In Wien wehren sich die Off-Theater gegen die Verniedlichung
Wider die Tanker
von Martin Thomas Pesl
Wien, 26. Januar 2012. "Als ich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal in Wien war, sah alles noch ganz anders aus", beschreibt Walter Heun, künstlerischer Leiter des Tanzquartiers Wien die Landschaft der performativen Kunst in Österreichs Hauptstadt, und die meisten der Anwesenden auf dem länglichen Podium nicken zustimmend. Sie alle, Theaterschaffende zwischen 35 und 65, vertreten je eines der 19 Wiener Häuser, die sich in seit vergangenem November regelmäßig stattfindenden intensiven Treffen zu einer Plattform zeitgenössischer Theater- und Tanzhäuser (P.Z.T.T.) zusammengeschlossen haben. Dabei handelt es sich um eine völlig hierarchiefreie, flexible Allianz, womit man bewusst einen Gegenpol zu den stark institutionalisierten Strukturen der großen Häuser (Vereinigte Bühnen Wien, drei Bundestheater, Volkstheater und Theater in der Josefstadt) aufstellt.
In erster Linie will man bei der ersten Pressekonferenz den Eindruck einer Unvereinbarkeit unterschiedlichster inhaltlicher Perspektiven, Arbeitsweisen und Zielgruppen in jener Szene Wiens zerstreuen, zu der die Medienvertreter nun gebeten werden, nicht mehr "Off-Szene", "Klein-" oder "Mittelbühnen" zu sagen. Man habe zusammen schließlich mehr Zuschauer als die Großbühnen. Statt "Subvention" legt Walter Heun übrigens künftig den Begriff "Investition" nahe.
Wenn Evaluierung, dann bei allen
Anlass für diese idealistische Solidaritätsbekundung ist keine konkret drohende Budgetkürzung, sondern die derzeit stattfindende Evaluierung der so genannten Wiener Theaterreform, die im Auge der Schaffenden stets ein Dorn war. Sie wurde im Jahr 2003 vom Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny eingeleitet und sah, kurz gefasst, eine Umverteilung der Fördermittel vor: Weniger Institutionen sollten mehr Geld bekommen, kein Haus solle mehr privat gemietet oder besessen werden können, sondern seine Leitung regelmäßig neu ausgeschrieben werden, um die Qualität des Sektors zu heben. Zuvor war von der Stadt Wien – der Beitrag des Staates Österreich ist ohnedies verschwindend gering – das vorhandene Geld nach dem Gießkannenprinzip in breiterer Streuung verteilt worden.
Die 19 sagen nun: Evaluieren ja, aber warum immer uns "kleine Fische" und nicht auch im gleichen Maße die großen "Tanker"? Sie sagen: Auf internationaler Ebene herrschen "krisenhafte Zeiten" und sie wüssten eh schon, wohin der Sparreflex als nächstes ausschlagen werde, nämlich wieder einmal gegen sie – wobei laut Harald Posch von der Garage X eine Kürzung von ein bis zwei Prozent einem Haus wie dem Theater in der Josefstadt bestimmt nichts ausmache, einem von ihnen jedoch eine Schließung aufzwingen könne. Und sie fordern ganz allgemein bessere Arbeitsbedingungen für Künstler, denn es drehe sich ihnen jetzt schon täglich der Magen dabei um, wie sie Gagen immer weiter runterverhandeln und semilegale, prekäre Dienstverhältnisse erzwingen würden.
Prophylaktische Rüstung
Aus den eigenen offengelegten Zahlen und diversen Berichten haben sie Vergleiche sowohl der Zuschauer- und Vorstellungszahlen (hier siegen die 19) als auch der Fördermittel (natürlich deutlicher Überhang bei den "Tankern") errechnet. Zugegeben, diese Zahlenspiele hören sich willkürlich und irgendwie niedlich an. Erstens gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Wiener Theaterinstitutionen, die aus welchen Gründen auch immer der Plattform fernbleiben und somit keine Daten geliefert haben. Außerdem ist klar, dass ein Theater mit 1000 Plätzen weniger Vorstellungen spielt als 19 kleine Häuser. Dennoch: Dieser Versuch einer Phalanx gegen die Verniedlichung durch Stadt und Medien wirkt integer, wachsam, letztlich vernünftig, denn: Schaden kann es nicht. Ganz ist die Krise noch nicht angekommen in diesem Wiener Sektor, den man politisch korrekt jetzt wahrscheinlich sperrig als P.Z.T.T. bezeichnen soll. Aber schon jetzt formieren sich die "Fische zum Schwarm", wie Anna-Maria Krassnigg (Salon5) es ausdrückt. Man rüstet sich prophylaktisch.
Der Theaterbeauftragte der Stadt Wien, Christopher Widauer, wollte sich zur Bildung und zu den Forderungen der Plattform vor Ort spontan nicht äußern. Viel wird er allerdings auch morgen nicht sagen: Bis zur Formulierung handfester Maßnahmen, wie sie gemeinsam Gerechtigkeit und eine jährliche Indexanpassung ihrer Fördermittel erstreiten wollen, sind die 19 noch nicht gekommen. Aber, so Stephan Rabl vom Dschungel abschließend: "Wir werden uns sicher wieder melden. Als Plattform."
Die Plattform zeitgenössischer Theater- und Tanzhäuser hat 19 Mitglieder:
3raum-Anatomietheater: Hubsi Kramar
brut: Thomas Frank, Olivia Khalil, Haiko Pfost
DAS OFF THEATER: Ernst Kurt Weigel
DSCHUNGEL WIEN: Stephan Rabl
Figurentheater LILARUM: Paul Kossatz
GARAGE X: Ali Abdullah, Harald Posch
Interkulttheater: Aret Aleksanyan
Kabinetttheater: Julia Reichert
Kosmos Theater: Barbara Klein
Palais Kabelwerk: Alexander Lugmayr, Erich Sperger
Rabenhof: Thomas Gratzer
Salon5: Anna Maria Krassnigg
Schauspielhaus: Rita Kelemen
TAG: Margit Mezgolich, Ferdinand Urbach
Tanzquartier Wien: Ulrike Heider-Lintschinger, Walter Heun
Theater Drachengasse: Johanna Franz, Eva Langheiter
Theater Nestroyhof Hamakom: Frederic Lion
Theater Spielraum: Gerhard Werdeker
WUK: Johannes Maile
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oder zeigen die nicht ebenso, nur im größeren stil, was z e i t g e m ä ß ist
und eben theater heute?