3. Februar 2012

Wählen Sie die wichtigsten Inszenierungen des vergangenen Jahres!

Hier veröffentlichen wir eine Vorschlagsliste mit 43 Inszenierungen (samt kurzer Begründung), die von den nachtkritik-KorrespondentInnen und -RedakteurInnen als die wichtigsten der letzten zwölf Monate nominiert worden sind. Jeder Korrespondent und jeder Redakteur hatte genau eine Stimme. Nominiert werden konnten Produktionen, deren Premiere im Zeitraum von Ende Januar 2011 bis  Ende Januar 2012 lag.

Vom 3. bis 13. Februar 2012 haben die Leserinnen und Leser von nachtkritik.de nun ihrerseits die Möglichkeit, ihre Stimme für 1 bis 10 Inszenierungen dieser Liste abzugeben (dazu einfach 1 bis 10 Inszenierungen anklicken).

Die 10 Inszenierungen mit den meisten Stimmen werden gelobt und gepriesen und bilden die Auswahl des virtuellen nachtkritik-Theatertreffens 2011. Das Ergebnis veröffentlichen wir am 14. Februar 2012.

Die alphabetisch gereihten Vorschläge der Korrespondenten für das nachtkritik-Theatertreffen 2011 (zur Abstimmung bitte nach unten scrollen oder springen):

 

{slider=1. +-0. Ein subpolares Basislager von Christoph Marthaler
Wiener Festwochen, Regie: Christoph Marthaler
Nachtkritik vom 12. Mai 2011|closed}Mit schlafwandlerischer Ruhe schafft Marthalers Grönland-Abend eine magische Stimmung: Wie unter Eisdecken scheint das Spiel vonstatten zu gehen, noch nie fühlte sich ewige Kälte wärmer an.{/slider}

{slider=2. An kalten Tagen bitte Türen schließen von Kai Ivo Baulitz
Theater Magdeburg, Regie: Enrico Stolzenburg
Nachtkritik vom 4. Februar 2011}
Familien- und Eheszenen, leise, eindringlich, aber mit fiesen Widerhaken; von Regie und Ensemble zwischen Komik und Tragik souverän ausbalanciert.

{slider=3. Atropa von Tom Lanoye
Münchner Kammerspiele, Regie: Stephan Kimmig
Nachtkritik vom 17. Dezember 2011} Stephan Kimmig gelingt es, ein sprachlich zuweilen rumpelndes Stück mit unter dem Strich doch schlichter Moral (à la "Wer Blut sät, wird keinen Weizen ernten") mit drei energetisch aufgeladenen und hochkonzentrierten Schauspielern im Zentrum zu einem spannenden Abend zu machen. "Atropa" ist von den Aktionen her teils extrem reduziert, mit fast signalhaften Bildern und deutlich ausgespielten Brüchen in den Emotionen der Figuren, die dennoch nie naturalistisch-gefühlig wirken.

{slider=4. Bartsch, Kindermörder von Oliver Reese
Theater Trier, Regie: Britta Benedetti
Nachtkritik vom 17. November 2011}Jan Brunhoeber liefert mit der Darstellung des Kindermörders eine sehr differenzierte Arbeit ab: Er appelliert weder an das Mitleid der Zuschauer, noch lässt er sie das Monster in ihm erblicken. Er gibt Bartsch so, wie er (wohl tatsächlich) war: als armes Würstchen mit einer fürchterlichen Kindheit und einer erschreckenden Herzenskälte.

{slider=5. Before your very eyes von Gob Squad
HAU Berlin, Regie: Gob Squad
Nachtkritik vom 28. April 2011}Die hinreißenden Kids im Spiegelkabinett von Gob Squad spielen uns ganz unverfänglich vor, was es heißen könnte, heranzuwachsen und alt zu werden. In ihren unschuldigen Wahrheiten wird sich aber jeder verfangen, der zuweilen Zweifel hegt. Und sehen, dass man zwar schon viele Kompromisse eingegangen ist, es aber trotzdem nie zu spät ist, sich treu zu bleiben{/slider}

{slider=6. Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist
Bayerisches Staatsschauspiel, Regie: Dieter Dorn
Nachtkritik vom 12. Februar 2011}Dieter Dorn hat mit einer ungekürzten Fassung des "Käthchens" seinen Abschied als Intendant grandios inszeniert: Mit einer Opulenz, die eines Kaisers würdig ist – weswegen er dessen Rolle im Stück gleich selbst übernommen hat.

{slider=7. Das steinerne Brautbett nach Harry Mulisch
Staatsschauspiel Dresden, Regie: Stefan Bachmann
Nachtkritik vom 1. Oktober 2011}Das ist ein grandioser Stoff – Erinnerung an die britisch-amerikanischen Bomben auf Dresden und zugleich an den Umgang der DDR mit eben dieser Erinnerung, und das auf dem Fundament der zu Teilen jüdischen Biographie eines Holländers von immensem poetischen Horizont und mit dem Blick der späten 50er Jahre ... In Dresden ist daraus eine in jeder Hinsicht intelligent konstruierte und aufregend gespielte Inszenierung geworden. Niemand, der danach das (ebenso grandiose) Buch nicht lesen wollte; aber zugleich auch niemand, der nicht sehr zufrieden sein dürfte mit dieser meisterlichen Arbeit des Teams um Stefan Bachmann.

{slider=8. Der blaue Boll von Ernst Barlach
Staatstheater Stuttgart, Regie: Stephan Rottkamp
Nachtkritik vom 19. März 2011}Stephan Rottkamp inszeniert mit Barlachs "Der blaue Boll" effektvoll und farbsatt die scheiternde Suche nach dem Ich – ohne dem dunkel raunenden expressionistischen Pathos dieses selten gespielten Textes anheim zu fallen. Der Regisseur riskiert viel, setzt konsequent auf die Wirkung der unheimlichen Sprachmagie Barlachs – und gewinnt alles: auch weil er ein sehr gutes Ensemble mit einer großartigen Ute Hannig in der Rolle der Martha zur Verfügung hat.

{slider=9. Der Fremde nach Albert Camus
Thalia Theater Hamburg, Regie: Jette Steckel
Nachtkritik vom 28. Oktober 2011}Jette Steckel ist vielleicht nicht die inspirierteste Regisseurin ihrer Generation, aber immerhin die, die ihre Mittel im Griff hat wie keine andere. Und das ist schon mal was in einem alles in allem eher schwachen Theaterjahrgang.

{slider=10. Der Mann an Tisch 2 von András Vinnai
Schauspiel Köln, Regie: Viktor Bodó
Nachtkritik vom 29. April 2011}Die liebenswürdige Leichtigkeit, mit der hier das Stolpern durch das Leben gezeigt wird und mit der sich Viktor Bodó vor Theater und Film verbeugt, macht diesen Abend zu etwas ganz Besonderem.

{slider=11. Der Spieler nach Fjodor Dostojewskij
Wiener Festwochen, Volksbühne Berlin, Regie: Frank Castorf
Nachtkritik vom 9. Juni 2011}Ein neuer Dostojewskij von Frank Castorf mit heimkehrenden Spielberserkern und einer Hauptfigur, die Alexander Scheer zwischen spitzbübischer Dreistig- und fiebriger Maßlosigkeit wie auf den Leib geschrieben scheint! Der "Spieler" feiert inhaltlich wie spielerisch eine Orgie der Verschwendung und versteigt sich bei Slapsticks, Hineinsteigerungsarien und Assoziationsfeuerwerken nicht etwa zur simplen Anklage der zockenden Banker. Stattdessen führt er die Verlockungen des Kasinokapitalismus als solche vor, in deren Strudel wir alle geraten können.

{slider=12. Der Weibsteufel von Karl Schönherr
Staatstheater Nürnberg, Regie: Schirin Khodadadian
Nachtkritik vom 9. Oktober 2011}Ein Doppelschlag, denn mit der Bewältigung von Karl Schönherrs scheinbar vergilbtem Macho-Drama musste auch eine Alternative zu Martin Kusejs überwältigender Wiener Comeback-Fassung als Thriller gefunden werden. Schirin Khodadadian schaffte es in Nürnberg mit ätzender Tragikomik – und das war eine fast genauso große Überraschung.

{slider=13. Die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill
Theater Biel Solothurn, Regie: Katharina Rupp
Premiere am 3. September 2011}Eine Aufführung mit musikantischem Drive und durchwegs überdurchschnittlichen Leistungen des Schauspielensembles. Besonders bemerkenswert dabei: Margit Maria Bauer als anrührende Polly mit Sex-Appeal, Barbara Grimm als witzig karikierende Frau Peachum, Günter Baumann als ein Macheath, der seine schwarze Seele wundervoll in einer übersteigerten bürgerlichen Allüre verbirgt. Was insgesamt geglückt ist: den sozialen Sprengstoff der Vorlage sichtbar zu machen und dennoch einen liederseligen Unterhaltungsabend zu präsentieren, der aber immer wieder das Lachen in der Kehle stocken lässt. Eine Regieleistung, die um so erstaunlicher ist, als die Mittel des Theaters höchst beschränkt sind und das Bühnenbild so einfach gehalten sein muss, dass es in den zwei Städten problemlos auf die verschieden großen Bühnen passt.

{slider=14. Die spanische Fliege von Franz Arnold und Ernst Bach
Volksbühne Berlin, Regie: Herbert Fritsch
Nachtkritik vom 29. Juni 2011}Fritsch oder der tolle Tag: So springlebendig, überkandidelt, koloraturenhaft kurios und enthemmt, dass dies die launigsten, kurzweiligsten, spielverrücktesten, phantasievollsten zwei Theaterstunden des Jahres sind.

{slider=15. Die Verlobung in Santo Domingo nach Heinrich von Kleist
Schauspiel Hannover, Regie: Kornél Mundruczo
Nachtkritik vom 16. September 2011}Manchmal muss erst ein Regisseur aus Ungarn kommen, um uns zu verführen und zu zeigen, dass Theater jenseits aller Dekonstruktion immer noch eine große Illusionsmaschine mit Schwindel erregenden Bildern sein kann. Am Schauspiel Hannover lässt Kornél Mundruczo in "Die Verlobung in Santo Domingo" frei nach Kleist die Geister der Kolonialzeit auf der Cumberland'schen Bühne wiederauferstehen. Das Ergebnis ist berauschend.

{slider=16. Die Weber von Gerhart Hauptmann
Neues Theater Halle, Regie: Jo Fabian
Nachtkritik vom 16. September 2011}Ein Abend der überwältigenden Bilder, den man mit offenem Mund bestaunen kann. Jo Fabian sagt, dass er "Die Weber" durch plastisches Denken sinnlich entschlüsselbar machen möchte. In Halle geht das aufs Wunderbarste auf. Hier wird jeder etwas mitnehmen, und sei es nur ein opulentes Bühnenerlebnis.

{slider=17. Eugen Onegin nach Alexander Puschkin
Schaubühne Berlin, Regie: Alvis Hermanis
Nachtkritik vom 25. November 2011}Man sieht das 19. Jahrhundert auferstehen und erlebt zugleich die Ferne, Distanz zu ihm. Das Gezeigte wird zum Echoraum des Gegenwärtigen, das Fremde zum Spiegel des Eigenen. Wundervolle Magie der Verwandlung.

{slider=18. Fanny und Alexander nach dem Drehbuch von Ingmar Bergman
Centraltheater Leipzig, Regie: Sebastian Hartmann
Nachtkritik vom 23. September 2011}In Sebastian Hartmanns Sinn- und Formsuche oszillieren die Darstellenden an gedeckter Tafel und zerwühltem Bett beklemmend zwischen eingeübtem Spiel und freier Improvisation. So kommen vielfarbene Stimmungen auf die Bühne. Dabei finden die Leiden des jungen Alexander in einem Lichtkäfig statt, der das Geschehen mal strahlend, mal gedämmt flimmernd visuell überhöht.

{slider=19. Faust I & II von Johann Wolfgang von Goethe
Salzburger Festspiele, Thalia Theater Hamburg, Regie: Nicolas Stemann
Nachtkritik vom 28. Juli 2011}Stemann pflügt die gewaltigen Stoffmassen derart unorthodox, spielfreudig, unterhaltsam und bilderstark um, dass einem bei achteinhalb Stunden Brutto-Dauer so gut wie nie langweilig wird. Vor allem die intelligent aufgemischte Vielfalt der Spielformen macht diesen großangelegten Extremversuch spannend: Monolog, Mummenschanz, Rockoper, Zombie-Tanz, Parodie, Wortstrenge, Tragik, Zeitkritik, Science-Fiction, Kasperltheater. Ein grandioses, heiteres, feinsinniges, anrührendes, schräges, pathetisches und kitschiges Gesamtkunstwerk.

{slider=20. Gedächtnisambulanz von Tom Peuckert
Theater Bielefeld, Regie: Patrick Schimanski
Nachtkritik vom 4. Juni 2011}Die Inszenierung überzeugt durch ihr äußerst facettenreiches Spiel, das sich nicht darauf beschränkt, "Erinnerung" zu thematisieren. Zugleich löst die Aufführung durch ihre surrealistisch-assoziative Anlage auch ganz individuelle Erinnerungssplitter bei jedem Zuschauer aus.

{slider=21. Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose von Sarah Kane
Münchner Kammerspiele, Regie: Johann Simons
Nachtkritik vom 21. Januar 2012}Auch wenn sich nicht alle Teile dieses Triptychons auf der gleichen inszenatorischen Höhe bewegen mögen, so wird hier doch ein wichtiger Schritt in der Sarah-Kane-Rezeption vollzogen. "Gesäubert" wird aus der Sphäre des Schocker-Realismus herausgelöst, "Gier" wird zu einem virtuosen Stimmenballett, und eine konsequente Musikalisierung lässt "Psychose 4.48" zu einem ergreifenden Requiem werden.

{slider=22. Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön von Horváth
Schauspielhaus Zürich, Regie: Karin Henkel
Nachtkritik vom 14. Januar 2012}Karin Henkel hat mit dem Zürcher Ensemble eine Inszenierung erarbeitet, die dem Text äußerst aufmerksam folgt, ihn sorgfältig liest und präzise weiterspinnt. Dreierlei hebt Henkel dabei hervor: die Komik von Horváths Text, die Todesmotivik, von der er – genau besehen – ganz und gar gezeichnet ist, und seine Musikalität.

{slider=23. Gólgota Picnic von Rodrigo Garcia
Steirischer Herbst Graz, Regie: Rodrigo Garcia
Nachtkritik vom 30. September 2011}Wann gelingt es schon, sowohl im fernen Graz als auch in Hamburg die erzkatholischen Fundis zu einem Protest-Beten vor dem Theater zu bewegen! Rodrigo Garcia ist zwar ein rotzfrecher Bild-Erfinder, und so manches Szenenbild ist geeignet, für sich allein genommen Blasphemie nahe zu legen. Aber er meint es sehr ernst mit der Frage nach Gott, und warum der all den Unfug zulässt. Die Produktion ist ein eindrucksvoll visualisierter Aufschrei in einer aus den Fugen geratenden Welt. Die Produktion zeigt, wie über alltagstauglich zurechtgebogene Überlebensphilosophie die Sehnsucht nach Antworten wieder hochkommt.

{slider=24. Hate Radio von Milo Rau
International Institute of Political Murder, HAU Berlin u.a., Regie: Milo Rau
Nachtkritik vom 1. Dezember 2011}Ein atemraubendes Stück politischen Theaters über den ruandischen Völkermord von 1994. Die Theaterperformance spielt auf einer historischen Bruchstelle, die eine ganze Gesellschaft zu cooler Popmusik und flotten Sprüchen in den Abgrund stürzen lässt.

{slider=25. Herr Kolpert von David Gieselmann
Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Nurkan Erpulat
Nachtkritik vom 20. Januar 2012}Wie Erpulat mit kleinen Verschärfungen und Überschreitungen die Regeln des Boulevard und dieses "well made play" aus der frühen Berliner Republik zugleich bedient und entgrenzt – das ist beeindruckend und sehr unterhaltsam.

{slider=26. Homers Ilias / Achill in Afghanistan nach Homer
Staatstheater Stuttgart, Regie: Volker Lösch
Nachtkritik vom 14. Oktober 2011}Mit Volker Löschs "Homers Ilias / Achill in Afghanistan" zeigt man in Stuttgart eine sehr ungewöhnliche Lösch-Inszenierung, die durch ihre stilistische Konsequenz überzeugt und mit archaischer Selbstverständlichkeit im (von der Kritik wenig goutierten) finalen Blutrausch endet. Das Zusammentreffen von Bundewehereinsatz und Antike wird formal und ästhetisch zum politischen Theater im großen Format.

{slider=27. Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang von Goethe
Theater Oberhausen, Regie: Sarantos Zervoulakos
Nachtkritik vom 18. Februar 2011}Eignet sich der Blankvers zur emotionalen Debatte? Und Goethes Lesedrama zum Schauspielertheater? Ja, bei Sarantos Zervoulakos schon. Er inszeniert ein konzentriertes Kammerspiel auf streng-weißer Bühne. Tauris bleibt eine Kunstwelt, aber die Schauspieler bewegen sich auf dem doppelten Boden aus Reclamheften und in den Höhen der Verssprache erstaunlich glaubwürdig. Nicht lesens-, sondern ganz klar sehenswert.

{slider=28. Jochen Schanotta von Georg Seidel
Deutsches Theater Berlin, Regie: Frank Abt
Nachtkritik vom 18. Dezember 2011}So dringlich wie unmittelbar wird hier die alte und immer neue Frage "Wie kann man überhaupt leben?" gestellt. Frank Abt gräbt mit seinem Protagonisten Andreas Döhler eine moderne Woyzeck-Figur aus und verhilft mit seiner Inszenierung einem fast vergessenen und früh verstorbenen Dramatiker zu seinem Recht als Gegenwartsautor.

{slider=29. John Gabriel Borkman von Henrik Ibsen
Volksbühne Berlin, Regie: Vegard Vinge und Ida Müller
Nachtkritik vom 28. Oktober 2011}Nein nein nein nein nein, ich will nicht arrrbeiten, nein, ich will nicht arrrbeiten! Ich will Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Peng Bumm Krach Zonk. Hände hoch!

{slider=30. Kapelle Eidg. Moos von Ruedi Häusermann, Jan Ratschko und Herwig Ursin
Tuchlaube Aarau, Kaserne Basel, Kleintheater Luzern, Schlachthaus Theater Bern,
Regie: Ruedi Häusermann
Premiere am 19. Oktober 2011 in Aarau}Ein radikal-antipatriotischer Heimatabend, der die Freude an und die Liebe zur sogenannten Schweizer Ländlermusik mit den einfachsten illusionären Vorgängen der Bühne zu verbandeln versteht, so dass es ein Genuss ist, dem kulinarisch gesprochen, auch ein Robert Walser vorzüglichstens zugetan gewesen wäre.

{slider=31. Kill your Darlings! Streets of Berladelphia von René Pollesch
Volksbühne Berlin, Regie: René Pollesch
Nachtkritik vom 18. Januar 2012}Ein Abend über den Widerspruch zwischen Individuum und Kollektiv. Ein Abend über die Entstehung der Wertillusion und über Brechts legendäres "Fatzer"-Fragment. Und das Beste: Das klingt jetzt alles furchtbar schwierig und ist es überhaupt nicht. Vielleicht ist "Kill Your Darlings" auch nur ein Abend über die verfluchte Unbeständigkeit der Liebe. Jedenfalls ist es der klügste, persönlichste und leichteste Pollesch seit – ja, seit dem letzten Solo von Fabian Hinrichs für René Pollesch in der Volksbühne. Carry on!

{slider=32. Maria Stuart von Friedrich Schiller
Schauspiel Frankfurt, Regie: Michael Thalheimer
Nachtkritik vom 12. März 2011}Valery Tscheplanowa (Maria Stuart) und Stephanie Eidt (Elisabeth), Königinnen ihres Fachs, bringen Schillers Verse sensationell zum Klirren.

{slider=33. Marija von Isaak Babel
Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Andrea Breth
Nachtkritik vom 7. Januar 2012}Was ist der Mensch? Um diese Frage dreht sich Theater immer wieder, und hier wird es eingelöst. Russische Revolution im Jahre 1920, alle Ordnung gerät aus den Fugen, und Andrea Breth zeigt absolut heutige Menschen, um die herum ein beunruhigender Verteilungskampf ausbricht. Zwei Stunden, die immer eindringlicher werden und einem existenziell dunkle Menschheitskämpfe ungeahnt nah bringen.

{slider=34. Nichts Schöneres von Oliver Bukowski
Staatstheater Stuttgart, Regie: Hasko Weber
Nachtkritik vom 28. September 2011}Ganz großes Theater mit vergleichsweise ganz kleinen Mitteln. Ein großartiger Text mit einer wirklich aktuellen Thematik, gespielt von der großartigen Schauspielerin Rahel Ohm, deren Darstellung der Mechthild Huschke so eindrücklich ist, dass sie noch Monate später im Magen liegt.

{slider=35. Peer Gynt von Henrik Ibsen
Theater Chemnitz, Regie: Claudia Bauer
Nachtkritik vom 27. Januar 2011}Claudia Bauer schafft es in gut zwei Stunden, Peer Gynt vom lächerlichen Pappkameraden zu einem leidenschaftlichen und, ja, auch rücksichtslosen Selbstverwirklicher zu machen. Einen, den man mag, weil er keine Kompromisse macht. Komik und Tragik gehen aufs Gelungenste ineinander über, wohl dosiertes Aus-der-Rolle-Fallen macht "die vierte Wand" angenehm durchlässig. Ein "Peer Gynt", der maßvoll einsetzt, was das Theater heute zu bieten hat: einen auf der Bühne live eingespielten Soundtrack, eine offene Garderobe auf der Hinterbühne, ein paar Kulissenschmierereien und -zerstörungen sowie ein halbes Kilo zerlegter Zwiebeln. Bernhard Conrad als Peer Gynt ist aufgrund seiner nahezu unheimlichen Bühnenpräsenz ein Ereignis.

{slider=36. Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler
Burgtheater Wien, Regie: Dieter Giesing
Nachtkritik vom 16. April 2011}Brisanter als jeder Polit-Talk zeigt Giesings kühl-steriles Schauspielertheater mit heiß laufenden Köpfen von Joachim Meyerhoff über Caroline Peters bis Roland Koch, wie spannend das Reden – und Zuhören – am Theater sein kann.

{slider=37. Rocco und seine Brüder nach dem Film von Luchino Visconti
Maxim Gorki Theater Berlin, Regie: Antú Romero Nunes
Nachtkritik vom 5. Mai 2011}Mit den einfachsten Mitteln und nur einer guten Handvoll Spieler zaubert Antú Romero Nunes Viscontis Sittengemälde kongenial auf die Bühne. Zwischen Konfettischnee und Boxerschweiß erzählt er davon, was unsere Gesellschaft im Innersten auseinandertreibt – heute wie vor 50 Jahren.

{slider=38. Romeo und Julia von William Shakespeare
Burgtheater Wien, Regie: David Bösch
Nachtkritik vom 29. Oktober 2011}David Bösch führt einen punkigen Junggesellenabschied auf und bringt damit frischen Wind in die altbekannte Geschichte. Seine Schauspieler – unter ihnen Daniel Sträßer bei seinem Burgdebüt – folgen ihm willig und mit überbordender Spielfreude. Auch wenn Bösch das in Bochum 2004 schon mal so ähnlich gemacht hat: sehenswert, unterhaltsam, voller Energie.

{slider=39. Short Cuts/Short Cats von VA Wölfl
Neuer Tanz Düsseldorf, mosuonturm Frankfurt, Choreographie: VA Wölfl
Premiere: 18. November 2011 in Düsseldorf}VA Wölfl vermag es wie kein anderer Künstler, den Zuschauer in seinem Spiel mitspielen und ihn sich gleichzeitig darüber ärgern zu lassen.

{slider=40. Staatsfeind Kohlhaas von István Tasnádi nach Heinrich von Kleist
Schauspiel Hannover, Regie: Lars-Ole Walburg
Nachtkritik vom 15. September 2011}Mitten im Kleistjahr macht Lars-Ole Walburg aus der Novelle und der Dramatisierung von István Tasnádi ein pralles Stück Volkstheater, einen mit Einfällen und Liedern, großen Treppen und kleinen Spießerküchen vollgestopften Abend rund ums Scheinheiligentum, um Willkür und Terrorismus – angemessenerweise erzählt aus einer tragikomischen Pferdeperspektive, die jede Heldenromantik aufs Schönste verhindert

{slider=41. Three Kingdoms von Simon Stephens
Münchner Kammerspiele, Regie: Sebastian Nübling
Nachtkritik vom 15. Oktober 2011}Britische Coolness, deutsche Ironie und das körperintensive Theater der estnischen Truppe NO99 vereinen sich zu einem fulminanten Krimi, in dem europäische Klischees durch den Wolf, bevorzugt in Wolfs-Masken, gedreht werden. Regisseur Sebastian Nübling wusste bei diesem internationalen Projekt offenbar, wann er die Zügel straffen, wann er sie loslassen musste. Herausragend!

{slider=42. Verzögerte Heimkehr von Matthaei & Consorten
Stadttheater Bremerhaven im Nordseehotel Bremerhaven, Regie: Jörg Lukas Matthaei
Nachtkritik vom 19. März 2011}Nicht nur weil hier Bremerhavener Geschichten von Bremerhavenern für Bremerhavener erzählt werden, ist diese Nacht im alten Nordseehotel ein echtes Theatererlebnis. Die Inszenierung stellt eine Intimität zwischen den Laienschauspielern und dem Besucher her, die durch die Brüche zwischen Geschichte und Erzähler sowie das Wissen, dass man vielleicht dabei beobachtet wird, enorme Intensität gewinnt. Und im alten Ballsaal gibt es Rock'n'Roll. So geht Theater in die Stadt.

{slider=43. Violet von Meg Stuart/Damaged Goods
PACT Zollverein Essen, Choreografie: Meg Stuart
Nachtkritik vom 7. Juli 2011}In "Violet" entwickelt Meg Stuart aus einem Tableau einen energetischen Raum-Körper und schafft ein Bewegungsstück, das höchst konsequent mit den Extensionen und Intensitäten des Körpers arbeitet. Ihre Tänzer werden zu Körper-Bildern von Energieproduktion, die stoisch das Bühnengeschehen vorantreiben. Sie sind ex-zentrische Subjekte, die sich durchpulst und vorangetrieben vom Rhythmus der Zeit veräußern und in exzesshaften Szenerien disparate Schauplätze der Gegenwart wie die Schlachtfelder des Kampfes gegen den Terror, den atomaren GAU von Fukushima, aber auch den Technoclub, die Überproduktion, das Turbokapital, den Exorzismus aufrufen.