Der heimliche Held

Walter Bruno Iltz gehörte zu den autokratischen Alleinherrschern an deutschen Theatern, die nach 1968 von der Generation SteinPeymannFlimm verdrängt und später vergessen wurden. Nach Anfängen als Schauspieler in Dresden wird der 1886 bei Danzig geborene Apothekersohn 1924 Generalintendant in Gera, auf den "General" legt er besonderen Wert. Er setzt neue Dramatiker wie Brecht, Barlach, Zuckmayer auf den Spielplan. 1927 wechselt er an die Städtischen Bühnen Düsseldorf, wo er Moderne wie Hindemith, Weill, Strawinsky, Krenek fördert. Für sein Schauspiel engagiert er den Kommunisten Wolfgang Langhoff, den Juden Leopold Lindtberg und fürchtet sich nicht, gegen den Antisemitismus der NSDAP aufzutreten.

cover_manker1933 verhilft der Intendant jüdischen Künstlern zur Flucht und arrangiert sich mit den Nationalsozialisten, zwei Aufnahmeanträge in die Partei werden jedoch abgelehnt. Er lässt NS-Dramatiker spielen, an seinen Musiktheateraufführungen findet auch Goebbels gefallen. Trotzdem wird er 1937 aus Düsseldorf verdrängt, übernimmt aber nach der Besetzung Österreichs 1938 mit dem Volkstheater in Wien das größte deutschsprachige Schauspielhaus. Dort macht er erneut Zugeständnisse an die Machthaber, schützt aber zugleich regime-kritische Künstler.

Einen "heimlichen Helden" nennt ihn sein Mitarbeiter, der spätere Volkstheater-Intendant Gustav Manker. Seine "mutige Haltung" bestätigt ihm nach dem Krieg auch die Entnazifizierungskommission. Iltz wird wieder Intendant, in Nürnberg und Braunschweig und Düsseldorf. 1965 stirbt er. Mit seiner Dokumentation "Walter Bruno Iltz. Die Enttarnung eines Helden" will nun Mankers Sohn, der Schauspieler Paulus Manker Walter Bruno Iltz auf "die Bühne der Theatergeschichte" zurückzuholen. (Nikolaus Merck)

 

Paulus Manker
Enttarnung eines Helden. Das gänzlich unbekannte Leben des Walter Bruno Iltz.
184 Seiten, 22 Euro.
Zu bestellen über www.iltz.at

 

Bereitschaft zum Jetzt

Siebzehn Gespräche, über tausend Seiten lang, sie alle gewidmet der zentralen Frage: Was kann die Kunst der Liturgie von der Kunst des Theaters lernen? Was nicht? Warum? Im Prolog heißt es: "In wessen Leben diese Fragen keine unwichtige Rolle spielen, zähle ich zum Modell-Leser dieses Buches." Sie sollten, so lernt man rasch, für alle eine wichtige Rolle spielen, die sich dem Theater, der Religion, also Gott und der Welt verschrieben haben.

cover_theater-des-ritusDenn weder das Theater noch die Liturgie sind einzig aus sich heraus zu begreifen; sie unterhalten die engsten Beziehungen zueinander. Sicher, das ist keine Neuigkeit. Aber diese Gespräche wollen ergründen, was die Welten des Schauspiels und der Liturgie im Innersten zusammenhalten – und behaupten, dass die vor allem von Konstantin S. Stanislawski und Lee Strasberg entwickelten Darstellungstechniken "geradewegs" zu den kontemplative Methodiken der "devotio moderna" führen, wesentlich zu denen des Ignatius von Loyola. Das ist dann doch eine gehörig kühne These.

Im sechsten Gespräch liest man hier etwa, dass Loyolas Exerzitien – die eine "wirkliche" Begegnung mit Christus imaginieren wollen – eben jenen "existentiellen Zugang zur 'Rolle'" beschrieben, von dem auch Stanislawski spreche. Denn "Exerzitien sind wie das Theater die Möglichkeit, immer wieder von vorne anzufangen". Loyola habe den Schauspielern der Moderne damit ein "sehr großes Problem" hinterlassen: "Wie kann ich wiederholen und zugleich den Impuls frischhalten?" Durch Übung, durch die "Bereitschaft zum Jetzt", die eine "Bereitschaft zur Vergänglichkeit" ist. Insofern sei Ritus, so liest man im elften Gespräch, immer "gestalteter Freiraum", geknüpft an eine bestimmte "Kondition der Seele".

Solcherart sind die Überlegungen in diesen Gesprächen, fiktive Gespräche übrigens, geführt von dem eifrigen Theologiestudenten Zeno Pompermeyer mit Abt Hilarius, aufgeschrieben von dem 1971 in Südtirol geborenen Schauspieler, Philosophen, Theologen und freien Grabredner Hannes Benedetto Pircher. Man trifft bei der Lektüre auf viel Fachsimpelei, zuweilen auch auf unfruchtbare Haarspaltereien und manch leer laufende Exkurse. Dafür aber bekommt man ein Buch in die Hand, das sich sehr hingebungsvoll, sehr differenziert in das schroffe Grenzgebiet von Theater und Religion begibt. (Dirk Pilz)

 

Hannes Benedetto Pircher
Das Theater des Ritus. De arte liturgica.
Edition Splitter, Wien 2010. 1124 S., 59 Euro

 

Oh, welch schöne Ambivalenz!

Das ist ja auch aus der Mode, solch' Beharrlichkeit, diese Unerschütterlichkeit. Seit Jahrzehnten arbeitet der französische, inzwischen 88-jähige Literaturwissenschaftler, Philosoph und Kulturanthropologe René Girard an einer voraussetzungsreichen, eigenwilligen, einigermaßen komplizierten "mimetischen Theorie". Noch immer hat sie nicht die Anerkennung gefunden, die ihr würdig wäre: Diese Theorie haust eher in den geisteswissenschaftlichen Außenbezirken, was ihrer Irritationskraft allerdings durchaus förderlich ist – sie ermöglicht produktiv verwirrende Perspektiven.

cover-girardBereits der Zentralterminus ist gewöhnungsbedürftig: Im Zentrum steht das "mimetische Begehren". Nachahmung könne in der Kunst wie im Leben, sagt Girard, beides bewirken, tiefste Freundschaft und schlimmsten Hass. Denn der Wunsch, etwas zu besitzen, was einem anderen gehört, wird zur Gefahr, wenn uns der andere sein Eigentum anpreist, um durch unser Begehren den eigenen Genuss seines Besitzes zu steigern. Und wenn das Begehren gar darauf aus ist, wie der andere zu sein, an seine Stelle zu treten, wird's lebensgefährlich.

Girard hat diese Thesen mehrfach durchbuchstabiert. Jetzt aber ist – über zwanzig Jahre nach der französischen Erstveröffentlichung – seine große Shakespeare-Studie "Theater des Neides" erschienen. Girards Hauptwerk wahrscheinlich, denn – so behauptet er – das mimetische Begehren sei eine Idee Shakespeares. Er sei von der Ambivalenz der Nachahmung fasziniert, geradezu besessen gewesen; immer wieder spielten die Stücke den "verstörenden Zusammenhang zwischen einer Haltung, die die Freundschaft fördert, und einer Haltung, die sie zerstört" durch. Girard sucht dies in 38 Einzelstudien nachzuweisen, vom "mimetischen Irrsinn" eines Hamlet bis zum "Mimessüchtigen" Antonio im "Sturm". Kann sein, dass er sich mitunter an der Suggestionskraft seiner eigenen These berauscht, aber so kenntnisreich im Detail, so geisterfrischend und überraschungsreich werden nicht viele Shakespeare-Bücher sein. (Dirk Pilz)

 

René Girard
Shakespeare. Theater des Neides. Aus dem Englischen übersetzt von Wiebke Meier.
Carl Hanser, München 2011. 569 S., 29,90 Euro


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