altDünner Firnis der Zivilisation

von Shirin Sojitrawalla

Mainz, 10. Februar 2012. Womöglich ist ja die weiße Handtasche ein tragbares Symbol für das Scheitern dieser Inszenierung. Offensichtlich aus dem Theaterfundus gekramt, hängt dieses Requisit schlaff an der Schulter der Schauspielerin Lara-Sophie Milagro. Wirft sie ihr Mobiltelefon hinein, antwortet die Tasche bloß mit einem dumpfen Laut, der spricht: Hier ist sonst nichts. Die Tasche ist eine Theatererfindung, wie der ganze Abend.

Aufreizende Künstlichkeit

So ist es auch kein bisschen erklärlich, dass sich der Regie führende Mainzer Intendant Matthias Fontheim die Mühe gemacht hat, alle afrikanischen Rollen im Stück mit zumindest afrikanisch aussehenden Schauspielern zu besetzen. Wozu? Sie wirken an diesem Abend nicht weniger artifiziell als schwarz angemalte Weiße. Und das ist symptomatisch für diese Inszenierung, die an ihrer aufreizenden Künstlichkeit zunehmend leidet. Immer wieder kommt man sich vor, als sitze man im Tourneetheater, wo jede Pointe mit roter Nase im Geiste ausgespielt werden muss und alle Schauspieler immer so dastehen, als stünden sie auf einer Bühne. Fehlte nur noch, dass Herbert Herrmann hereinschneit.

dieunerhoerten2 560 bettina mueller hIrgendwo in Afrika   © Bettina MüllerDas Stück gehört sicherlich nicht zu den besten von Bruce Norris. Er erzählt darin von nur einem einzigen nicht enden wollenden Tag irgendwo in Afrika. Dort treffen einige weiße Amerikaner, die es dorthin verschlagen hat, aufeinander. Der kreuzbiedere Missionar Dave (Tilman Rose) und seine zumeist hysterisch kreischende Freundin Jane (Jele Brückner) sowie der ebenso abgefuckte wie braungebrannte Unternehmer Don (Marcus Mislin) sowie seine hinreißend blöde Ehefrau Nancy, die in der nonchalant nervtötenden Verkörperung von Andrea Quirbach zum pulsierenden Zentrum des Stücks avanciert. Dazu gesellt sich Tante Mimi (Lara-Sophie Milagro), die Trägerin der besagten Handtasche, eine schwarze Vertreterin weißer Interessen, und Etienne (Jonathan Aikins), ein junger Herumtreiber, der in Verdacht steht, Daves Missionarsstation abgefackelt zu haben. Er ist es auch, der die Zuschauer empfängt, bevor das Saallicht ausgeht, und ihnen davon abrät, sich diese Show anzutun.

Tropische Unendlichkeit

Erst nach seinem frechen Prolog nimmt das Stück dann seinen tatsächlichen Anfang. Im Kern erzählt Norris von dem dünnen Firnis der Zivilisation, der sich in Zeiten der Bedrohung bekanntlich ablösen lässt wie Tesafilm. Wie auch seine anderen Gesellschaftssatiren, das großartig böse Reiz und Schmerz und das lahmere "Clybourne Park", beide in Mainz von Matthias Fontheim zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht, entlarvt Norris auch diesmal unser Gutmenschentum als gemeinen Selbstbetrug. Das macht er fernab jeglicher Subtilität, und so ist es vielleicht kein Wunder, dass an diesem Abend viel Scheiße-Arschloch-Schreierei und aufgeregtes Armefuchteln herrscht.

Für die besorgniserregend glatte Auflösung des Stücks und das ziemlich schale Ende kann die Inszenierung nichts, für die affektierten Posen und kasperletheaterwürdigen Auf- und Abgänge schon. Selbstverständlich können wir bei Matthias Fontheim davon ausgehen, dass er alles absichtlich so unecht in Szene gesetzt hat. Warum? Weil er sich irgendwas davon verspricht. Nur was? Wir wissen es wirklich nicht. Sicher ist, dass diese Micky-Maus-Figuren nichts mit uns zu tun haben. Und noch sicherer ist, dass sich diese Inszenierung viel Zeit lässt, zu viel Zeit, um ihre Geschichte zu erzählen. Die Pausen, die bei Norris schon mal "grässliche Pausen" sind, dehnen sich bei Fontheim gern in tropischer Unendlichkeit. So vergehen zweieinhalb Stunden, die zuweilen zäh werden, bis endlich Etienne wieder im Saal auftaucht. Jetzt spricht er davon, dass er uns ja gewarnt habe vor diesem Stück und dass wir uns als Zuschauer jetzt bestimmt schäbig fühlten. Wir fühlen uns aber kein bisschen schäbig. Nur echt gelangweilt.

Die Unerhörten (DEA)
von Bruce Norris
Deutsch von Martin Michael Driessen
Inszenierung: Matthias Fontheim, Ausstattung: Marc Thurow, Dramaturgie: Marie Rötzer
Mit: Jonathan Aikins, Tilman Rose, Jele Brückner, Andrea Quirbach, Marcus Mislin, Lara-Sophie Milagro, Leander Graf, Felix Frenken und Jean Claude Mawila.

www.staatstheater-mainz.de


Die Berliner Schauspielerin Lara-Sophie Milagro ist auch Dramatikerin und künstlerische Leiterin des 2010 gegründeten Berliner Ensembles "Label Noir", zu dem auch weitere Schauspieler in Fontheims inszenierung gehören, u.a. Jonathan Aikins und Leander Graf. Als Eröffnungsproduktion von "Label Noir" kam im Sommer 2010 Milagros Stück Heimat, bittersüße Heimat heraus.

Kritikenrundschau

In der Allgemeinen Zeitung Mainz (13.2.2012) und im Wiesbadener Kurier (13.2.2012) schreibt Jens Frederiksen: "Was in deftiger Bürgerschreck-Manier beginnt, verwandelt sich im Handumdrehen in einen prachtvollen, nach allen Regeln der Theaterkunst funktionierenden Guckkasten-Thriller." Norris' Stück sei "nicht nur handwerklich furios gemacht", und Matthias Fontheim könne mit seiner deutschsprachigen Erstaufführung "denn auch einen kleinen Theater-Coup" landen, halte "den schmalen Grat zwischen Komödie und Problemstück" sicheren Trittes. Die Inszenierung kühle die Figuren ein bisschen runter, lasse sie dabei oft allerdings auch in ein beiläufiges Genuschel abgleiten. Insgesamt aber ist Frederiksen sehr zufrieden: "Schönstes Theater – und schönster Diskussionsstoff obendrein."

"Die Frage, ob es überhaupt selbstloses Verhalten gibt, ob man Gutes tun kann, ohne dabei nur das eigene Ego zu bestätigen, wird in 'Die Unerhörten' wie beiläufig gestellt", schreibt Andrea Wagenknecht in der Mainzer Rhein-Zeitung (13.2.2012). Es sei die große Stärke von Matthias Fontheims in einer "afrikanischen Ethno-Kitsch-Welt" angesiedelten Inszenierung, dass die schweren moralischen Themen hier plaudernd-seicht daherkämen, die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt mit jeder Minute größer werde. Der Abend zeige "nur zu gut", mit welch imperialistischer Arroganz der Westen auf korrupte Regimes hinabschaue und sich dabei aber keinen Deut besser verhalte.

Mehr als eine recht zähe Boulevardkomödie sei nicht geworden aus Matthias Fontheims dritter Norris-Inszenierung, urteilt Eva-Maria Magel in der FAZ Rhein-Main (13.2.2012). Das liegt der Rezensentin zufolge teilweise am Stück, dem die Präzision fehle. Doch auch die Inszenierung tue nicht das Beste dazu: In einem "Kolonialwohntraum" bringe Fontheim das Stück über die Bühne, ohne nach Tempo und Zuspitzung zu suchen.

"Man darf Fontheim als Entdecker des Amerikaners Bruce Norris für das deutschsprachige Publikum bezeichnen", so Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (17.2.2012). Der Regisseur habe einen gelassenen, gewitzten Ton für diese Texte gefunden hat, dunkelgrundierte Konversationsstücke, deren typisch amerikanisches Personal an Woody Allen denken lässe: tolerant, nett, eine Schicht darunter gefährlich komplexbeladen. "Norris legt dazu Wert auf pointenreiche Handlungen, deren Falltüren er gerne erst nach und nach öffnet." Norris' witzige Idee, einen jungen, in die Handlung verwickelten Afrikaner als Rahmenerzähler zu nehmen - dessen Hauptaufgabe es ist, noch bei Saallicht über "die Show" herzuziehen -, findet in Mainz eine geniale Umsetzung durch den schnoddrigen Jugendlichen Jonathan Aikins. "Wie überhaupt nur die großartige Truppe den Abend möglich macht." Fazit: "Bei Norris steht das Schwarzsein nicht für irgendwas. Es geht um Menschen dieser und jener Hautfarbe. Wer das nicht besetzen kann oder will, kann oder will es nicht spielen. Die Mainzer können und wollen, vorzüglich sogar."

"Unbequeme Fragen nach der eigenen Bereitschaft, die Hemmschwelle zur Folter zu überschreiten, soll sich das Publikum nach dem Willen von Norris stellen", schreibt Marius Nobach in einer Kurzkritik in der Süddeutschen Zeitung (27.2.2012). Doch dafür blieben Stück und Inszenierung zu bieder und verrännten sich zu sehr "in den Klischees, die sie anklagen wollen".

Kommentare  
Die Unerhörten, Mainz: sprachlos
(…)

Hinweis der Redaktion: An dieser Stelle war ursprünglich ein Kommentar veröffentlicht, der einen schwerwiegenden Vorwurf gegen die Kritikerin erhebt. Die Redaktion ist zu der Ansicht gekommen, dass diese Art von Vorwurf nur dann veröffentlicht werden kann, wenn der Urheber sich per Mail an die Redaktion mit Klarnamen dazu bekennt und sich so einer persönlichen Diskussion stellt. (wb)
Die Unerhörten, Mainz: mehr Selbstverständlichkeit ist nötig
Hallo Redaktion von "Nachtkritik", für mich sieht es so aus, dass Ihre Qualitätskontrolle bei diesem Beitrag versagt hat.
Ohne Not behauptet Shirin Sojitrawalla, dass die ethnische Zugehörigkeit der beteiligten afrodeutschen Schauspieler – mit anderen Worten hier: ihre schwarze Hautfarbe - künstlich wirke und denselben Effekt hat, als wenn weiße deutsche Schauspieler mit schwarzer Farbe eingeschmiert auftreten. Was soll das? Wir könnten sagen, Thema verfehlt. Aber leider verbirgt sich in Sojitrawallas Worten nicht nur dramaturgische Inkompetenz. Nein, wir müssen so Ihren Frontalangriff auf die Würde schwarzer Schauspieler lesen. Wieso fühlt die Autorin sich von der angemessenen Besetzung afrodeutscher/afrobritischer Rollen mit afrodeutschen/afrobritischen Schauspielern provoziert? Das ist die einzige Frage, die ihre Rezension aufmacht.
Übrigens, ein erhellender, unaufgeregter Beitrag zum Thema "Blackface" und die Selbstverständlichkeit der Besetzung jeglicher Rollen mit Schauspielern jeglicher ethnisch-kultureller Herkunft, findet sich aktuell auf BBC Strand:
http://www.bbc.co.uk/programmes/p00mvfwr#p00nb0h1
Ich habe einen Traum: Ich träume davon, dass Hautfarbe und Herkunft im Jahr 2012 im deutschen Theater und Medien kein Thema mehr ist! Beiträge wie der von Sojitrawalla wecken mich immer wieder auf und zeigen, die deutsche Realität sieht noch anders aus. Das können und müssen wir gemeinsam ändern!
Die Unerhörten, Mainz: Widerspruch
Sehr geehrte Frau Müller,
ich möchte Ihrem Kommentar entschieden widersprechen.
Ich kann in Shirin Sojitrawallas Kritik zu "Die Unerhörten" keinen Frontalangriff auf die Würde schwarzer Schauspieler erkennen.
Sojitrawalla schreibt: Der Regisseur Fontheim hat sich die Mühe gemacht, die Rollen der "Afrikaner" in dem Stück "Die Unerhörten", das laut Sojitrawalla "irgendwo in Afrika" spielt, mit schwarzen Schauspielern zu besetzen.
Wieso Mühe gemacht?
Weil am Mainzer Theaters genauso wenige afrodeutsche Schauspieler engagiert sind wie in den meisten anderen Ensembles deutscher Theater. Die Mühe bestand also darin, Schauspieler mit schwarzer Hautfarbe zu suchen und als Gast zu engagieren, "um die afrikanischen Rollen mit zumindest afrikanisch aussehenden Schauspielern zu besetzen."
Und dann kommt das entscheidende Wort: "Wozu" (hat er das getan).
Und hier haben Sie, Frau Müller, meines Erachtens nicht genau gelesen. Denn Fontheim besetzt die Rollen der "afrikanischen" Figuren mit schwarzen Schauspielerinnen, um ein höheres Maß an Authentizität zu erzielen. Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Außer, dass Fontheim das modellhafte Spiel Theater mit der Wirklichkeit draußen verwechselt. Denn Authentizität auf dem Theater wird nicht durch wirkliche schwarze oder gelbe oder grüne Hautfarbe hergestellt, sondern durch Spiel. Der Schauspieler des verkrüppelten Richard III. ist in der Regel nicht verkrüppelt und niemand fordert das. Natürlich kann Richard III. von einem gehandicapten Schauspieler gespielt werden, der Shylock von einem jüdischen Schauspieler und natürlich kann man schwarze, rote oder grüne Schauspieler einsetzen für Figuren, die, laut Autor, schwarze, rote oder grüne Haut haben. Kann man, muss man aber nicht. Und in beiden Fällen ist man noch nicht Rassist.

Fontheim in Mainz nun hat schwarze Schauspieler für Figuren mit schwarzer Haut (laut Autor Bruce Norris) eingesetzt. Die Kritikerin fragt wozu? Denn authentisch, - d.h. meines Erachtens: gefährlich glaubwürdig, so glaubwürdig, dass man nicht mehr merkt, dass man einem Spiel zusieht - gerät das Spiel in keinem Moment. Das Spiel ist total künstlich, schreibt Sojitrawalla, in schlechtem Sinne künstlich. Affektiert vielleicht. Hohl wie im Tourneetheater, wie sie später schreibt. Die Künstlichkeit wird auch nicht verhindert, dadurch dass schwarze Schauspieler "schwarze Rollen" spielen. Es wäre genauso künstlich/ nicht authentisch/ nicht gefährlich/ unwirklich im schlechten Sinne gewesen, wenn weiße Schauspieler mit schwarzer Schminke die Rolle der schwarzen Afrikaner übernommen hätten. Oder grün-weiß gestreifte Schauspieler. Oder violette Schauspieler. Immer hätte es künstlich gewirkt. Aufgesetzt. Blöde.
Das schreibt Sojitrawalla nach meinem Verständnis.

Künstlerisch verantwortlich für dieses "Danebengehen" der Inszenierung ist laut Sojitrawalla der Regisseur, der glaubte, der Eindruck von Wahrheit, Authentizität würde sich schon einstellen, wenn er nur die "weißen Figuren" von Weißen und die "schwarzen Figuren" von Schwarzen spielen ließe.
So ist die Adresse für Ihre Kritik Frau Müller, meiner Meinung nach, falsch. Rassismus in nuce findet sich bei denjenigen, die glauben, dass Figuren mit schwarzer Hautfarbe im Theater in jedem Fall mit schwarzen Schauspielern besetzt werden müssten. Und denjenigen, die glauben, dass ein Lear, ein Hamlet, ein Faust immer von Schauspielern mit weißer Hautfarbe gespielt werden müssten.
Davon aber ist bei Sojitrawalla nicht im Entferntesten die Rede.
Mit freundlichem Gruß
merck
Die Unerhörten, Mainz: sehr gute Kritik
Ich kann Herrn Merck nur Recht geben. Die sehr gute Kritik auf eine (auch noch falsch verstandene Aussage) zu reduzieren und die Autorin als tendenziell rassistisch hinzustellen ist gelebtes Gutmenschentum, oberflächlich und spiegelt leider Gottes auch noch die Banalität des ganzen Stückes wieder. Eben dieses klischeehafte Spiel des bösen Weißen und des korrumpierten Schwarzen ist in keiner Weise zeitgemäß und zeugt davon, dass weder Autor noch Regisseur sich wirklich die Mühe gemacht haben, ein wenig zu recherchieren. In deutschen Theatern spielen Hautfarbe und Rasse schon lange keine Rolle mehr. An Theatern werden zig Sprachen gesprochen. Sicherlich gibt es nicht soviele Rollen für schwarze Schauspieler. Aber das hat nichts mit Rassismus zu tun. Oft müssen Theater auch sparen und sich eigener Ensemble-Mitglieder bedienen. Aus diesem Grund werden diese dann schwarz angemalt. In Mainz hat eine grandiose Katharina Knapp einst Richard III. verkörpert. Ist das dann männerfeindlich gewesen?
Die Unerhörten, Mainz: Konventionen in Frage stellen
Lieber theaterfreund,
entschuldigen Sie, wenn ich mich noch einmal einmische und nun Ihre Position kritisiere.
Sie schreiben: "Sicherlich gibt es nicht soviele Rollen für schwarze Schauspieler." Und ich verstehe, es gibt in Stücken, die in deutschen Theatern gespielt werden, nicht soviele schwarze Figuren.

Aber wir sind uns doch einig, dass es eigentlich ebenso viele Rollen für schwarze Schauspieler gibt wie für weiße Schauspieler. Warum sollte ein schwarzer Schauspieler nicht den Lopachin spielen oder den Firs im "Kirschgarten"? Warum nicht eine schwarze Schauspielern die Lotte in "Groß und Klein" oder die Wassa Schelesnowa oder eine zeitgenössische Heldin?

Wir empfinden möglicherweise ein kleines Unbehagen bei diesem Gedanken, weil es nicht dem entspricht, was wir für unsere Konvention halten. Aber ist das Theater nicht eben gerade dafür da, Konventionen - die sich beispielsweise so gültig in der Besetzungspolitik von Fernsehen und Kino ausdrücken - in Frage zu stellen?

Wir hören, in Großbritannien sei es längst Usus schwarze Schauspieler als Hamlet oder Falstaff oder Richard III. zu besetzen. Und niemand wundert sich. Und auch in Deutschland ist es inzwischen etwas üblicher, Schauspieler mit "Migrationshintergrund", oder aus Familien mit "Migrationshintergrund" zu besetzen.

Nun sollten wir allmählich dahin kommen, dass unser Schauen im Theater, wo das Wesen der Dinge/ der Strukturen/ der Beziehungen in den Blick kommen soll, nicht an der schieren Oberfläche der Haut und ihrer Farbe hängen bleibt.

Mit freundlichem Gruß
nikolaus merck
Die Unerhörten, Mainz: nicht auf Qualität verzichten
Ganz ehrlich: mir ist es völlig egal, welche Hautfarbe ein Darsteller hat, solange es zur Rolle passt und der Darsteller gut ist (was im Fall der Mimi bei den Mainzer Unerhörten leider nicht der Fall war). Um Konventionen schere ich mich dabei nicht. Aber wenn sich kein geeigneter Darsteller der benötigten Hautfarbe findet, dann habe ich auch nichts gegen das Bemalen. Nur um es den Aufpassern der Integration Recht zu machen, sollte ein Theater nicht auf Qualität verzichten. Das wäre eine Anpassung, die nicht zum Theater passt.
Die Unerhörten, Mainz: Zustimmung
Vielen Dank Herr Merck für den letzten Beitrag. Dem, was Sie schreiben, kann man nur beipflichten.
Die Unerhörten, Mainz: Karnevalismus nach Bachtin
Was verstehen Sie unter dem "Wesen der Dinge / der Strukturen / der Beziehungen"? Geht es um / gibt es "das Wesen der Dinge usw." oder geht es nicht vielmehr um das Verfertigen der Figuren über die Sprache / die Stimme der Schauspieler? Ansonsten stimme ich Ihnen zu: Schauspiel ist tatsächlich etwas anderes als Karneval. Lieber Karnevalismus nach Bachtin.
Die Unerhörten, Mainz: Hautfarbe spielt (k)eine Rolle?
Zitat Theaterfreund:

"In deutschen Theatern spielen Hautfarbe und Rasse schon lange keine Rolle mehr. An Theatern werden zig Sprachen gesprochen. Sicherlich gibt es nicht soviele Rollen für schwarze Schauspieler. Aber das hat nichts mit Rassismus zu tun."

Sagen Sie, fällt Ihnen der Widerspruch in ihren eigenen Sätzen auf?

Wenn die Hautfarbe an deutschen Theatern keine Rolle mehr spielt, wieso gibt es dann nicht so viele Rollen für schwarze Darsteller?

Mit freundlichem Gruß

Stefan Schweers
Die Unerhörten, Mainz: Rassismus-Definition
Sehr geehrter Theaterfreund,

bei Ihnen geht es gar nicht ums Black-Facing, noch um eine ausgereifte Theaterkritik, sondern da wird alles munter durcheinander gemischt: die Inszenierung, die offenbar nicht gefiel, Kritik an einzelnen SchauspielerInnen, die ja aber, folgt man der Logik Ihrer Ausführungen, auch gar nicht gegen die Banalität anspielen konnten, die Sie dem ganzen Stück bescheinigen. Dass Sie hingegen behaupten, an deutschen Theatern gäbe es keinen Rassismus mehr und dies damit begründen, dass dort verschiedene Sprachen gesprochen werden, ist eine Aussage, die an Dummheit kaum noch zu überbieten ist. In der EU und den USA werden auch verschiedene Sprachen gesprochen, dass dies deshalb leider keine Rassismus-freien Räume sind, brauche ich wohl selbst Ihnen nicht zu erklären. Und wie kommt es überhaupt, dass Sie soviel über Rassismus wissen? Haben Sie eine dunkle Hautfarbe? Auch Ihre Kenntnisse übers Theater und die Schlüssigkeit Ihrer Argumentation über die Besetzungspraxis an deutschen Bühnen verblüffen mich - arbeiten Sie am Theater? Dann hätte ich gerne Name und Anschrift des Theaters, an dem es keinen Rassismus mehr gibt. Diese Behauptung ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die an deutschen Theater tagtäglich andere Erfahrungen machen. Sie sind jedoch dadurch entschuldigt, Theaterfreundchen, dass Sie indirekt schon im nächsten Satz Ihre eigene Argumentation unterlaufen, indem Sie zugeben, dass es an deutschen Theatern so gut wie keine Schauspieler mit schwarzem, asiatischem, arabischem Erscheinungsbild gib (viele von diesen vermeintlichen „Ausländern“ sind übrigens Deutsche und wie sieht ein Deutscher eigentlich aus? Blond und blauäugig?) . Warum gibt es diese Schauspieler dort nicht? Weil sie allesamt zu schlecht sind? Weil schwarze, türkisch-deutsche oder asiatisch-deutsche Menschen grundsätzlich keine SchauspielerInnen werden wollen? Weil Sie alle gebrochen Deutsch sprechen? Weil den Theatern das Geld fehlt (dann sollen sie halt anstatt des 20sten weißen Schauspielers einfach mal einen schwarzen Schauspieler engagieren, die kosten auch nicht mehr Geld als weiße)? Nein, all das ist nicht der Grund. Man findet sie nicht an deutschen Bühnen, weil ihre sogenannten „rassischen Merkmale“ nicht in das Bild passen, was selbst gebildete und sich selbst für aufgeklärt haltende Theatermacher und -gänger von einem „richtigen“ Deutschen haben, der die deutsche Kultur auf deutschen Bühnen vertreten darf. Eine solche Ausgrenzung aufgrund sog. rassischer Merkmale nennt man R-a-s-s-i-s-m-u-s. Sie brauchen sich nicht zu bedanken, ich habe Ihnen das gerne erklärt.
Wobei das Konzept der „Rasse“ selbst, wie inzwischen ja auch jeder weiß, ein vollkommen absurdes und wissenschaftlich haltloses Konstrukt ist, weshalb ich mich wundere, dass Sie ausgerechnet dieses Wort benutzen, um zu erläutern, wie bunt es an deutschen Theatern zugeht - was haben wir da nicht alles für „Rassen“!!! Was für einer Rasse gehören Afro-Deutsche Schauspieler denn an? Der deutschen Rasse? Oder der afrikanische Rasse? Oder der Rasse der schlecht gelaunten Theaterfreunde vielleicht?
Abschließend möchte ich bemerken, dass, erstens: auch schlechte schwarze DarstellerInnen in keinster Weise Black-Facing rechtfertigen, so wie man ja anstatt schlechter weißer DarstellerInnen auch keine schwarzen Schauspieler weiß anmalt, sondern sich einen besseren weißen (oder schwarzen!) Darsteller holt; und zweitens: ich am Freitag in der Aufführung der „Unerhörten“ war und die Darstellerin der Mimi ganz hervorragend fand, mit Abstand die beste Darstellerin des Abends. Nicht weil und nicht obwohl sie schwarz war, sondern weil sie schlicht schauspielerisch glänzte, soweit man das in diesem Stück überhaupt konnte, da es, das stimme ich Herrn Theaterfreund zu, kein besonders gutes und lange nicht so raffiniertes Stück war wie „Clybourne Park“, in dem ich Lara-Sophie Milagro auch schon bewundern durfte. Nehmen Sie es als außerordentliches Kompliment, dass unser Theaterfreund Sie nicht mochte, Frau Milagro! Ich hoffe, wir sehen Sie bald wieder!
Die Unerhörten, Mainz: wenn Bruce Willis Martin Luther King spielt
Zitat der Autorin:

"So ist es auch kein bisschen erklärlich, dass sich der Regie führende Mainzer Intendant Matthias Fontheim die Mühe gemacht hat, alle afrikanischen Rollen im Stück mit zumindest afrikanisch aussehenden Schauspielern zu besetzen. Wozu? Sie wirken an diesem Abend nicht weniger artifiziell als schwarz angemalte Weiße."

Das heißt also:

Wenn eine Verfilmung von Martin Luther Kings Leben mißlingt, hat sich das Engagieren eines schwarzen Darstellers nicht gelohnt, man hätte auch Bruce Willis nehmen können?

Wenn eine Verfilmung eines japanischen Romans mißlingt, hat sich das Engagieren japanischer oder entsprechend aussehender Darsteller nicht gelohnt, man hätte auch gleich die Combo von Verbotene Liebe nehmen können?

Mir stößt dabei irgendwie übel auf, dass eine Selbstverständlichkeit als eine Mühe, eine Extratour hingestellt wird.

Man lese es mal umgekehrt:

So ist es auch kein bisschen erklärlich, dass sich der Regie führende Mainzer Intendant Matthias Fontheim die Mühe gemacht hat, alle weißen Rollen im Stück mit weißen Schauspielern zu besetzen. Wozu? Sie wirken an diesem Abend nicht weniger artifiziell als weiß angemalte Schwarze.

Mit freundlichem Gruß

Stefan Schweers
Die Unerhörten, Mainz: alles möglich
weiß angemalte schwarze
schwarz angemalte weisse
am theater ist doch alles möglich
Die Unerhörten, Mainz: Zeit
Hier ein Ausschnitt aus einem sehr klugen Artikel zur Rassismus-Blackfacing-etc.-Debatte, vielleicht kann er die oben geführte Diskussion ein wenig relativieren:

„Am Freitag hatte nun in Mainz das Norris-Stück Die Unerhörten Premiere – mit fünf schwarzen Darstellern, darunter Lara-Sophie Milagro, die in Berlin das afrodeutsche Ensemble Label Noir leitet. Dieses sinistre und kongenial inszenierte Kammerspiel um eine multiethnische Abendgesellschaft, die im post-kolonialen Afrika sich selbst und ihre Werte vergisst, ist ein Beispiel dafür, wie sich mit der Besetzung eines Stücks auch dessen Aussage ändern kann. In Die Unerhörten sind Schwarze die Ausbeuter und Folterer, und Weiße sind lediglich die Profiteure der schwarzen Herrschaft. Wären die Rollen nicht gemäß der Vorlage besetzt worden, hätte die Inszenierung den Kern des Stücks verfehlt: Sie hätte nicht die ontologische Dimension der Schuld, sondern – nach Guantanamo und Abu Ghraib – lediglich die Auswüchse westlicher Herrschaft und den Verrat demokratischer Ideale gezeigt. Aus einem Stück über menschliche Urkonflikte wäre ein Manifest geworden. Fontheim kann Norris deshalb verstehen: "Ich finde es schwierig, die Rollen in Clybourne Park nicht mit Schwarzen zu besetzen. Es gibt viele schwarze Darsteller, die Engagements suchen."
(...)
Die Beispiele aus Mannheim und Mainz belegen, dass es anders geht, wenn Theater anders wollen. Was nützt es, wenn man die Welt im Fiktionalen erschließt, sich aber der Realität verweigert? Wer dem Theater seine Legitimation erhalten will, darf es sich auch bei Besetzungsfragen nicht zu einfach machen. Sonst ist Gesellschaftskritik bloße Attitüde.“

aus dem ZEIT-Artikel „Schwarz bleibt schwarz“ von Martin Eich, erschienen am 16. Februar 2012.


... Die Kritikenrundschau ließe sich übrigens noch durchaus erweitern? Wo sind Frankfurter Rundschau und FAZ? Wurden etwa bewusst die positiven Besprechungen weggelassen?

(Werte(r) anonym,

die FAZ findet sich in der Presseschau, um einen Nachtrag der Frankfurter Rundschau bemühen wir uns.

Beste Grüße
Georg Kasch für die Redaktion)
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