Presseschau vom 4. Februar 2012 – Neuigkeiten aus dem Intendantenkarussell
Panische Fliegen
4. Februar 2012. Manchem wird sofort schwindelig auf dem Intendantenkarussell. Besonders, wenn er unfreiwillig dort hingelangte. Florian Vogel zum Beispiel, den in einem Artikel mit Spekulationen über die Armin-Petras-Nachfolge am Maxim-Gorki-Theater die beiden Journalisten Till Briegleb und Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (19.1.2012) ins Spiel gebracht hatten und dabei auch vermeintliche Vogel-O-Töne kolportierten.
Dagegen glaubte dann Florian Vogel, künstlerischer Interimsleiter am Hamburger Schauspielhaus (wo man noch bis 2013 auf Karin Beier warten muss), sich so entschieden verwahren zu müssen, dass er Ende Januar eine Unterlassungserklärung erwirkte: die Süddeutsche Zeitung muss künftig € 250.000 zahlen, sollte in ihrem Namen weiter behauptet werden, dass Florian Vogel sich seinen Mitarbeitern bereits als neuer Gorki-Intendant vorgestellt hat oder mit dem Berliner Kulturstaatssekretär über dieses Thema auch nur verhandelt hätte.
Genau das aber hat, Recherchen von Dirk Pilz und der Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau (4.2.2012) zufolge, inzwischen Herbert Fritsch getan, den auch Briegleb und Laudenbach schon beherzt auf das Intendantenkarussell katapultiert hatten. Nur dass einer wie Fritsch da, wo anderen schwindelig wird, erst recht zu Hochform aufläuft. Man muss nur seine Inszenierungen anschauen, Die (s)panische Fliege in der Berliner Volksbühne zum Beispiel, auch fürs nachtkritik-Theatertreffen 2012 nominiert.
Wer immer nun das Rennen um das Maxim Gorki Theater tatsächlich gewinnt, die berühmten gut unterrichteten Kreise raunen: Mitte der Woche will sich der Berliner Senat nicht länger in Schweigen hüllen und das Geheimnis lüften. Hoffentlich wird uns dann nicht schwindelig werden.
(sle)
Wir halten Sie auf dem Laufenden
Wir sichten täglich, was in Zeitungen, Onlinemedien, Pressemitteilungen und auf Social Media zum Theater erscheint, wählen aus, recherchieren nach und fassen zusammen. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrem finanziellen Beitrag.
Biiiiiiiiiiitte Fritsch wählen!!!!!
Aber vergesst nicht, ihm irgendeinen sympathisierenden Betriebsdirektor mit Nerven aus Stahl und buddhistischem Gleichmut an die Seite zu stellen, der den Laden in Form hält und für die Nicht-Fritsch-Abende sorgt.
Bei Ivan Nagel inszenierten zwischen 1973 und 1979 Zadek und Noelte (und alles, was dazwischen war) gleichzeitig am Hamburger Schauspielhaus. Das war das Ideal: Schauspieler, die beides konnten. Und es wurde nie langweilig oder vorhersehbar.
Also, auf 2013 übertragen hieße das ungefähr: Fritsch und Alvis Hermanis. Das gäbe eine Irrsinns-Spannung.
Aber das sind wohl Träume von einer idealen Welt...
aber zusammen mit seiner "mama" sabrina zwach die aufpasst wird es grandios und ein einzigartiges theater.
wobei fritsch natürlich sehr eng mit der volksbühne (verbunden) ist, daher könnte es dann ein wenig so werden, dass "Fritsch-Zwach übernimmt das Gorki als Nebenspielstätte der Volksbühne" - in Anlehnung an Rocco Stark.
frauenquoten am theater bei der intendanz? ja, warum dann nicht auch männerquoten bei den theaterpädagoginnen, kostümbildnerinnen oder in der schneiderei? meine meinung bleibt: qualität vor quote !
mehr männer in die theaterpädagogik, denn die quote erhöht die qualität; um ihrer argumentation zu folgen...vielleicht zukünfig das ganze noch um hautfarbe, vegetarier/veganer, konfession, raucher/nichtraucher, oder etwa mit dem familiären hintergrund zu erweitern (und wo bleibt die quote für transgender?), was hat das dann noch mit qualität zu tun?
EGAL wie sich der berliner senat bei der intendantenwahl entscheidet, das stärkste team, die beste künstlerische persönlichkeit sollte gefunden werden, oder eben das team, das den künstlerisch größten gegensatz zu den anderen berliner bühnen bietet.
Zum Zweiten läßt die Verzögerung einer Entscheidung des Berliner Senats bald nur noch den Schluß zu, daß da jemand auf eine günstige Gelegenheit wartet, um endlich einen endgültigen Grund zum Schlie0en des Gorkis zu haben. Möge es nicht geschehen, Amen.
Darf ich an das Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3 erinnern: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes... benachteiligt oder bevorzugt werden."
Ich gebe zu, dass Frauen was Einkommen und Karriere betrifft statistisch gesehen benachteiligt werden. Aber man kann ein Unrecht nicht mit einem anderen bekämpfen. Herbert Fritsch nicht zum Intendanten des Gorki-Theaters zu machen, weil er ein Mann ist, das erinnert mich an die DDR-Diktatur, wo begabte Bürgerkinder per Quote nicht studieren durften, um Arbeiterkindern die vorhandenen Studienplätze nicht wegzunehmen. Der Vergleich hinkt nicht, denn die Benachteiligung von Arbeiterkindern war damals genau so eine Realität wie die der Frauen heute.
Wenn es eine Fritschin gibt, stimme ich sofort zu: Macht sie zur Intendantin des Gorki-Theaters. Und wenn ihr Ariane Mnouchkine bekommt, dann nichts wie zugreifen. Wen würden Sie nominieren?
Ansonsten gilt: Wir brauchen Herbert Fritsch und Sabrina Zwach, weil sie eine starke, neue Farbe in das Berliner Theater bringen. Wir brauchen diese Farbe dringendst, damit sich das Theater nicht in Dekonstruktion, Konzept, Nachspielen von Filmen und Romanen erschöpft (alles wichtig, aber als Monokultur gefährlich), sondern Theater sich auch wieder als lebendiges Spiel der Phantasie und der Körper entwickeln kann. Wer macht das heute noch?
Außerdem möchte ich daran erinnern, dass Berlin in den letzten beiden Jahrzehnten gar nicht so wenige Frauen in künstlerischen Leitungspositionen hatte und hat:
bis 2011 war Kirsten Harms Intendantin der Deutschen Oper Berlin
Andrea Breth war 1992-97 Leiterin der Schaubühne
die Sophiensäle werden von Frauen geleitet
Sasha Waltz hat ihr eigenes Theater (gut alimentiert)
Karin Bares hat ihr Kleines Theater am Südwestkorso
Nele Hertling leitete das Hebbel-Theater
Christina Weiss war Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, sitzt heute diversen Geldtöpfen (Kulturstiftungen) vor
überall in Berlin inszenieren massenweise Frauen
Natürlich können Sie mir statistisch leicht nachweisen, dass das weniger Frauen als Männer in Leitungspositionen sind. Aber lassen Sie DIESES EINE MAL um der Kunst willen Gnade vor Recht ergehen. Zerstören Sie nicht aus Prinzip eine große Hoffnung. Nächstes mal, wenn es um Mediokritäten geht, bitte. Aber nicht jetzt.
Vorschlag zur Güte: Sabrina Zwach wird Intendantin (ohne sie geht's sowieso nicht) und Herbert Fritsch übernimmt die Künstlerische Leitung. Wäre das ok für Sie?
P.S. @ 22: Ich bin sehr für Zerstörung von verkrusteten Macht-Strukturen. Aber nicht, indem man andere verkrustete Machtstrukturen darüber installiert (Der Staat, der Quoten durchsetzt, ist so eine Überstruktur). Lasst den Fritsch mal sein fröhliches Zerstörungswerk verrichten.