Ich bin nicht Midge

Berlin, 9. Januar 2012. Gegen die Inszenierung von Herb Gardners Ich bin nicht Rappaport des Berliner Schlossparktheaters mit Dieter Hallervorden und Joachim Bliese, die am 7. Januar ihre Premiere hatte, formiert sich im Internet erheblicher Widerstand. Auf der Facebook-Pinnwand des Theaters etwa wird explizit die Absetzung des Stücks gefordert, zugleich wird dort bereits seit mehreren Wochen heftig über die Praxis diskutiert, die Rolle des Midge in der Tradition des Blackface-Theaters mit einem schwarz geschminkten weißen Schauspieler zu besetzen.

In einem bereits vor der Premiere verfassten Schreiben hatten der Regisseur Thomas Schendel und Evangelia Epanomeritaki als Vertreterin Theaterleitung Stellung bezogen. Einzelne der hier zur Verteidigung der Blackface-Praxis vorgebrachten Argumente ("Kaum einem Ensemble eines Theaters in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören schwarze Schauspieler an. Allein deswegen, weil das Stückrepertoire der Theater ihnen zu wenige Rollen in einer Spielzeit bieten könnte, die ein Festengagement rechtfertigten.") sind daraufhin ihrerseits einer scharfen Kritik unterzogen worden.

Joachim Bliese, der in der Neuninszenierung die Rolle des Midge übernommen hat, verkörperte diese bereits 1987 in der deutschen Erstaufführung des Stücks, die ebenfalls am (seinerzeit noch zu den Staatlichen Schauspielbühnen Berlin gehörenden) Schlossparktheater stattfand. Bliese spielte damals an der Seite Bernhard Minettis.

(wb)

 

"Eine schwarze Maria Stuart oder einen türkischen Faust, wann hat es das auf den deutschsprachigen Bühnen gegeben?", fragte auch Özgür Uludag in seinem Text Migranten spielen auf den Sprechbühnen keine Rolle auf nachtkritik.de.

 

Stellungnahme von Theaterleitung / Regie, 9.1.2012, 18:12 Uhr

Wie fing es an: Am 3. Januar 2012 erreichten das Schlosspark Theater E-Mails, in denen die Leitung des Theaters sowie das Regieteam der Produktion "Ich bin nicht Rappaport" als dumm und rassistisch bezeichnet wurden. Uns wurde der Vorwurf gemacht, in unserer Inszenierung, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keiner gesehen hatte, an die Minstrel Shows anzuknüpfen, in denen "auf heute als rassistisch zu betrachtende Weise das vermeintliche Leben der Afroamerikaner karikiert wurde." (Wikipedia)

In unserer Stellungnahme vom 4. Januar haben wir diesen Vorwürfen widersprochen. Wir verwiesen auf die Theatertradition im deutschsprachigen Raum, die in keinem Zusammenhang mit einer rassistischen Betrachtungsweise steht. Wir luden jene Kritiker ein, in eine der ersten Aufführungen zu kommen, um sich selbst davon zu überzeugen. Niemand von ihnen kam.

Stattdessen wurde immer wieder im Internet der Vorwurf gemacht, dass die Theaterleitung die Rolle des schwarzen Midge mit einem weißen Schauspieler besetzt habe, obwohl es doch viele schwarze Schauspieler im deutschsprachigen Raum gäbe.

Es ging um die Besetzung eines ca. 80-Jährigen. Unsere Bemühungen, einen schwarzen Schauspieler dieses Alters zu finden, scheiterten. Die Anfrage an den Verlag Jussenhoven & Fischer, ob die Rolle des Midge auch mit einem weißen Schauspieler besetzt werden und auf die schwarze Schminke verzichtet werden könne, wurde abschlägig beschieden, da man der Bedingung des Autors entsprechen müsse.

Nun sei dazu gesagt, dass seit der Erstaufführung von "Ich bin nicht Rappaport" dieses Stück an 40 Theatern im deutschsprachigen Raum aufgeführt wurde und nur in zwei Inszenierungen aus oben genannten Gründen mit einem schwarzen Schauspieler besetzt werden konnte. Die Besetzung mit weißen, aber schwarz geschminkten Schauspielern wurde vom Autor und vom Verlag Jussenhoven & Fischer ausdrücklich gebilligt.

Es geht nicht an, dass Bürger und auch die Kunst gezwungen werden sollen, eine Definition des Rassismus anzunehmen, die von einer Gruppe von Menschen im Internet als allgemeingültig und ausschließlich behauptet wird. Die abwegige Schlussfolgerung, wer dieser Definition nicht zustimme, sei Rassist, widerspricht demokratischen Grundsätzen und der Freiheit in der Kunst.

Wenn wir mit unserer Entscheidung Menschen verletzt haben, so war dies nie unsere Absicht. Dieses Stück wendet sich gegen Rassismus und wir tun es auch.

Evangelia Epanomeritaki, Theaterleitung
Thomas Schendel, Regisseur

 

Stellungnahme von Dieter Hallervorden, 9.1.2012, 18:12 Uhr

Zu den Rassismus-Vorwürfen betreffend unsere Produktion "Ich bin nicht Rappaport" gebe ich im Namen des berliner Schlosspark Theaters folgende Erklärung ab:

1) In meiner Gedankenwelt ist absolut kein Platz für Rassismus.
Bevor jemand einen diesbezüglichen Vorwurf erhebt, sollte er sich die Vorstellung ansehen: Große Sympathien liegen bei dem schwarzen Midge, der vom weißen Joachim Bliese als äußert liebenswerte Person dargestellt wird. An keiner Stelle, zu keinem Zeitpunkt machen sich weder der Autor, noch der Regisseur und schon gar nicht Joachim Bliese über schwarze Mitbürger lustig. Würde es auch nur eine Textzeile zulassen, Schwarze ins Lächerliche zu ziehen, wäre das Stück nie und nimmer auf unserem Spielplan.

2) Die Art und Weise, wie unserem Theater in diesem Zusammenhang gedroht wird, entspricht nicht meinem Verständnis von zivilisierter Auseinandersetzung.

3) Es werden sich doch sicher Zuschauer finden lassen, die eine der ersten vier Vorstellungen gesehen haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass man unter ihnen niemand finden wird, der unsere Darstellung des Midge als rassistisch einstufen würde.
"Rappaport" ist seit etwa 25 Jahren auf dem Spielplan deutscher Bühnen und x-mal wurde die Rolle des schwarzen Midge von einem Weißen gespielt.
Wo ist 2012 das Problem, das es bis 2010 nicht war??
Wir haben nicht etwa mutwillig nach einem Weißen für die Rolle des 80-jährigen Midge gesucht, sondern wir haben vom schauspielerischen Standpunkt aus nach der bestmöglichen Lösung gefahndet.
Ein Schwarzer stand seinerzeit nach unseren Recherchen nicht zur Verfügung.
Joachim Bliese war und ist für diese Rolle die ideale Besetzung – das allein war ausschlaggebend.
Für eine detaillierte Darstellung der Umstände, unter denen die Besetzung des schwarzen Midge mit einem weißen Schauspieler erfolgte, verweise ich auf das nachfolgende Schreiben des Regisseurs Thomas Schendel.

4) Denken wir die Vorwürfe zu Ende: Darf Hallervorden einen Juden spielen, obwohl er kein Jude ist?
Darf Sigmar Gabriel sich für Maßnahmen gegen den Hunger in der Welt einsetzen, obwohl er über Leibesfülle verfügt??
Mein Rat: Leute, lest das Stück – dann werdet ihr erkennen, dass es glücklicherweise gar keinen Raum für Rassismus bietet!
Macht euch erst mal kundig, bevor die Sicherungen durchbrennen, nur weil ihr auf einem Plakat einen Weißen seht, der schwarz geschminkt ist!
Für mich steht fest: Es kommt eben nicht in erster Linie auf die Gestaltung eines Plakats an sondern auf den Inhalt, den das Stück reflektiert.

5) Dennoch nehme ich schweren Herzens zur Kenntnis, dass sich, ohne dass dies je unsere Absicht gewesen ist, Menschen verletzt fühlen.
Wir werden auf deren Gefühle Rücksicht nehmen, indem wir uns Gedanken über eine andere Form der Werbung machen. Das Stück jedoch wird in unveränderter Form auf unserer Bühne zu sehen sein.

Dieter Hallervorden.

Schlosspark Theater Berlin

09.01.2012

 

Presseschau

"Wie das Schlossparktheater mit der Problematik umgeht, mag nicht sehr geschickt sein, aber kann man Hallervorden im Ernst vorwerfen, dass er kein Fachmann für Black Face Shows ist?", fragt Peter Laudenbach in einem kurzen Bericht/Kommentar auf Seite 1 des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung (10.1.2012). Solle man die Denunziationskraft der Bilder und Spielweisen nicht etwas genauer untersuchen, statt mit der dumpfen Formel "Weißer spielt Schwarzen = Rassismus" ein Theater unter Generalverdacht zu stellen?

In der Welt (10.1.2012) resümiert Matthias Heine den Fall und stellt einen "unüberwindbar tiefen Graben" fest: "Auf der einen Seite stehen ältere weiße Männer, die in aller Unschuld nicht wahrhaben wollen, dass etwas, das sie nicht rassistisch gemeint haben, vielleicht trotzdem rassistisch sein könnte. Auf der anderen Seite junge Menschen, meist mit Migrationshintergrund, die sich nicht von verständnislosen Weißen vorschreiben lassen möchten, wann ihre Gefühle verletzt zu sein haben und wann nicht." Heine argumentiert pro Kunstfreiheit, denn Grundlage des Theaters sei es, "dass dort Menschen so tun, als wären sie jemand anderes, und dass sie dann manchmal Dinge zeigen, die nicht allen gefallen." Sein Fazit: "Die Freiheit der Kunst besteht auch darin, Blödsinn zu verzapfen. Wer diese Verabredung einmal in Frage stellt, öffnet auch den Interventionen ganz anderer politischer Lager die Schleusen."

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (11.1.2012) macht sich Gerhard Stadelmaier über den "internetschlammlawinengesteuerten" Vorwurf lustig: "Was tut das Theater? Das Theater zeigt wirklich, was in Wirklichkeit nicht ist." Wer den Othello spiele, müsse kein Schwarzer sein, um "den dunkelsten Super-Außenseiter hinzulegen". Es sei schlicht eine Macke, "unter dem Obermacken-Stichwort 'Authentizität' wirkliches Theater mit wirklichem Leben zu verwechseln".  Wer fordere, "dass nur Schwarze Schwarze spielen dürfen", müsse "folglich" einem Schwarzen verbieten, einen Weißen zu spielen - und sei der dann "nicht der wahre Rassist"?

In der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung glossiert Harry Nutt die Vorgänge: In der Verfilmung des Stückes von 1996 habe Ossie Davis gespielt. "Ossie Davis ist schwarzer Hautfarbe, Joachim Bliese nicht." Das habe nun "über den Weg der sozialen Netzwerke des Internets einen "beachtlichen Proteststurm" hervorgerufen. In E-Mails seien Theaterleitung sowie das Regieteam als "dumm und rassistisch bezeichnet" worden. "Sheila Mysorekar von der Initiative Schwarze Deutsche (ISD)" sehe eine "völlige Ignoranz betreffs rassistischer Traditionen und ihres historischen Kontextes". Dies, so Nutt weiter, gelte dann aber wohl für "die gesamte deutsche Theaterlandschaft". Das Stück sei in der Vergangenheit an 40 Theatern aufgeführt worden, "nur zweimal spielten dabei Schwarze die Rolle des Midge." Allerdings: in der Branche diskutiere man schon länger über "ethnisch nicht gerade ausgewogen zusammengesetzte Ensembles". Ohne den "Empörungsfuror des Internets" habe jüngst der Autor Bruce Norris dem Deutschen Theater Berlin kurzerhand die Aufführungsrechte für ein Stück entzogen, das das Theater nicht, wie vom Autor vorgesehen, mit zwei schwarzen Schauspielern besetzen wollte. "Ein Rassismus-Skandal wurde daraus jedoch nicht."

In Fazit (10.1.2012), der Nachsendung auf Deutschlandradio wurde der Intendant des deutschen Theaters, Ulrich Khuon, zu den Vorwürfen, die auch sein Haus treffen, gefragt. Khuon sagte, wir lebten in einer Phase lebten, in der das "verfügende theatrale Sprechen über andere" zusehends in die Kritik geraten sei. Insofern müsse man auch die Kritik "von einzelnen" an der Produktion des Schlossparktheaters und der Werbung dafür ernst nehmen. Dabei werde allerdings übersehen, dass das Theater seit Jahrtausenden nicht nur "ein Darstellen des Eigenen" war, sondern immer auch etwas "über den anderen" erzählte. Wenn im Deutschen Theater weiße Schauspieler, schwarz geschminkt, zwei schwarze Illegale spielten, werde dieses "verfügende Nachdenken über den anderen" dargestellt, aber gleichzeitig auch kritisiert. "Der Kern des Erzählens im Theater" habe "immer etwas mit Diversität zu tun". Die Forderung alle Rollen "authentisch zu besetzen", höhle genau das aus, was "das Theater leisten kann", zu verfremden und "eine neue, eine fremde, eine irritierende Sichtweise zu ermöglichen".

Im Berliner Tagesspiegel (11.1.2012) beschäftigt sich Hadija Haruna mit der "Geschichte des Rassismus auf der Bühne". Blackfacing heiße die "rassistische Schauspieltradition", bei der sich ab etwa 1830 Weiße schwarz geschminkt hätten, um in den Minstrelshows das "Klischee vom ewig fröhlichen Schwarzen" zu verkörpern. Die Besetzung weißer, schwarz bemalter Schauspieler folge "einer langen Theatertradition im deutschsprachigen Raum, die nicht rassistisch ist", schreibe das Schlossparktheater. Könne aber das, was nicht rassistisch gemeint ist, trotzdem rassistisch sein? Haruna zitiert die New Yorker Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche: In Deutschland sei Blackfacing "einer eigenen Tradition gefolgt, die rassistische Hintergründe hatte“. Zur frühneuzeitlichen Karnevalstradition etwa hätte "karikierende oder stereotypisierende Darstellungen von Afrikanern" gehört. Die Gründerin der schwarzen Schauspieltruppe Label Noir Lara-Sophia Milagro: "Durch das Schwarz-Schminken wird unfreiwillig gezeigt, dass die Hautfarbe und die damit verbundene Rassismus-Erfahrung für die Authentizität dieser Rolle wichtig ist. Doch diese Erfahrung kann nur nachvollziehen, wer selbst schwarz ist“. Die Geschichte des Rassismus werde fortgesetzt, wenn man weiße Schauspieler schwarz schminkt, auch wenn ihre Figur nicht "ausdrücklich minderwertig" dargestellt werde. Während "Blackfacing", schreibt Haruna weiter, in der heutigen britischen und französischen Kultur als "Ausdruck des Rassismus in der Kolonialzeit" gelte und ein schwarzer Macbeth heute in England zum Theateralltag gehöre, sei es in Deutschland für schwarze Schauspieler nach wie vor schwer, im Theater Fuß zu fassen. "Noch immer glauben viele Regisseure, dass das Publikum einen dunklen Hamlet nicht verkraften würde", zitiert sie den deutsch-amerikanischen Schauspieler Daniel White.

In der taz (13.1.2012) widerspricht Kathrin Bettina Müller der FAZ zum gleichen Thema (siehe oben): Zwar widerspräche die Forderung, jede Rolle dürfe nur authentisch genau von jener Ethnie gespielt werden, die sie auch darstellt, dem, was Theater ist. Dennoch bleibe der Verweis auf das Theater an sich und seine Tradition "auch ein lahmes Argument. Denn er übersieht, dass sich von dieser Tradition eben auch viele nicht angesprochen und ausgeschlossen fühlen. Deshalb haben sich ja in den letzten Jahren in verschiedenen Städte Initiativen gebildet, um auch mehr migrantische Stoffe und Repräsentationen an die Theater zu holen." Projekte wie Othello, c'est qui? beruhten nicht zuletzt auf einem Perspektivenwechsel, "der auch von einem herzlichen Desinteresse an unserer tollen Theatertradition seitens derer erzählt, die nie darin vorkommen. Und das ändert sich tatsächlich nur sehr langsam."

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