Krieg verkleinert.

 

Verbrennungen
von Wajdi Mouawad
aus dem Frankokanadischen von Uli Menke
Regie: Petra Luisa Meyer, Bühne: Matthias Schaller, Kostüme: Jessica Karge, musikalische Leitung / Videoeinrichtung: Marc Eisenschink.
Mit: Meriam Abbas, Nina El Karsheh, Gisela Leipert, Nicoline Schubert, Andreas Herrmann, Oktay Khan, Roland Kuchenbuch, Philipp Mauritz, Henrik Schubert.

www.hansottotheater.de
 

Kritikenrundschau

Frank Dietschreit freut sich in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (12.11.2007) über meistens ausverkaufte Vorstellungen im noch immer neuen Theater am Tiefen See in Potsdam. Ganz zu Recht findet er, denn: "Inszenierungen von Petra Luisa Meyer inzwischen für ein extrem interessantes, gelegentlich auch provokatives Regietheater". Verbrennungen inszeniert sie ohne "orientalisches Ambiente", im Wechsel der Erzählebenen von Vorder- zur Hinterbühne. Es gibt keine real gezeigten Gräueltaten, aber "die Kraft des Wortes in den Mündern der Schauspieler ist aber so groß, dass einem angst und bange wird."

"Verbrennungen", schreibt Lena Schneider in den Potsdamer Neuen Nachrichten (12.11.2007), sei "Kriegsgeschichte und Familientragödie von griechischem Ausmaß", schweres, fast unverdauliches Material. Dagegen setze Petra Luisa Meyer behutsame Übertreibung, Ironisierung. Am meisten überzeuge die Inszenierung, wo der kaum erträgliche Schmerz gebrochen werde. Auch die Hauptdarsteller "berühren am meisten, wo sie nicht nur leiden, sondern ihre Charaktere eine Winzigkeit hinter sich lassen".

 

 

Kommentare  
Verbrennungen in Potsdam: gutes Stück, schlechte Regie
Ich stimme mit der Kritik überein. Das Stück selbst ist aufregend gut. Ich würde es gern in einer anderen Inszenierung sehen. Einer Inszenierung, die diesen Text ernst nimmt und nicht zu einer Art Nummernrevue verkümmert, und insbesondere: den Schauspielern, die Zeit und den Raum gibt, die von ihnen gespielten Rollen auch darzustellen. Dafür nur ein Beispiel: Die Zwillinge werden von dem Notar und Testamentsverwalter auf die Reise in die Vergangenheit ihrer Mutter geschickt. Als sich die beiden weigern, beharrt er geduldig darauf - nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern, weil er mit der Mutter gut befreundet war, manches von ihr wusste, was den Kindern nie gesagt worden war. Am Ende der Fahrt ist er erschüttert und fragt sich, ob dieses Beharren richtig war, ob es nicht besser gewesen wäre, die Mutter zu begraben und alles zu vergessen, wie es Simon verlangt hatte. Diese für das Vorantreiben der Handlung durchaus wichtige und vielschichtige Person wird als eine Karikatur dargestellt, die im schlechtsitzenden und unvorteilhaft zugeknöpften Anzug ihren Text wie in der ersten Leseprobe herunterhaspelt. Dass es Nicoline Schubert und Henrik Schubert trotz der Regie gelingt, die Rolle der Zwillinge überzeugend und unter die Haut gehend darzustellen, ist ein dickes Extralob wert!
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