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(K)ein Weg ins Leben

von Hartmut Krug

Berlin, 18. Dezember 2011. Zuerst einmal ist da die Sprache. Eine realistische Kunstsprache, eine Alltagssprache. Knapp, sinnlich spröd. Pointiert, manchmal sinnbildhaft, aber nie zum Klischee gerinnend. Und mit Zwischenräumen, wo die Zeit still steht und die Gedanken ins Heute spazieren. Es ist eine Lust, Georg Seidels Theatertexte zu lesen. Weil da jemand die Welt erfasst mit seinen Fragen und sie bannt mit der Sinnlichkeit seiner Sprache. Kein cooler Fließtext, keine offene Textfläche, sondern Menschentheater. Nicht DDR-Theater, auch wenn der 1990 verstorbene Georg Seidel seine Texte aus den und gegen die Erfahrungen seiner Gesellschaft schrieb. Und die hieß nun einmal DDR. Weshalb Seidels Stücke nach der Wende kaum noch gespielt wurden. Dabei wurzeln seine Parabeln, die sich am realen Realismus rieben, stets in den allgemeinen Fragen jeder Gesellschaft.

Jochen Schanotta sucht seinen Weg ins Leben. "Immer war er vorneweg, Vorbild, kein Grund zur Klage", sagt sein Lehrer. Doch dann. Dann will er sein Leben, sich selbst finden, will wissen, wie er wirklich leben kann. Schon in Schanottas Umformulierung eines realsozialistischen Spruches stecken Sprengkraft und Beschränkung zugleich: "Der Mensch ist der Mittelpunkt aller Dinge. Ich."

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"Das Leben ist schön. Fangen wir an. Komm." Kathleen Morgeneyer (Klette) und Andreas Döhler (Schanotta)   © Arno Declair

In der Zwangsfalle des Funktionierens

Ein Kämpfer vermag er nicht zu sein, aber ein Suchender. Ernsthaft und verzweifelt, aber auch hilflos, sich aufreibend. Nie aber so äußerlich munter wie Plenzdorfs Edgar Wibeau. Wenn der kraftvolle, zuweilen etwas zu energische Schauspieler Andreas Döhler, der seinen Schanotta wunderbar zwischen Aufbruch, Anspruch und Verzweiflung schwanken lässt, dessen erste Erinnerung an kindliche Domestizierung zur Uniformität gleich dreimal erzählt, einmal humoristisch thüringisch, dann heftig empört und schließlich still in sich ruhend, dann wird in seinem dem Text hinzugefügten Fazit ein Thema der Aufführung deutlich: "Man hätte das nie mitmachen dürfen."

Schanotta fliegt von der Schule, lernt Klette kennen und irgendwie auch lieben, zieht mit ihr rum und später bei ihr ein, versucht vergeblich wieder auf die Schulbank zu kommen, scheitert auch an der Werkbank und wird schließlich von der Wehrpflicht eingefangen. Gut, die Wehrpflicht gibt es nicht mehr. Und auch "alles mit Draht umwickelt, das Land, damit's nicht auseinanderfällt" (ein Zitat, das neben anderen die staatliche Kampagne gegen das Stück und eine das Stück verfälschende Uraufführung 1984 am Berliner Ensemble zur Folge hatte), das spielt keine Rolle mehr.

Doch das Eingesperrtsein in der Zwangsfalle des Funktionierens, das Frank Abts konzentrierte und spielerisch lockere Inszenierung verdeutlicht, das kennt man auch in der neuen, realkapitalistischen Gesellschaft. Was da im Stück auf die DDR gemünzt ist, wischt das tolle Ensemble beiseite. Es zeigt Menschentheater. Nicht Jugendtheater, denn alle sind hier aus einer Generation. Grandios die Szene, in der zwei Männer von einem Film erzählen und dabei ihre eigene Situation becketthaft charakterisieren. Dazu stellen sich die Schauspieler in einer Reihe vor das Publikum und erzählen den Film. In dem haben zwei Männer nur gesoffen, sonst ist nichts passiert, und es war meist nichts zu sehen: "Das hat mich beeindruckt."

Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters sitzt das Publikum auf der Bühne und schaut auf eine Spielanordnung. Die Schauspieler treten aus einer Stuhlreihe am Bühnenrand vor das Publikum. Während sie uns etwas erzählen, wechseln sie ins Vorspiel. Eine Wand im offenen Raum, auf der einen Seite die Mutter, auf der anderen Schanotta: so werden eine Beziehung und eine Situation benannt. Kabarett gibt es hier nicht, nur stillen Humor, wie in der Musterungsszene. Und tolle Schauspieler, allesamt. Herrlich, wie unaufgeregt und präzise Natalie Seelig Schanottas Mutter spielt, eine Frau, die für sich sorgt und die sich um den Sohn sorgt, die sich eingerichtet hat und den Sohn schützen, aber nicht einsperren will. Und Kathleen Morgeneyer spielt eine Klette, die beweglich ist, von innen leuchtet und zugleich von ihrem Leben und ihrer Arbeit pragmatisch sagt, "Das ist besser als nichts". Vereinzelt ist auch sie, doch immerhin etwas bei sich. Und sie kämpft, für sich und um Schanotta. Sie stellt, so der Regisseur im Programmheft, eine der Kernfragen des Stücks: Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

Frank Abt hat den Text meist geschickt bearbeitet. Nur dass er die Szene, in der eine Arbeiterin auf einer sich drehenden Werkbank für ihre Kollegen eine Peepshow vorführt, von Klette spielen lässt, passt nicht zu Figur und Stück. Schön dann wieder die Vertauschung der Schlussszenen: erst die milde Albtraumszene, in der Mutter und Lehrer den zum Militär gehenden Jochen in ein Kleinstuben-Idyll mit Blümchentapete und Toaster stoßen, dann dessen Traumerzählung von Tod und Sarg, und sein letztes Wort: "Schweigen."

Man konnte Angst haben, dass das Stück eines Autors, der zwölf Jahre am Deutschen Theater arbeitete, erst als Beleuchter, dann in der Dramaturgie, nur zur geschichtlichen Aufarbeitung benutzt werden würde. Doch Frank Abts Inszenierung geht respektvoll um mit Seidels "Jochen Schanotta" und entdeckt es für uns als aktuelles Zeitstück. Respekt.

 

Jochen Schanotta
von Georg Seidel
Regie: Frank Abt, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Marie Roth, Licht: Henrike Elmiger, Dramaturgie: Meike Schmitz.
Mit: Andreas Döhler, Natali Seelig, Daniel Hoevels, Kathleen Morgeneyer, Thomas Schumacher, Simon Brusis.

www.deutschestheater.de




Kritikenrundschau

Auf der Webseite von Deutschlandradio Kultur (18.12.2011) schreibt der ehemalige stellvertretende Chefredakteur von Theater der Zeit, der damaligen Zeitschrift des Theaterverbandes der DDR, Volker Trauth: Seidel wähle für sein Drama das "Labyrinth" als "dramatischen Raum", einen "Raum der Stagnation", in dem sich der Held im Kreise drehe, herumirre und keinen Ausgang finde. "Diesen dramatischen Raum will die Fassung des Deutschen Theaters erhalten." In der "Ausweglosigkeit", in dem "vom Helden empfundenen Stillstand", im "vergeblichen Suchen nach dem eigenen Zentrum", in der "Unveränderbarkeit der Verhältnisse" und im "Verlust des 'Wir-Gefühls' sehe das Regieteam um Frank Abt das "über die DDR Hinausweisende" dieses Stücks. Weil viele im Original noch ausgespielte Situationen nur berichtet würden, gebe es einen "Verlust an dramatischen Auseinandersetzungen" und die Figuren neben Schanotta gewönnen kaum Profil. Der Regisseur sehe im Stück kein "Jugendstück", der Held sei ein Mann um die 30, die anderen gleichaltrig. Statt eines "Generationskonflikt " stelle eine Gruppe von gleichaltrigen Schauspielern ein selten gespieltes Stück vor, einige Texte des Helden würden auf sechs Darsteller aufgeteilt. Andreas Döhler begegne dem "emotionalen Dauerdruck" seiner Figur Jochen "mit einer bewussten Vielgestaltigkeit des darstellerischen Ausdrucks". - "Insgesamt eine Inszenierung mit Licht und Schatten".

In der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau schreibt Ulrich Seidler (20.12.2011) in einer sehr lesenswerten Kritik: Schon der erste Satz reiße den Puffer zwischen DDR und Gegenwart weg: "Man hätte das nie mitmachen dürfen." Es sei dies ein Ruf aus einer "übellaunigen Zeit, in der alles stagnierte, sich hoffnungslos verbohrte und abwärts spiralte: ... Die Hoffnung auf den Zusammenbruch keimte gerade erst. Es ist ein Ruf von gestern, er trifft ins Heute." Die Diktatur sei untergegangen. Habe deswegen das "Misstrauen gegen das 'Mitmachen' heute an Dringlichkeit verloren?" Jochen Schanotta sei "ein Verweigerer, ein Bartleby", das Gegenteil eines Mittäters. Wie der "großartige" Andreas Döhler funkele. "Welche Kraft und Wildheit, wenn er die Arme hochreißt. Hier bin ich! Nehmt mich! Lasst mich! Ihr könnt mich mal!" Und dann, die Zurechtstutzung und Erschlaffung, wenn er das Unterhemd in den Schlüpfer stopfe, die Hose über den Bauchnabel ziehe, sich Haare ordentlich anklebe.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20.12.2011) schreibt Irene Bazinger: Vom "allgegenwärtigen Repressionsapparat" sei in den Kammerspielen, wo Franz Abt das "systemkritische Jugendstück" von Georg Seidel inszeniere, "nichts zu sehen". Bei Andreas Döhler sei Schanotta ein "maulender, unfroher Rabauke, der zwischendurch ungeniert das Publikum anpöbelt". Ansonsten halte die Inszenierung "eher auf Distanz", lasse die Darsteller die Regieanweisungen mitsprechen und "penetrant darauf hinweisen", dass sie Theater spielten. Diese "gestische Süffisanz" kaschiere "freilich" nicht, dass "Franz Abt offenbar mit der Vorlage recht wenig anzufassen wusste". Der Regisseur sei von diesem "renitenten, rotzigen Außenseiter" überfordert.

"Überwältigend schöne, fantastische Bilder, dunkel und vieldeutig" gäbe es in dem Stück, preist Christoph Funke im Tagesspiegel (21.12.2011). In den Kammerspielen sei der Raum aufgehoben, dennoch entstehe "eine faszinierende Lebendigkeit, gerade im Ungesagten, Angedeuteten". Nicht nur die innere Verfasstheit des Helden Schanotta tue sich auf, auch die anderen Figuren blieben verstörend in den Beklemmungen einer falschen Welt gefangen. "Döhlers Schanotta zieht auch die Wahrheiten dieser Figuren ans Licht, ihre Hilflosigkeit, ihren Charme, ihre tapfer versuchte Ehrlichkeit, ihr böses Versagen. Und es gibt hinreißend vitale Szenen wie den Glücksrausch der Liebenden, einen Tanz der Entgrenzung, Menschsein und Tiersein ineinanderreißend."

"Jochen Schanotta" sei keine allein auf die DDR gemünzte Geschichte, sondern eine, die ganz grundsätzliche Fragen stelle, schreibt Esther Slevogt in der tageszeitung (21.12.2011): "Wie kann und soll man in dieser heillosen Welt überhaupt leben?" In einer der schönsten Szenen des Abends tobten Kathleen Morgeneyer und Andreas Döhler ausgelassen umeinander herum - in alten Pelzmänteln, die als Bärenverkleidung dienen. "Immer wieder verschlingen sie sich gegenseitig, werden wilde Umarmungen zur erstickenden Umklammerung. Spaß und Ernst sind bedrohlich ununterscheidbar, wie die berühmten Küsse und Bisse bei Kleist. Doch ein Entkommen gibt es nicht."

Frank Abts angenehm unaufgeregte Inszenierung "ist ein Blick zurück in die marode DDR der achtziger Jahre und der Versuch, im Zeitstück von damals ein auch jenseits der historischen Situation gültiges Muster von Verweigerung gegenüber den Zumutungen der Sachzwänge einer durchgeregelten Gesellschaft zu entdecken", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (28.12.2011). Die Inszenierung male ein kurzes Glück aus, "wenn sich die Verliebten Pappkronen aufsetzen, als wären sie jetzt die Herrscher aus eigenem Recht in ihrem privaten Königreich der Liebe, endlos weit weg von der grauen DDR." Sie hören Mozart, lassen sich von Konfetti beregnen, ziehen gut gelaunt am roten Theatervorhang: "Ein Parallelreich wie die Kunst. Das ist naiv, aber auch rührend sympathisch und von Abt schön kitschfrei erzählt."

Kommentare  
Jochen Schanotta, Berlin: eine Rolle für Döhler
Klingt so, als habe "Die Sorgen und die Macht" in dieser Spielzeit einen würdigen Nachfolger gefunden an den DT-Kammerspielen ! Ich konnte das ja leider noch nicht sehen, aber warte seit geraumer Zeit
darauf, daß endlich mal so eine Rolle für Andreas Döhler gefunden wird. Offenbar ist Herrn Abt hier etwas gelungen, was sich bei Stemann, Kriegenburg und Thalheimer meist nur andeuten "durfte",
gerade Döhlers Auftritt in "Rose Bernd" seinerzeit am Thalia ließ aufmerken und eben einer solchen konzentrierten "Einzelrolle" entgegenfiebern..
Jochen Schanotta, Berlin: DDR am Deutschen Theater
freut mich sehr, dass uli khuon und seinem team so allmählich eine ganz eigene spielplanebene gelingt mit hacks und seidel und müller,die gerade im ehemaligen osten berlins alte identitäten behutsam und heutig nocheinmal thematisiert. und dies ohne alle besserwessierei. und siehe da, die ddr ist eben ein teil deutscher geschichte und gesamtdeutscher gegenwart...
Jochen Schanotta, Berlin: gültige Fragen nach Idee von anderem Leben
Wer ist eigentlich Frank Abt? Nein, nein, nein. Um die großen Namen geht's hier nicht. Hier geht's jetzt erstmal um den Text "Jochen Schanotta". Zu Beginn wird der Titel von Georg Seidels Stück von den Schauspielern auf eine weisse Papierbahn geschrieben, welche an einem schwarzen Trennvorhang befestigt ist. Dieser trennt den Zuschauerraum von der Bühne. Und "wir Zuschauer" sitzen auf der Bühne. Wir sind die Akteure. Wir sind die, welche Geschichte machen (sollten), aber sie entgleitet uns immer wieder, und/oder wir kommen einfach nicht klar damit, dass uns von "da oben" oder "da vorn" immer wieder was vorgemacht/vorgetäuscht wird. Sind das noch unsere Gesten? Sollen wir in diesem inszenierten Spiel des Lebens mitspielen oder hilft nur noch die Totalverweigerung? "Wir" oder "ich"?

Toll toll toll, wie hier mit den einfachsten Mitteln Theater gemacht wird. Intelligentes Handwerk mit Seele. Kein kaltes und (ver-)blendendes Designertheater. Und die Sprache geht voll rein. Geht rein in den Kopf und eröffnet dort imaginäre Bilder und Horizonte. Der Text spricht.

Wie kann man einen Text sprechen? Man kann ihn auf dreierlei Weise betonen. Diese Sache mit dem gestempelten und grün ausgemalten Vogel. Man kann diesen Text "ostdeutsch" (sächselnd), pathetisch bzw. im Sinne des realistischen Sozialismus oder "westdeutsch" sprechen. Das Thema war, ist und bleibt dasselbe: Gleichschaltung und/oder Eigensinn. Oder: "Man muss sich den anderen hingeben und sich selbst treu bleiben." (Michel de Montaigne) Was nicht nur in Bezug auf andere Menschen gilt, sondern auch in Bezug auf andere Ideologien und/oder Gesellschaftsordnungen.

Wie kann ich hier und jetzt im System funktionieren, ohne mich selbst zu verlieren bzw. mein Selbst auf dem freien (Lügen-)Markt zu verkaufen? Wie kann ich die Absurdität des Lebens ertragen und trotzdem weitermachen? Wunderbar passend dazu die lakonische Nacherzählung eines Films, in welchem nur gesoffen wird - und sonst gar nichts. Nichts passiert. Vielleicht geht einer. Vielleicht auch nicht. Komm, wir müssen hier weg, wir müssen hier raus. Das ist die Hölle, wir leben im Zuchthaus (Ton Steine Scherben). Raus aus der Enge des Zimmers, rein ins Leben. Aber wer durch mein Leben will, muss durch mein Zimmer (Thomas Brasch). Wie kann ich das Andere verstehen, ohne es sofort in meinen Wissenshorizont einzuordnen, ohne es sofort zu vereinnahmen? Jochen Schanotta (Andreas Döhler) versteht nicht, wie Klette (Kathleen Morgeneyer) in der Fabrik immer wieder dieselbe stupide Handbewegung ausführen kann. Der Lehrer Körner (Daniel Hoevels) versteht Jochen Schanottas Renitenz in der Schule nicht. Die Mutter (Natali Seelig) versucht, ihren Sohn zu verstehen und bemuttert ihn zugleich.

Insgesamt zeigt sich: Es gibt Parallen zwischen dem Leben im Sozialismus und im Kapitalismus. Denn überall war und ist Alltag. Und überall steht das Funktionieren-Müssen im Vordergrund. Ist das ein Leben oder ist das kein Leben? Müssen wir wieder in den Übungsraum der (Jugend-)Bewegung hinein? Liegt die Utopie darin, uns das Märchen vom glücklichen Leben/Liebespaar vorzuspielen, denn der Mensch ist bekanntlich nur da ganz Mensch, wo er spielt (Friedrich Schiller)? Der kindlich verspielte und wilde Ausbruch von Lebensfreude wirkt mitreissend ansteckend. Und doch folgt gleich darauf die Ernüchterung. Reicht uns das? Jochen Schanotta (ver-)zweifelt daran. Er schwelgt in einer Art Todessehnsucht, indem er von einer Kette von Särgen spricht, die hintereinandergereiht einen leuchtenden Fluss entlangschwimmen. Ja. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen (Heraklit). Aber muss es so sein, dass mit den Menschen auch die Erinnerung an alternative Gesellschaftsordnungen stirbt? Frank Abt hat sie wiederaufleben lassen, die bis heute gültigen Fragen nach der Idee von einem anderen Leben.


"ACH WENN SIE NICHT GESTORBEN HABEN
den leben sie noch heute.
Wer überm Märchen sucht, muß graben
Wer unterm Märchen ruft, ist Beute

für jeden Falschen Februar"
(Thomas Brasch)
Jochen Schanotta, Berlin: Korrektur
Korrektur 3. Absatz: Gemeint war natürlich der sozialistische Realismus mitsamt seinen leergelaufenen marxistischen Legitimationsparolen. Nee nee nee. "Man hätte das nie mitmachen dürfen." Da kriegt man ja nen Vogel.
Schanotta, Berlin: mehr Funken
Na Inga, da hätten Sie durchaus ein paar mehr Funken draus schlagen können. Was wäre denn nun ein realistischer Sozialismus? Und worin unterscheiden sich die Seidel-Inszenierung am DT von Frank Abt zur Brasch-Inszenierung "Mercedes" von Philipp Tiedemann am BE? Da geht es doch auch um zwei Außenseiter, nur eben im Kapitalismus. Nur mal so, falls Sie es überhaupt schon gesehen haben.
Schanotta, Berlin: Nicht ganz unbedeutende Wortverdrehung
@ Stefan: Tja, das war wohl eine nicht ganz unbedeutende Wortverdrehung. Es ging mir zunächst mal um die staatlich bzw. sowjetisch gelenkte Ästhetik des sozialistischen Realismus. Daneben gab's die Politik des "real existierenden Sozialismus" in der DDR. Und "realistischer Sozialismus"? Diesen Begriff könnte man wohl am Ehesten der heutigen LINKEN zuordnen: Demokratischer Sozialismus.

Die wesentliche Frage liegt für mich im nach wie vor offenen Widerspruch, in welchem sich Jugendliche UND Erwachsene aktuell befinden: zwischen der utopischen Vorstellungskraft des politischen Aufbruchs und dem realen Karrierismus und Konsumismus, gepaart mit Gefühlsrohheit und Gewalt. Das findet sich im heutigen, kapitalistisch bzw. marktkonform geprägten, Gesamtdeutschland in vermeintlich "vollendeter" Form wieder.

Hier setzt die Aufgabe des Theaters ein, und zwar als Gegenöffentlichkeit zu den systemkonformen Medien, wie (BILD-)Zeitung und Fernsehen. Das Theater ist nicht nur eine Art kontrollierter Fasching, es ist nicht nur Vergnügungssucht, sondern es hinterfragt die politischen Strukturen von Anpassung und individualistischem bzw. kollektivem Systemzwang grundlegend. Und vor allem, es kann an geschichtlichen Modellen ihr noch Gültiges und Unabgegoltenes vorführen.

Die Inszenierung von Philipp Tiedemann am BE habe ich (noch) nicht gesehen. Warum lohnt sich das, Ihrer Meinung nach?
Schanotta, Berlin: wer die Meinungsmacht besitzt
Jetzt schreiben Sie vom System wieder so, als wäre es irgendetwas Transzendentes nicht Greifbares, das über unseren Köpfen schwebt. Wir alle bilden letztendlich das System oder meinetwegen die Gesellschaft, der ein mehr, der andere weniger und einige meinen sogar es in besonderem Maße BILDen zu müssen. Denn wer die Meinungsmacht besitzt, bestimmt natürlich das System nachhaltig. Man kann nicht einfach so aus diesem System aussteigen, ohne sich auch als Individuum aufzugeben. Selbst wenn ich unfreiwillig aus Gesellschaft oder System ausgeschlossen werde, durch Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg oder anderen Arten der Ausgrenzung, diene ich immer noch zu deren Erhalt als passives Mitglied und abschreckendes Beispiel. Aktiv hieße nun also mitgestalten, egal erst mal in welche Richtung. Gesellschaft und System sind ja nichts Starres, Unveränderbares. Es sei denn Ihnen sind jegliche Möglichkeiten, sei es durch restriktive Mittel oder auch in finanzieller Hinsicht, genommen, politisch mitzuwirken.

Bei Schanotta sind es sogar restriktive Maßnahmen, die ihn wieder in die Gesellschaft, die er ablehnt, aus welchen Gründen auch immer, zurückholen wollen. Er kann a) sich nicht nach seinen Möglichkeiten entfalten, und somit ist ihm das Teilhaben nicht erstrebenswert und b) er kann nicht verändern, da ihm die Möglichkeit der Alternative fehlt. Es folgt die Totalverweigerung, um dem Anpassungsdruck zu entkommen. Ein Entkommen ist aber nicht möglich, die Folgen werden hier angedeutet. Die wären entweder Zwang oder Systemwechsel, was in der DDR nur durch Ausreise möglich war. Ein Kreislauf, der nur zu durchbrechen war, indem man sich anpasste oder Nischen suchte, kleine Inseln auf den ein Mindestmaß an Entfaltung möglich war. Die meisten Menschen definieren sich über Arbeit, Familie oder Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Verantwortungsgefühl für etwas entwickeln, konkret mitdenken, offen bleiben, anecken, das sind Eigenschaften durch die Veränderung möglich wird. Schanotta ist ja erst so ein Mensch, nur die allgemein vorherrschende Konformität, gegen die er nicht ankommt, lässt ihn scheitern und das ist das Problem, was nach wie vor herrscht, nur das der Zwang zur Konformität jetzt eine andere Qualität hat und es immer ungemein bequem ist sich konform zu verhalten.

Zum demokratischen, realistischen oder auch real existierenden Sozialismus. Es gab nie eine Politik eines real existierenden Sozialismus, das ist nur eine Wortschöpfung, mit der man zu erklären versucht, was das in der DDR war. Darüber kann man lange diskutieren, es war zumindest nicht von Erfolg gekrönt. Wenn Sie jetzt den „realistischen Sozialismus“ mit dem demokratischen Sozialismus a la „Die Linke“ gleichsetzen, legen Sie sich aber wieder auf eine bestimmte Richtung und Definition fest. Damit wird es weder realer noch wirklich realistisch. Ist realistischer Sozialismus jetzt so viel Sozialismus, wie ich mir leisten, oder besser noch, wie ich gerade noch vertragen kann? Ist der Sozialismus an der Wirklichkeit orientiert oder doch nicht eher der Kapitalismus? Was ist mit Utopien? Gibt es reale oder realistische Utopien? Das sind natürlich erkenntnistheoretische Fragen, die man nicht sofort erschöpfend beantworten kann. Man kann sich dem annähern in einem dauerhaften Prozess ohne festgezurrte Definitionen. Fakt ist, dass es eine ständige Veränderung braucht.

Noch kurz zu Brasch und „Mercedes“. Brasch ist auch jemand wie Schanotta, der mitwirken will, kritisiert und damit aneckt, restriktive Mittel zu spüren bekommt, unverstanden bleibt und schließlich unerwünscht ist. Er ist nicht mehr integrierbar, weder als Künstler noch als Mitglied der Gesellschaft DDR. Im Westen das gleiche Spiel, allerdings ohne Restriktion a la DDR, sondern er muss funktionieren. Das tut er nur bedingt. „Mercedes“ handelt von zwei solchen Menschen, die nicht mehr funktionieren, die aus dem System gekippt sind und der Unmöglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen, jenseits der gesellschaftlichen Zwänge. Tiedemann verniedlicht das, spielt Klamauk. Man kann noch darüber hinwegsehen, dass er die Rollen anstatt mit jungen, mit Menschen in den 60ern besetzt, aber einen heutigen Bezug bekommt es dadurch nicht. Nun ist die Sprache Brasch schwieriger als die von Seidel, aber trotz aller Künstlichkeit, ist sie doch auch verständlich und drückt Sehnsüchte aus. Dass die Figuren scheitern wie Schanotta, liegt auch hier an der fehlenden Utopie, der Starrheit der Gesellschaft.
Jochen Schanotta, Berlin: zynisch
@ Stefan: Sie schreiben: "Wir alle bilden letztendlich das System oder meinetwegen die Gesellschaft, der ein mehr, der andere weniger und einige meinen sogar es in besonderem Maße BILDen zu müssen. Denn wer die Meinungsmacht besitzt, bestimmt natürlich das System nachhaltig."
Das ist mir deutlich zu unbestimmt. "Wir alle" bilden also das System? Ist das so? Frau Merkel sprach übrigens auch schonmal so oder so ähnlich davon, dass "wir alle" an der Finanzkrise schuldig seien, weil "wir alle" zu gierig gewesen seien. Ah ja, wer hat denn jetzt die Spitzensteuersätze immer weiter heruntergefahren, wer hat denn jetzt die Löhne gedrückt und profitiert davon, wer regiert zunehmend über Lobbyisten, wer spekuliert mit öffentlichen Gütern wie zum Beispiel mit Wasser und Nahrungsmitteln, wer hat Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, ÖPNV) privatisiert? Wer bestimmt also die Politik in Deutschland, Europa und auf globaler Ebene? Die Antwort, meine lieben Schüler und Querulanten, ist: Ja, hurra, wir gehen alle auf den Markt! Auch unsere politischen Repräsentanten wollen mal einkaufen gehen! Und vielleicht lernen sie dort ja auch was, in direktem Kontakt zum Volk, wer weiss wer weiss.
Kurz gesagt, ob nun in der DDR oder in Gesamtdeutschland: Es geht doch nach wie vor um die Frage der Partizipationsmöglichkeiten des einzelnen Bürgers an politischen und rechtlichen Entscheidungen, welche das Gemeinwesen und damit die alltägliche Infrastruktur des Lebens betreffen.

Sie schreiben weiter: "Selbst wenn ich unfreiwillig aus Gesellschaft oder System ausgeschlossen werde, durch Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg oder anderen Arten der Ausgrenzung, diene ich immer noch zu deren Erhalt als passives Mitglied und abschreckendes Beispiel."
Das meinen Sie jetzt nicht ernst, oder? Höchstens zynisch. Wer so argumentiert, der lässt die URSACHEN von Arbeitslosigkeit, sozialer Ausgrenzung und Ausschluss aussen vor, der glaubt an ein christlich bestimmtes Weltbild, dass der Bürger an den Staat und seine Repräsentanten glauben müsse und nicht umgekehrt der Bürger den Staat gestalten und/oder verändern könne/müsse, wenn die sogenannten "Volksvertreter" die Interessen der Bürger kaum noch wahrnehmen und vertreten. Es ist natürlich leichter, zum Beispiel eine vorurteilsbehaftete Ideologie der sozialen Selektion à la Sarrazin zu betreiben, anstatt sich selbst bzw. die eigene Haltung und Mitverantwortung in Bezug auf Fragen nach Gleichheit und Ungleichwertigkeit zu reflektieren.

Schließlich, warum sollte der Begriff des demokratischen Sozialismus nicht an der Wirklichkeit orientiert sein? Vielleicht ist dieser Begriff ja der einzig realistische, während alle anderen Begriffe nur noch rhetorisch von sozialer Gerechtigkeit predigen? Tja, manch einer lässt sich eben auch gern täuschen und/oder will sich täuschen lassen, im Sinne von "konsumiert und entspannt euch". Dagegen möchte ich die Frage von Ingo Schulze setzen: "Warum sollten Freiheit und Demokratie nicht mit dem gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln möglich sein?" Wer sich solchen Fragestellunge gar nicht (mehr) aussetzt, der ist, wie Jochen Schanotta am Ende, tatsächlich nichts weiter als ein kläglich gescheiterter Mitläufer.
Jochen Schnotta, Berlin: die richtigen Fragen
@ Inga
1.Wir sind natürlich nicht alle mitschuldig, wir werden nur zu Mitschuldigen gemacht und bezahlen für die Finanzpleite der Banken, ob Sie nun mitgezockt haben oder nicht. Sie haben mich da falsch verstanden, in diese Richtung ging meine Aussage gar nicht. Aber für was halten Sie sich denn z.B.? Sind Sie völlig losgelöst von der Gesellschaft, oder wo würden Sie sich da einordnen? Sie werfen doch auch die Frage auf, wie kann ich teilhaben an der Machtausübung oder zumindest mehr Kontrolle ausüben? Doch nur in dem ich mir die Macht einfordere, oder sie in ihrer vom Volk losgelösten Ausübung blockiere, Occupy z.B.

2.Wieder falsch verstanden. Ich blende gar nichts aus, ich schrieb hier nur vom sichtbaren Ergebnis. Dass Sie die Ursachen für HARTZ 4 und soziale Verelendung kennen, setze ich mal voraus. Zynisch ist eher, dass es von Wirtschaftspolitikern, allen voran die FDP und ihre Lobbyisten, so dargestellt wird, als müsse man sich nur Bemühen um am gesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben, auf der anderen Seite aber gegen Mindestlöhne sind und prekäre Arbeitsverhältnisse befürworten. Besser überhaupt eine Arbeit als soziale Hängematte. Wer da nicht mehr mitkommt, steht außen vor und wird als abschreckendes Beispiel benutzt. Der Kapitalismus braucht Arbeitslose, um die die in Arbeit befindlichen ruhig zu halten. Die sozialen Systeme und Gewerkschaften lindern die Probleme nur und das schon lange nicht mehr in ausreichendem Maße. Die Endsolidarisierung wird dadurch vorangetrieben.

3.Jede Politik sollte an der Wirklichkeit orientiert sein, dazu muss man aber erst einmal klären, was die Wirklichkeit ist. Da aber die meisten die Zusammenhänge gar nicht mehr erkennen können, sind sie anfällig für genau die einfachen Antworten, die die Politik bereithält. Sie schreiben wieder vom „Begriff“ demokratischer Sozialismus. Muss ich mich jetzt durch das Parteiprogramm der Linken durcharbeiten, oder ist das was ganz Konkretes? Wie komme ich dahin? Man muss die richtigen Fragen stellen, keine Definitionsgefechte führen. Und dazu müssen Sie dringend klären, wie die Produktionsmittel in die Hände der Gesellschaft kommen und wie die Banken entmachtet werden, sonst bleibt es Utopie.
Jochen Schanotta, Berlin: Parallelen
@ Stefan: Okay, jetzt sehe ich Parallelen in Ihrer und meiner Argumentation.
zu 3.: Sie müssen sich nicht erstmal durch Parteiprogramme durcharbeiten. Sie können auch ganz konkret im alltäglichen, solidarisch-praktischen Miteinander beginnen. Dafür bedarf es aber einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Das Problem ist ja: Menschen werden durch Arbeitslosigkeit isoliert, und das ist meines Erachtens Programm, im zynischen Sinne. Genau an dem Punkt muss man ansetzen. Und für die Frage, wie die Produktionsmittel in die Hände der Gesellschaft kommen, dafür brauche ich persönlich Experten. Ich allein kann das nicht lösen. Kennen Sie zufällig einen kritischen Wirtschaftsexperten?
Jochen Schanotta, Berlin: Durchblick erlangen
@ Inga
Das ist das Problem, wenn wir nicht mehr weiter wissen, rufen wir nach Experten. Ganze Regierungserklärungen und Gesetze werden von Experten gemacht, die Politik in der Hand von Wirtschaftsinstitutionen und Lobbyisten. Sie wollen einen kritischen Experten, da müssen sie sich entsprechen informieren. Die Linke haben Sie ja schon erwähnt, die beziehen sich u.a. auf Experten von „Finance Watch“. Andere Quellen sind vielleicht attac o.ä. Nichtregierungsorganisationen. Ob die nun als Ziel den demokratischen Sozialismus anstreben, bezweifle ich allerdings. Wichtig ist in jedem Fall, den Durchblick zu erlangen und das geht nur darüber sich unabhängig zu informieren. Aber wir schweifen ab, das soll ja hier kein Forum für Wirtschaft- und Finanzpolitik werden.
Jochen Schanotta, Berlin: wundersame Komik
@ Stefan: Klar, wir brauchen unabhängige Experten. LobbyControl könnte man zum Beispiel auch noch nennen.
Und wir schweifen tatsächlich ab vom Thema "Jochen Schanotta". Dieses Stück behandelt ja vor allem die Frage nach dem richtigen Leben im falschen. Adorno setzte dem noch hinzu: "Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen."
In der Tragik von Jochen Schanotta liegt zugleich eine wundersame Komik angesichts der Tatsache, dass alles Leben endlich ist. Was bleibt, ausser das (Rollen-)Spiel?
Jochen Schanotta, Berlin: Nichtnachvollziehbarkeit
Jetzt, nachdem ich Frank Abts Inszenierung gestern gesehen habe, ist meine Haltung zu dieser ein wenig zwiegespalten. Allüberall lese ich,
es gehe in dem Stück um ein richtiges Leben im falschen, und mir geht es dann damit beinahe so, als hätten jene, die das so sagen und schreiben gerade ihren grünen Vogel gestempelt und ausgehändigt bekommen, um nun derlei zu sagen und zu schreiben. Auch ich mochte die Szene mit der lakonischen Beschreibung jenes Films, in dem nichts passiert, sehr und mußte dabei unwillkürlich an einen Kaurismäki-Streifen denken, aber gerade in dieser Szenerie vermag Jochen Schanotta nicht zu verweilen: er sucht Sinn, und er sucht ihn letztgültig, ja: absolut. Und so durchkreuzt Schanotta jene Filmerzählung auch mit seiner Frage nach dem Ende. Ich kann es weder so einfach als "falsches Leben" abtun, sich zB. mit derlei lakonischen Durchdringungen der Alltagswelt im Leben zurechtfinden zu lernen (irgendwoher kommt letztlich ja auch die sogenannte "Ostalgie", und frei nach Peter Handkes Sehnsucht nach dem untergegangenen Jugoslawien (garnicht nur Serbien) würde ich vermuten, es würde nichts verklärt werden, was nichts Verklärenswertes zumindestens aufgeworfen und/oder berührt hat), noch kann ich Jochen Schanottas Suche in ihrer Absolutheit sogleich affirmieren: gerade der Grad seiner Nicht-
nachvollziehbarkeit reizt (mich) natürlich, und tatsächlich gelingt es Andreas Döhler sehr gut, das immer wieder Anfänge machende und immer wieder aus dem Zimmer gerufene (siehe Film) Wesen Jochen Schanotta "zusammenzuhalten" und uns entgegenzustellen: er kippt nicht zu einer der "Scheinlösungen" (nach seinen eigenen Ansprüchen) - der "Erlösung von außen" oder der "Befreiung" von innen her- hin um; aber umso verstärkter müßte fast zwangsläufig spürbar werden, daß ein "aus Freiheit das Notwendige tun" ihn, im Zusammenspiel mit den Außeneinwirkungen, zu einer klarer vor sich selbst nachvollzogenen Haltung bewegen müßte meineserachtens: immerhin kann er vor dieser Folie zu Klette
in aller Ruhe sagen: "Für Dich stimmt das, nicht für mich" (das bezieht sich auf den Lebensentwurf hinter der einen Handbewegung); ist Jochen Schanotta da noch weit von der "Moral der Ausnahmemenschen" entfernt ?? Einerseits kaum, andererseits läßt er uns aber deutlich spüren, daß er kein Raskolnikow ist, der seine Freiheitsprobe mit sich (und Gott und der Welt) macht, er kennt seine Freiheit irgendwie, hat sie verloren, so scheint es.
Von den "Berührungsängsten Schanottas", die wie zwangsläufig darauf folgen, er will Klette schonen !, sehe ich zu wenig, wenngleich er einmal sagt "Ich würde einen wie mich nicht in mein Zimmer einlassen", und leider geraten die sonstigen Figuren des
Dramas meist zu holzschnittartig, obgleich ich da ausdrücklich (und zwar im Sinne, den Hartmut Krug beschreibt) die Mutter Schanottas ausnehmen möchte, auch der Lehrer Körner strahlt mehr aus als ihm "einzuspielen" bleibt. Abt ist aber ein Ansatz gelungen, denke ich, den er gut und gerne weiterverfolgen sollte:
den der "Technokratienlesart"; ich finde allerdings, daß dieser Ansatz zu sehr im Aussagesatzgestus daherkommt und nicht als Frage, ob dieses Problem einen absoluten Anspruch wie Schanottas überhaupt erreicht (das sehe ich nicht als ausgemacht). In der Box hat morgen "Carmen Kittel" Premiere übrigens. Wäre aber schön, wenn es nicht bei einer Seidel-Pflege bliebe, sondern so ein Stück einmal das Große Haus erreichen würde: da gäbe es auch mehr Chancen für die Körners..
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