Des is mei Theater

von Steffen Becker

München 12. Februar 2012. Zeig mir deine Theater und ich sage dir, was für eine Stadt du bist. Wie Kammerspiele, Volks- und Residenztheater diesen Anspruch für München einlösen können, diskutierten deren Intendanten Johan Simons, Christian Stückl und Martin Kušej in einer von der Münchner Universitätsgesellschaft organisierten und dem Theaterwissenschaftler Christopher Balme moderierten Matinee. Als Knackpunkt der Debatte kristallisierte sich schnell die Gretchenfrage "Und wie hältst du es mit der Jugend" heraus. Theater könne als städtischer Lebensraum nur funktionieren, wenn mehr als der kleine Gesellschafts-Ausschnitt des grauhaarigen Bildungsbürgertums es in seinen Alltag integriere.

A gscheite Gastro am Volkstheater

In einem Impulsvortrag hatte Julian Nida-Rümelin, ehemaliger Münchner Kulturreferent und Kulturstaatsminister, heute Professor für Philosophie an der LMU, Stadt als einen Ort beschrieben, der verschiedene kulturelle Identitäten gleichwertig anerkennt. Gleichzeitig müsse sie als Institution eine Identität für die Stadt als Ganze prägen – mit Kulturstätten, in denen Teilidentitäten überformt werden. Heißt in der Konsequenz: Wer Münchens Seele erfassen will, muss in die Kammerspiele, ins Volks- und Residenztheater gehen.

Der Weg dorthin wurde von den Intendanten zum Teil unterschiedlich beschrieben. Der hemdsärmelige auftretende Oberbayer Christian Stückl erzählte, dass er zusätzliche Gelder nicht in eine Beleuchtungsanlage, sondern in "a gscheite Gastro" investiert hat. Die Leute sollen sich wohlfühlen, "ihre" Garderobenfrau kennen und mit einem "des is mei Theater"-Gefühl nach Hause gehen. Bei jungen Leuten funktioniere das ebenfalls – sofern auch die Personen auf den Regiestühlen und der Bühne jung seien. Stückl beginnt mit der Werbung schon im Kindesalter. "Wir stellen Lehrern Unterrichtsmaterialien zu unseren Inszenierungen zur Verfügung. Denn ich fand es als Bua kreuzlangweilig, wie die immer gleichen Stücke von 'Woyzeck' bis 'Besuch der alten Dame' verhandelt wurden."

Die Kammerspiele probieren Aufführungen im Stadtraum

Johan Simons erklärte, dass er immer Theater machen wolle für Leute, die sonst nicht ins Theater gehen – und gestand, dass es ihm bisher nicht gelungen ist. Nicht vorhandene Chancen ergreife man trotzdem. Er versuchte es mit Aufführungen im Stadtraum und mit Betroffenen – so verlegte er eine Inszenierung über Flüchtlinge in eine Asylbewerberunterkunft.

Martin Kušej plädierte nicht nur für offene Räume (um deren Genehmigung in Form eines Restaurants er am Resi gerade kämpft), sondern auch für mehr Austausch über die Stadtgrenzen hinaus – sprich: Einladungen von Aufführungen aus anderen Metropolen und die Arbeit mit Künstlern aus ganz Europa.

Lokale und internationale Allianzen am Residenztheater

Ob man es nun mit Guerilla Cooking (Resi), "radikal jung"-Festival (Volkstheater) oder ungewöhnlichen Spielorten (Kammerspiele) versucht, die Unterschiede in der Debatte zeigten sich weniger in den Rezepten der Gegenwart als im Blick in die Zukunft. Kušej sieht diese eher pessimistisch. "Auch wenn wir Roboter-mäßig unser Programm abspulen – die gesamtgesellschaftliche Verflachung können wir nicht aufhalten." Dieser Blickwinkel mag vielleicht mit der Art und Weise zusammenhängen wie sich der neue Intendant die Stadt angeeignet hat. Auf eine betreffende Frage hin sprach er von einem Eingraben in die kulturellen Strukturen und Allianzen mit anderen Kunstinstitutionen, um möglichst viel Wissen zur Stadt anzuhäufen.

Wider den Hochkultur-Fatalismus

Nida-Rümelin widersprach diesem Hochkultur-Fatalismus. Unter dem feuilletonistischen Radar und beschleunigt von der Wirtschaftskrise sieht er eine Bewegung, die die Ökonomisierung der Bildungsinstitutionen zurückdränge. "Die Menschen melden ihre Kinder wieder in humanistischen Gymnasien an, die während meiner Jugend als Auslaufmodell galten. Im Internet entsteht eine neue, kritische Diskussionskultur. Die Chancen stehen gut, dass eine Generation heranwächst, in der ein Medium der Diskurse wie das Theater wieder an Faszination gewinnt." Auch die Einführung von Ganztagsschulen biete die Chance, die Kultur in der Erziehung zu stärken und für Kinder das Theater zu einem Lebensraum zu machen.

Diesen Grundoptimismus schien auch das Publikum im voll besetzten Schauspielhaus der Kammerspiele zu teilen. Zumindest schallte Moderator Balme auf die Frage, ob die Runde für Fragen geöffnet werden soll, ein klares "keine Ko-Referate" entgegen. Man war sich einig: Nach 90 Minuten ist es Zeit zum Frühschoppen. Gerne auch in einer Theaterkneipe.


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