Wie toll wir doch sind

von Dirk Pilz

November 2007. Theater sind auch Unternehmen. Und Unternehmen sind erstens an guten Umsatzzahlen und zweitens an einem positiven Image interessiert, weil das positive Image dem Umsatz hilft. So weit, so unverfänglich. Nun sind aber bekanntermaßen die Produkte eines Theaters künstlerischer Natur. Will sagen: Ob und wie eine Inszenierung beim Publikum und damit an der Kasse läuft, lässt sich nach wie vor nicht planen.

Auch ein Michael Thalheimer ist kein Garant für guten Umsatz, selbst bei Peter Stein kann sich die Besuchergunst einst wenden. Das Produkt Inszenierung ist und bleibt ein unberechenbares Etwas. Wer wüsste das nicht.

Kundenbindungsmaßnahmen

Interessant wird die Angelegenheit erst, wenn Theater anfangen, ihr Kernprodukt mit Rahmenprodukten zu umstellen. T-Shirts, Bleistifte, Kofferanhänger – alles Kundenbindungsmaßnahmen, die dem Image dienen wollen. Im Grunde nicht weiter problematisch. Prekärer gestaltet sich die Sache allerdings, sobald Bücher in der Produktpalette auftauchen, zumindest dann, wenn sich diese Bücher zum einen mit den Kernprodukten des Hauses beschäftigen und dabei zum anderen dem Image aufhelfen sollen. Denn dann hat man es in aller Regel mit Produktbeschönigungsmaßnahmen zu tun.

Der vom Berliner Deutschen Theater im Rahmen der "Blätter" genannten Buchreihe herausgegebene Band "Antike Tragödie heute" ist solch ein Fall. "Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des Deutschen Theaters" heißt diese Textsammlung im Untertitel. Die Vorträge sind jener Antiken-Konferenz entnommen, die das DT in Zusammenarbeit mit dem theaterwissenschaftlichen Institut der FU im März 2007 veranstaltet hat. Es geht dabei um Inszenierungen antiker Tragödien, die am DT seit letzter Saison auf dem Spielplan stehen. Dimiter Gotscheffs "Perser", Barbara Freys "Medea", Michael Thalheimers "Orestie".

Bei der Lektüre erfährt man viel, was auch an anderer Stelle zu lesen ist und wundert sich nicht selten, dass die Tragödien-Forschung der letzten Jahre kaum eine Rolle spielt. Christoph Menkes wichtiges Buch über die "Gegenwart der Tragödie" etwa kommt nicht vor; Bernd Stegemanns These, wonach das Tragische "an die Form des Handlungszusammenhangs" gebunden sei, ist keineswegs neu, auch wenn sein Beitrag dies suggeriert. Aber gut, sie ist so oder so nachdenkenswert.

Imagepflege statt Debatte

Wenn aber der vierte, "Materialien" genannte Teil des Buches die "öffentliche Wahrnehmung" des Antiken-Projektes widerspiegeln will, dabei allerdings neben schönen Fotografien einzig Texte abgedruckt sind, die eben dieses Antiken-Projekt bzw. die einzelnen Inszenierungen bejubeln, wenn also jeder kritische Einwand absichtlich ignoriert wird, dann, ja dann hat man es mit einem Täuschungsversuch zu tun: Dieser Band will der Nachwelt eine öffentliche Wahrnehmung unterjubeln, die so nicht stattgefunden hat.

Warum?, mag man sich fragen. Offenbar geht es den Herausgebern nicht darum, was über die Inszenierungen gesagt wurde, sondern vornehmlich um die Tatsache, dass sie (auch) bejubelt wurden. Einen Aufsatzband aber, der mit einem nicht an Argumenten interessierten Teil endet, kann man nicht ernst nehmen – eben weil er, teilweise zumindest, von Interessen geleitet ist, die keine Sachinteressen sind. Imagepflege statt Produktdiskussion.

Verwunderlich ist dabei vor allem der Kleinmut. Denn dass dem DT in der letzten Spielzeit einige sehr bemerkenswerte Antike-Inszenierungen gelungen sind, wird niemand bestreiten. Dass sich jedoch über die Abende gerade deshalb durchaus fruchtbar und aufschlussreich streiten lässt, werden nur jene nicht wahrhaben wollen, die eine diffuse Angst vor kritischen Einwänden und also der sachorientierten Debatte haben.

Was immer hinter dieser seltsamen Buchpolitik stecken mag: einer Publikation, die jede kritische Nachfrage eliminiert, ermangelt es nicht nur an Brauchbarkeit; sie verliert ihre Glaubwürdigkeit. Dieser Verlust hat noch jedem Unternehmen geschadet.

 

Erika Fischer-Lichte, Matthias Dreyer (Hg.)
Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des Deutschen Theaters. Blätter des Deutschen Theater Nummer sechs.
Henschel Verlag 2007. 203 Seiten. 9 Euro.

Kommentare  
DT-Publikation: reinste Eigenlobhudelei
In der Tat eine seltsame Auslegung dessen, was „öffentliche Wahrnehmung“ bedeutet! Nicht nur sind bei der Auswahl der Kritiken am Ende dieses Bandes lediglich die positiven Jubel-Kritiken aufgenommen. Auch wird jeweils nur eine einzige Kritik zu jeder der drei Theaterarbeiten abgedruckt! Das ist zumal bei so kontrovers besprochenen Inszenierungen äußerst bedauerlich. Wie produktiv hätte es sein können, gerade die Vielstimmigkeit der Rezeption dem Leser zugänglich zu machen. So kann man der obigen Kritik nur zustimmen: die reinste Eigenlobhudelei.
Blätter des DT: Eigenlob gang und gäbe
Sie haben sicher recht, nur ist diese Praxis bei fast allen Theater gang und gäbe. Man schreibt "Pressestimmen" auf die Website oder in den Spielplan und zitiert dann nur die guten Kritiken. Je kürzer der "Pressespiegel" desto schlechter waren dann die Kritiken...
Eigenlob in wissenschaftlicher Veröffentlichung?
Aber es kommt doch, Frau oder Herr Melville, auch darauf an, in welchen Rahmen man diesen "Pressespiegel" stellt. Auf einem Flyer ist es doch ganz ok, aber in einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch, für das immerhin Fischer-Lichte von der FU Berlin ihren Namen gegeben hat, ist es schon hochnotpeinlich.
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